Hugo Marti
Balder
Hugo Marti

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85 Fünfte Nacht

        86 Weiten Schwungs im Abendhimmel kreisen
Zwei gewaltige Adler überm Flachfeld,
Kreisen langsam, spähen in die Tiefe,
Nicht im Walde nach dem schnellen Wilde,
Nicht hinunter nach dem eignen Horste
In den kahlen, abendroten Klippen,
Spähen nicht nach schwertgefällten Helden
Auf der stillen, schattenlosen Heide,
Kreisen weit und warten, – aber plötzlich
Wenden sie die Hälse, schlagen wuchtig
Mit den Schwingen, dann in langem Fluge
Gleiten sie wie Pfeile durch die Lüfte,
Segeln sie wie windgejagte Boote
Uebers Flachfeld, über blasse Birken,
Ueber dunkeln Wald und blumige Hügel, –
Näher schimmern Asgards hohe Mauern,
Volksgewimmel flutet aus den Toren,
Rufe gellen, Angesichter, Hände
Flimmern durcheinander, Jubel, Jubel, –
Und die Adler jähen Fluges bohren
Sich zur Tiefe, stürzen sausend, bäumen
Sich ein letztesmal empor und sinken
Lautlos nieder auf gespreizten Flügeln
In die Aeste einer breiten Eiche.
87 »Odins Adler kehren heim vom Fluge!
Odins Adler künden uns den Sieger!«
Und vom Hange spähen tausend Augen
In das weite Feld hinaus, und wogend
Wie ein sturmgepeitschter See erschallen
Laute Stimmen, aber bei der Eiche
Stehn die alten Helden, stehet Odin,
Schattet mit der Hand das klare Auge,
Misset mit dem Blick das weite Flachfeld.
Nun – ein Schrei: »Ich schau ihn, dort, beim Walde«.
Tausend Augen suchen ihn. »Wer ist es? –
Unter seinen Sohlen fliegt die Erde –
Halben Weg schon hat er abgeworfen –
Dort ein zweiter – und ein dritter – viele –!
Kennst du ihn, den ersten? – Hei, nun ist er
Seinem eignen Schatten weit entsprungen! –
Balder –! Ist es Balder? – Thor! – Nein, Balder –
Sieh die Haare, die wie Flammen flackern!
Balder, Balder! Heil dem Sieger! Balder!«

Und sein Name braust ihm hell entgegen,
Tausend Augen jauchzen ihm Willkommen,
Aber Odin reckt ihm beide Hände:
»Sieg um Sieg errafft der Asen Jüngster,
Und mit siebenfachem Kranze krönet
Dir des Tages Ruhm die stolze Stirne.«
Und noch einmal steigt sein Name strahlend
Von den Lippen aller, wie die Sonne
Letzten Strahls entzündet das Gebirge, –
Und es weitet sich der Ring der Helden,
88 Aber durch den engen Pfad geleitet
Odin selber seinen Sohn zum Saale
Und an seiner Seite zu dem Hochsitz.
Jubelnd füllt das Volk die hohe Halle. –

»Balder! Diesen Becher dir zur Ehre!
Dir, dem Sieger, dir, dem jüngsten Bruder!«
Lachend schwinget Thor die volle Schale.
»Ist nicht oft geschehn, daß einem Sieger
Thor den Becher hob. Doch wohl, wir grüßen
Alle dich und müssen laut bekennen:
Unser Sieger blieb im Spiele Balder.«
Und er trinkt die Schale langen Zuges,
Stellt sie nieder, schaut umher im Kreise,
Aus den finstern Augen spöttisch lächelnd.
»Seid ihr alle auch, wie ich, den Spielen
Eurer Kindertage schon entwachsen,
Daß ihr euch besiegen laßt von Knaben?«

Balders Leib erzuckt wie unter Hieben,
Aber leise legt ihm auf die Rechte
Odin seine Hand und flüstert: »Laß ihn!
Wem die Arme feiern, ist das Schwatzen
Eine Notdurft, und er meints nicht böse!«

Aber Thor von neuem hebt die Stimme:
»Sag uns, Balder: bist du jemals also
Weit von Asgards Mauern weg gewesen,
Draußen in der bösen Welt, wie heute?
89 Zögernd nur, als wir den Lauf begannen,
Hört ich hinter mir dich vorwärts keuchen
Und im Walde dacht ich gar, ich müßte
An der Hand dich durch das Dunkel führen,
Aber als wir weite Heide kriegten
Und von ferne Asgard heimwärts lockte,
Ei, da wurden deine Arme Flügel,
Ei, da lief das Kind zu seiner Mutter!«

Röte schlägt empor in Balders Wangen,
Aber Odin lacht, und alle Helden
Lachen mit ihm, und er flüstert: »Laß ihn!
Grob sind seine Worte wie sein Hammer,
Treu sein Herz wie seine plumpe Waffe.«

Thor mit lauter Stimme überdröhnet
Das Gelächter: »Heil! Mit raschen Füßen
Hast du heute deinen stolzen Namen
In die weite Welt getragen, Balder!
Und auf meinem nächsten Zuge werden
Staunend mir die Rehe und die Hasen
In dem nahen Forst von dir erzählen.
Wahrlich, immer fand ich es so seltsam,
Wo ich auf der Erde streitend streifte,
Nirgends klang dein Name mir entgegen,
Nirgends schrie in bangem Schrecken einer:
Ist das Balder dort auf hohem Rosse –?
Einmal nur an einem Wiesenbache
Sah ein Mägdlein ich im Grase knieen,
Und es rupfte blasse, gelbe Blumen
90 Und es jauchzte: Schau nur, Balders Locken –
Ja, ihr lachet, wie ich damals lachte,
Als ich Balders Locken in die Mähne
Meines Rosses flocht zum Schmuck der Stunde!
Aber einmal, Helden, war auf Asgard
Solches Brauch beim Frühlingsfest der Asen:
Wer im Wettkampf sich den Preis errungen,
Durfte wählen, wie sein Herz es wünschte,
Sich ein gutes Schwert im Waffenturme
Und ein Roß sich fangen auf der Weide,
Und so ritt er einsam in die Ferne
Und gelobte, nimmermehr durch Asgards
Hohes Tor zurück sein Tier zu spornen,
Eh ihm nicht vorangeeilt als Bote
Seiner Taten Ruhm von Mund zu Munde.
Ausgestoßen aus dem Kreis des Festes
Ward der Spiele Sieger, sich zu messen
Ernsten Kampfes mit der ganzen Erde,
Aber heute wird zum Ehrensitze
Er geleitet und von zarten Händen
Mütterlich beschützet und beschattet,
Bis er selber blasser wird und bleicher
Als sein Schatten ist im Dämmerlichte,
Er, der Sieger war und bleibt – im Spiele!«

Steil vom Sitz ist Balder aufgesprungen,
Mit geballten Händen steht er, bebend,
Worte würgen in der trocknen Kehle,
Doch die Lippen bleiben stumm. Und Odin
Wirft verächtlich in die bange Stille:
91 »Neid hat aus dem wortekargen Helden
Heut ein scheltend, mundflink Weib geschaffen!«

Laut Gelächter. Balder hebt die Fäuste,
Und es tönt wie Wehruf eines Wunden:
»Nein, die Wahrheit – Thor hat wahr gesprochen!
Nein, ich will – ich will mein Werk vollbringen.
Laßt mich ziehn. – Hab Dank für deine Worte!«

Wie ein Fels in Meeresstille hebt sich
Thor aus den verstummten Männern. »Hört ihr?
Asenblut erwacht im blonden Knaben!
Denkst du an der Mutter Gruselmärchen
Von den Schatten, die im Walde kauern
Und mit Krallen nach dem Wandrer greifen?
Denkst du an das Humpelweib im Kornfeld,
Das den Schläfer tritt mit plumpen Füßen?
An das Irrlicht in der weiten Heide,
Wo die Schleier grauen Reigen tanzen?
Oder gar an Riesen und an Zwerge? –
Als ich jenes erstemal aus Asgard
In die Weite ritt nach Abenteuern,
Kam ich in ein fernes, nacktes Bergtal;
Hohe Mauern schlossen alle Pfade,
Doch ein Stöhnen wie von einem Schlachtfeld
Kreischte mir entgegen und ein Knirschen
Wie von steinzermalmten Menschenleibern;
Und im tiefen Felsenkessel standen
Die drei Riesenmägde an der Arbeit,
Mit den Armen treibend die gewaltigen
92 Mühlensteine, die sich selber mahlen.
Ob ich gleich aus vollen Lungen brüllte,
Keine hörte mich in ihrem Keuchen.
Alle sind vom Dröhnen taub geworden,
Das seit Ewigkeiten sie umbrandet.
Da mit einem Satze trieb ich spornend
Hin mein Roß zu der verwunschnen Mühle,
Schlug mit einem einzigen Hammerschlage
Sausend einen Stein in tausend Splitter,
Aber niemals wieder toste solcher
Sturm um meine Ohren, wie das Schreien
Hinter mir von den drei Riesenmägden,
Als ich lachend aus dem Tale sprengte. –
Willst du reiten, Balder, und den zweiten
Mühlstein spalten in der Riesenhölle?«

Aber lächelnd schüttelt seine Locken
Balder und er spricht wie traumbefangen:
»Will nicht reiten zu den Riesenmägden,
Will nicht kämpfen mit des Waldes Schatten,
Will nicht Zwerge um ihr Gold betrügen, –
Ohne Roß und Schwert, so will ich ziehen
Und will wandern auf den fernsten Pfaden,
Bis ich ihn gefunden, den Verborgnen,
Ihn, den Großen, ihn, den Unbekannten,
Ihn, den Namenlosen, dem wir alle,
Menschenvolk und Asen, weichen sollen.
Will vor seine stolze Stirne treten,
Nicht mich beugen vor den harten Augen,
Aber will ihn eine Frage fragen,
93 Eine leise, kurze Frage, will nur
Einmal atmen und ihn fragen: warum?«

Schweigen füllet Asgards hohe Halle.
Schweigen legt auf Thors erhobnen Nacken
Seine eisenschwere Faust und beugt ihn.
Schweigen wischt durchs rote Licht der Fackeln
Wie mit Eishauch, und die Flammen zittern.

Balder ruft – und seine Stimme klirret,
Wie wenn Fesseln von den Händen fallen –:
»Singe, Mimir, sing von Heldentaten!
Asen feiern ihren jungen Frühling,
Und die Brände lohen steil zum Himmel.«
Neben Odin auf dem Hochsitz wieder
Nimmt er Platz, der Sieger aller Spiele,
Und er winkt dem Greise mit der Rechten.
Alle lauschen schweigend dem Gesange.


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