Guy de Maupassant
Schnaps-Anton
Guy de Maupassant

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Theodul Sabots Beichte

Sobald Sabot in Martinville in das Café trat, fing schon alles an zu lachen. Das war doch ein ulkiges Luder, der Kerl, der Sabot! Der hatte es auf die Pfaffen abgesehen, o je, o je! Der verschlang täglich einen mit Haut und Haaren.

Tischlermeister Theodul Sabot vertrat die liberale Richtung in Martinville. Er war ein großer, hagerer Mensch mit grauen, listigen Augen, schmalem Mund und an die Schläfe geklebtem Haar. Wenn er so mit einem gewissen Ausdruck sagte: »Heiliger Vater im Himmel« wand sich schon alles vor Lachen. Absichtlich arbeitete er Sonntags während der Messe, und immer am Montag der stillen Woche stach er sein Schwein ab, um bis zu Ostern etwas zu thun zu haben, und wenn der Pfarrer vorüberging, sagte er scherzend: »Der hat eben die Sterbesakramente empfangen!«

Der Pfarrer, ein dicker Mann, gleichfalls sehr groß, fürchtete Sabots Spöttereien, die ihm Anhänger warben. Der Abbé Maritime war ein feiner Kopf und liebte, alles diplomatisch auszugleichen. Der Kampf zwischen den beiden dauerte schon zehn Jahr: ein heimlicher, unablässiger, hartnäckiger Kampf. Sabot war Gemeinderat. Man meinte, er würde einmal Bürgermeister werden, und das wäre natürlich die völlige Niederlage der Kirche geworden.

Die Wahlen sollten stattfinden. Die Kirchenpartei zitterte in Martinville. Da fuhr eines Tages der Pfarrer nach Rouen und sagte seiner Köchin, er hätte beim Erzbischof zu thun.

Zwei Tage darauf kam er zurück. Er war fröhlich und sah siegesgewiß aus. Am anderen Tage erfuhr man, daß der Kirchenchor gänzlich neu gemacht werden sollte. Der Bischof hatte sechshundert Franken ausgeworfen aus eigenen Mitteln.

Alle alten Fichtenbretter des Geländers sollten herausgenommen und durch neue aus Eichenholz ersetzt werden. Es war eine langwierige Tischlerarbeit, und schon am Abend sprach man davon im ganzen Ort.

Theodul Sabot war nicht rosiger Laune.

Als er am nächsten Tage durch den Ort ging, fragten ihn die Nachbarn, Feinde oder Freunde, scherzend:

– Nun, wirst Du den Chor machen?

Er fand keine Antwort, aber er war wütend.

Und die Leute fügten noch hinzu:

– 'ne schöne Arbeit, was? Dabei giebt's zwei- oder dreihundert Franken wenigstens zu verdienen.

Zwei Tage darauf erfuhr man, daß die Wiederherstellung des Chores Cölestin Chamberlan anvertraut worden war, dem Tischler von Percheville. Dann ward die Nachricht widerrufen. Endlich hieß es, die ganzen Kirchenbänke sollten neu hergestellt werden. Das war wenigstens eine Sache von zweitausend Franken. Das Ministerium war darum schon angegangen worden. Nun war die Bewegung groß.

Theodul Sabot konnte nicht mehr schlafen. Seit Menschengedenken hatte kein Tischler im Ort einen solchen Auftrag gehabt. Dann ging ein Gerücht um, ganz leise erzählte man sich, der Pfarrer wäre außer sich, diese Arbeit keinem aus seiner Gemeinde übergeben zu können. Aber Sabots Ansichten machten das gänzlich unmöglich.

Sabot erfuhr es. Als es dunkel ward, ging er in das Vidum. Die Köchin antwortete ihm, der Pfarrer wäre in der Kirche. Er ging hin.

Zwei Marienjungfern, zwei alte Mädchen, schmückten den Altar für das Marienfest unter Leitung des Priesters. Er stand mitten am Chor mit seinem riesigen Leih und leitete die Arbeiten der beiden, die auf Stühlen standen und um das Heiligtum Guirlanden hingen.

Sabot fühlte sich unbehaglich da drin, als ob er im Hause seines größten Feindes stünde. Aber der Wunsch, etwas zu verdienen, verzehrte ihm das Herz. Er trat heran, die Mütze in der Hand, kümmerte sich garnicht um die Marienjungfrauen, die, ganz erschrocken, unbeweglich auf ihren Stühlen stehen blieben.

Er brummte:

– Guten Abend, Herr Pfarrer.

Der Priester antwortete, ohne ihn anzublicken, nur mit seinem Altar beschäftigt:

– Guten Tag, Meister.

Sabot wußte absolut nicht, was er sagen sollte. Nach einiger Zeit begann er jedoch:

– Sie machen wohl Vorbereitungen?

Der Pfarrer Maritime antwortete:

– Ja. Der Marienmonat steht bevor.

Nun sagte Sabot:

– So . . . so! Dann schwieg er.

Am liebsten wäre er wieder gegangen, ohne etwas zu sagen. Aber ein Blick auf den Chor hielt ihn zurück. Nun gewahrte er sechzehn Chorstühle, die neu gemacht werden mußten; sechs rechts, acht links. Die Thür der Sakristei nahm zwei Plätze fort. Sechzehn eichene Chorstühle, das gab mindestens dreihundert Franken. Und wenn man es nur schlau anfing, konnte man bei der Geschichte gewiß zweihundert verdienen.

Da brummte er:

– Ich komme wegen der Arbeit.

Der Pfarrer schien überrascht und fragte:

– Was für eine Arbeit?

Sabot sagte verlegen:

– Nun, die Arbeit, die zu machen ist.

Da wendete sich der Priester zu ihm und blickte ihm in die Augen:

– Sprechen Sie von der Arbeit am Chor meiner Kirche?

Beim Ton, den der Pfarrer annahm, liest Theodul Sabot ein Schauer über den Rücken, und er hätte am liebsten grob geantwortet. Aber er bemühte sich, demütig zu sagen:

– Gewiß, Herr Pfarrer.

Der Pfarrer kreuzte die Arme über dem Riesenwanst und erwiderte, als wäre er zu Tode erstaunt:

– Sie . . . Sie . . . Sie, Sabot? Sie fragen das? Sie, der einzige Ungläubige in der Gemeinde. Das wäre ja ein Skandal, ein öffentlicher Skandal. Seine Eminenz würde mir einen Tadel zukommen lassen, mich vielleicht gar versetzen.

Er atmete ein paar Sekunden, dann fuhr er etwas ruhiger fort:

– Ich verstehe wohl, daß es für Sie peinlich ist, wenn eine Arbeit von solcher Bedeutung dem Tischler einer fremden Gemeinde übergeben werden muß. Aber ich kann nicht anders. Es sei denn . . . . . Aber nein, das ist unmöglich. Darauf werden Sie nicht eingehen, und ohne das – niemals.

Sabot betrachtete jetzt die Reihe der Bänke, die bis zur Kirchenthür lief. Donnerwetter! Alles das sollte neu gemacht werden.

Und er fragte:

– Was verlangen Sie? Bitte, sagen Sie's.

Der Priester antwortete mit fester Stimme:

– Ich müßte einen augenfälligen Beweis Ihrer Bekehrung haben.

Sabot flüsterte:

– Ich will nichts verreden, ich will nichts verreden. Vielleicht werden wir einig.

Der Pfarrer erklärte:

– Sie müssen öffentlich kommunizieren nächsten Sonntag bei der Messe.

Der Tischler ward bleich und fragte, ohne darauf einzugehen:

– Nu, und werden denn die Kirchenbänke auch gemacht?

Der Pfarrer sagte bestimmt:

– Jawohl, aber später.

Sabot fuhr fort:

– Ich will nichts verreden, ich will nichts verreden. Ich bin nicht gerade ganz kirchlich, aber Religion habe ich doch. Wissen Sie, nur so in der Praxis, da paßt mir's nicht immer, aber in so 'nem Fall, da kann man vielleicht mal sehen.

Die Marienjungfrauen waren von ihren Stühlen gestiegen und hatten sich hinter dem Altar verborgen. Sie hörten ganz ergriffen zu.

Der Pfarrer fühlte seinen Triumph, ward plötzlich gemütlich und familiär:

– Nun sehen Sie mal an, sehen Sie mal an, das war mal ein Wort. Na, wir werden ja mal sehen, wir werden sehen.

Sabot lächelte verlegen und fragte:

– Können wir denn die Geschichte nicht ein wenig aufschieben?

Der Priester nahm seinen ernstesten Ausdruck an:

– Wenn die Arbeit Ihnen übertragen werden soll, muß ich Ihrer Bekehrung sicher sein.

Aber etwas milder fuhr er fort:

– Kommen Sie morgen zur Beichte. Denn ich muß Sie mindestens zwei Mal hören.

Sabot sagte:

– Zwei Mal?

– Jawohl.

Der Priester lächelte:

– Sie sehen doch ein, daß Sie Generalbeichte ablegen müssen, sich einmal reinwaschen. Also ich erwarte Sie morgen.

Der Tischler fragte ganz bewegt:

– Wie wird denn das gemacht?

– Nun im Beichtstuhl.

– So, in dem Kasten da in der Ecke? Wissen Sie, der Kasten da, das is mir doch nicht ganz recht.

– Warum?

– Nu, Herr Pfarrer, ich bin so was nicht gewöhnt. Un wissen Sie, so e bißel taub auf einem Ohr bin ich auch.

Der Pfarrer kam entgegen:

– Nun dann kommen Sie zu mir aufs Vidum. Dann wollen wir's da mit einander unter vier Augen machen. Paßt Ihnen das?

– Ja, das wäre ganz schön. Aber den Kasten – nee.

– Gut. Also morgen nach Feierabend, um sechs.

– Einverstanden, ganz einverstanden. Also auf Wiedersehen morgen, Herr Pfarrer. Ein Schuft, wer nich kommt.

Und er hielt seine große rauhe Arbeitsfaust hin, in die klatschend der Pfarrer einschlug.

Der Ton weckte ein Echo im Gewölbe und verklang hinter den Pfeifen der Orgel.

* * *

Am nächsten Tag ging die Geschichte Theodul Sabot sehr im Kopf herum. Es war so, als sollte er sich einen Zahn ziehen lassen. Alle Augenblicke kam ihm der Gedanke: Herrgott, heute abend muß ich beichten. Und seine in Verwirrung gebrachte Seele, die Seele eines nur halb überzeugten Atheisten, ward unruhig, und es kam eine unbestimmte, gewaltige Angst über ihn vor dem göttlichen Mysterium.

Sobald er seine Arbeit beendet hatte, ging er zum Vidum. Der Pfarrer erwartete ihn im Garten, worin er auf und ab ging, in einem kleinen Laubgang das Brevier lesend. Er schien zu strahlen und empfing ihn mit lautem Lachen:

– Na, na, da sind Sie ja. Kommen Sie nur herein, Herr Sabot. Sie werden nicht aufgefressen werden.

Sabot ging voraus und stammelte:

– Wenn Sie's recht ist, Herr Pfarrer, wäre ich dafür, die Geschichte gleich abzumachen.

Der Pfarrer antwortete:

– Wie Sie wollen. Ich muß nur die Stola holen. In einer Minute bin ich bereit.

Der Tischler war so bewegt, daß er keinen Gedanken mehr im Kopfe hatte, und sah dem Pfarrer zu, wie er das weiße Priestergewand umwarf. Dann gab der Priester ihm ein Zeichen:

– Knien Sie nieder auf dieses Kissen.

Sabot blieb stehen. Er schämte sich hinzuknieen und stammelte:

– Muß es sein?

Aber über den Pfarrer kam die Würde seines Amtes:

– Nur auf den Knieen demütigt man sich reuevoll vor dem göttlichen Gericht.

Und Sabot kniete nieder.

Der Priester sagte:

– Sagen Sie das confiteor.

Sabot fragte:

– Wie denn?

– Das confiteor. Wenn Sie es nicht mehr wissen, wiederholen Sie die Worte, die ich Ihnen vorspreche.

Und der Priester sprach das heilige Gebet, mit langsamer Stimme die Worte abteilend, die der Tischler wiederholte. Dann sagte er:

– So, nun beichten Sie.

Aber Sabot brachte kein Wort heraus. Er wußte nicht, womit er anfangen sollte.

Da begann der Pfarrer ihm zu helfen:

– Mein Kind, ich werde Sie fragen, denn Sie scheinen wenig zu wissen, wie das geschieht. Wir werden Gottes Gebote eines nach dem anderen durchnehmen. Hören Sie wohl zu und irren Sie sich nicht. Antworten Sie ganz offen und fürchten Sie nie, zu viel zu sagen.

Es ist nur ein Gott, den sollst Du anbeten und über alles lieben.

– Haben Sie jemals jemand, einen Menschen oder ein Ding mehr geliebt, wie Gott? Haben Sie Gott geliebt von ganzer Seele, von ganzem Herzen und mit aller Kraft Ihrer Liebe?

Sabot schwitzte vor Anstrengung nachzudenken und antwortete:

– Nein, o nein, Herr Pfarrer. Ich liebe Gott, so sehr ich nur kann. Das is richtig. Ich liebe ihn wirklich. Daß ich meine Kinder nich lieb hatte, das kann ich nu nich sagen, das geht nich. Wenn ich zwischen ihnen wählen sollte und dem lieben Gott, da verrede ich nischt. Wenn ich hundert Franken verlieren sollte für den lieben Gott, da verrede ich nischt. Aber ich liebe ihn ganz bestimmt, ich liebe ihn dennoch.

Der Priester sagte ernst:

– Sie müssen ihn über alles lieben!

Und Sabot erklärte voll guten Willens:

– Ich werde das möglichste thun, Herr Pfarrer.

Der Pfarrer Maritime fuhr fort:

Du sollst den Namen Deines Gottes nicht unnützlich führen und nicht fluchen.

– Haben Sie den Namen Gottes unnützlich im Munde geführt?

– Nee, das nich. Fluchen thue ich nie. Manchmal, wenn ich so ganz fuchtig bin, sage ich wohl mal Gottverdammich! Aber fluchen thu ich nich.

Der Pfarrer rief:

– Das heißt aber fluchen!

und fuhr ernst fort:

– Thun Sie es nie wieder. Also weiter:

Du sollst den Feiertag heiligen und Gott andächtiglich dienen.

– Was thun Sie Sonntags?

Nun kratzte sich Sabot hinterm Ohr:

– Nu, ich diene Gott so gut ich kann, Herr Pfarrer. Ich diene ihm – – zu Hause. Ich arbeite Sonntags.

Der Pfarrer unterbrach ihn, sich groß aufrichtend:

– Ich weiß es. Sie werden Ihre Aufführung ändern. Die drei nächsten Gebote will ich übergehen. Ich weiß, Sie haben gegen die beiden ersten nicht gesündigt, und das sechste werden wir mit dem neunten abmachen. Ich fahre fort:

Du sollst nicht nehmen Deines nächsten Gut und zu Deinem Vorteil behalten.

– Haben Sie auf irgend eine Art Ihren Nächsten um sein Gut gebracht?

Theodul Sabot war empört:

– Nee, nee, nee. Ich bin ein anständiger Mann, Herr Pfarrer. Ich bin ein ehrlicher Mann, das schwöre ich. Daß ich vielleicht mal meinen Kunden ein paar Stunden Arbeit mehr angerechnet habe, da verrede ich nischt! Daß ich ein paar Pfennige auf der Rechnung, nur ein paar, mehr darauf geschrieben habe, da verrede ich nischt! Aber gemaust! Nee, nee, nee, da giebt's nischt!

Der Pfarrer sagte ernst:

– Und wenn es sich um einen Pfennig handelt, es bleibt ein Diebstahl. Thun Sie es nie wieder.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten und nicht lügen.

– Haben Sie die Unwahrheit gesprochen?

– Nee, fällt mir gar nicht ein. Lügen thue ich nich, da bin ich nu groß drin. Mal so was aufschneiden, da verrede ich nischt. Oder daß ich jemand hätte was weißgemacht in meinem Interesse, da verrede ich ooch nischt. Aber lügen, nee, lügen thu ich nich.

Der Priester sagte einfach:

– Achten Sie in Zukunft mehr auf sich.

Dann fuhr er fort:

Du sollst nicht ansehen, ihrer zu begehren, ein Weib, als Dein eigenes.

– Haben Sie je ein anderes Weib angesehen ihrer zu begehren oder besessen, als Ihr eigenes?

Sabot rief mit Überzeugung:

– Nee, nee, da giebt's nischt. Nee. Herr Pfarrer, da giebt's nischt. Meine arme Frau betrügen, nee, nee! Aber nich so viel, weder in Gedanken noch in Thaten. Da schwöre ich druf.

Er schwieg ein paar Sekunden, dann sagte er leise, als ob ihm ein Zweifel gekommen sei:

– Wenn ich mal in die Stadt mache, daß ich da nu nich mal in so'n Haus gehe, wissen Sie, in ein öffentliches Haus, – da verrede ich nu nischt. Aber 's ist bloß, daß man mal lacht un mal schwatzt un so, da verrede ich nischt. Aber bezahlen thu ich immer, Herr Pfarrer. Ich bezahle immer. Un wenn eener zahlt, da is nischt dabei.

Der Pfarrer ging nicht darauf ein und erteilte ihm die Absolution.

Theodul Sabot hat die Arbeiten des Chores übertragen bekommen und beichtet jeden Monat einmal.

 


 


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