Hugo Marti
Der Kelch
Hugo Marti

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41 Lieder vom Tode

I.
       

Schau, dieser Herbst ist unser, ganz –!
Und wo wir gehn, mit fürstlicher Gebärde
Entrollt er seine goldgewirkten Banner,
Und Stille ruht auf all der weiten Erde
Wie leis gereiften Sieges Kranz.

So sei auch du vor deinem Wunder still.
Und bange nicht, wenn du des Schicksals Hand
Auf deiner Stirne spürst in dunkeln Nächten.

Vielleicht, es will
Auch deinem Scheitel nun die Krone flechten,
Weil es dich stark genug und reif erfand.

 
42 II.
       

Dein Leib ist kühl, wie junge Birken sind,
Die eines hellen Sommers letzte Nacht
Mit fremder Hand berührte und bezwang.

Mit fremder Hand –, und war in ihr die Glut
Gereiften Korns, in ihr der dumpfe Sang
Aus ferner Meere ungebrochner Flut,
Und Rauschen dunkler Wälder, und ein Wind,
Wie er im Frühlicht morgenstark erwacht
Und auf sich schwingt mit funkelndem Gefieder, –

Mit fremder Hand –, und leise zitternd lauscht
Das kleinste Blatt an den geneigten Zweigen
Dem nachtgebornen Lied und fühlt berauscht
Das warme Blut durch die so kühlen Glieder
Aus dunkler Erde auf zum Himmel steigen.

 
43 III.
       

Der auf dich wartet, kennt dich lange schon
Und ist um dich in deinen stillsten Stunden,
In deinem Lachen und in deinen Wunden,
Und schreitet deinen Schritt und ist gebunden
In deines Blutes roten Zauberringen.

Er spricht in deiner eignen Stimme Ton.
Und wenn er singt, so wirst du ihn erkennen
Und wirst ihn Bruder und Geliebten nennen,
Denn deines Herzens letzte Wünsche brennen
In dem Gesang, den seine Lippen singen.

 
44 IV.
       

Denn er ist groß und gütig wie die Nacht,
Die alles Wirrsal schlichtet und versöhnt
Und mit der Ruhe rundem Reife krönt
Den Sieger und Besiegten in der Schlacht.

Im stillen Glanz der Glut, die er entfacht,
Zerspringt die Fessel, fällt das Pilgerkleid,
Und strahlend wächst das Herz. Denn alles Leid
Zu lösen hat er königliche Macht.

 
45 V.
       

Er lebt im Atem jedes schwanken Baumes
Und geht im stillen Schritt der fernen Wege
Und schließt des Tages dunkelndes Gehege
Und winkt mit leisem Arm der scheuen Nacht.

Er ist das blasse Licht in deinem Zimmer,
Das tröstend redet, wenn du jäh erwacht
Und tief erschrocken bist, und war auch immer
Im Schattenspiel des rasch entschwundenen Traumes.

 
46 VI.
       

Wenn im Schlaf deine Sinne die Pfade des Traumes zogen,
Wenn den ruhenden Leib die Wellen der Nacht umspielten
Und ihn dunkle Wunder in starken Händen hielten,
Tief und tiefer ihn trugen durch golden entrauschende Wogen,
Bis er am pochenden Herzen des ewigen Lebens ruhte, –
Hörtest du nie den Gesang aus allen Dingen erklingen
Und wie eines Reigens schwebenden Jubel schwingen
Mit dem aufblühenden Lied aus deinem eigenen Blute?
Hörtest du nie den strahlenden Ruf der stillsten Stunde,
Hörtest ihn leis noch zittern im Lärm des Markts und der Gassen,
Fühltest ihn trauernd im wachsenden Lichte verblassen –?
Botschaft war er und Gruß aus seinem heiligen Munde.

 
47 VII.
       

Das ist der Tod. Und stärker als das Leben
Wird er an seine junge Brust dich heben
Und wird dich lieben als sein eigen Kind.
Und was in Trauer du ihm hingegeben,
Wird unter seinen Händen leis erbeben
Wie Knospen, die nun reif geworden sind.

 
48 VIII.
       

Du bist gegangen, und die Stille kam,
Die gläserne, wie Reif auf meine Dinge
Und macht sie fremd mir und den Atem lahm.
Ich fühle, wie ich ferne leis verklinge.

    Stumm vor mein Gesicht
    Hab ich die Hände geschlagen.

Da –: Reif wird Silberregen, Glas zerbricht.

    Meine Hände, die wie Segen
    Deines Haars und deiner Glieder
    Süßen Duft verborgen tragen
    Und mir glockenfrohe Lieder
    Und von alten Wundern sagen.

    Also tragen,
    Wenn die Nächte sternlos schweigen,
    Dunkle Wälder Frühlingsregen
    In den bebenden Gezweigen.

 
49 IX.
       

Es singt aber mein eifersüchtiges Herz:

O du, Glücklicher und Starker,
In dessen Hand ihr früh erfülltes Leben
Gefallen ist wie reife Frucht,
Von hundert Sommernächten süß –,
Du, lächelnd noch im leisesten Genusse
(Wo wir erschrecken, weil wir weiter leben),
Du, wissend, daß nach deinen heiligen Lippen
Kein andrer Mund sie mehr beim Namen rufen
(Und wär es auch verborgen, fern und zaudernd)
Und keine dunkle Sehnsucht bitten darf
(Und wärs auch im Vorüberschreiten bloß,
Daß sie es kaum verspürte) – keine Sehnsucht
Mehr bitten darf: Geliebte, komm –.


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