Hugo Marti
Balder
Hugo Marti

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34 Bragas Lieder auf der alten Geige

In einer wundersamen, sternenstillen Nacht, zur Stunde da das Leben seufzend von der müden Stirne scheucht den bösen Wahn, und Schlummer tritt an seine Krankenstatt und läßt es ruhen eines kurzen Traumes Spanne lang, und alle Dinge rings im Weltenraum verspüren ihrer Mutter schlafgewiegten Atemzug und flüstern leise lächelnd unter sich ein wohlvertrautes Grüßen, –

Da horchte Braga auf, der junge Königssohn, der träumend saß auf dem Gesimse unterm Bogen seines breiten Fensters, lauschend über Waldeswipfel, über Schluchtentiefen in die Nacht hinaus und nach der Sterne Singen.

Und bange stieg er nieder von der Bank am Fenster, wandelte mit leisen Füßen durch die dunkle Halle, schritt hinüber zu der hohen Mauer, wo aus alter, längst erstorbner Zeit ein blitzend Schwert und eine braune Geige hingen.

Und wie er lauschte, war es ihm, als klinge von der Saite, die allein den vielen Jahren Trotz geboten und noch immer sich zum Liede spannte, ein geheimnisvoller, zauberkräftiger Gesang, und Antwort zitterte vom Eisenschwert und hallte wie aus ewigkeitentiefer Ferne durch die Stille.

Und bebend hörte er dieselbe Weise klingen aus den Sternen, aus dem Atem des entschlafnen Lebens, aus der letzten Saite überm braunen Holze, aus dem 35 blauen, blanken Stahl und aus dem eignen, jugendstarken Herzen.

Da hob der Königssohn vom Nagel Saitenspiel und Wehre, gürtete die schlanken, jungen Hüften und verließ die Burg der Väter, um zu wandern in die sehnsuchtreiche Ferne seiner Träume.

Und wie er auf verschwiegnem Waldespfade durch die Morgenfrühe streifte, siehe, da erhob vom Berge sich das Licht der Sonne, blitzte leuchtend durch die Blätter, spielte in des Mooses Tiefen, ließ erglühen in der Farben Wunderglanze an den spießgereckten Halmen, in den Blütenkelchen tausend spiegelklare Taugeschmeide.

Da warf sich hin der Königssohn im Schatten eines hochgestämmten Baumes, blickte aufwärts ins Geäst und lauschte, wie am Wurzelwerk die blaue Quelle flüsterte und seltne Mären wußte.

Und Baum an Baum, in regelloser Ordnung eine starke Schar, verschlungen mit den Aesten und voll Eifer strebend jeder über seinen Nachbar sich zu treiben in des Sonnenlichtes blauen Raum hinauf, so sprach der Wald zum Königssohne von den vielen Menschen auf der weiten Erde.

Da spannt er eine neue Saite übers braune Holz, und stark erklang ihr Lied im Wald und hallte ferne.

Und wie er dürstend niederbeugte seine roten Lippen zu dem blauen Quell, da blickte ihm entgegen seiner jungen Züge Ebenbild, und Kunde gab dem Königssohn der Zauberspiegel von des Körpers kunstgeschaffnem Werke und von starker Hände Tatenfreude.

36 Da spannt er wieder eine Saite übers braune Holz, und ihre Weise klang wie Schlachtgesang so stolz und hell wie Mittagssonne.

Und über seinem Haupt im Baumesgrün ein kleiner Vogel sang sein glückdurchjauchztes Lied und hub von neuem immer an und sang und sang, und schwer von Sehnsucht ward das Herz des Königssohnes.

Und nochmals spannt er eine Saite übers braune Holz, und wenn sie zitterte, so wars wie Silberglockenläuten in der Weite, aber rein und glühend war ihr Lied wie Sonnenspiel im Frühlicht überm Firngefilde.

Und als der Königssohn mit bangen Fingern erst und mutig dann und kecker stets den Bogen führte über seine braune Geige, horch: ein herrlich Klingen wars, und lieblich tanzte da von hellen Saiten der Gesang dahin im Takte überm dunkeln Wiesengrund der tiefen Klänge.

Und gleich der schönsten Tänzerin, die ihre jubelnden Gespielen in den bunten Reigen führet und in kunstverschlungnem Wandel ihren gertenschlankgeschmeidigen Körper durch die engen Gassen all der weißen Arme windet, also daß sie bald verschwindet hinter ihnen, leuchtend bald aus ihrem Kreise schreitet, um allein in freiem Schwung der fessellosen Glieder Anmut zu enthüllen, –

Also tauchte bald das innig milde Lied hinab in all der andern Töne wogenwilde Flut, sodaß sie jauchzend es umtollten, aber bald verstummte jeder Klang vor seiner einfachstolzen Weise, die da sang vom ewig Alten, ewig Jungen.

37 Und als es Abend ward und kühl, ergriff der Königssohn sein Schwert und hängte an das Band die Geige und verließ den dämmergrünen Wald, zu wandern nach dem volkbelebten Gau als unbekannter, heimatloser Spielmann.

Und es geschah, wo immer sich die Lustbarkeit im Tanze wiegte, sei es überm frühlingsgrünen Wiesenplan entlang den Haselhecken, seis auf offnem Markte nach dem Tagewerk am Sommerabend, –

Da trat herbei der Fiedler, grüßte lachend, warf die Locken ins Genick und strich die Saiten, daß die Lieder quollen und die Reigensänge schollen, keck und übermütig und begleitet von dem Schwall der vielgestimmten, wechselreichen Klänge.

Das Junggesinde aber kannte aus der Ferne seine Schritte, und von Freude glitt ein Sonnenstrahl durch alle Gassen, wo er immer wandelte, die Kinder aber küßten seine Hände und bekränzten ihm mit Blumen seine Locken und die braune Geige.

Und also war sein junges Leben selbst ein Sang von Frühlingsglück und Maienwonne. –

Es war an einem warmen Sommerabend, noch auf Tal und Bergen glühte des versunknen Tages Atemhauch und zaudernd wich das Licht dem kühlen Dämmerschatten, und das goldne Korn im Winde träumte bebend von der Reife und der Sichel, – Da tanzte unterm Bogentor der alten Stadt ein wildes Kind den Reigen, daß die schweren, roten Flechten aus dem Band sich lösten, wie ein Mantel niederglitten über ihre Schultern, und ihr Auge lachte Lust, 38 und lockend spornte ihres Mundes Ruf des Fiedlers Eile.

Und als ermattet ihre Glieder ruhten von dem Tanze und sich an die abendkühlen Steine lehnten, da mit ihren weichen Armen spann das Mädchen um des Spielmanns Nacken eine heiße Fessel, und aus rotem Munde trank der Fiedler süße Flüsterworte. Aber lachend stieß es ihn aus seinen Armen und enteilte leichten Fußes, da der Morgen stieg vom Berg herunter.

Da riß mit schrillem Schrei die hellste von den Saiten, die er sehnsuchtvoll geknüpft beim Lied vom Vogel über seinem Haupte. –

Es war zur Herbsteszeit, auf wilden Rossen jagten Stürme über kahle, graue Felder, rissen höhnisch dem geschmückten Wald die feuerfarbnen Kränze von den Wipfeln, und auf regentrüben Steigen hinter ihnen, wenn es still geworden, wandelte die Einsamkeit und weinte, –

Da übermannte seines Herzens Weh den Spielmann, daß er müd und hoffnungslos sich niederlegte, und ein Siechtum packte seinen jungen Körper, schlug ihn mühelos in harte Banden.

Und viele Wochen rang er keuchend um den ewigen und tiefen Schlaf, und bald sich bäumend unter seinen Schmerzen, bald mit stillem Lächeln bietend seine Glieder dar den unbarmherzigen Rutenstreichen, harrte sehnend er der letzten Stunde, da er wandern möchte durch das dunkle Tal hinan zu seiner Heimat Sonnenglanz und Stille. Aber abgewandten Hauptes schritt der Tod vorbei an seinem Lager, und zu neuem 39 Dasein mußt er heben seine Augen, die vor Sehnsucht brannten nach der Welt der Ruhe.

Da riß mit wehem Seufzen auch die andre von den Saiten, die er stolz geknüpft beim Anblick seines eignen Bildes in der dunkelblauen Quelle. –

Es war ein Wintertag, auf allem Lande prangte silberweiß und linnenblank der Schnee, ein königlich Gewand auf edlem Leib, und wie von Gold ein blitzendes Geschmeide wob die Sonne ihr Gefunkel in der tiefen Stille überm Tal und an den waldgegürteten und eisgekrönten Bergen, –

Da schritt der Spielmann durch die Gassen einer Stadt, und sieh: das Volk bedrängte ihn, zu weisen seine Kunst und seine Lieder zu erwecken, falls sie nicht gestorben seit dem Frühling seiner Jugend.

Und mächtig schlug der Fiedler seine Saiten, aber eines Klanges dröhnten sie und sangen hart und wuchtig von der Menschen törichtem Gebaren, von des Schicksals allgewaltiger Gebärde und des Lebens Fluche, der da lastet über jedem Wesen. Aber mürrisch heischte alles Volk nach Tanzesweisen und begehrte zu vernehmen seine eignen Spielgesellen, die aus Neideraugen schielten nach dem Fremdling. Doch der Fiedler, trotzend ihrem Hohn, – von neuem hub er an und sang des Menschen Nichtigkeit und seiner vielgestalten Ziele eiteln Trug, bis daß die Menge spottend und mit ihren Fäusten ihn hinaus zum Tore drängte. Aber sausend fuhr sein gutes Schwert in ihre grobe Ungeduld und schuf ihm eine zorngesegnete und giftgesäumte Gasse.

40 Da riß mit wildem Fluch die dritte von den Saiten, die mit frohem Glauben er geknüpft im festgewurzelten und stolzgestämmten Forste.

Und fürder wandelte der Spielmann einsam seine Straße, aber seine Lieder, die er lockte von der einen letzten Saite, waren tief und traurig, klangen dumpf und düster, wie des Lebens Atem stöhnt aus allem Dasein.

Und wo er wanderte, da wich vor seinem Gruß das junge Volk, und schreiend floh die Kinderschar vor seiner dunkeln Augen Trauerglanz, und murmelnd schüttelten die Greise ihre Häupter.

Und es geschah: von einer Königsjungfrau ward ihm Kunde, die mit Schwur und Eid gelobt, zu schenken ihres jungen Mundes Lachen diesem einen Manne nur, der ihr erzählen könnte von dem tiefsten Unglück, singen von dem schwersten Leiden.

Da machte Braga sich, der Spielmann, auf den Weg und zog dahin durch weite Länder, um zu singen vor der stolzen Jungfrau seine dunkeln Lieder.

Und eines Abends schritt er wandermüde durch das Tor der Stadt, darinnen jene Jungfrau hauste, weit gerühmt ob ihrer Schönheit und dem goldnen Klange ihres gar so seltnen Lachens.

Und alles Volk erwartete mit Ungeduld den neuen Tag, an dem die Sänger aus den fernen Landen sich versammeln wollten, um zu künden von dem tiefsten Unglück, um zu singen von dem schwersten Leiden, aber auch zu werben um das höchste Glück und um der Erde Wonne: dieser Jungfrau gnadenvolles Lachen.

41 Im hohen Saal des Königsschlosses scharten sich die Männer, bilderreichen Auges in die Ferne schauend und mit ihren Seelen lauschend nach den ungehörten Tönen, die da klingen alle Stunden durch die Stille zu dem Menschenherzen.

Der Spielmann aber fuhr mit leisem Finger über seiner Geige letzte Saite, um zu stimmen seines Herzens tiefste Lieder nach dem Klang, der ihm entgegenquoll aus aller Dinge Leben.

Und siehe da: aus weiter Türe trat die Königsjungfrau in die Halle, grüßend mit den stolzen Augen und die Worte sprechend:

»Willkommen alle, die ihr singen wollt von Herzeleid und tiefem Weh, euch zu erspielen den gelobten Preis und meines Mundes Lachen, warm von meinen Lippen.

Doch wisse jeder, wessen er sich unterfange, denn ein gar gewaltig Leiden muß es sein, vor dem mein Stolz sich beuge, um zu dienen dem geprüften Manne, der aus eignem Herzen solches kündet und in dessen Seele selber lebt das Weh, von dem er spielet.

Wohlan, so stimme seine Saiten, wer es wagt, zu singen von dem tiefsten Leiden.«

Und einer nach dem andern trat heran zum Thron der Königsjungfrau, schlug die Wimpern nieder und begann zu singen, bald von Liebesweh und treuer Herzen Sehnsucht, bald von Schlachtgetos und bitterm, jungem Tode, aber unbeweglich ruhten stets der Jungfrau Blicke auf dem Angesicht der Singenden, und ihre Lippen schwiegen, wenn die Lieder leis verhallten 42 und die Augen aller stumm ihr Urteil flehten. Und schon zum Abend neigte sich der Tag, und durch die breiten Fenster flutete das müde Sonnenlicht und wob der Jungfrau um den Scheitel eine goldne Krone, –

Da trat als letzter aus den Reihen still der Spielmann, hob die braune Geige unters Kinn und ließ die Saite singen, zitternd erst und bange, aber horch: es wuchs das Lied und rauschte wie im Morgenwind der Hochwald überm Tale, weit und mächtig dehnte es die Schwingen und im Wechselschweben stürmt es an und wich, dem schaumgekrönten Meere gleich, das ewig brandet an den steilen Felsen, auf die Gischt zum Himmel wirft und wieder sie begräbt in grünen Tiefen, aber bald, wie Abendschatten durch die Täler schreiten, unerkannt und ungehörten Fußes, schlich ein leises Weinen durch den Sang des Saitenspiels und legte schwarze Schleier über alle Welt und rief der Nacht und rief der stillsten Stunde.

Und war ein einfach Lied von wenig Tönen, das die eine Saite sang, doch leis erhob die Jungfrau ihre weiße Hand und winkte, daß die Männer bleich und wortelos den Saal verließen, aber einzig stand vor ihren Sonnenaugen Braga.

Und langen Grußes tauschten ihre stolzen Seelen Wort und Widerrede, aber in der Ferne zitternd hallte noch das Lied vom tiefsten Leide.

Und als der letzte Sonnenstrahl mit warmem Hauch die braune Geige küßte, durch des Fensters Bogen dann in jäh verscheuchtem Lauf den lange schon 43 entschwundenen Gefährten folgte, eilend über Wald und Bergeshang und strebend nach der Tiefe hinterm Gipfelkamm und ängstlich meidend Schlucht und Tal, wie wen da treibet späte Eile, –

Da öffnete die Jungfrau ihre Lippen, zauderte und fragte:

»Von wannen stammet deine Kunst, und welchem Meister, sage, saßest lernend du zu Füßen?«

Der Spielmann lächelte: »Wie mag ichs wehren, wenn mein Ohr vernimmt den Herzschlag des gequälten Lebens, also daß die letzte Saite meiner Geige singen muß vom tiefsten Leiden?

Doch siehe, heute reuet mich zum ersten Male, daß die hellen Saiten überm braunen Holz gerissen, daß allein die dunkle klagt, denn wahrlich – daß du lachen möchtest, wollt ich wieder auf zum frohen, füßeleichten Tanze spielen!

Weit öffnen unterm Jubel meiner Lieder sollten sich die Siegestore deiner Augen, aber längst gestorben sind die hellen Klänge meines Saitenspieles, nur das dunkle Lied noch fürstet meines Lebens Stunden mit dem Reife der Erkenntnis, der da hart und schwer auf einer Stirne lastet.«

Und als er dies gesprochen, neigte er sein Haupt und harrte ihres Grußes.

Die Königsjungfrau aber stieg herab von ihrem Thron und hob die Hände, lachte, daß von Silberklang ein Glockenreigen durch die Halle tanzte, zog aus ihren Locken drei gewellte Seidenhaare, spannte sie mit weichem Finger übers braune Holz der Geige, daß im 44 Abendwinde sie erklangen, also rein und lieblich, wie der Spielmann nie vernommen eine Liederweise.

Und wie er staunend ob dem Wunder hob sein Haupt und sah der Jungfrau in die dunkeln Augen, da zerfiel um ihn die alte Welt, und eine neue baut er auf mit starken Händen in dem Lichte eines überreichen Glückes.

Und sprach zur Königsjungfrau diese einzigen Worte: »Verloren hatt ich alle Welt und mich und meine Liebe, aber schöner fand ich alles wieder in den Schätzekammern deiner Strahlenaugen.

Und darum, mein ich, ist es wohl bewahrt und aufgehoben dort, und will ichs ruhig lassen unter deiner milden Hände Obhut, aber häufig es besuchen und mich freuen an dem goldnen Schimmer, den darüber deine Sonnengüte streuet.

Und will auch manche Lieder singen auf der Geige, die du neu belebt mit deinen reinen Fingern, aber hüten meine Klänge vor den unberufnen Ohren, die da scheuen meiner dunkeln Saite tiefes Zittern und das Silberlachen höhnen, das von deinen Seidenhaaren hüpft und Reigen tanzet.«

Und leise schritt vorbei am breiten Fenstertor die laue Nacht, und aus den blauen Gründen stieg empor zum Himmelsrund, wie Opferrauch, das selige Geheimnis jungerwachten Frühlings.


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