Hugo Marti
Balder
Hugo Marti

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9 Erste Nacht

        10 Festgetöse schallt in Asgards Mauern.
In der hohen, fackelhellen Halle
Unter seinen Helden hebt sich Odin
Von dem Hochsitz, und die Stimmen schweigen.
Seine Worte brechen in die Stille,
Wie die Sonne bricht nach dem Gewitter
In die stummen, atemlosen Wälder,
Und die Schilde an den Wänden klingen
Dumpfen Widerhalls von seinen Worten:

»Asenvolk und Helden grüßet Asgard,
Meine Burg, zum Frühlingsfest gesammelt.
Blanke Waffen blinken von den Wänden,
Harte Hände winken mir entgegen,
Alte Narben flammen rot wie Fackeln
Auf gar mancher wetterbraunen Stirne.
Klänge nicht ein leises Frauenlachen
Wie ein Geigenspiel durch diese Halle,
Glänzte nicht, wie Sommerblumen schimmern,
Weiches Mädchenhaar im Lichterscheine, –
Glauben möcht ich, daß zum Kampfe gellend
Unser Schlachthorn Odins Heer gerufen.
Doch die Schwerter schlafen, und die Speere
Träumen zitternd von vergangnen Zeiten,
Und der Weltenacker, den so blutig
Unsre Rosse manchesmal zerstampfet,
Blühet saatenreich im Frühlingsfrieden.«

11 Grimmig Lachen saust in Aller Schweigen,
Und es gellt die Stimme Thors und spottet:
»Weise Worte will uns Odin schenken,
Weise Worte eines müden Kämpfers,
Dem das Schwert entschlafen in der Stille,
Dem die stolzen Speere dürstend rosten.
Aber mir in meiner Hand erzucket
Wie ein wildes Tier der harte Hammer,
Dem ich kaum die heiße Gier bezähme.
Wieder reiten möcht ich in die Weite,
Wieder streiten möcht ich mit den Wanen,
Wieder hören meiner Waffe Jauchzen,
Wieder führen, an mein Roß gefesselt,
Neue Geiseln, schmachbedeckt, nach Asgard.
Siehst du nicht, wie gramversunken Mimir
Unter uns die langen Tage schleppet?
Siehst du nicht, wie Loki nach Gefährten
Aus der fernen Heimat leise seufzet?
Brüder möcht ich ihnen hergeleiten,
Ihre Brüder mit den schwarzen Haaren,
Und wir würden alle froher blicken.«

Jubel brandet hell um seine Worte,
Aber dumpfes Murren dämmet grollend
Die erwachte Wut, und Odin warnet:
»Wenn die Stunde kommt, nach der du sehnest,
Wenn der Bann gebrochen wird des Friedens,
Warten unsre Schwerter nicht in Muße
Deines Rufes, um von sich zu schütteln
Ihren leichten Schlaf, – sie sind geschliffen.
12 Aber lange Jahre sind vergangen,
Seit ich Mimir aus den Feinden holte,
Und die gleichen Stürme haben langsam
Unser Haar gebleicht, sein schattendunkles
Und mein sonnenlichtes; und auch Loki
Schau zu jeder Stund ich Seit an Seite
Mit dem jüngsten meiner Söhne, Balder,
Wie die Nacht dem hellen Tage folget.
Löse keiner von den sichern Ketten
Leichten Sinns der Walstatt giere Wölfe,
Daß nicht seine Hand im letzten Zucken,
Todesmatt, vergeblich nur versuche,
Die unbändigen von sich zu scheuchen.
Laßt uns eher lauschen, als verwegen
Dunkle Schleier von der Zukunft zerren,
Rückwärts in der Zeiten Heldensänge.
Heil der Burg, die solche Größe hauset,
Wie sie Asgard aller Welt verkündet!
Dem Geschlechte Heil, von dem die Feinde
Selber solcher Taten Sage singen!
Sieben Nächte soll das Feuer lodern,
Sieben Nächte wollen Asen lauschen
Mimirs hohem Sang von Asgards Ahnen!«

Und der greise Wane eine Weile
Sitzt gebeugten Hauptes, und sein Scheitel
Ist wie Schnee, auf seinem Angesichte
Aber steht das Leiden langer Jahre
Wie mit Silbergriffel eingeschrieben.
Dann erhebt er sich, und seiner Stimme
13 Volles Lied erfüllt die weite Halle:
»Mimir soll der Asen Ehre singen,
Also will es Odin, unser Gastherr. –
Neiderzungen schmähen ihre Feinde,
Und es fällt mit doppelt hartem Schlage
Schmach zurück auf den, der sie geschleudert.
Welcher will des Schicksals Runen lesen,
Welcher sein verborgen Walten deuten,
Wer der Nornen stumm Gespinst entwirren?
Aber rückwärts blickend auf dem langen
Wege, den ein stolz Geschlecht gegangen,
Können wir die Feuerzeichen grüßen
Ihrer hohen Taten, und es werden
Unsre eignen armen, schwachen Augen
Hell im Glanze jener reinen Flammen,
Reich an stillem Wissen, scharf und wachsam,
Um das Dunkel ahnend zu durchspähen,
Welches unsre eigne Straße schattet. –
Wundermären, Asgards Heldentaten
Will ich singen sieben heilige Nächte,
Nicht die lauten, aber wohl die größten:
Des Geschlechtes stille Opfertaten.«


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