Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band II
Johann Richard zur Megede

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Zwanzigstes Kapitel

Ich bin in einer unangenehmen Situation. Von meiner ältlichen Geliebten darf meine jugendliche Adoptivtochter nichts wissen – und von meiner jugendlichen Adoptivtochter meine ältliche Geliebte erst recht nichts. Die alte Suleika ist als echte Sächsin zuweilen bedenklich helle . . .

Suleika, der ich zuweilen ausgewählte Abschnitte meines Tagebuchs vorlese, krankt seit kurzem an dem Ehrgeiz vieler Ungebildeten und Emporgekommenen, gebildet und geistreich zu scheinen. Mein Saharakönigtum a. D. imponiert ihr plötzlich weit weniger als mein kaustischer Witz. Sie liebt auf einmal Geist, wahrscheinlich weil sie keine Spur davon besitzt, was unter den Menschen auch vorkommen soll. Sie schwärmt für Poesie, obgleich sie die prosaischste Katze von der Welt ist, was bei Menschen insofern auch stimmt, als das allerdunkelste Reimgeklingel dem Dummen am meisten imponiert. Daher auch in der Tragödie die unterdrückten Lachsalven, die niemand begreift, der nicht selbst blödsinnig ist. Wenn aber in der Komödie sich eine Kokette zu einem neuen Liebhaber entschließt, weinen sie vor Rührung wenigstens über den guten Jungen, der genau so idiotenhaft wie ihre Tränen. Ueberhaupt wer gute Lustspiele wünscht, stelle sich auf die Bühne und sehe ins Publikum – aber beileibe nicht umgekehrt! . . . Zwischen dem gravitätischen Theaterlord und dem bemalten Clown schwanken noch heute die Sympathien. Wer den ganzen Tag ehrbar Strümpfe gestopft oder Bogen geschrieben hat, will abends den Clown in irgendeiner Gestalt auf den Brettern haben; und wer den ganzen Tag Modejournale durchblättert oder mit Hummern sich amüsiert hat, wünscht bei einem tragischen Helden seine überschüssigen Gefühle zu lassen, das heißt mit dem Unterschied, daß die vollen Magen jovialer Lebemänner sich lieber das Zwerchfell bis zu Tränen erschüttern lassen, weil das die bekömmlichste Vorbereitung für das nachfolgende Chambre séparée ist, während in den Augen eleganter Weltdamen am besten die Wehmutsträne blinkt, weil die interessant und schlank macht. Ein guter Theaterdirektor schielt darum nach beiden Seiten. Und wer die Dickbäuche belustigt und die Wespentaillen rührt zu gleicher Zeit, dem fällt ganz von selbst das Publikum im Parterre und den zweiten Rängen zu, wo sich gute Bürger und Bürgerfrauen am liebsten mit der Hand die Rührträne aus dem rechten Auge wischen, indes die Lachträne bereits in das linke perlt. Der Phantast, der ein Stück wirklicher Natur auf die Bühne bringt, wird sich an dem kunstsinnigen Parkett verbluten – aber ich habe noch nie gehört, daß Theaterdirektoren Phantasten gewesen seien. Selbst Goethes »Faust« mußte in Weimar einer Farce weichen, worin ein lebendiger Hund ins Publikum hineinbellt. Die Welt ist wohl älter, aber nicht klüger geworden in der Zeit.

Da nun einmal meine Suleika, die auf gut sächsisch Mieze heißt und nicht meine Lieblingssklavin, sondern ein Hausdrache ist, durchaus wünscht, daß ich Liebeslieder dichte – ein Fünfziger mit wackelnden Zähnen Liebeslieder dichten! – oder wissenschaftliche Vorträge halte – zum Professor kann man ja allerdings niemals alt und ledern genug sein –, so habe ich versprochen, die Kritiker und Dichter des Sanatoriums diskret zu interviewen. Die Arme glaubt's auch! Je länger ich ausbleibe, je zärtlicher umarmt sie mich.

Die »Wissenschaft« im Sanatorium ist wirklich interessant, nur daß ich mich mit ihr weniger beschäftige als mit meiner neuen Akquisition. Meine Adoptivtochter ist reizend . . . Ich bin alles andre, nur nicht ihr Papa. – Und kindlich dieses Kind!. . . Sie führt mich spazieren, verhätschelt mich – und wenn ich sie küsse, was ich sehr oft tue, aber immer von salbungsvollen Vorträgen begleitet und väterlichen Mahnungen –, dann leuchten wahrhaftig ihre Augen. Ich muß ihr immer wieder erzählen, wie schön diese »Tochter« war – »fast so schön wie du!« – Wie hoch mein Thron einst und wie tief mein Sturz jetzt, wie ich nichts besäße als ihre kindliche Liebe . . . Ich glaube nächstens selbst an meine »Tochter« und an meinen »Thron«! Ich glaube überhaupt gern an das, was ich gerade Lust habe zu glauben.

Aber . . .

Aber . . . Ich umarme das holde Kind zärtlich, bleibe dann wieder in tiefer Traurigkeit stehen. Trotz aller Mogelei, im Kerne gebe ich mich doch, wie ich bin. Leidenschaft und Resignation wechseln . . . Natürlich muß sie meine Geliebte werden – aber Gott sei Dank, daß sie's noch nicht ist! . . . Denn ich fühle . . . Ich bin nämlich auch in der Liebe zum Doktrinär geworden. Ich kann stundenlang von den schönsten Gefühlen sprechen – aber diese Gefühle selbst wollen nicht kommen. Die Glut leuchtet mir aus den Augen – aber dahinter ist kein Feuer . . . Es ist meines Geistes absolut unwürdig – ich weiß es! – aber meine Gefühle sind nur noch die Prestigegefühle eines alten Don Juans, der immer siegte und auch hier siegen muß. Meine Liebe ist Eitelkeit, mein Feuer Strohfeuer. Ich opfere mich buchstäblich für eine Idee . . . Und wenn ich ihr wie von ungefähr das unendlich zarte, warme Pfötchen streichle, merke ich, wie sie innerlich erschaudert, weil diese meine Pfote kalt und zittrig ist. Wenn ich ihr kühles rosiges Näschen bei meinen onkelhaften (?) Küssen berühre – die meine ist leider heiß und fiebrig –, merke ich erst, wie alt ich bin, wie der Don Juans-Wunsch mit der Don Juans-Kraft sich leider nicht mehr deckt. Ach nur ein wenig mehr von dieser törichten Jugend – und nur ein wenig weniger von diesem klugen Alter! . . . Ich möchte sie feurig umarmen, an mich drücken, sie müßte in diesem Druck vor Seligkeit sterben! . . . Meine fiebrige Nasenspitze wünscht das, aber meine lahmen Glieder bedauern herzlich. – Ja, ja, das Alter ist die Rache der Jugend!

Neulich schlief ich direkt ein, als wir nach einer Promenade in der Heide ein lauschiges Dickichtplätzchen aufsuchten . . . Es ist vorbei, Carlo! Dir bleibt von so vielen Abenteuern, von so vielen Frauen – nur noch die Weisheit und die Köchin! . . . Das liebe Kind hatte mich nicht gestört, war in reizender Sorge stumm neben mir sitzen geblieben. – Der »olle« Papa dauert sie. – Aber ich fuhr plötzlich mit einem heisern Schrei aus dem Schlummer. Ich hatte einen schrecklichen Traum gehabt. Ein junger Laffe hatte meine Adoptivtochter betört, umstrickt, sie schien im Begriff, mit diesem Elenden auf und davon zu gehen. – In meinem Traum war ich durchaus Liebhaber – bei meinem Erwachen durchaus Papa . . . Die Kleine sagte sanft blinzelnd: »Du schliefst so sanft, Onkelchen!« Ich schaute mich wild nach allen Seiten um, den Taugenichts zu erspähen, dem ich auf der Stelle den Garaus machen wollte – es schlich auch wahrhaftig etwas Graues in den Büschen umher, offenbar ein liebegirrender Kater – aber so wach mein Geist, so eingeschlafen waren meine Beine. Ich sah die Kleine wehmütig an. »Kind du könntest?« Und diesmal weinte ich wirklich. »Du könntest einen alten König im Stich lassen?« Sie blickte zur Erde. Nebenbei hörte ich ganz deutlich den Kater girren. »Onkel . . . wenn die ganz große Liebe . . .« Ich kenne das Geschwätz Siebzehnjähriger. Die ganz große Liebe hat nie existiert und wird auch nie existieren und hätte in diesem speziellen Fall nun schon gar keinen Sinn! Aber ich bezwang mich klug. »Kind, das brauchst du nicht,« sagte ich weich, »wenn du denn durchaus lieben mußt, so liebe mich! Ich liebe dich schon längst mit der großen, wahren, einzigen Liebe!« – Sie schien verdutzt, sprachlos. – Da ich stehend immer noch eine gute Figur mache, erhob ich mich majestätisch. Ich sah mit zündenden Blicken sie immer wieder an – auch junge Mädchen sonst schwärmen zuweilen für alte Exzellenzen . . . Und nun hier eine Majestät, eine leibhaftige Majestät! »Es sei,« sagte sie leise und mit niedergeschlagenen Augen. »Ich bin dein . . .«

Da haben wir nun das Unglück! Ich mußte übrigens überschwenglichen Erwartungen in Bälde vorbeugen. Während wir langsam und seelenvoll nach Hause gingen – immer umschwärmt von dem grauen Kater, den sie aber in ihrer Naivität für eine ältere, scheckige Katze hielt, hielt ich ihr eine große Rede. Wie verworfen die Zeit, wie unrein die Sitten und wie die wirkliche Liebe nur innigste Seelengemeinschaft sei und wie die Treue . . . Dabei mußte ich mich doch räuspern. Denn wenn mir je etwas im Leben widerwärtig und ekelhaft gewesen ist, so ist es die sonst ganz unnötige eheliche Treue gewesen. Aber jetzt fühlte ich wie eine Offenbarung, daß die Treue doch etwas ungeheuer Wichtiges sei, daß die Pflicht unbedingt einsetzen müsse, wo das Vergnügen aufhört . . . Wir müssen die Jugend erziehen zur Treue des Alters! – Und da schleicht wieder dieser infame graue Katerbengel umher und blitzt mit den Augen und miaut wütend, genau wie ich vor dreißig Jahren! Aber diese Jugend von heute ist doch eine andre. Was wir in jungen Jahren taten, das haben wir getan großen Trieben, großen Zielen folgend; wir machten uns über unsre Alten lustig, weil sie wirklich nur noch zum Lustigmachen waren. Aber heute, wo wir die Alten geworden sind, wir, die wir die Höhen der Weisheit erklommen haben, macht sich diese entnervte, zuchtlose Jugend lustig auch über uns. Ehrfurcht vor dem Alter, Selbstzucht, Sinnendisziplin: das tut euch allen not, ihr jungen Schurken! . . . Wenn mir in meiner Jugend etwas gegen den Strich war, so waren es alte Kater; im Alter ist mir nichts ekelhafter als diese jungen Schnüffel . . . O, wir waren anders, ganz anders!

Ich bin entschlossen, alle meine Don Juan-Prätensionen unter allen Umständen aufrecht zu erhalten.


In voriger Nacht hat es gereift. Auch über meine Seele kommt der Rauhreif.

Fast zwei Tage war ich nicht zu Haus. Was wird Suleika sagen? Ich wünsche die alte Hexe zum Teufel. Wenn sie doch in der Zwischenzeit durchgegangen wäre mit irgendeinem windigen Poeten! Aber sie wird schon nicht . . . Die Treue alter Weiber ist doch das Sinnwidrigste, was existiert.

Und nun muß ich doch auf ein Stündchen ins Sanatorium selbst gehen. Sie verlangt detaillierte Berichte, diese Banausin . . . Na, wartet, ihr Herren Dichter und Professoren!


Es sind nämlich wirklich welche da!

Es sind: ein Alter, ungefähr Mitte Siebzig, ein Mann, dem vor fünfzig Jahren nicht nur Schneiderinnen zujubelten, als er seinen ersten Roman für die »Gartenlaube« schrieb. Und jetzt? Vernachlässigt, schäbig, mit plierigen Augen, aber noch immer gebläht vor Eitelkeit, der ganze Kerl überhaupt anzuschauen wie der verstaubte Grabstein seines eignen Ruhmes. Denn wenn er auch seit Dezennien bei jedem neuen seiner Romanverbrechen naserümpfend sagt: »Wieder mal Kaviar für das Volk!« so antwortet ihm auch seit Dezennien schon das Echo: »Aber höchstens Elbkaviar.« Das kommt davon, mein Lieber, wenn man sich selbst überlebt. Billigen Mosel soll man nicht zu lange auf der Flasche haben, sonst wird er Essig.

Es sind: noch ein Alter. Aber etwas jünger, klein, fein, geschniegelt, gebügelt, der richtige Ladendiener der Literatur. Aber alte Ladendiener sind gräßlich! Uebrigens beides berühmte Leute. Der Ruhm kommt mir bei ihrem Anblick vor wie ein Esel, der auch Disteln fressen muß zuzeiten. Ich habe beider letzte Werke verschlungen, wie die Sanatoriumsdamen auch, ich habe sie aber wieder von mir gegeben, wie die Sanatoriumsdamen nicht. Sie werden es noch bereuen! Der kleine Ladendiener mit dem Bratenrock verwässert die deutsche Literatur, und der große Löwe mit den Triefaugen trübt sie. Verständige Arbeitsteilung! Der Ladendiener hat sämtliche ältere Damen auf seiner Seite – ältere Damen kaufen so gern im Ausverkauf und billig! Zu dem Löwen bekennt sich die Jugend – sie liebt nun einmal den König der Tiere, selbst wenn er, wie dieser hier, seit manchem Jahr nur noch ausgestopft existiert!

Es sind: ein Junger. Die Jugend kann ich nun erst recht nicht leiden. Aber aller Augen zugleich ruhen auf diesem Dichterkritiker. Er ist jung, stark, ungeschlacht. Und da er auf Bestellung Dichtergefühle hat – die Zeile fünfundzwanzig Pfennig –, so finden sie ihn mit Recht genial. Er findet das übrigens auch. Und da er außerdem noch Bücher rezensiert – die Zeile aber nur zwanzig Pfennig –, so findet man es natürlich, daß er alle Dichter von dem Pegasus herunterreißt, auf den er selbst nicht hinaufkann. Ich las nur ein Gedicht von ihm. Da zog ein Student beständig mit einem Mensurschläger von einer Wohnung in die andre und besang diesen Mensurschläger. Sehr ritterlich! Allen jungen Damen standen beim Lesen die Tränen in den Augen. »Liebchens letzter Strauß« stand übrigens auch in einem Wasserglase bei jedem Wohnungswechsel in dem neuen Zimmer. Ich hielt es anfangs für eine Parodie auf den Fliegendenblatt-Studenten, dem die Wirtin den einzigen Papierkragen durchs Fenster nachwirft. Als ich aber den jungen Dichter näher besah, merkte ich, daß er höchst ernsthaft sich selbst parodiert hatte. Ich glaube, die ganze Gedichtsammlung ist eine unfreiwillige Parodie auf das Dichterhandwerk überhaupt . . . Er jedenfalls ist andrer Ansicht und denkt bescheiden, daß im nächsten Jahrhundert Wolfgang (Goethe) nur noch deswegen genannt werden wird, weil er ein Vorläufer von Carl (. . .) war. Aber auch der gutmütigste Esel streikt wohl, wenn er immerfort Disteln fressen soll . . . Aber wenn er doch fräße? Ich bin etwas scharf, aber das liegt uns so in den Krallen.

Später setzte ich mich hin und memorierte einen Dichtervortrag für Suleika – wie ich mir Dichter- Vorträge bei Menschen ungefähr denke. Er folgt anbei.

»Hochzuverehrende Herren!

Ich behaupte, daß die Erde rund ist. (Bravo!) Ich behaupte ferner, daß alle Professoren langweilig und alle Dichter verrückt sind. (Gesteigertes Bravo!) Ich stehe dabei auf dem Standpunkte Lombrosos, daß das Genie Wahnsinn, das Talent aber nur eine milde Form der Gehirnerweichung ist. Wenn Ihnen aber jemand darauf einwirft: ›Könnte das Genie nicht den wirklichen Fortschritt innerhalb der Gattung darstellen, also gewissermaßen den springenden Punkt in der Etappenstraße der Menschheit zur höchsten Vollkommenheit?‹ – So antworten Sie mit mir: Das Genie ist anormal, weil es aus dem Normalen der Gattung herausdrängt! Das Normale aber – gefunden hat das Normale allerdings bis jetzt noch niemand, und es wird wohl ewig eine Fiktion bleiben, aber jedenfalls ist unter diesem Gesichtspunkt die ganze Menschheit leicht genialisch angedämelt – also das Normale ist der ideale Ausdruck der Mittelmäßigkeit. Und da nur das absolut Mittelmäßige das absolut Normale ist, nähert sich der normale Idiot in demselben Maße der höchsten Vollkommenheit als sich das anormale Genie von ihr entfernt. (Nicht endenwollende Bravos.) – Aber meine Herren, wir wollen ja von der Dichtkunst sprechen! . . . Dichten ist nach der allgemeinen Auffassung: entweder zu viel getrunken oder zu wenig gegessen haben. Dichter heißt also: wer nicht mehr imstande ist, sich in vernünftiger Prosa vernünftig auszudrücken, sondern dies in Versen und möglichst unvernünftig tut . . . Ja, meine Herren, das war einmal! Damals als der Dichter noch geduldig wartete, bis ihm die Muse urplötzlich im Nacken saß, oder Pegasus ihm hinterrücks zwischen die Beine lief, so daß der davon Betroffene blitzschnell zum Parnaß getragen wurde, – damals als man im Walde dichtete beim Wein &c. . . Damals wenigstens hatten die Leute allgemein noch das richtige Gefühl, daß Dichten eine vorübergehende Geistesverwirrung ist – sie waren nebenbei noch Staatsmänner, Schuster &c., und zwar zuweilen ganz gute Schuster. Aber heute, wo ein Deutscher und ein Buch ungefähr identisch sind, wo ganze Dichterzünfte wie Sumpfblumen entstehen und vergehen, wo der Dichter auf Bestellung zur sittlichen Notwendigkeit geworden – denn womit könnte man die Lücken eines Journals sonst ausfüllen, als mit einem Gedicht? – Heute ist nicht mehr der Handwerker Dichter, sondern der Dichter Handwerker geworden! Wem die geistige Nachtlampe nicht mal bis zum Referendar geleuchtet hat, der wird flugs Schriftsteller und strahlt als literarische Sonne . . . Wenn alle schlechten Dichter Holzhauer geworden wären – wie viel vortreffliche Holzhauer hätten wir dann heut! . . . Aber über das Geschehene soll man nicht klagen. Man kennt sich selbst so wenig. Ich sehe vor mir drei Dichter: einen ganz alten mit der Glatze, einen alten mit durchgezogenem Scheitel und einen jungen mit einem Lorbeerkranz, den er sich aber selbst aufgesetzt hat . . . Meine Herren! Man kennt sich wie gesagt selbst so wenig, und böses Beispiel verdirbt gute Sitten. Ich zum Beispiel habe nie gedichtet, ausgenommen, wenn ich verrückt war; aber jetzt werde ich dichten, obgleich ich nicht mehr verrückt bin! . . . Meine Frau – nennen wir sie wenigstens so – wünscht es. Und wenn Frauen wollen . . . Meine Herren! Ich bin in einem Alter, wo man entweder sein Genie entdeckt oder seinen Blödsinn. – Mein Verstand war immer klar, meine Logik immer scharf. Das soll anders werden, wie Sie es hoffentlich jetzt schon merken – denn meine Frau wünscht, daß ich unter die Dichter gehe . . . Also – es lebe der Blödsinn!« (Der Redner wird, unter dem Applaus endgültig taub und blödsinnig geworden, hinausgetragen.)

Ich hatte extra die Form der Bierrede gewählt. Sie nähert sich am meisten den dichterischen Formen. Außerdem ärgere ich gern Kluge und Dumme zugleich. Denn das ist der Witz bei jeder zündenden Rede, daß sie so gehalten ist, daß jeder jeden für einen Idioten hält, sich selbst ausgenommen, und eben darum jeder klatscht, weil er kein Idiot sein möchte und doch gerade darum ein Idiot ist. Ich bin neugierig auf ihre Wirkung bei Suleika. Das Ganze ist so poetisch frei und so zusammenhanglos bissig, daß diese bildungswütige Dame ihre Freude daran haben muß.


Leider kam es anders. Sie ließ mich gar nicht zu Worte kommen, überhäufte mich mit Vorwürfen, sprach von unerhörter Treulosigkeit und so weiter. Zu guter Letzt ist sie der graue Kater doch gewesen, der immer um uns herumschlich. Meine Augen werden demnach auch schwach. Da ich aber grundsätzlich ungleiche Kämpfe meide – im Schimpfen ist mir meine nicht angetraute Gattin entschieden über –, begnügte ich mich zu schwören, daß ich niemals ein andres weibliches Wesen geliebt habe als sie. Meiner Adoptivtochter oder Braut werde ich gegebenenfalls den gleichen Schwur leisten. Ich mache gewohnheitsmäßig mit der linken Pfote den litauischen Meineidzirkel, während ich mit der rechten schwöre. Ich hasse überhaupt Halbheiten. Wenn man lügt, soll man ordentlich lügen . . . Und schließlich, was kann mir passieren? Wenn zwei Frauen sich in den Haaren liegen um einen Mann, geht der Mann eben mit einer dritten von dannen.

Ich bin schon oft mit der dritten davongegangen.


Es wird Winter. Der erste weiche, weiße flockige Schnee wirbelte heut. Ich stand am Fenster und freute mich an dem Gewimmel. Wohl Nachklänge aus der Kindheit. Man träumt von Wärme, Gemütlichkeit. Wenn ein Bratapfel im Ofen zischte, wer weiß, ich alte Frau würde vielleicht noch einmal zum Kinde. Man muß wohl solche Leichtsinnsintervalle im Leben haben, sonst ertrüge man seine Last nicht . . .

Peter ist nicht mehr gekommen, hat auch nicht mehr geschrieben. Ich liebe öffentliche Skandale nicht und beginne zu hoffen, daß die Menschen, die nun einmal nicht zueinander passen, wenigstens friedlich auseinandergehen. Ich habe das so im Gefühl. Er ist zu weit gegangen, Josefa ist zu weit gegangen, sie werden sich jetzt wohl erinnern, daß sie vornehme Leute sind und als solche scheiden . . . Eigentlich ist es schlecht – aber der Gedanke, mein Kind ganz wieder zu besitzen, hat für mich so etwas Tröstliches, daß ich ernstlich glaube, die Gegensätze in Josefas Gemüt werden sich mit der Zeit von selbst aufheben, sobald der Stein des Anstoßes weggeräumt ist . . . Ich bin doch froh, daß ich nicht die entscheidende Rolle gespielt habe, die ich anfangs spielen wollte, zu der ich aber nicht geeignet bin.

Ich sehe jetzt gerade wieder vom Schreiben auf in das Schneegetümmel. Wie wunderlich märchenhaft doch diese Flocken, und wie wunderlich märchenhaft die Lichter, die vom Sanatorium durchschimmern! Es ist das friedliche, freundliche Winterbild, das immer den Gedanken an Kinder weckt und Weihnachten.

An Kinder! Wir haben nämlich einen schweren Fall im Hause. Das Portierkind, das kaum den Keuchhusten losgeworden ist, scheint Diphtherie bekommen zu wollen. Es phantasierte die ganze Nacht. In der Angst ihres Herzens kam die Mutter schon vor Morgengrauen zu mir herauf, und zwar mit der sonderbaren Bitte, ob meine Tochter nicht kommen könne, die Kleine verlange im Fieber immer nach ihr. Ich wollte es schon direkt abschlagen, weil Diphtherie so ansteckend ist und Josefa keine dieser sogenannten Kinderkrankheiten durchgemacht hat. Aber Josefa läßt sich so gar nicht mehr bemuttern, und ich habe fast Angst vor dem kurzen, scharfen Wort, mit dem sie wohl auch mich zuweilen abtut. Sie ist nicht etwa weicher geworden nach dem Renntage traurigen Angedenkens, eher härter! Ich schickte also meine Jungfer mit der Frau sogleich in die Sanatoriumsvilla, innerlich ein wenig verwundert, daß das kleine Mädchen, dem meine Tochter nie besonders freundlich begegnet ist, sich gerade nach ihr sehnt. Aber Kinder haben wohl den richtigen Instinkt für wahre Heizensgüte.

Josefa kam sogleich und blieb Stunden in der abgestandenen Luft dieser Souterrainwohnung. Der Arzt, nach dem sofort geschickt worden war, warnte gleichfalls vor Ansteckung. Sie antwortete einfach: »Ich habe keine Angst vor Krankheit. Wo ich helfen kann, helfe ich gern.« Der Arzt verbeugte sich: »Wie Frau Baronin wünschen.«

Es soll ein schlimmer Fall sein. Josefa hat freiwillig die Pflichten einer barmherzigen Schwester übernommen. »Laß nur, Mama! Es füllt aus . . .« Und das tut es auch scheinbar. Sie ist so gewissenhaft, so geduldig, sie kommt mit froherem Gesicht und besserem Appetit zu Tisch als die letzten Tage. (Die Sanatoriumskur ist in der Hauptsache beendet, und nur wegen der Massage bleibt Josefa noch.)

Die Ingen kommt auch häufig. Sie hat etwas Vernünftiges, Praktisches, und belästigt niemand, wenn sie auf ihre ausdrückliche Bitte meine Tochter zuweilen ablöst. Ich weiß jetzt auch, warum die kurze Spannung zwischen den beiden. Einer Frau, die offenbar so unglücklich verheiratet war, ist eine so glückliche Braut naturgemäß auf die Dauer eine Qual. Aber jetzt findet Josefa sich zu dem liebenswürdigen und doch tatkräftigen Wesen wieder hingezogen . . . Leider hat sich die Wohltätigkeitsgräfin bei der Gelegenheit auch eingestellt und pflegt auch. Mir persönlich ist sie furchtbar lästig mit ihren fortwährenden Anliegen und ihrer Nervosität, die immer treppauf, treppab mit irgendeinem Mittel eilt. Das Singen von geistlichen Liedern habe ich mir verbeten, oder vielmehr Josefa tat es, weil sie alles fromme Getue haßt. Die Wohltätigkeitsgräfin mit ihren Traktätchen macht selbst die Portiersleute ganz wild, nur meine Köchin schwärmt für sie. Kranke verlange ruhige, feste, zielbewußte Hände.


Heut ist Josefa ganz plötzlich nach Hannover gereist. Sie hat einen Brief von mir unbekannter Hand bekommen, über den sie sich nicht weiter ausließ, als daß sie sofort abreisen müsse . . . Als Pflegerin bin ich eingetreten, weil es mir doch schmerzlich gewesen wäre, auf dem Stuhl, wo meine Tochter saß, eine bezahlte Krankenpflegerin sehen zu müssen. Unter einer gewissen Rivalität der beiden andern Damen geht es weiter. Es wird schlimmer, immer schlimmer. Das arme Wurm röchelt schwer und sieht sich mit seinen verglasten Augen überall hilfesuchend um, aber wenn die energischen Brillengläser sich über das Bettchen beugen, wird es nur unruhiger, schlägt mit den kleinen Händen wie verzweifelt um sich. Ich tue, was ich kann. Ich war sogar diese Nacht persönlich beim Arzt. Der Mann weigerte sich rundweg, zu kommen, solange die Wohltätigkeitsgräfin in der Nähe sei: »Sie spielt ja doch hinterher den Kurpfuscher, das Frauenzimmer!« Es war zwar hart, aber recht hat er am Ende. Ich bestellte seinen Wunsch natürlich stark verblümt, und die Wohltätigkeitsgräfin antwortete mir energisch: »Ich habe hundert Diphtheritiskranke gepflegt und durchgebracht. Den Doktor kenne ich. Er versteht nichts.«

Am Tage darauf wurden die Beängstigungen so schlimm, daß Fräulein von Ingen sagte: »Ich glaube, hier hilft nur noch der Kehlkopfschnitt. Bei meiner kleinen Schwester wurde er leider zu spät gemacht und sie starb. Also – Sie, Frau Gräfin Bären, oder der Arzt?« Da ging die Dame endlich. Der Kehlkopfschnitt wurde auch sofort gemacht.


Heute hörte ich von der Komtesse Gundingen, die mich besuchte, daß Peter in Dresden sein soll. Ich glaube es aber nicht. Im übrigen bin ich auf alles gefaßt und möchte eigentlich mit ihm allein verhandeln, da bei Josefas Art und Ansichten eine vernünftige stille Trennung sonst ausgeschlossen wäre. Und das geht sehr gegen meine verständigen mütterlichen Wünsche.


Peter kam, während ich gerade schrieb. Er trat, ohne sich anzumelden, beinahe zu klopfen in mein Zimmer ein und sah aus wie ein Mann, dem alles egal ist. Er sagte auch sofort ohne »guten Tag«, ohne Handkuß:

»Um mich nicht bei unnützen Vorreden aufzuhalten, ich habe in Hannover den Brief Josefas gesucht und gefunden, den sie vor ihrer Abreise hierher in der letzten Nacht noch geschrieben hat. Er war nicht an mich, überhaupt nicht adressiert. Und du nennst es wahrscheinlich eine Schamlosigkeit, daß ich ihn trotzdem erbrochen und wenigstens teilweise gelesen habe. Er war dreimal gesiegelt wie ein Wertbrief, damit du's weißt. Hier ist er. Lies ihn oder lies ihn auch nicht, ich jedenfalls brauche ihn nicht mehr! . . . Ferner: ich bin bei der Gräfin Quedenberg gewesen und habe sie auf Ehre und Gewissen gefragt, was sie von etwaigen Beziehungen meiner Frau auf unsrer Wüstenreise damals wisse. Sie antwortete mir bestimmt, daß sie nichts wisse. Darauf habe ich wieder gesagt: ›Frau Gräfin, es kann sich nur um zwei Persönlichkeiten handeln, – eine davon ist's! Dessen bin ich sicher. Und diesem einen geht's ans Leben, darauf können Sie sich verlassen. Es sollte mir leid tun, wenn ich den Falschen träfe!‹ Darauf antwortete sie mir wiederum nach einer Pause, daß sie nichts wisse und daß ich jedenfalls im Irrtum sei. Ich ging. Aber schon im Vestibül ließ sie mich durch den Diener zurückrufen. Sie war ganz blaß und zitterte vor Nervosität. Sie hatte auch ein Recht, Angst zu haben, daß ich den falschen träfe! Jedenfalls bequemte sie sich endlich dazu, daß wenn einer von beiden, es dann nur Graf Bloome gewesen sein könne . . . Ich bin schon vorher vergeblich durch ganz Deutschland gereist, um diesen Herrn ausfindig zu machen, der aber in England sein soll. So habe ich ihm denn in seiner Berliner Wohnung einen Brief zurückgelassen des Inhalts, daß er ein Schuft sei, und daß ich ihn überall, wo ich ihn auch fände, als solchen behandeln würde . . . Bis jetzt habe ich keine Antwort erhalten. Aber sobald ich ihn treffe, mißhandle ich ihn auf offener Straße.«

Ich konnte auf seinen Ton nicht eingehen, hatte ihm demnach überhaupt nichts zu antworten, und deutete ihm nur durch eine Handbewegung an, daß unsre Unterhaltung beendet sei.

Er kehrte sich aber nicht daran, sagte vielmehr, daß er sich mir näher erklären müsse. Es war übrigens auch ein andrer Ton, mit dem er wenigstens begann: »Mama, ich konnte dir das nicht ersparen! Ich weiß, daß du allein es immer herzensgut mit mir gemeint hast, und da ich voraussichtlich dieses Haus nie wieder betreten werde, möchte ich wenigstens nicht bei dir den Eindruck zurücklassen, ungerecht oder herzlos gegen deine Tochter gewesen zu sein . . . Wenn ich sie nicht von Herzen geliebt hätte, so würde ich sie nicht geheiratet haben, denn wie du selbst genau weißt, war ich nie auf eure Millionen angewiesen. Und wenn ich sie nicht geliebt hätte, hätte ich ihr nie verzeihen können, was sie mir damals in Cannes gebeichtet hat. Ich habe es aus dem Gefühl heraus getan, daß man einer Frau wie ihr viel verzeihen muß, was man einer andern nicht verzeihen darf. Daß das Aeußerste nicht geschehen sei, sagte sie mir wenigstens. Ebenso, daß mit dem Tage der Mann tot sei für sie . . . Wenn die zwei Jahre trotzdem mir eine Qual gewesen sind, die sich allein durchhalten ließ, weil wir wie getrennt lebten, so darfst du mir das nicht verargen. Denn zu guter Letzt – die Frau, die sich einmal vergeht, vergeht sich auch das zweitemal, und ich bin der allerletzte, der mit Hörnern vor aller Welt 'rumlaufen möchte! . . . Es wäre alles noch gegangen – und diese Scheinehe war ja auch deiner Tochter fester Wille –, wenn nicht die Geschichte mit dem Gaul gekommen wäre und dem Schuft, der drauf saß. Ich gebe zu, es war nicht hübsch, daß ich die Stute verkaufte. Ich wurde gewissermaßen dazu gedrängt durch den Kerl selbst, der sie durchaus haben wollte und sie denn auch bekommen hat. In bezug auf Josefa und ihn bin ich seit Afrika den Argwohn nie losgeworden. Das übrige weißt du ja ungefähr. Ich habe Josefa noch auf dem Rennplatz auf den Kopf zugesagt, daß sie nur dieses Kerls wegen gekommen sei und daß sie sich schämen sollte, so plump ein Verhältnis fortzusetzen, nachdem sie geschworen, es existiere nicht mehr . . . Und eine Frau, die nachher gegen ihren Mann wettet! Das hat sie zwar nicht wörtlich, aber wirklich getan, als sie ihm die Tips gab für die Stute . . . Jetzt wo ich und alle Welt weiß, wie es steht, da muß mir auch der Kerl bluten! Und nun lies den Brief oder lies ihn nicht! Meiner Ansicht nach ist es sentimentaler Unsinn. Mich interessierten nur die beiden Daten: Sidi Okba und Col de Sfa . . .«

Er hatte sich wieder in eine Erregung hineingesteigert, daß ich ihn bat, wenigstens um der Leute willen seine Stimme zu mäßigen. Er versuchte es. Wie ich überhaupt sagen muß, wenn ich nicht wüßte, daß es ganz anders zusammenhängt, obgleich ich's nicht zu beweisen vermag, daß ihm alle äußerlichen Umstände recht geben, freilich kein einziger innerlicher. Das will er nicht begreifen als echter Mann, und ich verschwendete vergeblich meine Worte. Ich ersuchte ihn dringend, wenigstens Josefas Rückkehr abzuwarten. Er wies das schlankweg zurück. Zum Abschied küßte er mir die Hand und ich ließ es geschehen, obgleich mir nachher dieser Handkuß wie ein Treubruch an meinem Kinde vorkam.


Erst lange, nachdem er gegangen war, entschloß ich mich, den Brief zu lesen. Mir ist jede Indiskretion etwas Schreckliches, und nun gar solche Indiskretion! . . .

Später depeschierte ich zugleich an Peter nach Dresden und an Josefa in Hannover. Denn dieser Bloome ist es nun und nimmermehr, an den dieser letzte Brief gerichtet ist! Aber wer ist es? Er lautet:

»Dieser Brief wird Sie, so Gott will, erreichen mit der Nachricht von meinem Tode einmal. Ich hoffe fest, daß Sie mich überleben . . . Ich schreibe an einem Mittwoch. Morgen reise ich in das Sanatorium, um wenigstens meine Nerven zu stärken für ein Leben, das ich vor den Leuten leicht ertrage, vor mir selbst kaum. Daß meine Nerven aushalten möchten, ist überhaupt mein einziges Gebet.

Ich wünsche Sie nicht mit irgendwelchen schönen Erinnerungen zu langweilen. Für mich ist diese schöne Vergangenheit tot, für Sie hoffentlich auch. Trotzdem muß ich Ihnen noch einmal schreiben.

Wissen Sie, daß Sie mich einmal eine Dirne genannt haben? Vielleicht wissen Sie's auch nicht mehr, aber ich weiß es. Bedauern Sie diesen Ausdruck nachträglich nicht! Alles Bedauern hat keinen Sinn, und bei mir müßten Sie es schon an meinem Grabhügel tun, was ich nicht wünsche.

War ich nun damals eine Dirne oder war ich es nicht? Darüber zu rechten, wäre sinnlos. Ich kann nur sagen, daß ich keine mehr bin. Das Wort, so ekel es ist, so tief es mich getroffen, hat doch in meinem Leben den Wendepunkt bedeutet. Zum Guten? Das glaube ich nicht einmal. Jedenfalls zum Konsequenten . . . Sie haben mit dem Wort in mir etwas getötet, und mit der Hand, die mich zurückstieß, haben Sie dieses Tote eingesargt . . . Grämen Sie sich darum nicht! Naturen wie die meine sind vielleicht wirklich so minderwertig, daß das Schicksal nur recht daran tut, sie zur rechten Zeit zu knicken. Aber es ist dem Betroffenen dennoch ein wehes Gefühl, wenn er spürt, wie die Wärme in seiner Brust langsam erkaltet. Das Schicksal hat es so gewünscht, und ich sträube mich nicht.

Als ich die Beziehungen zu Ihnen wieder suchte, habe ich schwer gesündigt, wie ich wohl weiß. Aber es war eine von den heißen Sünden des Herzens, gegen die man nicht kann, und die Gott wohl auch vergibt. Vergibt er solche Sünden nicht, so kann ich nur sagen: ›mein Gott ist der Gott der Erbarmung, und er allein weiß, wie ich mit meinen Sünden doch nur mir allein wehe tat.‹

Eine Dirne ist feige. Nun, ich habe meinem Mann alles gebeichtet ohne Tränen, ohne Sentimentalität, die Sie ja beide so sehr hassen. Und wenn ich Ihren Namen nicht mitbeichtete, so verzeihen Sie diese letzte Schwäche jemand, der Sie einmal von Herzen geliebt hat.

Eine Dirne ist wankelmütig. Nun, ich bin bei meinem Manne geblieben, den ich nicht liebe, nie geliebt habe. Er weiß das und versteht doch nicht, wie Männer wohl überhaupt nie verstehen: daß man nur einmal liebt . . . Es war sein Wunsch, daß ich bliebe, und meine Buße, daß ich blieb. Sie haben einmal auf der Fahrt von Sidi Okba nach Biskra gesagt, daß die einzige Buße die Tat sei. In diesem Sinne habe ich mich bemüht, zu büßen. Seine Frau in allem wieder zu werden, habe ich nicht über mich vermocht. Es gibt Frauen, denen dieses volle, reuige Zurückkehren nach einem Fehltritt leicht wird, ja denen es die rechte Buße scheint, ich aber denke, daß eine beschmutzte Ehe auf diese Weise nicht wieder rein werden kann, daß solches Waschen den Fleck vielmehr vergrößert. Auch widerstrebte mir in tiefster Seele, ein großes Gefühl mit einer kleinen Reue gewissermaßen zu verhöhnen.

Aber ich habe wenigstens alles getan, was ich tun konnte, ohne mich selbst aufzugeben. Sie werden ungläubig lächeln. Ich habe in dem raffiniertesten Luxus gelebt und lebe noch darin – nur aus Buße, weil er es liebt! . . . Ich habe all die Passionen, die mich mit meinem Manne einst zusammenbrachten, mit der äußersten Ueberwindung weiter gepflegt – nur aus Buße, weil sie ihm nun einmal eine Freude sind!

Nicht wahr, das klingt alles so nichtig? Wirklich Reuige büßen anders. Aber eine wirklich Reuige bin ich eben nicht. Ich kann mir nicht helfen: im letzten Moment kommt mir all diese Buße – und Sie ahnen wohl nicht, wie schwer das Büßen gerade mir wird – albern vor, läppisch. Ich frage mich: ›was hast du eigentlich damals getan, um heut so schlecht zu sein?‹ Nichts! Ich bin nur wärmer, weicher gewesen als andre, habe nicht Herzen brechen können, wo ich sie brechen mußte. Der eine wird einen Singvogel nie schießen, während er singt, der andre wird ihn nur schießen, während er singt . . . Das ist alles wohl Naturanlage. Ich bin ein Kind der Liebe, und die sind immer weich. Und Sie sind ein Kind des Zornes, und die sind immer hart. Sie wissen vielleicht noch, daß Sie mir das erstere einmal sagten, und daß Sie eigentlich selber darunter litten am meisten? Aber glauben Sie mir dennoch, was ein Mensch tun kann, sich selbst noch zu erziehen, das habe ich getan. Kalt außen, ehrlich innen – wenigstens versucht habe ich, das zu sein . . .

Ich tue meine Pflicht, indem ich bei meinem Manne bleibe, solange er will, aber auch nicht eine Sekunde länger! Kommt der Moment, wo ich mich überflüssig fühle, dann gehe ich, und haben Sie keine Angst, daß ich jemals wieder einem Manne nachlaufe, wie ich Ihnen einst nachgelaufen bin. Sie haben mir die herbste Lehre gegeben, die ein Mann einem Weibe geben kann, den Schlag ins Gesicht oder eigentlich etwas noch viel Schlimmeres! . . . Aber mit diesem Schlag ins Gesicht damals haben Sie sich auch Ihres Rechtes begeben. Auf die Art macht man die Menschen nicht besser, sondern schlechter. Wenn ich es trotzdem nicht geworden bin – wenigstens nicht schlechter –, so seien Sie meinetwegen stolz auf diesen Erfolg, der kein Erfolg ist. Denn was ich auch gebüßt, vielleicht gebessert, der unerträglich bittere Nachgeschmack ist mir in allem geblieben, daß ich mißhandelt wurde, wo ich geliebt, daß ich mit Füßen getreten wurde, wo ich gefleht . . . Solch Nachgeschmack wird nur bitterer von Jahr zu Jahr. Darum stehe ich auch heute völlig allein und will allein stehen!

Ich habe mein Herz einem einzigen ganz geöffnet einmal – ich öffne es keinem einzigen, niemals mehr!

Es hat eine Zeit gegeben, wo mein einziger Wunsch war, Sie noch einmal in meinem Leben zu meien Füßen zu sehen und Sie dann mit den Füßen wegstoßen zu dürfen. Es war ein rachsüchtiger Wunsch, aber vielleicht er allein hat mich bewahrt vor dem feigen Zusammenbrechen und mich über das Schlimmste doch hinweggebracht. Heute denke ich so kühl, wie ich fühle, auch über diesen Wunsch.

Gedenken Sie also meiner wie einer Toten, die ich ja dann auch bin, – ich gedenke Ihrer auch nur noch als eines Toten, der Sie mir ja auch sind. Aber um Gottes willen kein sanftes Verzeihen, liebes Gedenken! Das will ich nicht und das steht Ihnen nicht.

Wenn, wovor Gott mich bewahren möge, das Schicksal es noch einmal fügte, daß wir uns gegenüberstehen, so werden wir uns gegenüberstehen als die beiden völlig Unbekannten, die wir ja auch mittlerweile geworden sind.

Was ich Ihnen sagen wollte, habe ich Ihnen, glaube ich, gesagt: ich bin über Sie und mein Gefühl für Sie hinweg. Gott sei Dank!

Ich schicke Ihnen auch die kleine gelbe Blume zurück, die ich damals auf dem Col de Sfa gepflückt habe, und die mir eine Wunderblume schien und war. Jetzt ist es weiter nichts mehr als ein dürres, vergilbtes Kraut – auch mir.

Leben Sie wohl und mögen Sie derweil glücklich geworden sein, wie Sie es verdienen – aber auch nicht mehr.

Josefa Lasowitz.

P. S. Ich siegle den Brief schon jetzt, weil ich einen Strich unter meine Vergangenheit machen will für immer. Und wenn ich auch noch hundert Jahre leben sollte, so werde ich genau so denken wie heut – jedenfalls nicht milder.

Hannover, im September 19..

Ich las und las nochmals. Ich konnte immer nur denken: Armes, betörtes Kind! Sie liebt ja den Mann doch noch, der ihr das Herz hat töten wollen. Sie möchte ihn hassen und kann ihn nur lieben. Die ganze tiefe Bitterkeit ist ja weiter nichts als unendliche Liebe. In einem hat der Himmel meine Gebete doch erhört – ihre Gefühle sind stärker geworden, besser als meine. So rächt sich's! Sie muß besser sein, um unglücklicher zu sein, und ich stehe mit gebundenen Händen . . . Jetzt erst fühle ich klar, wie klein meine Liebe doch war, gemessen an ihrer Liebe. Und wieder die müßige Frage: ›Wer ist es? Wer kann es sein?‹ – Wenn ich's auch wüßte, ich könnte doch nicht helfen. Meine Liebe war klein, darum lebte ich ruhig weiter; ihre Liebe war groß, darum stirbt sie innerlich daran, aber langsam, qualvoll.

Ich weiß eigentlich nicht, warum ich dem Mann doch nicht böse sein kann, der mein Kind auf dem Gewissen hat. Er wie sie: es sind so andre Menschen. Tragische Naturen? Ich fürchte, ja, und mir graut.

Wenn ich das alles geahnt hätte, als ich ihr die Flügel beschnitt, immer wieder beschnitt, und sie doch hätte wachsen lassen sollen, wachsen, bis der Flug zur Sonne reichte, die ihr doch gehört! Eltern messen nach sich und messen darum so oft falsch.

Es ist völlig unmöglich, daß dieser Mann Graf Bloome ist. Er mag ein guter Kerl sein, er mag mehr wissen in der Angelegenheit als wir alle, – aber er ist es nicht!

Ich muß bitter lächeln, wenn ich denke, daß gerade Peter diesen Brief finden mußte, der doch der Brief einer Toten ist an einen Toten. Und wenn er aus diesem Brief die Kraft schöpft zum Haß, zur Empörung, ja allerdings dann . . . Aber ich will ihm keine Vorwürfe machen darum. Er tut, was andre auch tun würden, er sieht in seinem hellen Zorn die dumpfe Verzweiflung nicht. Vielleicht sind die meisten Männer überhaupt dazu unfähig. Egoisten, wie sie sind, sehen sie in jedem Spiegel nur ihr eignes Gesicht . . .

Ich hätte gemeint, ich könnte einmal den Mann hassen oder verachten, der meine Tochter jetzt zum öffentlichen Skandal macht. Aber nicht Peter, auch nicht jener andre, ich allein trage die Schuld! Ich ernte nur, was ich säte.


Nachdem ich in stundenlangem Brüten und Warten auf Telegramme, die aber nicht kamen, kostbare Zeit nutzlos vergeudet, schrieb ich das Vorstehende nieder, gewissermaßen um mich selbst loszuwerden. Das eine wurde mir dabei klar, daß Jeanette Quedenberg den Schlüssel zu allem besitzt, und daß ich ihn haben muß, wenn noch irgend etwas zu ändern ist. Es wäre doch eine Ungeheuerlichkeit, wenn dieser Bloome für etwas bluten müßte, für das er nichts kann. Auch Josefa ladet sich damit einen Mord aufs Gewissen – und – darf das sein?

Es war spät abends, als ich mich entschloß, noch zu Quedenbergs zu gehen. Ich ging die Viertelstunde wirklich zu Fuß, weil das zu meiner gedrückten Stimmung am besten paßte. Der Schnee fiel immer dichter. Ueber den Tannenschonungen der Dresdner Heide dehnte er sich wie ein ungeheures Bahrtuch. Er hüllte auch mich gnädig ein bei dem Gange, so daß die Wohltätigkeitsgräfin mit großen Schritten und mit sich selbst sprechend wie gewöhnlich an mir vorüberging, ohne mich zu erkennen, obgleich wir uns fast streiften. Sie geht, Fräulein von Ingen abzulösen. Erst jetzt fiel mir ein, daß ja das Kind auf dem Tode ist.

Bei Quedenbergs schon im Vestibül wieder der feierliche Kirchengeruch, der mich frösteln machte. Der Diener schien Order zu haben, niemand vorzulassen, ich aber sagte nur kurz, daß ich die Gräfin unter allen Umständen sprechen müsse. Sie empfing mich denn auch, aber allein und in ihrem Boudoir, das etwas Gruftkühles und Reserviertes hat mit seinen hochlehnigen, steifen Ebenholzmöbeln. Sie wußte im Anfang vielleicht nicht, warum ich kam, aber sie verstand mich sofort, als der Name meines Schwiegersohnes fiel. Das blasse Gesicht bekam Farbe, die Augen einen fast stechenden Glanz.

Ich sagte: »Gnädige Frau, mein Schwiegersohn war eben bei mir, und ich weiß alles.«

»Warum kamen Sie dann noch einmal?«

»Well Sie sich geirrt haben müssen. Dieser Graf Bloome kann unmöglich . . .«

Sie unterbrach mich höhnisch: »Hätte ich vielleicht einen andern Namen nennen sollen?«

»Ich verstehe Sie nicht . . .« Ich verstand sie wirklich nicht!

»Sie verstehen mich nicht, Frau Gräfin?« Sie lachte dabei kurz auf. »Sind Sie, wenn ich fragen darf, vielleicht eine noch bessere Schauspielerin als Ihre Frau Tochter?«

Ich wiederholte noch einmal: »Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau!«

Sie zuckte die Achseln. »Was wünschen Sie überhaupt von mir, Frau Gräfin? Sie wissen doch so gut wie ich, wer der andre war? . . . Oder kommen Sie vielleicht, um mir Vorwürfe zu machen, daß ich mich nicht zu seinem Henker hergab?«

Ich antwortete schroff: »Ich kenne den andern nicht!«

Da machte sie eine Bewegung, als wenn sie mir die Tür weisen wollte. »Sie kennen ihn nicht? Nun, ich habe mich neulich über die Geistesgegenwart gewundert, mit der Sie meinen Mann zu täuschen versuchten und natürlich auch täuschten. Ich habe aber schärfere Augen. Sie haben ein Andenken an diesen Herrn, was er nicht jedem gegeben haben dürfte.«

»Ich schwöre Ihnen!« Ich wußte wirklich nicht, was ich noch sagen sollte.

»Schwören Sie lieber nicht, Gräfin Angern! Wenn Sie hier ein Spiel mit mir spielen wollen, so sind Sie nach Ihrer Tochter die erste, die das mit mir wagt.«

Ich nahm mich aufs äußerste zusammen, weil ich fühlte, daß nur mit Ruhe hier etwas zu machen war. Ich sagte: »Gräfin Quedenberg, Sie sind in einer Erregung, die ich nicht verstehe, die aber vielleicht mit Ihrem Zustand zusammenhängt. Ich wünsche von Ihnen weiter nichts, als den Namen des Mannes, der mit meiner Tochter und wahrscheinlich dem Grafen Bloome in Sidi Okba oder auf dem Col de Sfa gewesen ist. Es eilt. Und ich habe niemand sonst, der mir darüber Auskunft geben könnte noch heut.«

Sie sah mich kopfschüttelnd an, ungefähr wie man eine Wahnsinnige ansieht. »Wollen Sie, Frau Gräfin, mir vielleicht damit sagen, daß ich seine Geliebte gewesen sei? Den Vorzug hatte ich nie – aber Ihre Frau Tochter hatte ihn!«

Es stach mich wie mit Nadeln, und ich hätte dies Weib erwürgen können. Dennoch sagte ich, wenigstens mit äußerlicher Haltung: »Das ist hier gleichgültig, Gräfin Quedenberg, ich will nur den Namen.«

Da sah sie mich einen Augenblick durchdringend an, und ein böses Lächeln ging über ihr Gesicht. Sie mochte jetzt wohl einsehen, daß ich die einzige Nichtwissende wirklich war. Sie antwortete: »Ihrem Herrn Schwiegersohn würde ich den Namen natürlich nie genannt haben, aber Ihnen nenne ich ihn gern: Robert Rin . . . Und nun, Frau Gräfin, lassen Sie mich mit meinem Gott allein!«


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