Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band II
Johann Richard zur Megede

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Fünfzehntes Kapitel

Als geheilt aus dem Irrenhaus entlassen – Carlo. Lebenslänglich in einer Gummizelle interniert – Josefa.

Unter Irrenhaus verstehe ich natürlich die Liebe. Die Liebe war, die Liebe ist, die Liebe wird sein! Die Welt ist eben rund. Mit dieser Tatsache muß man sich abfinden. Wie würde man auch Licht unterscheiden, wenn es keinen Schatten gäbe; wie Weisheit, wenn sie nicht von Torheit eingerahmt würde; wie einen Ueberkater, wenn er sich nicht von Zeit zu Zeit als Unterkater gebärdete? Aber sprechen wir nicht mehr davon! Tant de bruit pour une Omelette. Und dabei wäre mir zurzeit eine appetitlich duftende Omelette weit begehrenswerter als sämtliche Liebe des Universums. So steht's.

Von Afrika habe ich auch genug. Ein Modebad wie Biskra, wo es einem Bourbon passieren kann, daß ein Paria von Negerkater ganz unverfroren ihn auf eine gewisse fahle Wüstenhetäre anredet, vor der ich eine volle Woche erfolglos antichambriert haben soll! Ich erfolglos? Als Witz nicht übel! – Eine Wüste wie die Sahara, wo ich bei einem Philosophenbummel urplötzlich inmitten eines rötlichen Sandwirbels stehe, der mir derart die Augen beizt, daß ich wie im Dunkeln tappe, der mir die Haare sträubt, daß ich wie der selige Struwwelpeter starre, und der so mit Elektrizität geladen ist, daß ich die unangenehme Empfindung habe, der über mir donnernde Zeus wolle mich sofort in seinen Olymp zurückholen! Ein Hotel, wo ich mit aller Andacht zusehen darf, wie die gnädigste Baronin eigenhändig ihren englischen Reisesack packt, um dann mich wahrscheinlich in einem Hundecoupé auf der Bahn wiederzufinden!

Franzosen haben dieses Heilbad entdeckt, weil sie als gute Patrioten wissen, daß die Engländer eigensinnig und die Deutschen kindlich sind. Und da es keine Telegraphenstange gibt, auf die John Bull aus Verrücktheit gestiegen ist, wo nicht sofort ein gewisser Michel aus Ehrfurcht für eben diese Verrücktheit nachzuklettern versuchte, so wird dieses staubige Eden, das die Kranken vom Leben und die Elegants von der Liebe heilt, auch fürder gedeihen.

Ueberhaupt dieses ganze Afrika! Es ist ja nur Humbug und Reklame. Da schimpft sich dieses ganze Oasengesindel: Araber. Allerdings dunkel sind sie, und Datteln essen sie. Aber Nachkommen des Propheten? Jawohl! Vielmehr eine äußerst gemischte Gesellschaft von Berbern, Mauren, Negern, Beduinen, bei denen man sich nie auskennt und die sich eigentlich durch nichts anders unterscheiden, als daß der eine faul, der andre fauler und entweder der dritte oder der vierte am allerfaulsten ist. Hat ein Haus nur Fensterhöhlen und laufen sämtliche Kinder schamlos nackt zwischen den Lehmmauern 'rum, dann heißt's: »Sehr interessant! Hier wohnen Neger.« Trägt ein Bengel einen schmierigen Fez und wäscht sich die Füße nie, dann zwinkert man überlegen: »Berber! Aelteste Wüstenrasse.« Betrügt uns darauf ein ehrwürdig ausschauender Greis im Bazar abscheulich, so ruft man voll Stolz: »Araber! Die können nun einmal Christen für den Tod nicht leiden.« . . . Der einzige Tuareg, den ich sah, war groß und von Kopf bis zu Fuß vermummt wie ein altes Weib im Winter, und der kleine, halbnackte verlaufene Tibbu, der sich sanft nach allen Seiten umsah, war sicher der geborenste Spitzbube, wie der andre der geborenste Kopfabschneider war. Jedenfalls, ob übermäßig nackt oder übertrieben bekleidet: es ist eine Gaunergesellschaft allesamt, die einem voll Freundschaft die eine Hand entgegenstreckt und mit der andern voll Feindschaft die Kehle abzusäbeln beginnt.

Und eine Unbildung! Neulich interviewte mich ein Berberkater aus einem Friseurgeschäft, der natürlich schon aus Metier ein unerträglicher Neuigkeitskrämer ist, über meine Weltreisen. Von Paris hat er einen Schimmer, Berlin hält er für einen Botokudenweiler, bei Roma aeterna blinzelt er pfiffig, als handelte es sich um einen vorzüglichen Witz oder ein neu entdecktes Pfahlbautendorf der Marsbewohner. Zum Schluß die Gewissensfrage: »Gibt's da auch Dattelpalmen?« Ich verneinte eisig. Und dieser Friseurgehilfe schlich sofort mit eingekniffenem Schwanze zurück, schaute sich jedoch zweimal ängstlich um, weil für sein Gefühl allein der Belial Hochselbst in einem Lande ohne Dattelpalmen geboren sein kann . . . Dann traf ich irgendwo eine arabische Gemüsekatze, die die Wahl zwischen einem gestohlenen Hammelknochen und einem ehrlich erworbenen Schweinskotelett hatte. Sie nahm sofort den Knochen, ich bemächtigte mich des Koteletts. Und gleich beschwor mich diese Tochter des Propheten, nur ja nicht die ewige Verdammnis mir direkt in den Leib zu essen mit diesem vom Koran verbotenen Schweinefleisch. O du abergläubische Mohammedanerin! Ich antwortete ihr ironisch, daß gerade ich der selbstloseste Ausbund von einem Korankater sei und ausschließlich von Schweinefleisch lebe und leben würde, nur um weniger standhaften Bekennern die Versuchung zu ersparen. Sie fand diese Auffassung groß und neu und hätte, glaube ich, am liebsten auf diese Weise Mohammedanerseelen zu retten angefangen, wenn nicht zum Glück für ihr Seelenheil der Rest des Koteletts hinter meinen Perlenzähnen eben verschwunden wäre. Die ganze Unbildung und der ganze Aberglaube der Wüste können nicht krasser ausgesprochen werden, wie von dem klätschigen Barbier und dem alten Gemüseweibe!

Ich komme jetzt leider häufig mit den niederen Klassen zusammen, die mich von der Wüste her zu kennen vorgeben, und nach gewissen Bekundungen auch wahrscheinlich kennen. Es ist offenbar jener orientalische Hofstaat, der sich in Wahrheit aus Bettlern zusammensetzte, ebenso wie jene vermeintliche Prinzessin nur eine Dame von sehr öffentlichen Qualitäten war. Diese ganze Wüstenphantasie von einst mehrt ja auch nur meinen Glorienschein, weil eben das große Erhabene auch das kleine Niedrige nach seinem Idealmaß mißt. Dennoch bin ich aus Gründen der Vernunft für baldige Abreise. Der Göttersohn des Olymps blendet doch auf die Dauer diese betörten Wesen. In der Wüste gibt es schon genug Blinde! Es ist somit weit besser, daß die spätere Oasentradition mit dem Satze beginnt: »Ein weißer Prophet kam, ein weißer Prophet ging, gedenkt in Ehrfurcht des weißen Propheten! . . .« Nur das eine wäre zu bedenken, daß dann die großen mohammedanischen Glaubenskriege wieder aufflammen werden wegen des »alten« und des »neuen« Propheten. Aber vielleicht wäre es auch nicht schade um diese unheilbaren Ketzer, wenn sie sich gegenseitig auffräßen. Ich bin keineswegs einseitig und gönne auch Heiden ihr Vergnügen.

Ich reise also. Das heißt, ich bin schon gereist. Ich wählte wieder die dritte Klasse, weil ich den Hochmut verachte, und weil ich dem Herzen meiner Begleiterin keine Qualen machen wollte. Sie ist ein gutes, treues Geschöpf. Vielleicht die treueste, Quedenbergs Luise ausgenommen.

Ich bin anders geworden, ganz anders! Ich sehne mich nach einem stillen Port, wo ich vielleicht den dritten und letzten Teil meiner großen Lebensphilosophie beende. Ich habe viel gelebt, viel gelitten! Und wenn mir der Undank eines gewissen Geschöpfes, dem ich treulich gefolgt, das ich ehrlich beraten, nicht mein Haar gebleicht hat, so liegt das nur dann, daß es kein leuchtend weißeres Gewand gibt als mein olympisches Pilgerkleid. Und wenn ich mich auch noch jetzt nicht von ihr lossage, so bekenne ich offen: »Afrika mag gut sein, Europa ist besser!« Jedoch zwischen dem zweiten und dritten Teil meiner Philosophie liegt noch das Mittelmeer und die Seekrankheit, ich muß also mit meinen sogenannten Gönnern rechnen. Wenn ich dann aber glücklich drüben bin in meinem Philosophenport, so werde ich mich über ein Geschöpf äußern, dessen freventliche Sünden nicht Mitleid, wohl aber Verachtung verdienen . . .

Weine nicht, Carlo, weine nicht! Richte dich an deiner eignen Größe auf!

Das habe ich denn auch getan.


Es sind Monate her.

Ich will versuchen niederzuschreiben, was geschah.

Ich bin mir das gewissermaßen schuldig.

Ich fuhr am Dienstag mittags. Meine Jungfer und die Sachen hatte ich bis auf eine Handtasche tags zuvor nach Batna geschickt. Die beiden Herren waren mit Sonnenaufgang geritten.

Nach Tuggurt zu soll an dem Tag ein Chamsin gewütet haben. Ich im Coupé hatte nur die Empfindung, daß die Wüste merkwürdig fahl und tot, daß der Atlas nur eine einzige starre Dunstwand sei. Ich fuhr mit der jungen, hübschen Frau des alten, grauhaarigen Kommandanten von Biskra. Pariserin und sehr lebhaft. Wir sprachen miteinander, hatten Gefallen aneinander. Ich wäre natürlich viel lieber allein geblieben. Aber sie war so gar nicht geschminkt und verziert; sie erzählte mir von dem schrecklichen Biskrasommer, der alles mit feinem Staub und dumpfer Hitze erfüllt. Von dem Gatten kein Wort. Er hatte sie auf die Bahn gebracht, und sie schieden sehr herzlich. Das Schweigen wohl die gewisse Gêne aller jungen Frauen, die einen alten Mann geheiratet haben! Vielleicht hat sie auch einen Geliebten, und die Besorgungen in Constantine sind nur Vorwand. In einer Gesprächspause dachte ich, wieviel Frauen doch einen Geliebten hätten und wie das immer so gewesen sei seit König Davids Zeiten. Es kann beides, eine schöne und eine ekle Sünde sein. Die mutige Sünde ist noch lange nicht so verwerflich wie die feige Lüge, die dabei wie ein Schakal dem Löwen nachschleicht. Eigentlich widerstrebt solche Lüge meiner innersten Natur. Ich könnte viel eher töten im Affekt als hintergehen mit Gemütsruhe. Ich will damit nichts beschönigen, aber ich kann heute wohl sagen, daß mir »sein« Glück weit höher gestanden hat als das meine.

Unterwegs hielt der Zug einmal sehr lange auf einer kleinen Station. Die Leute stiegen aus und promenierten. Und ich sah mir alle Frauen darauf an, ob sie nicht einen Geliebten hätten. Es überlief mich doch eine Gänsehaut. Ja, ich hätte von El-Kantara nicht mehr zurückkehren dürfen! Ich tat's wohl nicht, weil ich vom Durchgehen immer die Vorstellung hatte, daß solche Leute entweder maßlos feige oder maßlos leichtsinnig sein müßten. Ich bin beides nicht. Ich kann nur niemand kränken, darum tue ich mir oft am wehesten, weil ich andern nicht wehe tun will.

Die zwei Stunden Fahrt deuchten mich eine Ewigkeit. Als endlich die Oase auftauchte, lag sie so still und melancholisch wie eine verwunschene Insel. Ich wäre am liebsten weiter gefahren. So leidenschaftlich auch mein Herz sich nach dem Manne sehnte, so schwer wurde mir der Fuß, als ich von dem hochgelegenen Bahnhof nach der Schlucht hinabstieg, wohin ich ihn telegraphisch bestellt hatte.

Er war pünktlich zur Stelle. Es war an dem römischen Brückenbogen, der freilich restauriert ist und nur noch wenige Quadern aus dem Altertum zeigt. Wir konnten uns nicht küssen. Es kamen Touristen, auch das kleine, weiße Hotel schaute neugierig herüber. Er war ungewöhnlich ernst, aber als ich ihn ansah, wußte ich genau, daß er mich liebte wie einst. Jeanette Quedenberg ist noch einmal bei ihm gewesen, der Bruch unwiderruflich. Sie schieden sogar ohne Gruß. Dafür kann ich nichts.

Dann gingen wir sofort zur Oase an die alte Stelle im Oleandergebüsch. Die Luft warm, feucht, träge, in den Palmen kein Hauch, sie starrten ohne Leben von ihrer Höhe. Kein Licht spielte auf den breiten, grünen Blättern, kein Vogel sang, nur die dunkeln Araber schlichen im trockenen Oued entlang. Die Schwermut der Wüste, die ich in der Oase nie gesucht.

Da habe ich ihm zu erzählen angefangen. Es ward mir schwerer von Wort zu Wort, weil ich in seiner Nähe nicht mehr begriff, wie ich dem andern gegenüber hatte so schwach sein können. Einmal stockte ich, sah ihn an.

Er hatte wieder das undurchdringliche Gesicht: »Bitte weiter! Ich höre.« Und als ich fertig bis auf das letzte, entscheidende Wort, um dessentwillen ich eigentlich nur hier war, wollte es mir nicht aus der Kehle, denn so etwas sagt man im Affekt, nicht in der Ruhe!

Da stand er langsam auf, sagte, ohne mich anzusehen: »Daß es schwer sein würde, habe ich dir ja gesagt. Du taugst doch wohl nicht für Schweres. Menschen wie du sollten bleiben, wo sie sind.« Nach einer Pause, während der er vor mir auf und ab ging, die Augen auf der Erde: »Wann reisest du?«

Da stand ich auch auf und sagte rasch: »Ich reise überhaupt nicht, Robert. Ich bleibe bei dir, Robert, wenn du willst, für immer.«

»Das geht nicht, Josefa.«

»Warum nicht?« Mich überrann's kalt.

»Weil das, was vor einer Woche, als wir hier zusammen waren, einen Sinn gehabt hätte . . . Ich hab's vielleicht damals erwartet, weil das am meisten deiner ganzen Natur entspricht, aber es hat mich doch auch in der Seele gefreut, daß du die schwerere, jedoch anständigere Konsequenz ziehen wolltest. Durchgehen, das können viele; sich ehrlich trennen – kaum eine von euch. Du bist diese eine offenbar nicht! Und darum hast du es wohl vernünftig vorgezogen, gar keine Konsequenz zu ziehen. Weswegen bist du nun hier?« Er ging langsam auf mich zu, faßte meine Hand und streichelte sie. Aber er sah mich nicht an. »Josefa, ich bitte dich, sag! Sei ehrlich! Ich kann alles ertragen, alles, nur kein Schwanken, keine Halbheit. Wir sind beide nicht mehr so jung wie in Sirmione, wo wir vielleicht von Illusionen hätten leben können. Wir wollen doch beide klar sehen. Ich habe dich sehr lieb, sehr, was ich dir wohl nicht zu wiederholen brauche – aber nun auch deine Konsequenz! Du hast sie gezogen, du mußt sie gezogen haben in irgendeiner Weise, und darum bist du hier . . .« Er sprach warm und ernst. Da fiel ich ihm um den Hals und zitterte und konnte nicht reden, ich wollte fast vergehen in einem seltsam geteilten Gefühl von Liebe und Grauen. Endlich sagte ich abgerissen, spröde; ich höre meine eigne Stimme, und sie ist mir fremd: »Ja, ich habe die Konsequenz gezogen, Robert! Ich will deine Geliebte sein mit allen Konsequenzen für Zeit und Ewigkeit.« Dann riß ich mich von ihm los, der mich gar nicht hielt, und trat einen Schritt zurück.

»Ich will deine Geliebte sein mit allen Konsequenzen für Zeit und Ewigkeit!« wiederholte er Wort für Wort langsam. In dem Moment wußte ich mein Schicksal, und daß kein Gott mehr etwas daran ändern könne. Er schwieg, seine Augen glitten über die Palmenkronen hinweg bis zu der rotdunstigen Atlaswand. Keine Muskel in seinem Gesichte zuckte, nur die Nasenflügel hoben und senkten sich. Darauf sprach er weiter merkwürdig leise und unnatürlich ruhig: »Geliebte, warum nicht?! Ich war nie ein Tugendheld und habe manche Geliebte gehabt, manche, aber immer nur auf kurze Zeit. Dann waren wir uns gegenseitig mit Recht über . . . Und ich, dein Geliebter? Vielleicht bin ich der erste, vielleicht auch nicht. Wer aber wird der glückliche zwölfte sein über zehn Jahre? . . . Also, das wäre die letzte Konsequenz! Wenn deine Liebe, die genau so alt sein soll wie die meine – deine erste, deine einzige Liebe –, wenn die dir nicht einmal zu mehr Kraft gab als zu diesem Spitzbubenentschluß, dann kannst du mir freilich nicht leid tun, aber ich mir.« Die Adern an den Schläfen begannen ihm zu schwellen, und er sagte womöglich noch leiser: »Du bist eine Dirne, ja, du bist's! Ihr alle seid Dirnennaturen, feige, sinnlich, verlogen. Deine Mutter war eine und deine Großmutter war eine, und deine Ureltern waren genau so wie du. Der Dirnencharme ist euer höchster Reiz. Ihr seid, wie ihr seid: Ihr könnt keinen Menschen sterben sehen – gewiß nicht! Aber den Finger, womit ihr ihn retten könntet, den hebt ihr erst recht nicht! . . . Sag nichts, sag nichts! Aber damit du mich auch begreifst: ich habe dich geliebt, wie nur ein Mann eine Frau lieben kann! Ich weiß nicht, wie's möglich war eigentlich, aber ich weiß, daß ich's tat. Und wenn es meinem Herzen je etwas Heiliges gab, so warst du's. Und wenn ich eine schöne Blüte sah, da habe ich immer an dich denken müssen. Aber die schönsten Blüten sind ja leider giftig! Das muß wohl eine Naturnotwendigkeit sein.«

Ich hörte alles, ich höre es noch; ich sah ihn verständnislos an, ich tue es noch. Das konnte nicht der Mann zu mir sprechen, das war ein andrer, ein ganz andrer! Was will er denn von mir? Ich habe ihn doch geliebt, ihn allein!

Ich hätte ihm natürlich vieles entgegnen können, was mich hätte rechtfertigen können. Ich war nicht fähig. Die Lippen bewegten sich wohl, jedoch es kam kein Ton. Er ließ mir auch nicht eine Sekunde Zeit. Ja, er paktiert nicht! So habe ich denn das einzige getan, was ich vielleicht in meinem Leben gelernt habe: schweigen.

Ihm mag's wie ein schwächliches Schuldbekenntnis erschienen sein. Er wurde auf einmal ganz blaß, die Augen flackerten ihm dunkel und böse, und jede Fiber in seinem Gesichte zuckte. Er machte jäh einen Schritt auf mich zu, faßte mein Handgelenk, preßte es, ich fühlte tödlich seine stählerne Kraft. Und jetzt beginnt er laut zu sprechen, jedes Wort ein Peitschenhieb: »Weißt du, Weib, daß ich dich hier auf der Stelle erwürgen könnte, wenn ich dich nicht so von Herzen verachtete. Ich will dir etwas erzählen: es war damals in Berlin, kurz nach Sirmione, und es war in mir eine so tiefe Seelendepression zurückgeblieben, daß ich als Mann ein Gegengewicht haben mußte gegen diese Depression, um nicht schlapp zu werden unter ihrem Druck. Es war, wie gesagt, in Berlin in einem Hotel, und Jeanette Quedenberg mit irgendeinem Auftrag im Zimmer. Sie war mein guter Freund, mein bester, der mich vernünftig mit dem Kopf tröstete und nicht mit dem Herzen. Ich habe die Frau nie geliebt, das weiß Gott! Aber es gibt Momente, wo sich auch der Stärkste an einen Strohhalm klammert, um nicht zu ertrinken. Sie allein wußte, was mich quälte. Ihr Trost hieß: ›Sie taugen beide nichts, diese Angerns, weder Mutter noch Tochter. Es sind Menschen der Schwäche und der Kaprice, die doch nur zum Alltäglichsten fähig sind.‹ Ich wußte wohl, daß sie mich liebte auf ihre Art und wußte bei ruhigem Sinnen wohl auch, daß ich sie nicht wiederlieben könnte auf meine Art. Aber in jenem Hotelzimmer habe ich sie doch gefragt, ob sie meine Geliebte sein wolle. Dem kleinen Herzen klingt's wohl lächerlich: nicht der Mann hat gekniet, sondern die Frau. Und die Frau hat mit bebenden Lippen gesagt: ›Deine Geliebte kann ich nicht sein, dazu liebe ich dich zu sehr. Aber heirate mich! Ich gehe dann mit dir auf der Stelle, opfere meinen Ruf, den noch niemand angetastet hat, meine alten Eltern, die ich unterhalten habe, ja, das Heiligste, meinen Glauben, opfere ich dir.‹ Das annehmen konnte ich aber nicht. Das wurde mir im Moment schrecklich klar. Ich hab's ihr auch gesagt, wie weit meine Gefühle gingen und gehen könnten. Wir haben später einen vernünftigen Pakt gemacht, den vernünftige Leute halten können. Doch auch solche Pakte werden gekündigt, müssen gekündigt werden, wenn etwas Größeres dazwischen tritt. Und warum habe ich damals nicht ja gesagt? Nicht darum, weil ich die Frau nicht liebte! Die Ehen ohne Liebe halten offenbar länger wie die Ehen mit Liebe. Pein, weil ich dich liebte, dich, Geschöpf! Weil mich dein Bild nicht gelassen hat die ganze Zeit!« Er holte schwer Atem. Dann sagte er mit zusammengebissenen Zähnen: »Gnädige Frau, gehen Sie, ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen!«

Ei ließ mein Handgelenk mit einem Ruck los, daß ich taumelte. Ich sah ihm nach, wie er ging. Aber als er hinter dem nächsten Busch verschwand, hielt mich's nicht mehr. Und ich lief ihm nach, was ich konnte, obgleich mir die Füße wie Blei nachschleppten. Ich erreichte ihn, faßte von rückwärts seine Hand, sagte atemlos: »Ja, gut, es soll alles aus sein, Robert. Du hast recht. Aber sag mir wenigstens zum Abschied ein gütiges Wort! Ich ertrag' das Leben sonst nicht. Ich tu' mir das Aeußerste an, ich tu's!«

Er hat sich nicht mal nach mir umgesehen, er hat nicht einen Schritt gezögert, er hat nur gesagt: »Begehe auch diese letzte Feigheit! Ich aber rühre keinen Finger für dich.«

Ich blieb auf der Stelle stehen wie erstarrt und habe vielleicht gehofft, daß er zurückkommen würde, um mich zum Leben zu erwecken. Aber er kam nicht zurück.


Und in der halben Stunde, die ich da wohl gestanden haben mag, an eine Lehmmauer gelehnt, unter einer Palme, deren Riesenschaft schief gewachsen war und mit seinem Blätterdach die schmale Gasse beschattete, innerlich und äußerlich einsam, verlassen wie nie, umrieselt von den schweren, schwülen Oasendüften, gegen die sich meine Nerven empörten, weil sie mich auch genarrt hatten mit ihrem falschen Blütenhoffen, da hat sich auch in mir etwas zusammengezogen, verhärtet. Ja, ich habe geweint! Doch nicht die salzige Träne der Trauer, sondern die brennende des Zorns. Noch heute fühle ich die Empörung, und sie läßt mich nicht . . . Nein, das habe ich nicht um ihn verdient, das habe ich nicht um ihn verdient! Und wenn ich hundertmal schwach gewesen bin, feige, schlecht, das eine hätte er fühlen müssen aus allem, daß ich keine Dirne sein kann, selbst wenn ich's wollte. Was er mir Böses gesagt, das verzeih', ich ihm gern, er ist eben aus anderm Metall. Aber, daß er die Flehende von sich gestoßen hat, als sei sie das Verworfenste auf der ganzen Welt, das verzeihe ich ihm nicht. Und wenn einmal der Tag kommen sollte, wo auch ihm klar wird, daß meine Liebe groß war trotz der Schwäche und seine Liebe klein trotz der Stärke . . . Die Zeit wird kommen, wo er mir's auf den Knien wird abbitten wollen, wie er das Beste in mir freventlich gemordet hat hier. Ja, die Stunde wird kommen, aber Herr und Vater, das sei auch meine letzte Stunde! Ich ertrage keine solche Enttäuschung mehr.

Es ist Nacht in mir, und es soll Nacht sein.

Und jetzt, Josefa, gehe deinen eignen Weg! Frag nie mehr, was gut, was schlecht ist im Leben, frag nur, was du kannst, nicht, was du darfst! Verleugne deine warme Natur, die dein Reiz war! Wende den Kopf hochmütig weg, was man dich auch bittet, werde hart, kalt! Tue ihm den Gefallen, der im Grunde seines Herzens doch nur ein kalter Pharisäer ist! Dein Leben ist verpfuscht, leb's dennoch weiter! Denn du darfst nicht sterben jetzt. Du würdest, du müßtest es noch im Grabe spüren, wenn er über diese letzte Feigheit die Achsel zuckt.

Ja, es ist in mir etwas hart geworden. Ich fühle, wie es von Stunde zu Stunde härter geworden ist, härter werden muß, bis ein Herz, das zur wärmsten Liebe geboren ist, sich zur lauen Gleichgültigkeit wandelt, vielleicht zum eisigen Haß. Er hat kein Glück und will ja auch keins haben! Ich habe auch kein Glück, und will auch keins mehr haben!


In El-Kantara gibt's eigentlich nur das eine Haus und das eine Hotel. Da konnte und mochte ich natürlich nicht die Nacht bleiben. Es geht auch kein Zug vor morgen weder nach Biskra noch von Biskra. Aber mir brannte der Boden unter den Füßen, ich mußte fort!

Ich habe mir dann im Zurückgehen überlegt, daß es das beste sei, durch die Schlucht von Tilatu zu der nächsten Station, den »heißen Quellen« zu reiten. Ich ging also in das kleine Hotel, fand auch bald einen Führer und zwei Maultiere. Da sind wir den gleichen Weg geritten in den Atlas hinein, den vor einer Woche jene Wüstenkarawane auch ritt. Es ist eine schöne, gewaltige Schlucht mit roten Felsmauern, die sich bald engen, bald weiten. Sie ist viele Kilometer lang, und ein kümmerlicher Saumpfad läuft bald rechts, bald links von dem kleinen Flußlauf in der Tiefe, der zwischen wildem Geröll hinschleicht. Hier weht wieder die frische, scharfe Bergluft, wie überall im Atlas zur Frühlingszeit. Selten sah ich eine so wilde Oede, eine so starre Einsamkeit. Ein paar grüne Büsche hoch oben in den Felsspalten festgekrallt, ein paar kümmerliche Blumen aus dem Steinschutt sprießend, sonst nur rote, stumme Wände. Zuweilen wie Gespenster schleichende Kabylen auf ihren grünen geflochtenen Sandalen, in ihren schmutzig weißen Gewändern. Einmal tappte sogar ein Maultier mit einer Holzlast hart an uns vorüber. Mir erschien das alles nur wie ein Traumleben. Als ein kleiner Felsvogel zwitschernd über das Felsbett strich, hatte ich das Gefühl, als müsse dies ein ganz absonderlich Heiliger unter den Vögeln sein, der sich hier niederläßt. Erst gegen das Ende ein Kabylendorf. An den Fels geklebt wie Bienenkörbe die braunen, wüsten Steinhäuschen; auf der Höhe die Moschee, wie ein plumper, bröckelnder Wachtturm. Keine Spur von Heiligkeit oder Poesie, wie bei uns auch in dem kleinsten Kirchdorf. Die Schlucht wird zwar hier breiter, und Kabylen lieben ja nun einmal wilde Bergnester, aber ich verstehe doch nicht, wovon sich die Leute nähren. Ein kleiner Olivenhain, elende, winzige Getreidefelder, dem Stein abgerungen. Jagd oder Raub lohnt hier auch nicht. Diese Menschen sind eben so bedürfnislos . . .

Ich habe auf diesem Ritt all meine Gedanken auf die Außenwelt konzentriert, auf die Gegenwart mit aller Kraft. Ich will nicht zurückdenken, und ich habe auch nicht zurückgedacht.

Als wir zu der kleinen Station kamen, war ich sehr müde. Es gab aber keine andre Schlafgelegenheit, als die harte Bank des Wartesaals. Da habe ich auch geschlafen im Sitzen. Am Morgen ging's weiter. Es ging ganz gut. Es geht ja schließlich alles, wenn man nur ernstlich will! In Batna, was wir endlich erreichten, sollte ich bleiben. Bloome und mein Mann, die übrigens von diesem Ritt nichts wissen und nichts zu wissen brauchen, nahmen es mir wohl übel, daß ich mit dem nächsten Zuge schon weiter wollte nach Constantine. Die Sohlen brannten mir noch immer. Es können ja auch gar nicht genug Kilometer liegen zwischen mir und El-Kantara.


In Constantine fühlte ich erst, wie not mir Ausruhen tat. Ich sehnte mich so von Herzen nach einem tiefen Schlaf ohne Träume. Aber es ging nicht. Gerade in den großen französischen Betten des Grand Hotel wälzte ich mich schlaflos.

Am andern Tage ging ich doch wieder mit den andern. Ich will nicht mehr allein sein! Sie wollten natürlich nach der Riesenschlucht des Rumel, die vielleicht die gewaltigste im ganzen Atlas ist. Unten strudelt und wirbelt der schmutzig wilde Fluß, der zur Schneeschmelze in den Bergen sein Riesenbett mit den Wogen eines empörten Stromes durchschäumen soll, von oben schaut die Stadt hinein, alles so puppenhaft klein, Häuser wie Menschen. Auf halber Höhe zieht sich der sogenannte Touristenweg am Fels entlang, auf schwindelnden eisernen Galerien, die bald auf-, bald niedersteigen. Gerade da trafen wir durch einen bösen Zufall Quedenbergs, die uns wohl noch in Batna vermuteten. Wir Frauen taten uns den äußersten Zwang an und begrüßten uns höflich. Es war uns beiden eine Seelenqual. Gerade an der schwindelndsten Stelle war das Drahtnetz des Eisenstegs zerrissen. Ein einziger Fehltritt, und adieu, schöne Welt! Ja, schöne Welt! . . . Ob instinktiv oder durch Zufall blieben wir beiden Frauen hier stehen. Ich werde den Blitz der harten, blauen Augen nie vergessen, als wenn sie sagen wollte: ›Da unten gehörst du hin!‹ Und ich antwortete ihr mit einem resignierten Lächeln, was ich nachher sehr bedauert habe: ›Mir könnte kein größerer Gefallen getan werden.‹ Sie zuckte die Achseln. Sie konnte mich auch nicht verstehen.

Abends mußten wir das Diner gemeinschaftlich nehmen. Der breite rote Ring, den sein letzter Händedruck mir zurückgelassen, fiel da zuerst den Leuten auf, weil ich das Armband beim Umziehen vergessen. Sie fragten mich höflich, ob vielleicht das Armband gedrückt, ob mein Handschuh gekniffen, und einer, der geistreich sein wollte, fügte hinzu, daß es vielleicht ein ganz besonders geheimnisvolles Souvenir aus der Wüste sei. Ich weiß nicht, wer das letzte gesagt. Aber ich weiß, daß Jeanette lächelte, und daß sich mir die Gegenstände zu drehen begannen. Ich ging sofort zu Bett, weil mich ein zähneklappernder Frost schüttelte. Man ist am Ende doch auch nur Mensch!

Ich habe vier Wochen und länger in Constantine gelegen zwischen Tod und Leben. Der Tod wollte mich noch nicht.

Unterdessen ist es Ende Mai geworden. Ich habe, wie alle Rekonvaleszenten, das Gefühl einer großen Schwäche und Milde. Sollte das allein zurückgeblieben sein als Erinnerung an all das, was ich innerlich erlebt? Das möchte ich nicht! Das ginge gegen den Pakt, den ich mit mir selbst geschlossen.

In Philippeville, von wo wir nach Europa abdampften, empfing uns die Alarmnachricht, daß ein gefährlicher Araberaufstand ausgebrochen. Bei Hamam Rirra seien viele zerlumpte Mohammedaner unter Führung eines Marabut von den Bergen in die Ebene hinabgestiegen, mordend, plündernd. Die Regierung sei mal wieder unglaublich kurzsichtig gewesen, obgleich schon vor Monaten die Garnison Tuggurt von einem Fremden verständigt worden sei.

Mein Mann las es mir aus der Zeitung vor und sagte: »Da ist dein Rhyn am Ende doch der Klügste gewesen. Eigentlich wunderbar, daß man von dem Menschen niemals mehr etwas gehört hat.«

Und ich konnte ganz vernünftig antworten: »Er wird wohl wieder in die Wüste zurückgekehrt sein.« Und ich sah auf mein Handgelenk, dessen roter Reif längst verschwunden ist. Nur der Goldreif blieb.

Und ich kann ruhig weiterdenken, weitersprechen . . . Ich bin wohl schon hart, kalt?

Ja, ich bin's . . .

Ich werde nie mehr träumen – nie mehr!


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