Hugo Marti
Der Kelch
Hugo Marti

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34 Birkenlieder

I.
       

In leisen Liedern geht mein Tag
Und auf sonnigen Wegen.
Ich liebe die schimmernden Birken am Hag.
Noch gestern standen sie müd und zag
Und jauchzen heute mir leis entgegen,
Als hätten auf ihnen, auf ihnen auch
Deine stillen Worte wie Frühlingshauch,
Deine Hände wie Segen gelegen.

 
35 II.
       

Lichtes Bild auf goldenem Grunde:

Du griffest in die Zweige
Mit beiden Händen tief hinein
Und küßtest sie mit deinem Munde
Und deine Haare schimmerten
Im zitternden Sonnenschein
Der stillen, stillen Mittagstunde.

 
36 III.
       

Schlanke Birke, Silberwindspiel!
Zittre nicht, weil Abendschatten
Über deine Blätter tasten,
Fürchte nichts, – ich bleibe bei dir.
Schau, ich halte deinen schmalen
Leib und lege meine Wange
Dicht an deine kühlen Glieder,
Fürchte nichts –

Wie du schimmerst aus dem Dunkel,
Silbernackt, verloren, hilflos –
Lösche nicht dein stilles Leuchten,
Nicht in dieser schwersten Stunde,
Gib dich nicht den Schatten, hörst du,
Hörst du mich –? Die Nacht wird weichen.
Bleibe bei mir –.

 
37 IV.
       

Weißt du, wie ich dich liebe,
Weißer Weg durch die Sommernacht?

Blumen wie brennende Kerzen säumen
Deine vom Tag verstaubten Geleise,
Halme die von der Sichel träumen
Zittern lauschend im Frühwind leise,
Und von den scheuen Birkenbäumen
Nimmst du Grüße mit auf die Reise.

Du gehst vorbei an meinem Haus.
Weißt du, wie ich dich liebe?
Ich schaue dir nach und ich höre dich singen
Und höre dein Wanderlied ferne verklingen
In die laue Sommernacht hinaus.

 
38 V.
       

Ich höre dich, Bruder Wind –.
Ich liege im Dunkel und lausche lange
Deinem irren, verlorenen Sange.
Ich weiß, du bist heimatlos und blind.
Du tastest an den kalten Wänden
Und gleitest durch das arme Licht,
Das stumpf aus meinem Fenster bricht,
Mit weitgereckten, zitternden Händen.

Nun plötzlich stehst du still –
Hebst dein müdes Haupt, zu lauschen –.
Hab ich geweint?

Und wie einer, der nicht stören will,
Schleichst du von mir und meinem Leid,
Und ferne hör ich dein flatterndes Kleid
Um eine einsame Birke rauschen.

 
39 VI.
       

Nun geht ein leiser Wind
In den Gezweigen,
Die weiß von Blüten sind.

Der junge Tag ersteht.
Die Wälder schweigen
Vor Gott, der sinnend geht.

Tauschwere Lanzen tief
Die Halme neigen.
Mir ist, ein Vogel rief –?

O spiel, du Silberbirkenbaum,
Auf deinen alten Geigen
Ihr in den letzten Morgentraum:

Sich neigen
Und schweigen
Kann meine Liebe kaum,
Sich neigen
Und schweigen –.

 
40 VII.
       

Vielleicht auch du einmal –

Ich weiß, viel Abende, leise, bange,
Warten auf dich, vor langen Nächten,
Die deine Finger müd verflechten
Und deine Stirne neigen werden.

Vielleicht auch du einmal
Wirst jenes stillen Weges denken,
Den wir im Abendlichte langsam gingen:
Hoch ragten dunkle Wipfel, und Goldfäden hingen
Von Zweig zu Zweig und in dein Haar, –
Der stillen Stunde denken, da uns alles
Gewirr gelöst und unser Leben
Gut, unser Gang ein Singen war.


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