Guy de Maupassant
Schnaps-Anton
Guy de Maupassant

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Der Protektor

Er hätte nie geglaubt, daß er derartig sein Glück machen könnte. Johann Marin war der Sohn eines Provinzbeamten und war, wie so viele andere, nach Paris gekommen, um im Quartier latin Jura zu studieren . . . In den vielen Kneipen, die er der Reihe nach besucht hatte, war er mit einer Menge schwatzhafter Studenten bekannt geworden, die in Politik machten, während sie Bier tranken. Er bewunderte sie und folgte ihnen von Kneipe zu Kneipe, hielt sie sogar frei, wenn er Geld hatte.

Dann ward er Advokat und übernahm allerlei Prozesse, die er verlor. Aber da las er eines Morgens in der Zeitung, daß einer seiner alten Freunde aus dem Quartier latin Abgeordneter geworden sei.

Nun ward er wieder sein treuer Hund, der alle Mühseligkeiten und Unannehmlichkeiten übernahm, den man ruft, wenn man ihn braucht und dem gegenüber man sich nicht im mindesten Zwang anthut. Da geschah es, wie es das Parlament so mit sich bringt, daß der Abgeordnete Minister wurde. Ein halbes Jahr darauf ward Johann Marin zum Staatsrat ernannt.

* * *

Zuerst packte ihn der Hochmut dermaßen, daß er fast den Kopf verlor. Er bummelte auf der Straße herum, um sich zu zeigen, als hätte man bei seinem Anblick allein seine Stellung erraten müssen. Und er richtete es so ein, daß er den Kaufleuten, deren Läden er betrat, sogar den Droschkenkutschern bei den gleichgiltigsten Dingen sagte:

– Ich als Staatsrat . . .

Und nun empfand er ganz natürlich, als wäre es eine Folge seiner Stellung, als Berufsnotwendigkeit, als Pflicht des mächtigen, großmütigen Mannes, ein unwiderstehliches Bedürfnis, den Protektor zu spielen. Aller Welt bot er seine Unterstützung an, bei jeder Gelegenheit, mit unerschöpflicher Großmut.

Wenn er auf dem Boulevard einen Bekannten traf, schritt er ihm mit lächelndem Gesicht entgegen, nahm ihn bei der Hand, fragte ihn, wie es ihm ginge, und dann, ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er:

– Sie wissen ja, ich bin Staatsrat. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Wenn ich Ihnen mit irgend etwas nützlich sein kann, bitte verfügen Sie über mich. In meiner Stellung läßt sich schon allerlei machen.

Dann ging er mit dem Bekannten, den er getroffen, in irgend eine Kneipe, ließ sich Feder und Tinte geben und Briefpapier.

– Nur ein Blatt, Kellner, ich muß einen Empfehlungsbrief schreiben.

Und er schrieb Empfehlungsbriefe, zehn, zwanzig, fünfzig täglich, schrieb welche im Café américain, bei Bignon, bei Tortoni, in der Maison dorée, im Café riche, bei Helder, im Café anglais, im napolitain, überall, überall. Er schrieb an alle Beamten der Republik, vom Friedensrichter bis zum Minister. Und er war glücklich dabei, überglücklich.

* * *

Als er eines Morgens ausging, um sich in den Staatsrat zu begeben, begann es zu regnen. Er wollte zuerst eine Droschke nehmen, dann aber nahm er doch keine und ging zu Fuß.

Der Regen wurde aber schrecklich, bespülte die Bürgersteige, setzte den Fahrdamm unter Wasser. Herr Marin war genötigt, sich in einen Hausflur zu retten. Dort stand schon ein Priester, ein alter Mann mit weißem Haar. Ehe Herr Marin Staatsrat geworden war, mochte er die Geistlichkeit nicht. Jetzt behandelte er sie aber mit Hochachtung, seit ihn ein Kardinal höflich in einer schwierigen Sache um Rat gefragt. Der Regen war wie ein Wolkenbruch und nötigte die beiden Leute bis zur Portierloge zu flüchten, um nicht bespritzt zu werden. Herr Marin, den es immer quälte zu reden, um seine Bedeutung klarzustellen, sagte:

– Das ist aber ein scheußliches Wetter, Herr Abbé.

Der alte Priester verbeugte sich:

– Jawohl, mein Herr. Um so unangenehmer, wenn man nur auf ein paar Tage nach Paris kommt.

– Oh, Sie sind aus der Provinz?

– Jawohl, mein Herr. Ich bin nur auf der Durchreise hier.

– O, das ist allerdings sehr unangenehm, wenn es die paar Tage, die man in der Hauptstadt ist, regnet. Wir Beamte, die das ganze Jahr hier wohnen, achten auf so etwas nicht.

Der Abbé antwortete nicht. Er blickte auf die Straße hinaus, wo eben der Regen etwas nachließ. Plötzlich faßte er einen Entschluß, hob die Soutane wie die Damen ihre Kleider aufraffen, um dem Gießbach am Bürgersteig zu überschreiten.

Herr Marin sah ihn fortgehen und rief:

– Herr Abbé, Sie werden ja total naß. Warten Sie doch einen Augenblick, es hört gleich auf.

Der gute Mann blieb unsicher stehen und sagte:

– Ich habe es aber sehr eilig. Ich muß mich dringend mit jemand treffen.

Herr Marin schien außer sich:

– Aber Sie werden ja durchweicht. Darf ich fragen, nach welcher Gegend der Stadt Sie gehen?

Der Pfarrer schien zu zögern, dann sagte er:

– Ich gehe nach dem Palais royal.

– O dann darf ich Ihnen wohl, Herr Abbé, Schutz unter meinem Regenschirm anbieten. Ich gehe in den Staatsrat. Ich bin Staatsrat.

Der alte Priester blickte auf, sah seinen Nachbar an. Dann sagte er:

– Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Staatsrat, ich nehme mit Vergnügen an.

Da hakte ihn Herr Marin unter und schleppte ihn mit. Er steuerte ihn, überwachte ihn und rief:

– Achten Sie auf die Pfützen hier, Herr Abbé! Vor allen Dingen hüten Sie sich vor den Wagenrädern! Manchmal spritzen sie einen voll vom Fuß bis zum Kopf. Und dann achten Sie auf die Regenschirme der Leute. Es giebt nichts Gefährlicheres für die Augen, als so ein Regendach. Vor allen Dingen die Damen sind damit unerträglich unvorsichtig. Sie passen auf nichts auf, sie spießen einem immerfort die Spitze ihrer Sonnen- und Regenschirme ins Gesicht. Sie nehmen auf keinen Menschen Rücksicht. Es ist wirklich, als ob die Stadt ihnen allein gehörte. Auf dem Bürgersteig wie auf dem Fahrdamm herrschen sie ganz allein. Ich finde, sie sind sehr schlecht erzogen.

Und Herr Marin begann zu lachen.

Der Pfarrer antwortete nicht. Er suchte sich die Stellen aus, wohin er den Fuß setzen wollte, um weder die Schuhe noch sein Priestergewand zu beschmutzen.

Herr Marin antwortete:

– Sie kommen jedenfalls nach Paris, um sich etwas zu unterhalten?

Der gute Mann sagte:

– Nein, ich habe hier zu thun.

– Ah! Etwas Wichtiges? Darf ich vielleicht fragen, worum es sich handelt? Wenn ich Ihnen nützlich sein kann, stehe ich ganz zu Ihrer Verfügung.

Der Pfarrer schien verlegen. Er brummte:

– Ach, es ist eine persönliche Angelegenheit . . . . eine kleine Schwierigkeit mit meinem Bischof. Das interessiert Sie nicht weiter. Es ist eine . . . eine . . . eine innere Angelegenheit von . . . von rein geistlicher Art.

Herr Marin wurde eifrig:

– Aber gerade der Staatsrat ordnet solche Sachen. Bitte, verfügen Sie nur ganz über mich.

– Jawohl, Herr Staatsrat. Ich gehe nämlich gerade in den Staatsrat. Sie sind zu liebenswürdig. Ich muß zu Herrn Lerepère und Herrn Savon und vielleicht auch zu Herrn Petitpas.

Herr Marin blieb wie angenagelt stehen:

– Aber das sind meine Freunde, Herr Abbé. Meine besten Freunde. Ausgezeichnete Kollegen, reizende Leute. Ich werde Sie an alle drei empfehlen, warm empfehlen. Zählen Sie auf mich.

Und der Pfarrer dankte, machte eine Menge Entschuldigungen, und Herr Marin war glücklich.

– Oh, das kann ich Ihnen nur sagen, Herr Abbé, da haben Sie aber Glück gehabt. Sie werden sehen, Sie werden sehen. Dank meiner Bemühungen, wird die Geschichte gehen wie geschmiert.

Sie kamen an den Staatsrat. Herr Marin nahm den Priester mit auf sein Bureau, bot ihm einen Stuhl an, setzte ihn ans Feuer, dann sich selbst an den Schreibtisch und begann zu schreiben:

– Mein lieber Kollege, darf ich Ihnen auf das angelegentlichste einen ehrwürdigen, verdienten Geistlichen empfehlen, Herrn Abbé . . .

Hier unterbrach er sich und fragte:

– Darf ich um Ihren Namen bitten.

– Abbé Ceinture.

Herr Marin begann wieder zu schreiben:

– Herrn Abbé Ceinture, der Ihrer Vermittelung bedarf in einer kleinen Angelegenheit, die er Ihnen selbst vortragen wird. Ich freue mich bei dieser Gelegenheit, mein lieber Kollege, Ihnen ausdrücken zu können . . . . . . .

Die üblichen Ergebenheitsformeln folgten. Und nachdem er drei Briefe geschrieben, gab er sie seinem Schützling, der, nachdem er tausendmal gedankt, davonging.

* * *

Herr Marin saß seine Bureaustunde ab und kehrte nach Haus zurück. Der Tag verlief in aller Ruhe, Marin schlief in Frieden, wachte in bester Laune auf und ließ sich die Zeitungen bringen.

Zuerst öffnete er ein radikales Blatt und las:

»Unsere Geistlichkeit und unsere Beamten.

Immer wieder kommen wir auf die Übergriffe des Klerus zurück. Ein Priester, Ceinture genannt, der gegen die bestehende Regierung gewühlt hat, allerlei böser Dinge bezichtigt wird, von denen wir gar nicht einmal reden mögen, der nebenbei im Verdacht steht, ein früherer Jesuit zu sein, der nun einfacher Priester geworden ist, ein Mann, der vom Bischof des Amtes entsetzt ward aus Gründen, die man gar nicht einmal besprechen kann, und nach Paris gerufen wurde, um sich wegen seines Benehmens zu rechtfertigen, hat einen glühenden Verteidiger gefunden in einem gewissen Staatsrat Marin, der sich nicht entblödet, diesem Übelthäter im Priesterrock die angelegentlichsten Empfehlungen an alle Beamten der Republik, seine Kollegen, mit auf den Weg zu geben.

Wir möchten den Herrn Minister auf das unglaubliche Vorgehen dieses Herrn Staatsrats aufmerksam machen.«

Herr Marin fuhr mit einem Satz in die Höhe, kleidete sich an und lief zu seinem Kollegen Petitpas, der ihm sagte:

– Hören Sie mal, Sie sind wohl verrückt, mir diesen alten Wühlonkel zu empfehlen!

Und Herr Marin stotterte ganz erschrocken:

– Aber durchaus nicht. Wissen Sie, ich bin betrogen worden. Er sah so anständig aus. Er hat mich 'reingelegt, er hat mich unerhört hinters Licht geführt. Bitte lassen Sie ihn bestrafen, streng bestrafen. Ich werde alle Schritte dazu thun. Bitte sagen Sie mir, an wen ich mich dazu wenden soll. Ich werde zum Generalprokurator gehen, Zum Erzbischof von Paris. Ja, zum Erzbischof.

Und sofort setzte er sich an den Schreibtisch des Herrn Petitpas und schrieb:

– Euer Eminenz gestatte ich mir ganz ergebenst mitzuteilen, daß ich das Opfer der Intriguen und Lügen eines gewissen Abbé Ceinture geworden bin, der mein Vertrauen schwer getäuscht hat. Durch die Behauptungen dieses Geistlichen irregeleitet habe ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Als er dann unterschrieben und seinen Brief gesiegelt, wendete er sich an seinen Kollegen und sagte:

– Sehen Sie, lieber Freund, hüten Sie sich nur ja davor, irgend jemand zu empfehlen.



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