Hugo Marti
Der Kelch
Hugo Marti

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20 Der zerbrochene Kelch

Ein empfindsames Spiel jugendlicher Schwermut

Es sprechen: Beate, ein Mädchen, Angelika, eine Frau, und ein junger Dichter.

Durch eine offene, mit Steinfliesen belegte Säulenhalle geht der Blick in einen tiefen Garten mit alten Bäumen und weiter in eine hügelige Landschaft hinaus. Helle Sommernacht hüllt Nähe und Ferne in weiche Schatten.

Der junge Dichter steht an einer Säule und blickt in den Garten. Sein schwarzes Gewand klingt mit der Farbe der Nacht zusammen; Antlitz und Hände schimmern auf.

Der Dichter: Nun hebt sich leis die laue Nacht empor
Aus Tal und Schlucht und von der Küste Tiefen,
Und viele Dinge, die tagüber schliefen,
Sind jetzt erwacht und flüstern mancherlei
Und lauschen Antwort mit geschärftem Ohr,
Und ihre Stimmen dichten sich zum Schrei,
Der wie aus weiter weiter Ferne klagt,
– Des Kindes Angst, das nach der Mutter fragt –,
Und über Aller heiße Stirnen neigt
Vom Abendhimmel sich die weiche Hand,
Ein Arm aus dunkelfaltigem Gewand, 21
Und eine kurze Zeitenspanne ruht
Die weite Erde, und das Flüstern schweigt.

Wie Atem haucht der warme Boden Glut
Empor zu mir, berauschende und schwere,–

Ich aber steh, ein Fels, in diesem Meere:
Zu fest gebaut, in freiem Sinnenspiele
Mich hinzuwerfen in der Wellen Drängen;
Zu morsch geschaffen, wie es mir gefiele,
Die Flut zu zwingen, bildnerisch zu engen.
Und wie am Fels hochauf die Wogen schlagen,
Ihn lockend bald und bald erzürnt umwallen,
Und immer tief an seiner Wurzel nagen,
Und kommt ein Tag, da muß er, muß er fallen, –
So bin auch ich in diese Welt gestellt:
Mir sprechen alle Dinge Zauberworte,
Doch keiner greift beglückt zum armen Horte,
Den meine schwache Hand unsicher hält.
Und einmal wird die Last auch mir zu schwer,
Und niederbrechend laß in grauen Staub
Ich meine Habe rollen, – arm und leer,
Ein welkes Blatt, der Herbsteswinde Raub.
    Er lauscht in den Garten hinaus.
Noch flüstern sie, die Nacht und alle Dinge.
Die Stille raunt und jener fahle Schein. 22
Daß ich antwortend nicht entgegenklinge –!
Bin ich denn unter euch so ganz allein?
    Er ergreift seine Geige und fährt mit den Fingern über die Saiten.
Wenn ich mein Saitenspiel zum Jubeln brächte
Und euch entgegentönte, Sommernächte,
Und mit euch redete von den geheimen,
Noch nie gesagten Wundern, die da keimen
In eurer dunkeln, mütterlichen Tiefe, –
O wenn ich euch beim heiligen Namen riefe!

Aus diesen Saiten, diesem braunen Holze
Stieg einst – gedenkt ihr noch? – der steile Sang
Von früher Tage ungebrochnem Stolze.
Wie Himmel da und Weite in uns schwang!
Durch lichte Träume schritten wir und mächtig
Schlug unser Pochen an das goldne Tor
Und Gärten gingen auf und hohe Dome
Und all die Breite überm blauen Strome,
Wo unser Blick die Ufer weit verlor.

Und Abend fiel, und Stille kam, und nächtig
Ward euer Sang und starb in meinen Händen,
Wie Rehe in des Winters Faust verenden.

Beate schreitet aus dem Garten in die Säulenhalle; sie ist ein Mädchen; aus dem blauen Gewand steigt hell ihr schmaler Nacken. 23

Beate –. Deine Schritte klingen froh.
Wen suchest du? Und meidest die Gefährten?

Beate: Verloren in den abendwarmen Gärten
Hör eine Stimme ich von irgendwo
Und ihrem dunkeln Klange folgend schreite
Ich in die Halle und erkenne dich
Schon durch das Dämmerweben aus der Weite,
Denn schlank wie deiner ist kein Leib gebaut.
Und lange hab ich stumm das Bild beschaut,
Wie deine Hand die hellen Saiten strich.
Du sprachst mit ihnen, und ich träumte schon,
Daß du von mir vielleicht zu ihnen sagtest.
Doch – schluchzend – zitterte ihr schwanker Ton.
Da wußt ichs jäh – und zitternd auch: du klagtest.
O – schilt mich nicht, Geliebter! Laß den Gram
Mich schweigend nur von deiner Stirne küssen.

Der Dichter: Beate, – jauchzen, klagen! Stolz und Scham!
Wir wollen leben, wie wir leben müssen. 24
Uns allen ists Gebot, dem keiner flieht,
Und ist um uns von Freud und Leid ein Reigen,
Der uns in seinen bunten Wirbel zieht,
– Licht stürzt in Schatten, Nacht enteilt dem Tag –
Und wahrhaft lebt, wer tief erfassen mag
Der einen Stunde Wort, der andern Schweigen.

Beate: Ich trinke deine Rede wie den Quell
Ein dürstender Verirrter. Fühlst du nicht,
Daß dir aus mir entgegenklingt so hell,
Was dunkel deine Dichterlippe spricht?
Ich bin die Schale, die begierig hält
Den Silberstrahl, der funkelnd aufwärts steigt
Und schleierzart und rauschend niederfällt.
Ich bin die Magd, die sich in Liebe neigt.
    Sie beugt ihr Knie.

Der Dichter: Erhebe dich. Wie magst du also tun?
Bin ich nicht Mensch – und ärmer als die andern?

Beate: O sage nicht das Wort und laß mich ruhn
In meinem Wunderglauben, laß mich wandern 25
In diesen schönen Träumen, die du einst
Auf mich gezaubert. Laß mir diesen Glauben –.

Der Dichter: Wie muß ich beben, wenn du darum weinst.
Nicht Menschen können uns die Träume rauben,
Doch das, was größer als wir alle ist
Und unser Leben führt mit spielenden Händen,
Uns gestern lachte, morgen uns vergißt,
Wie Kinder eines Buches Blätter wenden.

Beate: Du bist voll dunkler Worte wie die Nacht,
Die jetzt so langsam durch die Täler schreitet
Und unsre Herzen einem Wunsche weitet,
Der unerhört nur herben Schmerz entfacht.

Der Dichter: O Wunsch ist Wunde –, wer ihn erst erfühlt,
Der reißt ihn nimmer aus der kranken Seele
Und duldet schweigend, daß er tiefer wühlt
Und ihn, ein zehrend Feuer, ewig quäle.
Und keine Rettung ist, als nur – das Scheiden.

Beate: Als nur die eine, liebend mitzuleiden! 26

Der Dichter: Wär dieses Rettung? – Schau das weiche Licht
Des goldnen Mondes, das um Baum und Strauch
Ein zaubrisch Netz von schwanken Fäden flicht;
Und hin zum Meere lockt ein zager Hauch.
O Nacht, ich höre dich, reich mir die Hand
Und schlag um mich dein hüllendes Gewand.

Er schreitet langsam, mit vorgestreckten Armen, in den mondhellen Garten hinaus.

Beate: Wie eines Traumgefangnen ist sein Schritt.
Er wandelt neben jenen stummen Reihn
Von dunkelfremden Bäumen – und nun tritt
Er tastend in den tiefsten Schatten ein.
Die Unrast schleicht geduckt mit ihm dahin
Gleich einem grauen bösen Bettelweibe,
Und ich muß dulden, die ich schwächer bin,
Daß ihn ihr Keuchen ruhlos von mir treibe.

Angelika tritt suchend in die Halle. Sie steckt eine Leuchte seitwärts in den eisernen Arm an einer Säule. Sie ist weiß gekleidet, eine junge Frau.
Die letzten Gäste haben uns verlassen
Und ziehen singend durch die Rebenhügel, –
Schon sind die Ersten in den weißen Gassen.
Erlauschest du die weitgetragnen Klänge,
Abtropfend von der Nacht bewegtem Flügel? 27
Du aber miedest unsre lauten Runden,
Und seit des Reigens jauchzendem Gedränge
Hab ich dein Antlitz nirgendmehr gefunden.
Wer trieb dich in die Einsamkeit der Nacht?

Beate spricht, nach einer Weile spähenden Schweigens, mit gesteigerter Ängstlichkeit:
Angelika, du wuchsest schon zum Weibe
Und Reife ruht wie Schmuck auf deinem Leibe,
Da mir die erste Ahnung kaum erwacht
Des weiten Lebens, das ich sehen werde, –
Ein Land, so fruchtbar wie die schöne Erde,
Doch vieler Wege voll, die dunkel gleiten,
Und vieler Brücken, die hochauf gebaut
Von Fels zu Felsen springen, – unten tosen
Die Wasser, in die Schluchten eingebraut –,
Und wir als wie in nächtigem Traume schreiten
Nichts ahnend über die geländerlosen,
Verhaltnen Atems, mit geschlossnen Lidern,
Und tasten zitternd in die leere Luft.

Angelika, – mich ängstigt diese Stunde.
Ich bin erwacht. Nun greift die dunkle Gruft
Mit stummer Hand nach meinen zagen Gliedern
Und fesselt sie. O, daß ich träumend bliebe! 28
Denn noch ist Nacht um mich in weiter Runde.
Angelika – du, Weib! – Was ist die Liebe?

Angelika legt leise den Arm um sie. Beide schweigen lange. Dann hebt Beate wieder zu reden an:

Mir war sie Licht und Farbe. Wie ein Kranz
War Tag an Tag gereiht und voll von Düften,
Und helle Lieder blühten aus den Lüften.
Doch Schatten fielen jäh auf Spiel und Glanz
Wie Wolkenhände, – jene abendblassen,
Die in den Nächten nach den Sternen fassen.
Als wüchse dunkel mir ein Feind zum Streite,
Unsichtbar riesenhaft die Schultern reckend
Und mich mit seiner dumpfen Wucht bedeckend,
Daß wehrlos ich vor ihm zu Boden gleite, –
So droht mir nun, was ich seit Jahren sehnte,
Um was ich schmückend meine Wünsche schlang,
Nach dem im Traum ich meine Arme dehnte
Und das mich lächelnd in die Kniee zwang.

Angelika, – es steht und starrt aus kalten,
Erbarmungslosen Augen, die mich halten
Wie Eisenhände, und es wächst und starrt –.
O daß dein Wort es wieder von mir triebe!

Nun schweige nicht! Dein Angesicht ist hart.
Willst du mich quälen? Rede von der Liebe! 29

Angelika schüttelt leise den Kopf
Wer von ihr reden mag, den zwang sie nie, –
Wer sie erlebte, kann nicht von ihr sprechen.
    Nach einer Weile des Schweigens.
Sie kommt. Und wo sie kam, da duldet sie
Nicht andrer Mächte Spruch. Vor ihrem Wort
Erstehen neue Welten, alte brechen.
Wen sie zum Dienst erlesen, schickt sie fort,
Sobald sie will, als Bettler oder Fürsten.
Und diese gehen hin und künden laut
Von ihrer lichten Schönheit, daß die Herzen
Der Jungen brennen und die Lippen dürsten,
Und jene singen nur von dunkeln Schmerzen.
Ins Auge hat ihr keiner doch geschaut,
Den Schleier hat sie keinen heben lassen.

Der Dichter ist in die Halle getreten und bleibt lauschend an einer Säule stehen. Beate schlägt ihre Hände vor das Gesicht.

Der Dichter tritt zu ihr.
Beate, nicht geziemt es diesen blassen,
So zarten Fingern, freundgesinnten Blicken
Die Tränen zu verbergen, die im Tiefen
Vergrabne Schmerzen uns als Boten schicken,
Daß wir sie lösen sollen. Laß uns wissen,
Was ihre wehgequälten Stimmen riefen.

Beate wendet sich verdeckten Angesichtes von ihm ab. 30

Angelika spricht vorwurfsvoll zum Dichter:
Unruhig selber, willst du Ruhe schenken;
Dem aus der Hand die eignen Zügel glitten,
Du greifst nach fremden, fremde Fahrt zu lenken.

Der Dichter wendet sich überrascht zu ihr.
Du weißt, Angelika, was ich gelitten –?

Angelika: Wohl mir, ich säh es nicht von Stund zu Stunde.

Beate blickt groß auf Angelika und geht dann, von den andern nicht bemerkt, in den Garten hinaus.

Der Dichter: Angelika, du greifst an eine Wunde –.
Willst du sie tiefer reißen oder heilen?
Was sprech ich –. Heilen, retten –! Jage mich
Noch einmal auf. Denn sieh, die Tage eilen,
Die mich ins Netz der Müdigkeit verschlingen.
Wer will dem Todgeweihten Lösung bringen?

Angelika: Wer dich unsäglich liebt, errettet dich. 31

Der Dichter blickt nach der Säule hinüber, wo Beate gestanden hat. Angelika schüttelt leise, beinahe lächelnd, den Kopf und spricht weiter:

Sie darf nicht betend opfern wie ein Kind.
Sie darf nicht sein, wie deine Werke sind:
Von dir zu biegen wie ein weich Gedicht.
In sich gegründet, muß aus reichen Händen
Sie eine runde Welt zu deiner wenden,
Wie frische Flut in graue Dürre bricht.
Und muß dich kennen, wenn du einsam bist,
Denn du wirst immer, immer einsam bleiben,
Und muß von dir den dunkeln Schatten treiben,
Der lauernd stets dein Weggefährte ist.
Und muß dich lieben in der tiefsten Tiefe –.

Der Dichter nach einer langen Weile des Schweigens:
In meiner tiefsten Tiefe –. Klang dies Wort
Von irgendwo und klingt nun immerfort
Und kann nicht sterben? Und mir ist, als riefe
Es nun aus allen Dingen nah und weit:
In tiefster Tiefe –. Traum! Mir träumte so,
Als kläng es, also weich, von irgendwo:
In deiner tiefsten Tiefe Einsamkeit –. 32

Angelika stark und warm:
So sprach mein waches Wort. Du träumtest nicht.

Sie stehen sich Auge in Auge gegenüber.

Der Dichter: Angelika? – Du wendest dein Gesicht?

Angelika stark und klar:
An mir vorüber geht dein Weg. Leb wohl.

Der Dichter tritt stumm zurück und schreitet in den Garten hinaus.

Beate tritt nach einer Weile herein. Sie spricht, mühsam beherrscht, in gleichgültigem Ton:
Bald wird der Morgen sich zum Himmel heben.
Die Luft ist kühler schon und seltsam hohl.
Die Sterne blassen. Überm Wald der fahle,
Gedämpfte Schimmer zuckt in leisem Beben,
Als wie ein Tier, zum Sprung geduckt im Gras.

Sie schreitet vorüber, bleibt stehen, betrachtet sinnend einen Kelch, der halb mit rotem Wein gefüllt auf einem Säulengesimse steht.

Angelika, beschau dir diese Schale.
    Sie hebt den Kelch mit beiden Händen empor.
Glutroter Wein darin. Ein köstlich Glas,
Und sieh: von welcher Künstlerhand geschliffen! 33
Ein Kelch, erblüht in heiter schönen Tagen.
Zu schwer für meinen Arm. Er kanns nicht tragen!

Sie will den Kelch Angelika reichen. Diese greift darnach, zieht die Hand wieder zurück, der Kelch fällt zur Erde und zerbricht klirrend auf den Steinfliesen.

Angelika: Du gabst ihn los, eh ich ihn noch ergriffen.

Beate: Du zaudertest. Dir zitterte die Hand.
Wie Herzblut klagt aus offner Todeswunde,
Verklagt dich rotbesprengt dein Schneegewand.
Wir wollen gehen. Bald ist Morgenstunde.

Sie gehen beide.

Der Dichter tritt langsam aus dem Garten in die Mitte der Säulenhalle.
Wir sind wie Glocken auf den höchsten Türmen,
Wie schwanke Wipfel in Novemberstürmen,
Wie eine Geige an des Irren Kinn,
Daß harte Finger in uns wühlen dürfen
Und alle Winde unsre Schreie schlürfen;
Zerbrechend klirren wir im Staub dahin.

Er stößt mit der Fußspitze an eine Scherbe. Sie klingt leise.


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