Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Lionel war fast bis auf den Augenblick ausgeblieben, an welchem Mr. Gironac sich zu Tisch zu setzen gewöhnt war. Unmittelbar nach ihm traf auch mein gütiger Wirth und dann die wohlwollende heitere kleine Madame ein. Eine ziemliche Weile vergieng mit Vorstellungen, Ausrufen, Glückwünschen und Aeußerungen der Bewunderung in einer Weise, die anderen Völkern als Ueberspanntheit erscheint; aber der Leser weiß bereits, daß selbst der lange Aufenthalt in der kalten Hauptstadt Englands den guten Gironacs ihr lebhaftes Wesen nicht hatte benehmen können.

Zum Glück waren meine Freunde in Betreff der Hauptzüge meiner Geschichte so ziemlich au fait, so daß keine ausführlichen Erklärungen nöthig wurden.

Zum noch größeren Glücke aber wartet, gleich der Ebbe und der Fluth, ein Mittagessen auf Niemand, wie ich denn auch in meinem ganzen ereignißreichen Leben nie bemerkte, daß selbst der Gefühlvollste durch die Theilnahme, der Betrübteste durch seinen Gram oder der Glücklichste durch seine Freude gehindert wurde, dem Aufgebot der Tischglocke zu entsprechen oder den Anforderungen des Magens Gehör zu schenken.

Madame schwelgte noch in ihrem Entzücken, daß sie endlich den Bruder de cette chère Valerie willkommen heißen konnte und daß dieser Bruder obendrein ein si bel homme et brave officier, et d'une ressemblance si parfait à la charmante soeur war, als die Mahlzeit angekündigt wurde. Der Fluth von Madames Glück wurde nur durch die Erklärung ihres Gatten Einhalt gethan, daß sie alle, ihn nicht ausgenommen, vor Hunger stürben und daher kein Wort mehr von Sympathieen und Gefühlen gesprochen werden dürfe, bis wir etwas Kernhaftes zu uns genommen hätten, de quoi soutenir l'épuisement des émotions si déchirantes.

Madame lachte, nannte ihn un barbare, un malheureux sans grandeur de l'âme und bemächtigte sich Augusts, um ihn nach dem Speisezimmer zu führen, wo wir – obschon sie mir nachher sagte, sie sei au comble de désespoir, daß sie uns nur ein so alltägliches Mahl zu bieten habe – ein treffliches Diner vorfanden und eine recht angenehme Stunde verbrachten, bis der Kaffee aufgetragen wurde. Weniger zu meinem Vergnügen, desto mehr aber zu meiner Ueberraschung stellte sich jetzt auch Monsieur de Chavannes ein.

Ein verzwickter Zug in Monsieur Gironacs Gesicht und ein schelmisches Blinzeln seines Auges führte mich auf die Annahme, daß das, was für mich ein Gegenstand des Staunens war, meinem ehrenwerthen Hausherrn in einem ganz anderen Lichte erschien, obschon der Graf de Chavannes nie zuvor einen Abendbesuch gemacht hatte und auch meines Wissens auf keinem so vertrauten Fuße zu den Gironacs stand.

Ich war thöricht genug, mich anfangs dadurch ein wenig aus der Fassung bringen zu lassen. Ich zeigte bei seinem Eintreten einige Verlegenheit, die ihm, wie ich später erfuhr, nicht entgieng, obschon er zu viel Bildung besaß, um mich es merken zu lassen, und dann machte ich die Sache dadurch noch schlimmer, daß ich durch Madame Gironacs Blicke und durch ihr Lächeln über mein verwirrtes Erröthen gereizt, meinen Stolz zu Hilfe nahm – eine Albernheit, die gewiß nicht dazu beitrug, die Heiterkeit des Abends zu erhöhen. Indeß muß ich gestehen, daß Nichts gentlemanischer und in besserem Geschmack gehalten sein konnte, als das Benehmen des Monsieur de Chavannes, und selbst in meinem Anfall von hauteur und Kälte konnte ich mir es nicht versagen, dies anzuerkennen und das untergeordnete Verhalten anderer, die ich kannte, im Geiste damit zu vergleichen.

Als er erfuhr, daß mein Bruder, den ich viele Jahre nicht gesehen hatte, erst vor Kurzem angekommen war, entfernte er sich nicht sogleich, wie etwa unter ähnlichen Umständen eine halbgebildete Person gethan haben würde, mit einer linkischen Entschuldigung für seinen Besuch, die nur dazu gedient hätte, allen Anwesenden eine noch größere Verlegenheit zu bereiten, und eben so wenig ergieng er sich in schwunghaften Reden oder thörichten Complimenten über einen Gegenstand, der doch für eine solche Spielerei zu ernst war.

Er behelligte mich nicht mit Aufmerksamkeiten, die mir, wie er wohl bemerkte, in diesem Augenblick zuwider waren; dagegen aber ließ er unverholen seinen Wunsch blicken, August näher kennen zu lernen, und behandelte ihn als einen Militär trotz seines eigenen höheren Alters mit einem Grad von Ehrerbietung, welcher dem esprit de corps des jungen Officiers schmeichelte. Dabei legte er eine offene Herzlichkeit an den Tag, die vielleicht ein wenig zu vorschnell hätte erscheinen mögen, wenn sie nicht einem Landsmann in einem fremden Lande gegolten hätte – ein Umstand, der sie jedenfalls vollkommen rechtfertigte.

Während der kurzen Zeit seines Verweilens belebte er die Unterhaltung durch seinen Witz, der durch eine Beimischung von gemüthlicher Phantasie einen eigentümlich originellen und anziehenden Charakter gewann; und mochte es nun von seiner Seite absichtlich sein oder nicht – kurz es gelang ihm trefflich, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft von meiner veränderten, nicht sehr liebenswürdigen Stimmung abzulenken.

Im Laufe der Unterhaltung bot er meinem Bruder allerlei Dienste der Höflichkeit, zum Beispiel die Benutzung seiner Reitpferde und seines Cabriolet an, wie er sich denn auch bereit zeigte, ihn mit einigen Löwen von London bekannt zu machen. Bei dieser Gelegenheit warf er die Bemerkung hin, Monsieur de Chatenœuf solle ja nicht seine Erbietungen als ungehörig betrachten, denn er glaube, wenn man unsere Stammregister genauer untersuche, werde sich wohl eine Art Verwandtschaft zwischen den beiden Familien herausstellen, da in alten Zeiten, als ihre Geschlechter im Einklang mit ihren heimatlichen Provinzen als Verbündete der englischen Plantagenets gegen die französischen Könige aus dem Hause Valois stritten, mehr als eine Zwischenheirath zwischen den de Chavannes und den Chatenœufs aus der Gascogne stattgefunden habe.

Mit Beziehung auf diese Aeußerung fielen einige Worte in Betreff der Merkwürdigkeit des Umstandes, daß es scheine, als ob England mit den Verbindungen dieser Familien etwas zu schaffen habe; ich glaube übrigens nicht, daß die Bemerkung von Monsieur Chavannes ausgieng, und wie dem auch sein mochte, jedenfalls war sie nicht bezeichnend genug, um in irgend einer Weise als anstößig oder verletzend zu erscheinen.

So unangenehm mich auch der Gedanke, dessen ich mich nicht zu entschlagen vermochte, berührte, daß die Gironacs in Folge einer falschen und unzarten Vorstellung von Förderung meines Wohles bemüht seien, einem Verhältniß zwischen mir und dem Grafen Vorschub zu leisten, kann ich doch nicht in Abrede ziehen, daß mir im Ganzen der Abend recht heiter entschwand; und wenn ich schon im Anfang zugestehen mußte, daß Monsieur de Chavannes ein angenehmer, unterhaltender und gebildeter Mann sei, so sah ich mich jetzt auch genöthigt, einzuräumen, daß er mit den ebengenannten Eigenschaften auch einen sehr feinen Geschmack und hohes Zartgefühl verband.

Dennoch muß ich sagen, daß er – oder vielmehr seine Aufmerksamkeit, obschon er mir deren fast keine erwies, mir nicht gefiel, und es gereichte mir ziemlich zur Erleichterung, als er endlich seine Verbeugung machte und sich entfernte.

Bald nachher warf August die Bemerkung hin, daß ich erschöpft zu sein scheine, und Madame Gironac stimmte darin ein, indem sie sagte, es sei auch kein Wunder, wenn die Aufregung, die durch die unerwartete Ankunft eines so innig geliebten Bruders hervorgerufen wurde, zu stark auf meine Nerven gewirkt habe.

August versprach mir, am andern Morgen früh wieder zu kommen, damit wir uns noch weiter über die Vergangenheit und über unsere künftigen Plane unterhalten könnten; dann wünschte er uns sammt Lionel gute Nacht, wobei letzterer noch bemerkte:

»Ich denke, Mademoiselle, es wird am Ort sein, wenn ich morgen früh nach Kew hinunter fahre und dem Richter Selwyn, der immer so gütig gegen mich gewesen ist, meine Aufwartung mache. Habt Ihr mir nichts an ihn aufzutragen?«

»Oh ja. Habt die Güte, ihm zu sagen, daß August gekommen ist; ich lasse ihn daher bitten, mir zu wissen zu thun, wann ich ihm meinen Bruder vorstellen könne.«

»Und die Antwort wird lauten, daß er Euch besuchen wolle, Mademoiselle. Ist es dies, was Ihr wünscht?«

»Ich wünsche nichts, als was ich sage – zu erfahren, wann und wie wir ihm unsere Aufwartung machen können, denn ich müßte mich auf Augusts Herz schlecht verstehen, wenn es ihm nicht darum zu thun wäre, seinen Dank einem Manne auszudrücken, der, mit Ausnahme unserer lieben Freunde hier, der zuverläßigste Vertraute und Beschützer der armen Valerie war. Ihr werdet übrigens finden, daß seit Eurem letzten Besuche die Familie des Richters Selwyn sich vergrößert hat. Sein Sohn überredete meine kleine Freundin Caroline Stanhope seine Gattin zu werden, und sie hält sich zur Zeit bei der Familie des Richters auf.«

Lionel drückte seine Ueberraschung und Freude über diese Kunde aus, obschon es mir für den Augenblick vorkam, als ob letztere ihm nicht sonderlich von Herzen gehe. Allerdings habe ich seitdem Grund für die Annahme gefunden, daß der Ernst, welcher bei jener Aeußerung seine Züge überflog, der Ernst des Nachdenkens, nicht aber, wie ich damals wähnte, der einer getäuschten Hoffnung war.

Außerdem fiel nichts Bemerkenswerthes mehr vor, und nachdem ich Lionel die Hand gedrückt und den lange verlornen Bruder geküßt hatte, blieb ich allein bei den Gironacs zurück, halb einem scherzhaften Vorwurf entgegensehend.

»Ei, Mademoiselle Valerie de Chatenœuf,« begann Monsieur, sobald die Gentlemen uns verlassen hatten, »ist Euch um deswillen, weil Ihr fandet, daß Ihr einen schönen Bruder habt, der Entschluß gekommen, alle andere schöne junge Männer au désespoire zu vertreiben? – oder trägt das sehnliche Verlangen, namentlich diesem pauvre Monsieur de Chavannes das Herz zu brechen, Schuld daran, wenn Ihr uns alle mit einem air si hautain, si hautain behandeltet, daß Ihr Euch nicht kälter hättet zeigen können, und wäret Ihr die Königin von Frankreich selbst gewesen.«

»Ich habe Euch schon früher einmal die Erklärung gegeben, Monsieur Gironac,« versetzte ich, »daß sich Euer Graf de Chavannes keinen Strohhalm darum bekümmert, wie und mit welchem air ich ihn behandle. Und wenn es auch der Fall wäre, so kümmere wenigstens ich mich nicht darum. – Er ist weiter nichts, als ein höflicher, angenehmer Gentleman, der mich ansieht wie jede andere junge Dame, mit welcher er sich etwa gerne unterhält, wenn sie Lust zum sprechen hat, während er sie im gegentheiligen Falle sich selbst überläßt, wie dies jedem Manne von Bildung zusteht. Ich wiederhole es Euch, er liegt mir nicht genug am Herzen, als daß ich nur für einen Augenblick nachdenken möchte, ob er hautain ist oder nicht, und ich bin überzeugt, daß es ihm in Betreff meiner gerade ebenso ergeht.«

»Ei, was führt ihn denn hieher – ihn, der noch nie zuvor einen Abendbesuch bei mir gemacht hat? Um der beaux yeux von Madame willen« – er machte dabei eine neckische Verbeugung gegen seine Frau – »oder wegen meines grand esprit kömmt er schwerlich. Ich habe ein Auge, kann ich Euch sagen, so gut wie andere Leute, und kann sehen un petit peu

»Ich setze hierin keinen Zweifel, Monsieur,« entgegnete ich etwas schnippisch, »denn ich denke, Ihr habt ihn selbst eingeladen. Wenn Ihr dies aber um meinetwillen thatet, so muß ich Euch bitten, mich künftighin mit solchen Beweisen Eures Wohlwollens zu verschonen, denn ich wünsche ihn nicht wieder zu sehen.«

»O Monsieur Gironac, schämt Euch. Ihr habt sie mit Eurem lächerlichen Spaß ernstlich böse gemacht. Sie ist in der That zornig, und es nimmt mich nicht Wunder. Wer hat je davon gehört, daß man ein junges Frauenzimmer mit einem Gentleman neckte, den sie höchstens dreimal gesehen hat und der ihr nie zu erkennen gab, daß er ihr vor anderen einen Vorzug einräumte?«

»Madame,« versetzte ihr Gatte in großem, entweder wirklichem oder verstelltem Zorne, vous êtes une ungrate, – une – une – die Worte fehlen mir, um auszudrücken, was ich von Eurer ungeheuren, lieblosen Undankbarkeit halte. Ich bin homme incompromis, und Mademoiselle hier – Mademoiselle ist entweder une enfant oder weiß selbst nicht, was sie will. Soll ich dem Grafen Chavannes die Thüre weisen, oder soll ich nicht? Nein, ich thu' es nicht, denn wenn sie une enfant ist, so liegt es ihren Freunden ob, für sie zu sorgen, und weiß sie nicht, was sie will, so ist es gut, daß andere Leute den Kopf am rechten Platze haben! – Voilà tout. Dies ist der Grund, warum ich nicht will congédier monsieur le Comte. Nein, lieber würde ich ihn morgen, übermorgen und überübermorgen zum Diner bitten. Und wenn ichs nicht thue, so schwöre ich bei meiner Ehre, foi de Gironac, ich will nie mehr zu Hause düniren.«

Ich konnte mir's nicht versagen, über diese Tirade des wohlmeinenden kleinen Mannes zu lachen. In Folge dieser meiner Heiterkeit pätschelte er mich auf den Kopf, erklärte mich für ein bonne enfant, wenn ich nur nicht si diablement entêtée wäre, und hieß mich zu Bette gehen, um meine üble Laune wegzuschlafen – ein Rath, welcher mir so vernünftig schien, daß ich mich sogleich anschickte, ihm Folge zu leisten. Ich sagte den Beiden freundlich gute Nacht und begab mich auf mein Zimmer, mehr in der Absicht, über die Vorgänge des Tages nachzudenken, als um zu schlafen. Und in der That, ich fühlte, daß ich der Ueberlegung recht sehr bedurfte, denn mit der Ankunft meines Bruders war ein überwältigender Strom von Empfindungen zurückgekehrt, die lange in mir nicht todt gelegen, sondern nur geschlummert hatten. Das Eis, welches eine Folge der Bitterkeit einer bewußten Abhängigkeit war und durch den Stolz einer selbsterrungenen unabhängigen Stellung an Umfang gewonnen hatte, begann in meinem Herzen aufzuthauen und milderen, sanfteren Gefühlen Platz zu machen.

Die Gedanken an die Heimath, die Sehnsucht nach dem Vaterlande, die Liebe zu meinem Erzeuger, der bei all' seiner Schwäche doch stets gütig gegen mich gewesen war, und das Verlangen, meine Brüder und Schwestern wiederzusehen – ja sogar eine Art Mitleid gegen die Mutter, obschon sie sich stets nur stiefmütterlich gegen mich erwiesen – alles Dies lebte mit erneuerter Kraft wieder in mir auf.

Nachgerade machte sich auch die Ueberzeugung in mir geltend, daß ich mich sehr unglücklich fühlen müßte, wann der theure Bruder nach einer so kurzen Wiederaufnahme der alten Liebe und Vertraulichkeit von mir scheiden würde, und es trat mir mit aller Klarheit vor die Seele, was ich in dem Selbstvertrauen der von mir errungenen Stellung je empfunden hatte, – daß es nämlich etwas Trauriges und Einsames sei, als Fremde zu weilen in einem fremden Lande, ohne natürliche Freunde, ohne Verwandte, auf die man sich verlassen konnte in Fällen von Krankheit und Unglück. Und dann, in welchem trüben und ernsten Lichte mußte mir nicht die Zukunft erscheinen, – ein einsames hohes Alter, vielleicht ein verlassenes Sterbebette, fern von der Heimath meiner Jugend und den Freunden meiner Kindheit.

Ein anderer Gedanke reihte sich an das Vorstehende an in Folge jener außerordentlichen und unerklärlichen Kette, welche den ganzen menschlichen Geist durchläuft und Dinge in Verbindung bringt, welche wie die Pole von einander getrennt zu sein scheinen, obschon sie in Wirklichkeit verwandten Urspungs sind – der Gedanke nämlich, warum ich gerade ein einsames Leben führen sollte. Was bewog mich, abgeschieden zu stehen von meinem Geschlecht, nur auf mich selbst zu vertrauen und mich um einer vielleicht doch nur eingebildeten Unabhängigkeit willen aller der theuren Bande im gesellschaftlichen Leben, welche die Familie um uns schlingt, zu berauben?

Möglich, daß schon die Anwesenheit meines Bruders dazu gedient hatte, mir für die Wahrheit, wie es in der Welt keine wahre Unabhängigkeit gebe, das Auge zu öffnen. Um sich diesen so sehnlich begehrten und am wenigsten erreichbaren Besitz zu sichern, muß man, wie Robinson Crusoe, allein auf einer wüsten Insel leben, und ich glaube, daß Niemand diese Art von Unabhängigkeit sehr wünschenswerth finden würde.

Ehe der Schlaf mich überwältigte, begann ich, wie ich glaube, auch über Monsieur de Chavannes Betrachtungen anzustellen, obschon sie sich mit nichts anderem, als damit befaßten, daß weder er sich um mich, noch ich mich um ihn auch nur das Mindeste kümmere, folglich, so weit er in Frage kam, ich keinen Grund hatte, von meinem früher gefaßten Entschlusse, nicht zu heirathen, abzugehen. Dies war vielleicht in Wirklichkeit einer der besten Belege, daß ich mich bereits um ihn kümmerte und dies sich im Lauf der Zeit wohl gar steigern durfte; denn ein Mann, der, beiläufig bemerkt, sich recht gut auf die menschliche Natur verstand, hat sich dahin geäußert, wenn er die Neigung und Liebe eines Frauenzimmers zu gewinnen wünschte, würde er sein erstes Augenmerk darauf hinrichten, daß er sie veranlaßte, an ihn zu denken – wäre es auch im Hasse; nur mit der Gedankenlosigkeit, dieser leeren Fläche, welche eine völlige Gleichgültigkeit bekunde, sei durchaus nichts anzufangen.

Ich glaube in der That, daß man kaum fehl geht, wenn man annimmt, daß ein Mädchen selten oft an einen Mann denkt, wäre es auch, wie sie meint, im Widerwillen, ohne daß sie auf dem Punkte stünde, in ihn verliebt zu werden.

War es wohl mit mir der gleiche Fall?

Wenn auch, jedenfalls war ich damals noch so weit davon entfernt, es zu wissen, daß ich mir deshalb nicht einmal eine Frage vorlegte. Dessen erinnere ich mich übrigens noch, daß mir, als ich eingeschlafen war, träumte, ich stehe mit dem Grafen von Chavannes vor dem Altare; da stürzten auf einmal der ganze Haufen derer, die mich je gekränkt hatten – meine Mutter, Madame d'Albret, Madame Bathurst, die Stanhope und Lady M– – zwischen uns und rissen uns mit Gewalt von einander. Ich weinte darüber so heftig, daß ich in meinem Schmerz erwachte, und es stund lange an, bis ich mich überzeugen konnte, daß es nur ein Traum gewesen war.

Am andern Morgen früh kam August wieder, um mich zu besuchen. Monsieur Gironac hielten seine Unterrichtsstunden im Spielen der Flöte oder der Guitarre fern, und Madame that ungemein geschäftig mit ihren Wachsblumen, so daß wir bis zur Zeit des Lunchs den ganzen Tag für uns hatten. Diese uns gegönnte Frist benützten wir so gut, daß wir, ehe wir unterbrochen wurden, gegenseitig uns wenig Neues mehr aus unserem Leben oder aus den Schicksalen unserer Familienangehörigen zu erzählen hatten. Wäre ich nun schon vorher geneigt gewesen, auf mich stolz zu sein und meine Thatkraft und Charakterfestigkeit im vollen Werthe anzuschlagen, so hätte ich jetzt sicherlich sehr in Gefahr gestanden, durch Augusts Lobeserhebungen vollends verderbt zu werden.

Das einemal halb weinend über meine Nöthen und Drangsalen, das anderemal lachend über Lady R–'s Ungereimtheiten, und dann wieder in heftige Schmähungen ausbrechend gegen meine Feinde, – bestand er darauf, ich sei eine wahre Heldin, das wackerste und trefflichste von allen Mädchen und ihm die theuerste unter allen seinen Schwestern.

Nachdem ich mit meiner Geschichte zu Ende gekommen, was übrigens nicht früher geschah, bis ich ihn über alles Einzelne aus dem Leben unserer Familie ausgeholt hatte, schlang er liebkosend seinen Arm um meinen Leib und sagte:

»Meine kleine Valerie, Du hast mir nun alles erzählt, – von Deinen Leiden, Heimsuchungen und Bedrängnissen, – von Deinen Freuden und Deinen Glücksfällen, – von Deinen schlauen Manövern in den Liebesangelegenheiten anderer Leute und von dem großen kleinen Vermögen, das Du Dir gesammelt hast – auf mein Wort, Du bist ja eigentlich eine Millionärin mit Deinen fünfundzwanzighundert livres de rente; aber nicht ein Wort ließest du mich hören über Deine eigenen kleinen affaires de coeur. Ich fürchte, mein Schwesterchen, Du bist entweder eine sehr große Heuchlerin, oder sehr kaltherzig, – welches von beiden ist das richtige, theuerste Valerie?«

»Ich glaube, die Kaltherzigkeit, Bruder. Wenigstens habe ich durchaus keine affaires de coeur zu berichten. Ich kann nicht sagen, ob die Schuld an mir oder an anderen Leuten liegt; aber so viel ist gewiß, daß noch Niemand in mich verliebt war, wenn's nicht etwa jener garstige Monsieur G– gewesen ist, und mit der gleichen Sicherheit kann ich behaupten, daß mir selbst die Liebe nie Herzweh gemacht hat.«

August sah mir einen Moment ernst in's Gesicht, als wolle er in meinem Herzen lesen; aber ich blickte ihm fest und ruhig in's Auge, bis ich endlich in ein heiteres Lachen ausbrach, dessen ich mich nicht länger erwehren konnte.

»Ich darf Dir also auf's Wort glauben, Schwesterchen?« sagte er endlich, nachdem ihn mein Benehmen einigermaßen überzeugt hatte.

»Auf's Wort, August, bei meiner Ehre,« lautete meine Erwiederung.

»Gut, Valerie; ich denke, ich muß wohl diesem ernsten Gesicht und Deinem ehrlichen Lachen Glauben schenken.«

»Dies wird in der That das Beste sein,« versetzte ich; »denn ich kann Dir die Versicherung geben, daß nie Jemand in mich verliebt war. Auch glaube ich nicht,« fügte ich mit einem Anfluge des alten Stolzes bei, »daß eine de Chatenœuf sich so weit wegwerfen wird, ihr Herz zu verschenken, wenn man es nicht begehrt.«

»Dies ist alles sehr sonderbar,« sagte August. »Und dieser Monsieur Lionel Dempster?«

»Ist ein klein wenig älter als der arme Pierre, den ich zu kneipen pflegte, wenn es mir darum zu thun war, aus dem Bereich der Mutter zu kommen, und betrachtet mich wie eine viel ältere Schwester – ja, fast wie eine Mutter, möchte ich sagen.«

»Warum nicht gar – wie eine Mutter, Valerie!«

»Er hat mir einmal etwas Aehnliches gesagt. Er ist allerdings ein sehr hübscher junger Mann, voll Talent und Geist, so daß Du einen sehr angenehmen Freund in ihm finden wirst – aber ich kann Dir die Versicherung geben, daß dies kein Gatte für mich ist. Viel besser würde er für Sophie oder Elise passen, wenn er je eine davon sehen und Neigung zu ihr gewinnen sollte.«

»Immer für Andere geschäftig, Valerie! Und für Dich selbst – wann wirst Du einmal für Dich selbst denken?«

»Ich meine, ich habe bereits so ziemlich für mich gedacht und auch für mich gehandelt. Sind die fünfundzwanzighundert livres de rente Deinem Gedächtniß schon ganz entschwunden?«

»Aber fünfundzwanzighundert livres de rente sind kein Gatte, Valerie.«

»Ich weiß dies doch nicht so gewiß. Ich denke, ich wollte mir im Nu einen damit gekauft haben,« entgegnete ich lachend, »wenigstens in unserem armen Vaterlande, wo nicht Jedermann, den man in Gesellschaft trifft, über eine Million zu gebieten hat, wie es unter diesen kalten Inselbewohnern der Fall ist.«

»Schwesterchen, es kömmt mir vor, als seiest Du unter diesen Inselbewohnern fast ebenso kalt und ebenso berechnend geworden.«

»Du magst hierin Recht haben,« gab ich ihm zur Antwort, »und um mich dafür zu strafen, schwört Monsieur Gironac darauf, daß ich als eine versauerte alte Jungfer sterben werde.«

»Und was sagst Du dazu?«

»Als alte Jungfer – dies ist sehr wahrscheinlich; aber nicht als eine versauerte. Doch höre, es hält ein Wagen vor der Thüre. Sehen wir, wer es ist.«

Ich sprang auf und eilte nach dem Fenster, wo ich die Selwyn'sche Livree und neben dem Kutschenschlage Lionel en cavalier erkannte.

In einem Nu war der Tritt heruntergelassen, und nun erschien Caroline, die, wie sie sagte, von ihrer Schwiegermutter beauftragt war, mich und August unverweilt in Beschlag zu nehmen und geradenwegs nach Kew zu bringen. Ihr Gatte, sagte sie, und auch der Richter würden Monsieur de Chatenœuf bereits besucht haben, wenn nicht die Gerichtshöfe in voller Thätigkeit wären und sie dermaßen in Anspruch nähmen, daß sie, die Essenszeit ausgenommen, keine einzige freie Stunde im Laufe der vierundzwanzig hätten.

Außerdem, fügte sie bei, sei sie beauftragt, für den nächsten Tag Monsieur und Madame Gironac zu einem Diner nach Kew einzuladen. Was mich und August betreffe, so stehe der Wagen bereit, um uns ohne Zögerung nach dem Landsitz der Familie zu entführen.

»So macht nur, daß wir Euch fortbringen, Valerie,« sagte sie. »Packt so schnell wie möglich auf und nehmt Alles mit, was Ihr braucht, um Euch wenigstens auf eine Woche schön zu machen.«

»Und was sagt ihr zu alledem, Messieurs?« bemerkte ich lachend gegen meinen Bruder und Lionel; denn es ist höchst nöthig, die Frage zuerst an euch Herren der Schöpfung zu richten, wie ihr euch selbst nennt, da ihr in Wirklichkeit um die Hälfte eitler seid und euch fünfmal mehr um eure Toilette kümmert, als wir viel geschmähten Frauen – was sagt ihr zu diesem summarischen Aufpacken und Davonfliegen – kann man fertig werden?«

»Es ist bereits Alles im Reinen,« versetzte Lionel, »insofern ich wenigstens für mich und für Monsieur August de Chatenœuf obendrein versprochen habe, die Aufsicht zu führen über die Beschickung unseres Gepäcks und es in einem Cabriolet nachzubringen, während Ihr mit Eurem Bruder gemächlich in des Richters ehrwürdiger Kutsche weiter rollt.«

»So hätte also dies seine Richtigkeit,« sagte ich, »und ich will euch nicht über zehn Minuten aufhalten. Inzwischen kommt auch Madame Gironac, die ich heraufsenden will, und Ihr mögt dann Euren Auftrag selbst an sie richten.«

Und ohne auf eine Antwort zu warten, eilte ich aus dem Zimmer, um meine Reisetoilette in Stand zu setzen und soviel zusammenzupacken, als mir für einen achttägigen Besuch bei guten Freunden nöthig schien.

Mittlerweile hatte Madame Gironac, die immer ein Liebling Carolinens gewesen, meine Stelle eingenommen, und aus der Heiterkeit, die bis zu mir herauftönte, konnte ich schließen, daß die Gesellschaft durch diesen Tausch durchaus nicht in Nachtheil gekommen war.

Noch ehe ich meine Vorbereitungen beendigt hatte, hörte ich einen kräftigen Doppelschlag an der Hausthüre, und ein paar Minuten später konnte ich die Fußtritte eines Mannes unterscheiden, der die Treppe herauf und nach dem Speisezimmer gieng.

Mein Gemach lag an der Hinterseite des Hauses, so daß ich nicht selbst sehen konnte, wer der neue Ankömmling war, und ebensowenig mochte ich Fragen an das Dienstmädchen stellen, das geschäftig mit den Koffern und den zahllosen Reiseschachteln ein und ausgieng.

So brachte ich denn meine Toilette zum Schluß – ich gestehe es, mit einem Herzen, das etwas schneller als gewöhnlich klopfte, obschon ich mir in der That keinen Grund dafür anzugeben wußte. Nachdem ich, vielleicht ein wenig coquettisch, meinen Hut aufgesetzt und meinen Shawl umgeworfen hatte, gieng ich halb ungeduldig, halb verlegen, aber doch in der vollen Ueberzeugung die Treppe hinunter, daß ich wohl Niemand besonders treffen werde.

Bei meinem Eintritt war die ganze Gesellschaft um den Lunchtisch versammelt und emsig mit den Côtelettes à la Maintenon und grünen Erbsen beschäftigt. Unter den Anwesenden befand sich auch Monsieur le comte de Chavannes, den ich sicherlich nicht zu sehen erwartet hatte.

Wie ich in das Zimmer trat, stand er sogleich auf, näherte sich mir mit einer anmuthigen Verbeugung um ein paar Schritte und theilte mir in wenigen gewählten Worten mit, daß er gekommen sei, um Monsieur de Chatenœuf zur Betheiligung an einer promenade à cheval einzuladen, damit er die Parke und sonstigen Schönheiten von London sehen könne.

Er sprach dies mit der größten Freimütigkeit und ohne alle Ziererei, so daß weder in den Worten, noch in der Art, wie er sie vortrug, irgend etwas lag, um mein wiederholtes Erröthen und die Verwirrung zu rechtfertigen, welche mich für den Augenblick fast unfähig machte, ihm zu antworten.

Man muß übrigens nicht vergessen, daß ich letzter Zeit um seinetwillen von Monsieur Gironac viel geneckt worden war, und es konnte mir nicht wohl entgehen, daß seine ungemeine Dienstfertigkeit gegen August nothwendig einem mächtigeren Beweggrunde, als dem der bloßen Höflichkeit gegen einen Landsmann zugeschrieben werden mußte.

Meine Verwirrung hatte für ein paar Momente bei dem Grafen eine ähnliche Verlegenheit zur Folge, und das Blut stieg ihm bis zur Stirne. Zu gleicher Zeit begegneten sich unsere Blicke, und wie flüchtig auch dieses Zusammentreffen war, nahm doch von diesem Moment an eine Art geheimen Verständnisses zwischen uns seinen Anfang.

Diese Scene ging in kürzerer Frist vor sich, als ich gebraucht habe, um sie zu beschreiben, und da ich fühlte, wie aller Augen auf uns gerichtet waren, so nahm ich mich instinktartig zusammen, erwiederte einige höfliche Worte des Dankes und begab mich nach der Stelle an den Tisch, welche zwischen Lionel und meinem Bruder für mich aufbewahrt worden war. Die kleine Störung wurde bald vergessen und die Unterhaltung gieng in dem früheren Laufe fort. Ueberhaupt entschwand uns die Zeit recht angenehm, wie es gewöhnlich der Fall ist, wenn vier oder fünf heitere, aufgeweckte Personen unter Umständen zusammentreffen, die eine plötzliche und unerwartete Vertraulichkeit zur Folge haben: jeder wünscht sich den Gefährten der Stunde so angenehm als möglich zu machen, ohne ängstlich nach Effekt zu haschen, wodurch der Verkehr steif, geschraubt oder geziert wird.

Wie ich schon früher andeutete, war Lionel von Natur mit viel Witz und Verstand begabt und hatte die Gelegenheiten zur Ausbildung, die sich ihm in Paris darboten, gut benützt – in einem Grade sogar, daß ich kaum je einen Jüngling von seinem Alter kennen gelernt hatte, der mit ihm zu vergleichen gewesen wäre. Der Graf war gleichfalls ein Mann von hoher Bildung und Begabung, mit einem Anflug von englischem Ernst, der auf den Stamm der französischen Lebhaftigkeit gepfropft war; und mein Bruder August, ein junger, glühender Soldat, voll von dem frohen Muthe der Jugend, von hochstrebenden Hoffnungen und glänzenden Bildern der Zukunft, lebte in hoher Aufregung, veranlaßt durch den Besuch eines fremden Landes und durch die Gesellschaft einer längst für verloren gehaltenen, geliebten Schwester.

Caroline Selwyn entfaltete ihre gewöhnliche Heiterkeit und Madame Gironac erwies sich als eine wahre Mine von Lebhaftigkeit, während ich für meine Thorheit vom vergangenen Abend dadurch Sühne zu leisten bemüht war, daß ich alle meine Kräfte aufbot, um mich angenehm zu machen.

Ich glaube, daß mir dies nicht ganz mißlang, denn so oft ich meine Blicke erhob, durfte ich darauf zählen, die des Monsieur de Chavannes in tiefer, ernster Betrachtung auf mich geheftet zu sehen; und obgleich er sie sogleich wieder abwandte, eh' eine Begegnung stattfinden konnte, so mußte ich doch daraus entnehmen, daß ihm entweder meine Person oder meine Worte Interesse einflößten.

Das Lunch war noch nicht zu Ende, als Monsieur Gironac eintrat, und es wurde nun schließlich verabredet, daß er mit Madame am anderen Nachmittag gleichfalls nach Kew kommen sollte. Ehe wir aufbrachen, drückte Caroline noch die Hoffnung aus, der Graf de Chavannes werde doch seinen Freund Monsieur de Chatenœuf besuchen, so lange er sich auf dem Landsitz des Richters aufhalte. Zugleich entschuldigte sie ihren Gatten und Schwiegervater, die durch die Sitzungen der Gerichtshöfe abgehalten seien, persönlich diese Einladung an ihn ergehen zu lassen; indeß würden sie nicht säumen, nach dem Schlusse derselben ihm ihre Aufwartung zu machen.

Er nahm keinen Anstand, augenblicklich seine Zusage zu geben, und es wurde sofort zwischen ihm, Lionel und August auf den zweiten oder dritten Tag ein Ausritt verabredet.

Nachdem Alles dies bereinigt war, drängte uns Caroline fort, indem sie erklärte, ihre Schwiegermutter werde meinen, daß sie entlaufen sei. Eine kurze, heitere Fahrt brachte uns nach der lieblichen Villa des Richters, wo ich fast wie ein Mitglied der Familie, mein Bruder August aber eher wie ein alter Freund, denn wie ein Fremder aus einem ganz anderen Lande empfangen wurde.

Die Zeit entschwand uns in Lust und Freude, denn es war eben der lieblichste Abschnitt des Frühlings. Schon die Lage des Landhauses an den Ufern der Themse wirkte entzückend, und der englische Mai verhielt sich ganz so, wie ihn die Dichter geschildert haben – daß heißt, wie er alle hundert Jahre eben einmal vorkömmt.

Männiglich wünschte zu erheitern und erheitert zu werden, und die Selwyns gehörten zu jener seltenen Classe von Menschen, die man immer lieber gewinnt, je mehr man sie kennen lernt – gerade das Widerspiel von dem, was man fast durchgängig in der Welt findet. Nichts hätte lieblicher sein können, als die Woche, die wir in ihrer Gesellschaft verbrachten.

Vor dem Richter hatte ich keine Heimlichkeiten. Ich betrachtete ihn fast im Lichte eines zweiten Vaters, und da August ihn wegen seiner Liebe zu mir bereits lieben gelernt hatte, so hielten wir viele lange Besprechungen und Berathungen mit ihm über meine Angelegenheiten und über den Umstand, ob es wohl passend sei, meinen Vater von meinem Vorhandensein in Kenntniß zu setzen.

Da weder der Richter noch August gegen einen derartigen Schritt Einwendungen zu erheben wußten, so wurde beschlossen, daß er zur Ausführung gebracht werden sollte.

Nun handelte sichs aber um die Frage, wie weit die Enthüllung gehen sollte, und ob es thunlich oder überhaupt räthlich für mich sei, in meiner gegenwärtigen Lage jetzt oder vielleicht später nach Frankreich zurückzukehren.

August gab, wie er schon früher wiederholt gethan hatte, seine Ansicht dahin ab, daß meine Mutter ihren Groll gegen mich noch immer im Herzen bewahre und denselben sicherlich auch fortführen werde; es stehe daher zu erwarten, daß sie die erste Gelegenheit benütze, um an mir Rache zu nehmen, sobald ihr diese durch meine Anwesenheit in Frankreich geboten würde.

Er glaube nicht, sagte er, daß mein Vater im Stande sein werde, das Geheimniß, daß ich noch am Leben und in verhältnißmäßig wohlhabenden Umständen sei, lange zu bewahren; auch fühle er sich keineswegs versichert, ob die Mutter nicht am Ende ihr Uebergewicht über ihn wieder gewinne, sobald die glückliche Kunde von dem wahren Sachverhalt einen Umschlag in seinen Gefühlen hervorgebracht habe.

Außerdem wußte er nichts mehr anzugeben, denn als ein junger Franzose, und noch mehr, als ein junger französischer Soldat kannte er die Gesetze Frankreichs und den Umfang der elterlichen Rechte über die Kinder ebensowenig als der Richter Selwyn; indeß theilte er doch mit letzterem die Ansicht, daß es besser sei, wenn ich mich von einem Gerichtsbanne ferne halte, der mich vielleicht der elterlichen Gewalt überlieferte – wenigstens so lange, bis ich unbedingt als meine eigene Herrin betrachtet werden konnte, was wahrscheinlich nur dadurch zu erzielen sei, daß ich die Gewalt über mich an Jemand anders abtrete.

»Denn sei versichert, Valerie,« fügte er bei, »wenn sie sich Deiner Person bemächtigen kann, so bald sie weiß, daß Du noch unter den Lebenden weilest, so wird sie sich's zur Hauptaufgabe ihres Daseins machen, Dich zu quälen und Rache zu nehmen für alle die Leiden, die ihr durch Deinen vermeintlichen Tod verursacht wurden. Der Umstand, daß Du Dir ein kleines Vermögen erworben hast, dürfte schwerlich im Stande sein, sie an der Ausführung eines solchen Vorhabens zu hindern.«

Ich seufzte tief auf, denn obschon ich die Wahrheit aller dieser Vorstellungen fühlte und auch keine anderen von ihm erwarten durfte, schienen doch seine Worte den letzten Funken von Hoffnung in meinem Herzen zu ersticken. Es ist in der That für eine Tochter bitter peinlich, sich sagen zu müssen, daß es ihr wahrscheinlich nie vergönnt sei, die Urheber ihres Daseins und die Schauplätze sammt den Gespielen ihrer Kindheit wieder zu sehen; doppelt schmerzhaft aber wird es, wenn sie fühlt, die Schuld daran liege nur in der Bosheit oder in der Schwäche derjenigen, welche sie so gerne lieben und achten möchte, wenn sie dürfte.

Der gute Richter bemerkte meine Aufregung und sagte, indem er mir liebevoll die Hand auf die Schulter legte:

»Ihr müßt nicht gleich verzagen, meine liebe Valerie. Euer Handeln ist bisher recht und ehrenhaft gewesen, und der Weg, den Ihr eingeschlagen habt, ist Euch aufgedrungen worden. Es wäre daher nicht nur Wahnsinn, sondern sogar schnöder Undank gegen den Geber alles Guten, wenn Ihr jetzt muthlos werden und in die Heimath zurückkehren wolltet, um Euch daselbst quälen und der kleinen Habe berauben zu lassen, die ihr Euch durch Euren Verstand und durch Euer wackeres Benehmen gesammelt habt – denn außer dem Verstand und einem sittenreichen Betragen gibt es nichts in der Welt, was dem Menschen so gut zu statten käme, als ein hübsches Vermögen. Mein Rath ist daher: laßt der Sache ihren Gang, macht fort auf der Bahn, die Ihr gewählt habt, und thut selbst keinen Schritt, um über Eure Verhältnisse Aufklärung zu geben, sondern ermächtigt Euren Bruder, Eurem Vater so viel davon zu enthüllen, als ihm an Ort und Stelle räthlich und wünschenswerth erscheint. Es dürfte sogar passend sein, wenn Euer Aufenthalt und Eure Verhältnisse vorderhand wenigstens ein Geheimniß für ihn bleiben, und sollte er Euch zu schreiben wünschen, so kann ja Euer Bruder die Briefe unter Couvert mir zusenden, so daß kein Postamt Auskunft zu geben im Stande ist. Das Uebrige müssen wir der Zeit und der Vorsehung überlassen, die bereits Euch so wunderbar geführt hat und diejenigen nie verläßt, welche in demüthigem Glauben aufrichtig bemüht sind, nach Gottes Wohlgefallen zu leben. Da habt Ihr also,« fügte er mit einem Lächeln bei, »in Bausch und Bogen den Rath eines alten Rechtsgelehrten und die Predigt eines alten Mannes. Ueberlegt Euch, was ich gesagt habe. Ich glaube, Ihr werdet keinen besseren Weg einschlagen können, obschon er vielleicht nicht recht zu Euren aufgeregten Gefühlen passen will; mittlerweile aber wollen wir in den Hof hinunter gehen und uns den Frauenzimmern anschließen, die irgend einen neuen Anziehungsgegenstand aufgefunden zu haben scheinen.«

»In der That, Richter,« lautete meine Entgegnung, »ich bin vollkommen überzeugt von der Weisheit Eurer Vorschläge und danke Euch aufrichtig für Euren Rath sowohl, als für alle die Güte, die Ihr mir erwiesen habt. Ein Vater hätte nicht wohlwollender sein können gegen eine einzige Tochter, als Ihr gegen mich gewesen seid, und Gott möge Euch dafür segnen. Um übrigens die Wahrheit zu sagen – ich fühle mich in diesem Augenblicke sehr betrübt und niedergeschlagen, so daß ich nicht im Stande bin, an einer heiteren Gesellschaft theilzunehmen. Ich will für eine Weile auf mein Zimmer gehen,« fügte ich bei, »und wieder herunterkommen, sobald ich diese thörichte Schwäche überwunden habe.«

»Nennt sie nicht thöricht, Valerie,« versetzte der alte Mann mit einem wohlwollenden Lächeln. »Nichts, was in der Natur liegt, verdient diese Bezeichnung, am allerwenigsten das so natürliche Gefühl eines Zuges nach der Heimath und den Angehörigen hin. Aber Ihr dürft ihm nicht nachgeben – dürft ihm ja nicht nachgeben. Die Gefühle sind gute Sclaven, aber gar schlechte Herren. Handelt nach Eurem Gutdünken, mein liebes Kind, aber kommt uns nach, sobald Ihr es vermögt. Mittlerweile wollen wir hinunter gehen, Monsieur de Chatenœuf, und sehen, wer diese neue Ankömmlinge sind.«

Und mit diesen Worten wandte er sich der Thüre zu, indem er sich vertraulich auf meines Bruders Arm stützte. So blieb ich denn allein, um mich zu sammeln und so viel wie möglich die Aufregung meines Innern zu bewältigen – eine Aufgabe, die vielleicht dadurch nichts weniger als beschleunigt wurde, daß ich in dem neuen Gast ohne Mühe den Grafen de Chavannes erkannt hatte.

Ich bin vielleicht allzu umständlich auf eine Zergliederung meiner Gefühle in dieser Periode meines Lebens eingegangen, habe jedoch dafür zwei Gründe – einmal, weil dies der bedeutsamste Moment in meiner ereignisreichen Geschichte war, und dann, weil mir, nachdem ich bisher hauptsächlich Thatsachen und Handlungen berichtet habe, mein Bewußtsein sagt, ich dürfte dem Leser wohl in einem härteren und weltlicheren Lichte erscheinen, als mir in Wirklichkeit zur Last gelegt werden kann. Wenn übrigens auch Härte und weltlicher Sinn vorhanden war, so wurde erstere durch die Härte der Umstände erzeugt, in die ich mich versetzt sah, und letzterer war eine notwendige Folge davon, daß ich fast unablässig mit so weltlichen Personen in Berührung stand.

Die Widerwärtigkeiten hatten meinen Charakter und vielleicht einigermaßen auch mein Herz gestählt. Mein Stolz wenigstens war dadurch auf die Spitze getrieben worden; ich hatte mich in eine Art Vertheidigungszustand gesetzt, der mich jede fremde Person beargwöhnen und in ihr einen künftigen Feind erblicken ließ.

Mit der Besserung meiner Verhältnisse war jedoch alles dies anders geworden. Alle, die meine Feinde gewesen, die mich gekränkt oder falsch beurtheilt hatten, waren jetzt entwaffnet, gedemüthigt oder reuig; ich hatte der ganzen Welt vergeben und lebte mit ihr im Frieden. Soviel ich zum Leben brauchte, besaß ich; auch wurde ich von Personen geliebt und geachtet, deren Liebe und Achtung ich erwiedern konnte und auf deren Freundschaft ich stolz sein durfte. Ich hatte meinen Bruder wieder gefunden – hoffte noch immer auf Versöhnung mit meinen Eltern – und – und – warum soll ich's verhehlen? – begann auch zu denken, es sei doch wohl möglich, daß ich eines Tages heirathen würde. Mit einem Worte, wenn ich auch noch nicht liebte, war mir doch der Gedanke daran nicht mehr zuwider.

Alle diese Dinge hatten allmählich eine Veränderung in meinen Gedanken und Gefühlen hervorgebracht. Nach dem stufenweise eingetretenen Thauwetter war ich nun ganz zerschmolzen, so daß ich die Nothwendigkeit fühlte, allein zu sein, um meinem Herzen durch Thränen Luft machen zu können.

Ich gieng nach meinem Gemach, warf mich auf mein Bett und ließ geraume Zeit meinen Thränen freien Lauf.

Es waren jedoch keine Schmerzensthränen, wie damals, als ich von Madame d'Albrets grausamen Benehmen gegen mich Kunde erhielt – keine Thränen des beleidigten Stolzes, wie Madame Bathurst sie mir erpreßte, durch den Versuch, mich in meinen eigenen Augen zu demüthigen – keine Thränen zorniger Entrüstung, wie sie mir entströmten, als ich Lady M–'s schändlichen Plan entdeckte, meinen guten Ruf zu vernichten.

Nein, es war der warme Thau eines weichen Herzens – ich möchte fast sagen ein Ueberquellen der inneren Freude. Sie flossen mild und geräuschlos, dem überfüllten Herzen Erleichterung bringend. Und als ich diese Erleichterung fühlte, wusch ich mein Gesicht, ordnete mein Haar und stieg fast fröhlich die Treppe hinunter, um mich der heitern Gesellschaft im Garten anzuschließen.

Wie ich unten anlangte, fand ich, daß der Graf sich nicht nur bei Carolinen und ihren jungen Schwägerinnen, sondern auch bei Mr. Selwyn und dem Richter bereits sehr in Gunst gesetzt hatte.

Er war, wie er sagte, in der Absicht nach Kew gekommen, Lionel und meinen Bruder auf den andernächsten Tag zu einer Partie nach Wormwood Scrubs einzuladen, wo zu Ehren irgend eines fremden Fürsten eine Truppenmusterung nebst einem Manöver von zwei oder drei Regimentern leichter Reiterei, an welchem auch die reitende Artillerie und das Corps der Feuerwerker mitzuwirken hatte, stattfinden sollte. Zum Schluß war ein Scheingefecht beantragt, und Monsieur de Chavannes meinte, ein solches Schauspiel werde wohl Interesse haben für einen Officier, der – wenn er auch jetzt unter der Linie stand – doch den Dienst unter den Husaren begonnen hatte.

Der Plan für diesen Ausflug wurde eines weiteren besprochen, bis endlich auch die Damen lachend den Wunsch ausdrückten, das Spektakel mit anzusehen, und es fand nun die Uebereinkunft statt, Caroline, die beiden Miß Selwyn und ich sollten im Geleite von Lionel, dem der Bedientensitz zufiel, in dem Wagen des Richters zu der Revue fahren, August und der Graf aber sich uns en cavalier anschließen; nach Beendigung des Manövers sollte übrigens die ganze Gesellschaft, den Grafen nicht ausgenommen, sich ein Diner in Kew belieben lassen.

Da ich es weder für klug, noch für recht hielt, meine Zöglinge, meine Kapelle oder Mrs. Bradshaws Schule zu vernachläßigen, obschon ich den Urlaub einer Woche mit hinreichenden Gründen hätte rechtfertigen können, so wurde die Uebereinkunft getroffen, daß wir an dem Tage nach dem Manöver wieder nach der Stadt zurückkehren sollten – ich zu meinen Gironacs und August mit Lionel nach der Wohnung des letzteren in Suffolkstreet.

Nachdem ich mich der Gesellschaft im Garten angeschlossen hatte, verweilte Monsieur de Chavannes nicht mehr lange, weil er bei dem ersten Besuche nicht de trop zu sein oder zu scheinen wünschte; auch fand er, selbst wenn es ihm darum zu thun gewesen wäre, keine Gelegenheit, mehr als einige allgemeine Bemerkungen an mich zu richten. Gleichwohl entgieng mir nicht die Eigenthümlichkeit seines Benehmens gegen mich, denn es zeigte sich nichts darin von jener stolzen Bescheidenheit mit halbem Scherz, halbem Ernst, die er in seiner Unterhaltung mit den übrigen Damen an den Tag legte.

Gegen mich hielt er den Ton eines sanften Ernstes ein; auch schien er mit Begier und Ehrerbietung auf jedes Wort zu achten, das, wie unbedeutend oder zufällig es auch sein mochte, meinen Lippen entglitt.

Mit mir scherzte er nie, obschon er dies ohne Unterlaß gegen die übrigen that; nicht daß er sich auch nur im mindesten förmlich oder pedantisch – noch viel weniger steif oder geziert benommen hätte. Im Gegentheil schien ihm darum zu thun zu sein, mir zu beweisen, daß er nicht zu den gewöhnlichen Schmetterlingen der Gesellschaft gehöre, sondern mit einem höheren Streben sich abgebe, als die gewöhnliche Alltagswelt um uns her.

Als er sich verabschiedete, reichte er mir zum erstenmal à l'anglaise die Hand, und während ich ihm die meinige gab, begegneten sich abermals unsere Blicke. Ich glaube, daß ich dabei wieder ein wenig erröthete. Er senkte zwar sein Auge sogleich, nahm seinen Hut ab und machte eine tiefe Verbeugung, drückte aber sanft meine Finger, eh' er sie los ließ, und wandte sich dann an den Richter und Mr. Selwyn, die uns nachgekommen waren, um von ihnen Abschied zu nehmen. Nachdem er sein Pferd, ein schönes Jagdroß, auf dem er sich bewundernswürdig ausnahm, bestiegen hatte, machte er abermals eine tiefe Verbeugung und trabte von hinnen, während sein gleichfalls berittener Reitknecht ihm folgte.

Wir hatten ihn kaum aus dem Gesichte verloren, als er schon, wie es gewöhnlich zu gehen pflegt, ein Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung geworden war.

»Welch ein angenehmer Mann!« sagte Caroline. »So voll Lebhaftigkeit, und dabei augenscheinlich doch ein Mann von Geist und Gefühl. Wo habt Ihr ihn aufgelesen, Valerie?«

»Wie ich Euch bereits bemerkte, ist er ein Freund von Monsieur Gironac und machte bei diesem zufällig einen Besuch, als er mit August zusammentraf, gegen den er sich seitdem sehr gütig und höflich erwiesen hat. Dies ist Alles, was mir über ihn bekannt ist.«

»Und sehr schön ist er auch,« sagte Caroline. »Seid Ihr nicht dieser Ansicht, Valerie?«

»O ja,« antwortete ich mit der größten Ruhe. »Sehr schön – fast weibisch schön, möchte ich sagen.«

»Nicht im geringsten,« versetzte Caroline – »oder wenn auch, so sprechen doch Geist und Leben in einer Weise aus ihm, daß man alles andere darüber vergessen muß.«

»Caroline,« nahm Mr. Selwyn lachend das Wort, »Du hast nicht das Recht, für die Schönheit, den Geist oder sonstige gute Eigenschaften anderer Männer Augen, Ohren oder Sinn zu haben, denn sieh in mir Deinen Herrn und Meister, der all' dies für Dich in sich vereinigt.«

»Oh, dieses Ungeheuer!« entgegnete sie, gleichfalls mit heiterem Lachen. »Ich habe Dich nie für schön oder geistvoll gehalten, und eben so wenig ließ ich mir's nicht einmal im Traume einfallen, daß Du sonstige gute Eigenschaften besitzest. Du weißts eben so gut wie ich, daß ich Dich nur heirathete, um der Schule und der Tyrannei dieser meiner garstigen Musiklehrerin zu entrinnen. Oh, Ihr dürft mich nicht so grimmig ansehen, denn ich bin jetzt zu groß, um mich in die Ecke stellen zu lassen, und was die Ruthe betrifft, so wird er nicht dulden, daß Ihr mir sie zu kosten gebt.«

»Ich denke, er sollte lieber Dir selbst die Ruthe geben, Kind,« versetzte der Richter, der sie bereits sehr lieb gewonnen hatte, wie sie denn überhaupt in ihrer Art ein recht liebenswürdiges Weibchen war, welches ihren Gatten zu einem sehr glücklichen Manne machte.

»Ei, Richter Selwyn,« nahm jetzt ich das Wort, »erinnert Ihr Euch noch eines Gesprächs zwischen uns, in welchem Ihr Euch bemühtet, mir den Glauben aufzudrängen, daß weder die Männer im Allgemeinen, noch Ihr im Besonderen tyrannisch gegen ihre Frauen und ihre Familien seien, und nun muß ich aus Eurem eigenen Munde hören, daß Ihr Eurem Sohne einen solchen Rath ertheilt! Ach, was kann doch die Mädchen zu einem solchen Wahnsinn verleiten!«

»Wißt Ihr es nicht? Könnt Ihr's nicht errathen, Mademoiselle Valerie?« erwiederte der alte Richter mit einem schlauen Lächeln und einem so leichten Blinzeln mit den Augen, daß es von den andern nicht bemerkt werden konnte; dann fügte er mit gedämpfter Stimme bei: »Vielleicht wird bald auch die Reihe an Euch kommen. Ich denke, es wird nicht mehr lange anstehen, bis Ihr nach Frankreich gehen könnt, ohne von den Verfolgungen Eurer Mutter viel befürchten zu müssen. Kommt,« fuhr er fort, indem er mir seinen Arm anbot, da die übrigen sich ein wenig bei Seite gemacht hatten, »kommt und macht mit mir einen Spaziergang durch das Cederwäldchen, bis das Diner bereit ist. Ich muß noch mit Euch plaudern, denn wer weiß, wenn sich wieder eine so günstige Gelegenheit darbietet.«

Ich nahm ohne Widerstreben seinen Arm, obschon mir das Herz hoch auf klopfte und ich mich sehr unbehaglich fühlte, da ich mir recht gut zum Voraus denken konnte, was er mir zu sagen hatte.

Wir bogen nach dem Cedernwäldchen ein, einem langen schattigen Bosket, das parallel mit den Ufern des herrlichen Stromes hinlief und dessen Spazierwege mit prachtvollen Cedern vom Libanon überhangen waren. Für eine vertrauliche Berathung konnte nicht leicht ein passenderes, stilleres und abgeschiedeneres Plätzchen aufgefunden werden.

»Ihr wißt,« begann der alte Mann in sanftem Tone, ohne mich jedoch anzusehen, weil er wahrscheinlich fürchtete, er könnte mich durch sein Auge in Verlegenheit bringen, »Ihr wißt, daß ich gewissermaßen nicht blos Euer Rechtsfreund, sondern auch Euer selbstgewählter Vormund und Beichtvater bin – also ohne viele Umschweife, wer ist er, Valerie?«

»Ich will nicht die Ziererei begehen, zu thun, als wüßte ich nicht, wen Ihr meint, obschon ich Euch mein Wort darauf geben kann, daß Eure Vermuthung ganz und gar irrthümlich ist.«

»Euer Wort – und meine Vermuthung ganz und gar irrthümlich? Ich denke, nein – nein, gewiß nicht.«

»Oh, doch. Ich habe ihn nicht über viermal gesehen und noch keine fünfzig Worte mit ihm gesprochen.«

»Thut nichts, thut nichts – wer ist er?«

»Ein Bekannter von Monsieur Gironac, Monsieur le comte de Chavannes. Sein Vater wanderte während der Revolution nach England aus, machte Handelsgeschäfte und erwarb sich dadurch ein Vermögen von ungefähr vierzigtausend Pfunden. Mit der Restauration kehrte der alte Graf nach Frankreich zurück, wurde von Ludwig XVIII. zu einem Obristen der Ehrenlegion ernannt und starb bald nachher. Ein Gut der Familie liegt, glaube ich, in der Bretagne; aber Monsieur de Chavannes, der in England seine Schulen durchmachte und seine Jugend hier verbrachte, ist mehr Engländer als Franzose und besucht Frankreich nicht häufig. Dies ist alles, was ich von ihm weiß und was ich nur zufällig erfuhr, da mich Monsieur Gironac in seiner lebhaften Weise von Dingen unterrichtete, nach denen zu fragen mir nicht im Traum eingefallen wäre.«

»In der That, ganz in der Ordnung – und so weit sehr gut; aber ehe man eine Person zum Manne nimmt, möchte man doch etwas Bestimmtes über dieselbe wissen.«

»Ich glaube dies auch, Richter; doch da ich nicht in dem Falle bin, ihn zum Manne zu nehmen, so genügt mir das vollkommen, was ich bereits von ihm weiß.«

»Und was wißt Ihr – von Euch selbst, meine ich – aus eigener Anschauung? In einem solchen Falle ists nicht mit dem Hörensagen gethan.«

»Nicht weiter, als daß er lebhaft und angenehm ist, daß er sehr gebildete Manieren hat und daß er sehr gutmüthig zu sein scheint – wenigstens hat er sich so gegen den armen Burschen, meinen August erwiesen.«

»Ja wohl, der arme Bursche,« versetzte der Richter. »Aber die jungen Männer sind gerne gutmüthig und zuvorkommend gegen arme Bursche mit hübschen Schwestern, in welche sie verliebt sind.«

»Meint Ihr, Richter? Doch um Euch in Eurer eigenen Phraseologie zu antworten – dieser Fall muß beanstandet werden. Wenn ich auch zugeben will, daß Augusts Schwester hübsch ist – denn ich mag die Bescheidenheit nicht so weit treiben, um Euch zu widersprechen – so fällt es Monsieur de Chavannes nicht ein, in mich verliebt zu sein.«

»Möglich.«

»Nicht nur möglich, sondern gewiß.«

»Nun, meinetwegen – sei es darum. Was wißt Ihr außerdem von ihm?«

»Nichts, Richter Selwyn.«

»Nichts von seinem Charakter, von seinen Grundsätzen, von seiner Moral oder von seinen Gewohnheiten?«

»In der That, Richter, wenn man Euch hört, sollte man meinen, ich wolle einen Bedienten dingen; hiezu bin ich jedenfalls zu arm, und außerdem hat sich Monsieur de Chavannes nicht um einen solchen Platz bei mir beworben. Was ums Himmels willen gehen mich die Grundsätze oder der Charakter des jungen Gentleman an? Ich kenne ihn blos als eine sehr anständige Person, eben so weit entfernt vom Laffen, als von dem Pedanten, und dies ist jedenfalls eine angenehme Erscheinung in unsern Tagen.«

»Auch als einen sehr schönen Mann, wie Caroline sagt – meint Ihr nicht?«

»O ja; er ist schön,« versetzte ich. »Aber was hat dies mit der Frage zu schaffen?«

»Allerdings nicht viel,« entgegnete der Richter trocken. »Und dies ist Alles, was Ihr wißt?«

»Oder was ich zu wissen wünsche. Es reicht vollkommen zu für das, was man von einer einige Tage alten Bekanntschaft verlangen kann.«

»Nun, gut,« erwiederte er mit einem leichten Kopfschütteln. »Gut. Er ist also alles, was Ihr sagt. Ein sehr gebildeter junger Mann scheint er zu sein. Er gefällt mir. Gut; ich will mich eines Weiteren erkundigen.«

»Um meinetwillen nicht, wenn ich bitten darf, Richter Selwyn,« unterbrach ich ihn hastig.

»Mademoiselle Valerie de Chatenœuf,« versetzte er trocken und halb scherzend, »mein Kopf ist schon alt und der Eurige noch sehr jung. Ich weiß wohl, daß junges Volk sich gerne mit der Ansicht trägt, daß das Alter zu nichts nütze sei.«

»Bei mir ist dies sicherlich nicht der Fall,« unterbrach ich ihn abermals. »Gewiß nicht.«

»Und bei mir auch nicht, Valerie,« entgegnete er, seinerseits mir mit einem gutmüthigen Lächeln ins Wort fallend. »So laßt mich denn in dieser Sache meinen Weg gehen. Zu Eurer Beruhigung, meine Liebe, mögt Ihr mir übrigens die Bemerkung erlauben, daß ich selbst zwei Töchter und außer Charles, der alt genug ist, um für sich selbst zu sorgen, noch einen jungen Sohn habe. Es kann mir Vergnügen gewähren, in meinem Hause einen jungen Mann zum Diner zu bitten, der, wie Ihr sagt, sehr gebildete Manieren besitzt und weder ein Narr noch ein Zierbengel ist, daraus folgt aber noch nicht, daß ich ihm gestatte, sich zu einem habitué – wie Ihr es nennt – zu machen, eh' ich etwas von seinem Charakter und von seinen Grundsätzen weiß. Doch die Toilettenglocke hat bereits geläutet, und da Ihr wohl eine halbe Stunde dazu brauchen werdet, um Eure kleine Person recht schön zu machen, so rathe ich Euch, Eure Zeit bestens zu benützen. Jedenfalls, Valerie, haltet fest an Eurem Entschlusse – heirathet nie – um keine Welt, meine Liebe; denn alle Männer sind Tyrannen.«

Man kann sich denken, daß ich von dieser Verabschiedung bereitwillig Gebrauch machte. Ich eilte so schnell ich konnte über den Hof, hoch erfreut, der weitsehenden Erfahrung des schlauen alten Rechtsgelehrten entronnen zu sein.

»Er hat es also gesehen,« sagte ich zu mir selber. »Er hat es bemerkt sogar in dieser kurzen Frist, in dieser einzigen Begegnung, und hat es gedeutet, wie ich es deutete. Ich möchte nur wissen, ob er auch in meinem Herzen gelesen hat. Nein, nein,« fuhr ich in meinem Selbstgespräch fort, »dies ist unmöglich, denn ich weiß ja selbst nicht, was ich daraus machen soll.«

Wie wenig dachte ich damals, daß, wenn unsere Gefühle tief betheiligt, oder heftige Leidenschaften in Thätigkeit, ja wohl auch nur erst im Entstehen sind, wir selbst am allerwenigsten die Fähigkeit besitzen, unsere Geheimnisse zu entdecken, obschon sie, der Himmel weiß es, für Jedermann sonst augenfällig genug sind.

Ich weiß nicht und fragte auch nicht danach, ob der Richter seine Nachforschungen in Betreff des Grafen de Chavannes seinem Vorhaben gemäß verfolgte. Wie dem nun sein mag, das Ergebniß derselben blieb mir unbekannt. Nur so viel weiß ich, daß am andern Morgen der junge Gentleman am Thore hielt und ein lediges Pferd für meinen Bruder mitbrachte. Er fragte nicht, ob wir zu Hause seien, sondern ließ blos den Damen sein Compliment melden und Monsieur de Chatenœuf bitten, ihn auf einem Spazierritt zu begleiten.

Lionel hatte sich in Geschäftsangelegenheiten nach der City begeben. August ritt also mit dem Grafen allein aus und kehrte erst mit Einbruch der Dunkelheit wieder zurück, so daß er kaum noch Zeit fand, sich zum Diner umzukleiden, während Monsieur de Chavannes nicht einmal vom Pferde stieg, sondern blos um Entschuldigung bitten ließ, daß er meinen Bruder so lange aufgehalten habe.

Ich muß gestehen, daß mich dieses Benehmen mehr freute, als wenn er sich im Hause wieder vorgestellt hätte, obschon es mir durchaus nicht unangenehm gewesen wäre, ihn zu sehen; denn ich erkannte darin einen Beweis von etwas mehr als bloßem Takt – einen Beleg von wirklichem Zartgefühl möchte ich es nennen, das ihn abhielt, sich der Gastfreundlichkeit der Selwyne oder meinen Gefühlen aufzudrängen.

August war nach seiner Rückkehr ungemein aufgeräumt und wußte während der ganzen Mahlzeit die gefälligen liebenswürdigen Eigenschaften des Grafen nicht genug zu loben; er habe ihn bereits sehr lieb gewonnen, sagte er, mehr als je eine Person, die er nur so kurze Zeit gesehen, denn es gebe nicht leicht einen wackereren und geistvolleren Mann. Mit einem Worte, er schilderte ihn ganz so, wie sich der Mann einen Freund, oder das Mädchen einen Liebhaber wünschen würde.

»Ei der Tausend!« sagte der Richter über diese Tirade lachend, »diesem schönen Grafen mit seinem schwarzen Schnurrbart scheint wenigstens eine Eroberung gewaltig schnell gelungen zu sein. Ich hoffe, er verschont uns mit seiner Gesellschaft, sonst müssen wir am Ende noch mehr Entführungen erleben« – dies mit einem schlauen Blick auf Caroline. »Mademoiselle Valerie da,« fuhr er fort, »ist ohnehin eine Person, die ihre Hände gerne in solche Angelegenheiten steckt. Aber ich will Acht haben, daß es nicht von meinem Hause aus geschieht.«

Die Mahlzeit entschwand unter großer Heiterkeit. Nach dem Diner wurde musicirt, und der Richter war eben im Begriff mich zum Vortrag eines Liedes aufzufordern, als Lionels Diener ins Zimmer trat. Er war von London hergeeilt, um seinen Gebieter aufzusuchen, weil ein großes Paket Briefe mit der Aufschrift »höchst pressant« von Paris eingelaufen war.

Dieser Vorfall wirkte störend auf die ganze Gesellschaft und versetzte uns in der That für den Abend in eine sehr trübe Stimmung, denn das wichtigste Schreiben gieng von dem Commandanten der Hauptstadt aus, zu deren Garnison meines Bruder Regiment gehörte. Der Commandant von Paris benachrichtigte ihn, daß es ihm Leid thue, seinen Urlaub widerrufen zu müssen; aber es stehe eine émeute in Aussicht, und man erwarte daher, daß Lieutenant de Chatenœuf sich unfehlbar vor dem dritten Juni im Hauptquartier einfinden werde. Es war nicht daran zu denken, einen solchen Befehl zu vernachläßigen oder ihm den Gehorsam zu verweigern, so daß also mein Bruder sich höchstens noch eine Woche in London aufhalten durfte.

Dies war ein kalter Streich für das Glück des Wiederbeisammenseins, dessen wir uns nur so kurze Zeit hatten erfreuen dürfen. Wir trösteten uns jedoch mit dem Gedanken, daß die Meerenge zwischen Dover und Calais nicht das stille Weltmeer war und Paris keine tausend Stunden von London entfernt lag.


 << zurück weiter >>