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Achtzehntes Kapitel.

An einem schönen Abend hörte Agnese vor ihrer Türe ein Fuhrwerk stillhalten. – »Sie ist's! Kein andrer!« – Sie war's wirklich, die gute Witwe an ihrer Seite; Empfang und Grüße überlassen wir auch hier der Einbildungskraft unserer Leser.

Am folgenden Morgen stellte sich Renzo, ohne von der Ankunft etwas zu ahnen, beizeiten ein und hatte keine andre Absicht, als sich über Luciens langes Ausbleiben mit einigen tüchtigen Floskeln der ärgerlichen Ungeduld gegen Agnesen auszulassen. Die Luftsprünge, die er machte, da er die Angekommene plötzlich vor sich sah, die Worte, die er sprach oder sprechen wollte, finden in diesem Kapitel gleichfalls keinen Raum. Luciens Äußerungen gegen ihn aber können in wenigen Worten mitgeteilt werden. – »Sei gegrüßt; wie geht's?« fragte sie mit gesenkten Blicken, ohne ihre Stellung zu verändern. – Glaube man nicht, daß Renzo diese Art der Begegnung zu trocken und sich dadurch etwa beleidigt fand. Er nahm die Sache ganz vernünftig, wie sie genommen werden mußte; und wie in den gebildeten Ständen die Menschen von allen Höflichkeiten den gehörigen Abzug zu machen verstehen, sah er sehr wohl ein, welch ein Nebenbegriff sich aus diesen Worten entnehmen ließ. Übrigens konnte er sehr leicht merken, daß seine Lucia zwei Regeln des Benehmens vor Augen hatte, die eine für den Bräutigam, die andre für alle Leute, mit welchen sie sonst in Bekanntschaft stand.

»Mir geht's gut, wenn ich dich sehe,« antwortete der Jüngling mit einer Redensart, die nach gedruckten Büchern schmeckte, die er selbst aber in diesem Augenblick erfunden haben würde.

»Unser armer Pater Cristoforo!« sagte Lucia, »bete für seine Seele, Renzo; obgleich wir so gut wie sicher sein können, daß er in diesem Augenblick schon für uns dort oben betet.«

»Ich hab's gefürchtet,« sagte Renzo, »nur zu sehr hab' ich's gefürchtet.« – Und das war nicht die einzige Saite, welche in diesem Gespräch mit traurigem Tone sich hören ließ. Indessen, welchen Gegenstand es auch immer betraf, so war dennoch das Gespräch eine Lust, ein Balsam für seine harrende Ungeduld. Wie die ungebärdigen Rosse, welche, den Kopf zurückdrehend und sich aufschwingend, bald den einen, bald den andern Fuß in die Höhe heben und auf dieselbe Stelle wieder aufsetzen, tausend Bewegungen machen, ehe sie einen Schritt tun, dann aber mit einem Zug in Galopp geraten und vom Winde gleichsam getragen werden, so machte es die Zeit mit unsrem Renzo; früher dünkten ihn die Minuten Stunden, jetzt wurden die Stunden zu Minuten.

Die Witwe machte nicht bloß in dem geselligen Kreise keine Störung, sie paßte sogar ganz vortrefflich hinein. Als Renzo sie im Hospital auf dem Bette liegen sah, hätte er nimmermehr erraten, daß sie eine so umgängliche und fröhliche Laune besaß. Aber ein Hospital und eine Spazierfahrt, der Tod und eine Hochzeit sind freilich ganz verschiedene Dinge. Mit Agnesen ging sie im Augenblick Freundschaft ein; sie mit Lucien zu sehen, war eine Freude; zärtlich und scherzhaft zugleich hechelte sie das Mädchen lustig durch, übertrieb aber ihre Stichelreden nicht und ließ den freundschaftlichen Spott bloß ihre Bewegungen und ihre Worte beleben.

Renzo sagte endlich, er gehe zu Don Abbondio, um mit ihm sich über die Vermählung zu verabreden. Er tat's auch sogleich. – »Herr Pfarrer,« sagte er mit der Miene scherzender Ehrerbietung, »hat sich wohl endlich der Kopfschmerz, um dessentwillen Sie uns nicht trauen konnten, bei Ihnen verloren? Jetzt ist's Zeit, die Braut ist da, und ich stehe hier vor Ihnen, um zu hören, wann's Ihnen gelegen ist; aber diesmal möcht' ich Sie denn doch bitten, die Sache ein bißchen rasch abzumachen.«

Don Abbondio ließ es sich nicht gerade merken, daß er nicht wollte; indessen fing er an zu zaudern, brachte verschiedene Entschuldigungen zum Vorschein und suchte sich aus dem Handel zu ziehen. Er sehe nicht ein, gab er zu verstehen, warum Renzo sich so vor die Scheibe hinstelle und bei der Acht auf dem Kopfe seinen Namen mit Gewalt auf neuen Verordnungen lesen wolle; die Sache könnte ebensogut wo anders geschehen; kurz, einem Don Abbondio fehlte es in Sachen der Furcht an Ausflüchten nicht so leicht.

»Versteh,« sagte Renzo. »'s ist noch immer was von dem Kopfschmerz bei Ihnen zurückgeblieben. Aber hören Sie, Herr Pfarrer.« – Und nun beschrieb er ihm den Zustand, in welchem er den armen Don Rodrigo gesehen. – »Seine Stunde,« schloß er, »hat in diesem Augenblick sicherlich schon geschlagen; wir wollen hoffen, daß der Herr in seiner Barmherzigkeit ihn gnädig zu sich genommen hat, Herr Pfarrer.«

»Das hat hiermit nichts zu schaffen,« erwiderte Don Abbondio. »Hab' ich's Euch denn etwa abgeschlagen? Ich sage nicht nein; ich spreche ... ich spreche aus guten Gründen. Übrigens bedenkt, solange der Mensch noch einen Atemzug tut ... Seht mich an, ich bin ein hinfälliger alter Mann, bin auch schon mehr jenseits als hier auf Erden gewesen, und jetzo steh' ich aufrecht, und ... wenn mir dergleichen schlimme Geschichten nicht auf den Hals kommen, genug, so kann ich hoffen, noch ein paar Jahre mich bei warmem Blute zu erhalten. Nun stellt Euch gewisse starke Naturen vor ... Aber, wie gesagt, das hat hiermit nicht das geringste zu schaffen.«

Nach einem weiteren Gespräche, welches weder mehr noch weniger entschied, machte Renzo seinen höflichen Kratzfuß, ging zu seiner Gesellschaft zurück und stattete Bericht ab. – »Ich bin weggegangen,« sagte er, »weil ich das Herz voll hatte, und mocht' es nicht darauf ankommen lassen, die Geduld zu verlieren und in ein böses Wort auszubrechen. Bei manchen Worten sah er ganz wie der alte aus; ganz dieselbe Hasenfüßigkeit, dieselben ungewaschenen Ausreden; ich bin gewiß, wenn's noch etliche Minuten länger gedauert hätte, wär' er mir wieder mit ein paar lateinischen Brocken gekommen. Ich merk', daß die Sache sich noch einmal in die Länge ziehen will; besser, wir machen's geradeswegs, wie ich gesagt habe, gehen hin und lassen uns da trauen, wo wir zu leben und zu wohnen gedenken.«

»Wißt ihr, was wir tun wollen?« sprach die Witwe. »Wir Frauen wollen hingehen und auch einmal die Probe machen; vielleicht wissen wir ihn bei der rechten Schleife zu fassen. So hab' ich zugleich das Vergnügen, den Mann kennenzulernen, und kann mich überzeugen, ob er so ein jämmerlicher Kauz ist, wie Ihr sagt. Nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg und lassen ihn so geschwind nicht wieder aus dem Garn.« – Und so geschah es.

Da sind sie! sagte Don Abbondio zu sich selbst. Indessen griff er zu einem freundlichen Gesichte; freute sich über die Maßen mit Lucien, begrüßte Agnesen und stattete der Fremden seine Artigkeiten ab. Nachdem er ihnen Stühle angeboten, vertiefte er sich in ein breites Gespräch über die Pest. Von Lucien ließ er sich sagen, wie sie unter all dem Elend dort sie überstanden habe. Nachher verbreitete sich Don Abbondio, wie billig, auch über seine Stürme; zugleich erlabte er sich höchst freundschaftlich an Agnesens Anblick, welche die schlimme Zeit unangegriffen durchgemacht hatte. Die Sache zog sich in die Länge. Schon vom ersten Augenblick an hatten die beiden älteren Frauen eine Gelegenheit erspäht, auf die Hauptsache zu kommen; endlich brach eine von beiden die Gelegenheit vom Zaun. Aber was half's? Auf dem Ohr hörte Don Abbondio nicht. Er hütete sich wohl, ein Nein zum Vorschein zu bringen; aber ehe man sich's versah, hatte er wieder seine Ausflüchte, seine abspringenden Wendungen bei der Hand.

»Man müßte ihm diese Acht vom Halse schaffen können,« sagte er. »Sie, liebe Frau, sind aus Mailand, werden mehr oder weniger den Faden der Dinge kennen, werden gute Fürsprache haben, irgendeinen Edelmann von Gewicht; damit heilt sich jede Wunde. Und wenn man den kürzesten Weg wählen wollte, ohne sich in so viele Geschichten einzulassen, da die jungen Leute und unsre Agnese hier die Absicht haben, aus der Heimat auszuwandern – und das Vaterland ist freilich da, wo's einem gut geht –, so sollte ich meinen, es ließe sich dort alles weit besser abmachen; dort hat keine Acht was zu sagen. Ich sehe wahrhaftig die Stunde noch nicht, wo sich diese Verheiratung bewerkstelligen läßt, und doch wollt' ich gern, daß sie abgemacht würde, aber in Ruh' und Frieden. Ich will die Wahrheit gestehen; hier, da die Achtserklärung noch in vollkommener Gültigkeit ist, den Namen Lorenzo Tramaglino vorm Altar aussprechen, ich könnt's nicht mit ruhigem Herzen. Ich wünsch' ihm alles Gute, aber ich müßte fürchten, ihm einen schlimmen Dienst damit zu tun. Sehen Sie, seht ihr, Kinder?«

Agnese und die Witwe machten sich nun mit Eifer an die Bekämpfung dieser Gründe. Don Abbondio stellte sie unter einer andern Gestalt wieder ins Feld; man blieb immer beim Anfang. Plötzlich aber trat Renzo ein, schritt rasch vorwärts und hatte eine Nachricht im Gesichte. – »Der Herr Marchese*** ist angekommen!« sagte er.

»Was soll das heißen?« fragte Don Abbondio und stand auf. »Angekommen, wo?«

»In seinem Schlosse, das sonst dem Don Rodrigo gehörte. Denn dieser Herr Marchese ist sein Erbe, wie sie sagen. So läßt sich also nicht mehr zweifeln. Ich, für mein Teil, es sollte mir lieb sein, wenn ich erfahren tät', daß der arme Mann noch wie ein guter Christ gestorben ist. Auf jeden Fall hab' ich bis jetzt Paternoster für ihn gebetet und will's an De profundis nicht fehlen lassen. Dieser Herr Marchese soll ein wackerer Mann sein, hab' ich mir sagen lassen.«

»Gewiß,« sagte Don Abbondio, »ich hab' ihn verschiedentlich als einen sehr rechtschaffenen Herrn, als einen Mann von altem Schrot und Korn rühmen hören. Aber ob's wirklich wahr sein sollte ...«

»Gauben Sie's dem Küster?«

»Warum?«

»Der hat ihn mit eigenen Augen gesehen.«

»Wir wollen ihn hören,« sagte Don Abbondio. Renzo rief den Küster, den er gleich mitgebracht hatte. Dieser bestätigte die Nachricht in allen Punkten, fügte noch einige besondere Umstände hinzu, löste alle Zweifel und trat dann ab.

»Ach! er ist also tot! rein tot!« rief Don Abbondio. »Ihr seht, Kinder, wie die Vorsehung am Ende gewisse Menschen faßt, 's ist 'ne große Sache, müßt ihr wissen, 'ne große Erleichterung für das arme Land hier! Denn mit dem ließ sich gar nicht auskommen. Die Pest ist 'ne große Plage gewesen, sie war aber auch ein mächtiger Kehrbesen; hat Menschen weggefegt, denen es sonst gar nicht eingefallen wäre. Wir werden ihn nicht mehr mit den Fleischerhunden hinter sich herumstreichen sehen, mit dem Eigendünkel, mit der hochgetragenen Nase, als hätt' er eine Stange im Leibe getragen, mit dem verächtlichen Blick auf die Leute, als wenn alle auf Erden nur zu seinem Gebote da wären. Und jetzt ist er nicht mehr, und wir stehen hier. Nun wird er rechtschaffenen Leuten nicht mehr dergleichen Gesandtschaften zuschicken. Er hat uns allen, seht ihr, verdrießlich zu schaffen gemacht; jetzt darf's einer ja sagen.«

»Und ich hab' ihm von Herzen vergeben,« sagte Renzo.

»Hast recht, 's war deine Schuldigkeit,« entgegnete Don Abbondio. »Man kann aber auch dem Himmel danken, daß er uns die böse Nachbarschaft vom Halse genommen hat. Jetzt, um wieder auf euch zu kommen, tut, was ihr für gut haltet. Wollt ihr, daß ich euch traue, hier bin ich; deucht's euch anderwärts bequemer, wie ihr meint. Was die Acht anlangt, im Grunde genommen ist keiner mehr vorhanden, der Euch im Auge hat und Euch was anhaben will, das seh' ich jetzt auch ein; man braucht sich's also nicht sehr zu Herzen gehen zu lassen; zumal da in der Zwischenzeit das gnädige Dekret, wegen der Geburt der allerdurchlauchtigsten Infanten, herausgekommen ist. Und hernach die Pest! Die hat gar großen Dingen Flügel gegeben! Wenn Ihr also wollt, heute ist Donnerstag, Sonntag werd' ich Euch in der Kirche aufbieten; und indessen, wißt Ihr, was mir indessen als das Beste einfällt? Indessen wollen wir um Erlassung für die beiden andern Male einkommen. Sie müssen da unten in der Kurie alle Hände voll mit Erlassungsscheinen zu tun haben, wenn's allerorten so zugeht wie hier. Für Sonntag hab' ich schon übrigens einen, zwei, drei, ohne Euch mitzurechnen, und 's kann noch ein anderer dazu kommen. Einer nach dem andern, werdet Ihr sehen, 's geht rasch wie ein Wetter, jeder Bräutigam soll seine Braut angetraut kriegen. Hat einen dummen Streich gemacht, Perpetua, gerade jetzt zu sterben; heut ist der Markt, wo sich auch für sie ein Käufer fände, Und in Mailand, werte Frau, denk' ich mir, geht's ebenso zu.«

»Ganz ebenso,« antwortete die Witwe. »Stellen Sie sich vor, Herr Pfarrer, in meinem Kirchspiel allein vergangenen Sonntag fünfzig Paare!«

»Wie ich sage; die Welt hat keine Lust auszusterben. Und Ihnen, liebe Frau, ist Ihnen nicht auch so ein Buttervogel um die Nase geflattert?«

»Nein, nein, ich denk' nicht dran, will nicht dran denken.«

»Ei ja,« sagte Don Abbondio, »Sie werden die einzige sein wollen! Auch Agnese, sehen Sie, auch Agnese ...«

»Hu,« rief diese, »Sie haben Lust zu scherzen.«

»Freilich hab' ich Lust zu scherzen, und ich denke, es ist endlich einmal Zeit dazu. Haben wir nicht verdammte Geschichten auszuhalten gehabt, ihr jungen Leute? Ganz abscheuliche; die paar Tage also, die wir noch hier zu leben haben, werden sich, wollen wir hoffen, weniger traurig machen. Aber ihr seid glücklich dran; tritt kein neues Unglück ein, so habt ihr 'ne hübsche Strecke Zeit vor euch, um von vergangenen Trübsalen zu reden. Ich armer alter Mann ... die Schurken können sterben, von der Pest kann einer wieder gesund werden; gegen die Jahre aber gibt's kein Mittel; wie's Sprichwort sagt: senectus ipsa est morbus

»Jetzt,« sagte Renzo, »können Sie so viel Latein sprechen, wie Sie wollen; 's kann mir nicht mehr schaden.«

»Du kannst noch immer das Latein nicht verdauen! Wart', ich will dich schon kriegen! Wenn du mit der da vor mich hertreten wirst, um gerade gewisse lateinische Worte zu hören, werd' ich zu dir sprechen: Latein magst du nicht, geh mit Gott! – He?«

»Ei, ich weiß schon, was ich sage,« rief Renzo. »Das Latein dort macht mir keine Furcht; das ist ein aufrichtiges heiliges Latein, wie's in der Messe vorkommt; Sie müssen 's ja dort auch lesen, wie 's im Buch geschrieben steht. Ich mein' aber das verwünschte Latein außerhalb der Kirche, das in ein rechtschaffenes Gespräch wie ein Spitzbube sich hineinschleicht; zum Beispiel – wir sind ja doch hier ganz guter Dinge, und aller Spuk ist vorbei – das Latein, mit dem Sie angestiegen kamen, just hier, in der Ecke, um mir zu bedeuten, Sie könnten nicht, es gehörten andre Dinge dazu, und was weiß ich – sagen Sie mir's jetzt einmal in verständlicher Sprache.«

»Schweig, Narr, schweig, und rühr' nicht daran. Wenn wir jetzt die Rechnung ziehen wollten, so weiß ich nicht, wer schlimm dabei wegkäme. Ich hab' alles verziehen; wir wollen weiter nicht davon reden. Streiche habt ihr gemacht. Von dir nimmt's mich gar nicht wunder, du bist der Spitzbube; das stille Wasser aber hier, die kleine Heilige, wer hätte geglaubt, daß man sich auch vor der in acht nehmen muß? Ich kenn' sie aber, ich hab' sie unterrichtet, ich kenn' sie, die kleine Heilige!«

Indem er so sprach, richtete er den Zeigefinger, womit er erst auf Lucien gedeutet hatte, auf Agnesen; die fröhliche Miene aber, die launige Gemütlichkeit, mit welcher er diese Vorwürfe losließ, mußte man sehen. Jene Nachricht hatte ihn gleichsam vom Starrfrost der Furcht gelöst und seinen Mund zu einer Redseligkeit erschlossen, die man seit mehreren Jahren nicht an ihm gewohnt war.

Am folgenden Tage erhielt er einen ebenso angenehmen wie unerwarteten Besuch – der Marchese, von welchem die Rede gewesen. Es war ein Herr zwischen den Mannesjahren und dem Greisenalter, seine Gestalt gleichsam der Stempel des Rufes, in welchem er stand; offen, wohlwollend, gefällig, herablassend, würdevoll, dabei ein Anflug von ergebungsvoller Trauer.

»Ich komme,« sagte er, »Sie vom Kardinal Erzbischof zu grüßen.«

»O, welche Herablassung von beiden!«

»Als ich Abschied von diesem unvergleichlichen Manne nahm, der mich mit seiner Freundschaft beehrt, sprach er mir von zwei Verlobten aus hiesigem Kirchsprengel, die von dem unglücklichen Don Rodrigo zu leiden gehabt haben. Monsignore wünscht Auskunft über das Paar. Sind sie am Leben? Sind ihre Umstände wieder in der alten Ordnung?«

»Alles in Ordnung,« antwortete der Pfarrer. »Ich habe sogar schon an Ihre Eminenz schreiben wollen; jetzt indessen, da mir die Ehre zuteil wird ...«

»Befinden sich die jungen Leutchen denn hier?«

»Hier, und sobald es nur angeht, sollen sie Mann und Weib sein.«

»Ich bitte Sie, Herr Pfarrer, lassen Sie mich's wissen, wenn man ihnen was Gutes tun kann, und wie sich's am schicklichsten anfangen läßt. Bei der Landesplage hab' ich die beiden einzigen Söhne, die ich hatte, verloren, und ihre Mutter dazu. Ich habe drei beträchtliche Erbschaften gemacht und bin schon vorher mehr als hinlänglich vom Himmel gesegnet worden. Sie sehen also, wenn Sie mir eine Gelegenheit verschaffen, mein Hab und Gut anzuwenden, zumal eine Gelegenheit wie diese, so tun Sie mir in der Tat einen Gefallen.«

»Der Himmel schenke Ihnen seinen Segen. Denn die Herren sehen nicht alle Ihnen ähnlich. Genug, auch ich danke Ihnen für diese meine Kinder. Und sintemal Eure erlauchte Gnaden mich also ermutigen, so kann ich Ihnen, Herr, allerdings ein Mittel an die Hand geben, das Ihnen nicht mißfallen wird. Die guten Leute sind entschlossen, anderswo ihre Hütte aufzuschlagen, und wollen das bißchen Acker, das sie hier haben, verkaufen; der junge Mann hat einen Weingarten von etwa neun bis zehn Ruten, freilich ganz vernachlässigt und verwildert; man muß auf den Raum dabei sehen, auf weiter nichts; dabei ein Häuschen, desgleichen die Braut, zwei Rattenlöcher, sehen Sie. Ein Herr wie Eure Gnaden weiß nicht, wie schlimm arme Leute dran sind, wenn sie das Ihrige verkaufen wollen. Das Ende vom Lied ist immer, daß irgendein Schuft es in den Rachen bekommt, der, wenn's der Zufall so fügt, lange Zeit hindurch ein Auge auf so ein Landgütchen hat, und wenn er weiß, daß der andre verkaufen muß, zieht er sich zurück, tut, als wenn er sich anders besonnen habe; zuletzt muß der arme Verkäufer hinter ihm herlaufen und es ihm für ein Stück Brot an den Hals hängen, zumal unter Umständen wie diesen. Der Herr Marchese haben wohl schon gemerkt, wo meine Rede hinauswill. Die lohnendste Menschenliebe, die Eure erlauchte Gnaden gegen diese guten Leute bezeugen können, besteht darin, daß Sie dieselben aus dieser Verlegenheit glücklich herausziehen und das bißchen liegenden Grund kaufen.«

Der Marchese gab dem Vorschlag seinen vollkommenen Beifall und bat Don Abbondio, als Schiedsrichter den Preis zu bestimmen und diesen tüchtig in die Höhe zu schrauben. Das hatte der Pfarrer erwartet; schier versteinert aber stand er, als jener vorschlug, mit ihm zusammen sofort nach dem Hause der Braut zu gehen, wo vermutlich auch der Bräutigam zu finden sei.

Unterwegs machte dem Pfarrer sein Herz, das von Freude überströmte, wirklich zu schaffen; in diesem Jubel verfiel er auf einen andern Gedanken und hatte kein Bedenken, ihn mitzuteilen. – »Da Eure erlauchte Gnaden so geneigt sind, den Leuten da einen guten Tag zu machen, so wüßt' ich wohl noch eine andre Wohltat, die hier vortrefflich angebracht wäre. Der junge Verlobte hat eine Acht auf sich sitzen, eine Art von Landesverweisung, weil er in Mailand vor zwei Jahren an einem garstigen Spektakeltage sich zu laut aufgeführt hat; ein Jungenstreich, der unbesonnene Ausbruch eines Guckindiewelts; einen bösen Schritt zu tun, ist er nicht imstande, nimmermehr; ich kann's sagen, ich hab' ihn getauft, ich, und ihn heranwachsen sehen, und wenn Eure Gnaden sich die Zeit dazu nehmen wollen, so können Sie sich die Geschichte erzählen lassen und werden's dann selbst erfahren. Jetzt, da sich's um eine so alte Sache handelt, setzt ihm keiner zu, und wie ich gesagt habe, er gedenkt außer Landes zu gehen; aber mit der Zeit, wenn er einmal morgen oder übermorgen wieder zurückkommt – 's ist doch immer besser, wenn's klar und rein mit einem steht. Der Herr Marchese gelten was in Mailand, wie billig, und da Sie ein Edelmann von solcher Bedeutung, ein so ausgezeichneter Herr ... Nein, nein, lassen Sie mich reden; die Wahrheit soll zur rechten Zeit über die Lippen. Eine Empfehlung, ein Wort von Ihresgleichen ist mehr als genügend, alles glatt zu machen.«

»Gibt's keine schwerere Beschuldigungen gegen den jungen Mann?« fragte der Marchese.

»Ei, ich sollte nicht meinen. Sie haben ihm gleich glühende Kohlen unters Kopfkissen gelegt; jetzt aber glaub' ich, ist bloß noch die gesetzliche Formalität vorhanden.«

»Wenn es sich so verhält, so soll bei der Sache sich keine Schwierigkeit finden, und ich befasse mich von Herzen gern damit.«

»Und dabei wollen Eure Gnaden dennoch nicht, daß man Sie einen ausgezeichneten Herrn nennt. Ich sag' es und will es sagen; Ihnen zum Trotz nenn' ich Sie so. Und wenn ich auch schweigen wollte, so war' die Sache deswegen um nichts anders; denn es sind alle der nämlichen Meinung, und vox populi, vox Dei

Sie fanden die beiden Witwen mit den Verlobten zusammen. Überraschung und Unbegreiflichkeit verwandelten das Zimmer plötzlich in eine Künstlerwerkstatt; vier bewegungslose Steinbilder standen da, die nackten, rauhen Wände selbst, die Vorhänge, die Tische und die Tischtücher konnten vor Erstaunen nicht zu sich kommen, da sie einen so außerordentlichen Gast über die Schwelle treten sahen. Dieser aber brachte das Gespräch in Gang, indem er mit offener Herzlichkeit und feinem Zartsinne zugleich des Kardinals und der übrigen Gegenstände Erwähnung tat. Bald kam er auf den Vorschlag. Don Abbondio wurde nochmals von ihm ersucht, den Preis zu bestimmen, und machte sich mit vielsagender Schiedsrichtermiene an den Ausspruch; nach einigem Sträuben und Ausweichen, er verstehe nicht solch Mehl zu mahlen, er könne bei solchen Dingen nur tappend sich zurechtfinden, spräche aus Gehorsam und bescheide sich der besseren Meinung eines Sachkundigen, rückte er endlich mit einer nach seinem Dafürhalten unvernünftigen Summe heraus. Der Käufer versicherte, seinerseits vollkommen zufrieden zu sein, und wiederholte, als wenn er den Pfarrer unrecht verstanden hätte, einen doppelten Preis. Er mochte durchaus von keiner Berichtigung seines Mißverständnisses hören und bog jedem Anlauf dieser Art aus, indem er die Gesellschaft auf den Tag nach der Hochzeit zu einem Mittagsmahl in seinem Palaste einlud. Dort sollte der Kauf in aller Form abgemacht werden.

Ei, dachte nachher Don Abbondio in seinem Hause, wenn die Pest immer auf solche Weise zu Werke ginge, so war's meiner Seele eine Sünde, ihr ein böses Wort nachzureden.

Es kam der Erlassungszettel und der Losspruch, es kam endlich der gesegnete Tag. Die beiden Verlobten gingen mit siegreicher Sicherheit nach der Kirche und wurden dort durch Don Abbondios Mund zu ewigem Bunde vermählt. Ein zweiter, weit eigentümlicherer Siegeszug war am andern Tage der Gang nach dem Palaste; dem Leser bleibt es überlassen, sich zu denken, was für Dinge den guten Leuten, da sie jene Anhöhe hinaufstiegen und durch jene Pforte gingen, durch den Kopf ziehen mußten; was sie, jeder nach seiner Sinnesweise, zu sich und ihren Begleitern sagten. Mitten in der Fröhlichkeit aber konnte sich bald dieser, bald jener der Bemerkung nicht enthalten, daß, um das Fest zu krönen, der arme Pater Cristoforo fehle. – »Er aber,« sagten sie dann, »ist gewiß noch seliger dran als wir.«

Der edle Hausherr bewirtete sie aufs freigebigste. Nach der Mittagsmahlzeit wurde der Kaufvertrag von der Hand eines Rechtsgelehrten aufgesetzt. Dieser war Doktor Knotenhauer – nicht. Denn der Doktor, seine sterblichen Überreste nämlich, befanden sich bereits, wo sie sich noch heutigestags befinden, zu Canterelli. Das ist ein kleines Landgut, etwa fünfhundert Schritte oberhalb Lecco. Seitwärts sieht man eine Anhöhe, wie einen künstlich aufgeworfenen Hügel, mit einem Kreuze auf dem Gipfel. Dieser Hügel ist nichts andres als ein großer Haufe von Toten, welche jene Pest hinweggerafft hat. Die Sage spricht freilich bloß von Leuten, die an der Pest gestorben sind; sie muß aber durchaus nur diese Pest meinen, die letzte und mörderischste, deren sich unser Land erinnert.

Nun ging's an ein Bündelschnüren, und alles machte sich reisefertig, das Haus Tramaglino nach dem neuen Vaterlande, die Witwe nach Mailand. Tränen, Danksagungen und Versprechen, sich zu besuchen. Nicht weniger zärtlich trennten sich Renzo und sein gastlicher Freund, und auch mit Don Abbondio ging es nicht lau ab. Die drei Leutchen hatten jederzeit an ihrem Pfarrer ehrerbietig gehangen, und auch dieser im Grunde ihnen wohlgewollt. Die verwetterten Geschichten nur hatten die gegenseitigen Empfindungen gekreuzt.

Ging es den Auswanderern auch schmerzlich zu Herzen, ihre heimische Flur, ihre Berge zu verlassen? Gewiß; einen Schmerz gibt's bei solcher Trennung immer. Er muß indessen doch nicht allzu heftig gewesen sein; denn jetzt, da die beiden großen Hindernisse, Don Rodrigo und die Achtserklärung, behoben waren, hätten sie ja recht gut im Vaterlande bleiben und sich diesen Schmerz ersparen können. Doch hatten sich seit einiger Zeit alle drei schon daran gewöhnt, das Land, dahin sie gingen, als das ihrige zu betrachten. Renzo lieferte den Frauen einladende Schilderungen davon, sprach von den Vorteilen, deren sich die Arbeiter daselbst zu erfreuen hätten, und pries das gute Leben, das man drüben führte. Auch hatten sie sämtlich in dem Lande, welchem sie jetzt den Rücken zuwandten, herbe Augenblicke empfunden, und traurige Erinnerungen können uns die Gegend, an die sie mahnen, mit der Zeit entzaubern und verleiden. Und ist diese Gegend zugleich das Geburtsland, so liegt in solchen Erinnerungen vielleicht noch etwas Bittreres und Schmerzlicheres. Auch das Kind, sagt unser Manuskript, ruht gern am Busen der Amme, es sucht mit Begierde und Vertrauen die Brust, welche bisher so sorgsam ihm Nahrung gereicht; aber wenn die Amme, um es zu entwöhnen, sie mit Wermut bestreicht, zieht es die Lippe zurück, versucht wohl noch einmal, flieht aber endlich davor – es weint, doch es flieht.

Was wird nun der Leser sagen, wenn er erfährt, daß Renzo, gleich nachdem sie im Bergamaskischen angekommen und in ihrer Wohnung sich eingerichtet hatten, Verdrießlichkeiten antraf? Kleinigkeiten, aber genug, um in einem glücklichen Zustande sieh empfindlich bemerkbar zu machen. Hier ist in wenigen Worten die Geschichte:

Man hatte in jener Gegend lange vor ihrer Ankunft schon von Lucien gesprochen; man wußte, daß Renzo mehrere Jahre hindurch, immer treu, immer standhaft, sich um sie bemüht hatte; ein Wörtchen, das ein parteiischer Freund geäußert, mochte die Neugier geweckt haben, die junge Frau zu sehen, und so versprach man sich von ihrer Schönheit etwas ganz Außergewöhnliches. Nun weiß man, wie die Erwartung ist; leichtgläubig, an Hirngespinsten erfinderisch und zuversichtlich; bei der Erfüllung hernach mäkelsüchtig und spröde, und fast nie wird sie zufriedengestellt.

Als Lucia erschien, fingen viele, die sich vielleicht eingeredet hatten, sie müsse im strengsten Sinne des Wortes goldene Locken, rosige Wangen und ein Aug' immer schöner als das andre haben, diese Leutchen fingen an, die Achseln zu zucken und die Nasen zu rümpfen. – »Das ist sie?« hieß es. »Nach so langer Zeit, nach so vielem Gerede versprach man sich ganz was andres. Und was kommt am Ende heraus? Eine Bauernfrau wie so viele andre. Solche Weiber, und wohl schönere, gibt's überall.« – Dann ließ man sich auf einzelne Bemerkungen ein; der eine entdeckte dieses, der andre jenes Gebrechen, und am Ende fehlte es auch nicht an Kennern, welche die Fremde aus Lecco durchaus häßlich finden wollten.

Indessen sagte keiner dergleichen Dinge unsrem Renzo ins Gesicht; bis so weit war also kein großes Unglück dabei. Wer die Sache schlimm und den Riß weiter machte, das waren die guten Freunde, die es ihm hinterbrachten, und den jungen Ehemann wurmte es. Er fing an, mit sich darüber zu Rate zu gehen, und spann den schlimmen Faden immer weiter aus. Hin und wieder machte er sich auch wohl in einem Wörtchen Luft. – »Was geht's euch an? Wer hat euch ein Wunder erwarten geheißen? Hab' ich hier je von ihr gesprochen? Euch gesagt, daß sie schön ist? Und wenn ihr davon schwatztet, hab' ich nicht jedesmal zu verstehen gegeben, daß sie ein gutes Mädchen ist? 'ne Bauernfrau! Hab' ich je gesagt, daß ich euch 'ne Prinzessin herführen werde? Sie gefällt euch nicht? Seht sie nicht an. Ihr habt hübschere Weiber hier? Guckt nach diesen.«

Man sehe aber einmal, wie eine Kinderposse bisweilen das ganze Leben eines Menschen zu entscheiden vermag. Wenn Renzo immer in dem neuen Vaterlande hätte bleiben sollen, würde es nicht gut gegangen sein. Wie man es ihm verleidet hatte, verleidete er andern seinen Umgang. Er wurde gegen jeden unhöflich, weil jeder ein Kunstrichter an seiner Lucia werden konnte. Freilich lief er nicht mit der Faust auf die Leute los; aber man weiß, wie viel ein Mensch tun kann, ohne eigentlich die Regeln der guten Höflichkeit zu beleidigen. Renzo verriet bald bei jedem Schritte eine bittere Spottlust, an einem jeden fand auch er was zu tadeln; es kam so weit, daß er, wenn es zwei Tage hintereinander schlechtes Wetter war, verdrießlich sagte: »Ein garstiges Land das!«

So war er allmählich auch mit einer Anzahl von Leuten, die ihm früher wohlgewollt, auf schlimmen Fuß geraten. Mit der Zeit hätte er sich, ohne selbst einmal die erste Ursache eigentlich angeben oder die Wurzel eines so großen Übels auffinden zu können, gegen die ganze Bevölkerung vielleicht in feindseliger Verfassung befunden.

Es war aber, als hätte die Pest die Verpflichtung auf sich genommen, jedes Ungemach, welches unsern Renzo traf, zu heben. Sie hatte dem Herrn einer andern Spinnerei, dicht vorm Tore von Bergamo, das Leben gekostet; der Erbe, ein junger Brausewind, dem es in dem Hause durchaus nicht behagen wollte, war entschlossen, selbst zu halbem Preise es zu verkaufen; er wünschte es, aber er verlangte, das Geld auf den Tisch hingezählt zu bekommen, damit er es sogleich nach seinem Gefallen vertun konnte. Bortolo erfuhr es und lief, sich persönlich zu überzeugen. Er unterhandelte, und ein fetterer Schnitt ließ sich nicht denken. Nur die Bedingung, auf der Stelle das Geld zu zahlen, verdarb alles; denn sein Vermögen, durch langsame Ersparungen entstanden, war dazu nicht beträchtlich genug. Er hielt also den jungen Mann hin, kehrte eilig zurück, teilte die Sache seinem Vetter mit und forderte ihn zur Gemeinschaft auf. Renzo trug kein Bedenken, er entschloß sich und sagte ja. Man ging, und der Handel ward abgemacht. Als nun die neuen Gefährten in ihrem eigenen Hause beisammen wohnten, war Lucia, welche hier nicht erwartet worden war, keinen Beurteilungen ausgesetzt und mißfiel durchaus nicht. Renzo vernahm sogar, daß mehr als einer sich hatte verlauten lassen: »Habt Ihr die schöne Frau gesehen, die hier angekommen ist?«

Die Verdrießlichkeiten im vorigen Wohnorte gereichten ihm selbst zur guten Lehre. Früher war er in seinen Meinungen ziemlich vorlaut gewesen und mochte gern die Frauen andrer, oder was sie sonst besaßen, tadeln. Jetzt begriff er, daß die Worte im Munde ganz anders als im Ohre schmecken, und hörte daher seine Rede, ehe er sie vorbrachte, immer erst ein wenig ab.

Die Geschäfte gingen ganz vortrefflich. Anfangs gab's einige Verlegenheit; es fanden sich wenig Arbeiter, und diese wenigen machten manchmal unbillige Forderungen. Bald erschienen indessen Verordnungen, welche den Lohn der Arbeiter festsetzten; dadurch kam alles ins alte Geleise, wie es am Ende immer der Fall sein muß. Auch erschien von Venedig ein neues Gebot: die eingewanderten Ausländer sollten auf zehn Jahre von allen Steuern und persönlichen Pflichten befreit bleiben. – Für unsre Leutchen ein neues Glückslos.

Bevor noch das erste Jahr der Ehe zu Ende ging, kam ein holdes Geschöpfchen zur Welt, und als hätt' es ausdrücklich sich so gefügt, um Renzos Versprechen zu erfüllen, war's ein Mädchen. Es erhielt also den Namen Maria. Dem ersten folgten mehrere; Agnese hatte alle Hände voll zu tun, sie herumzutragen, Taugenichtse zu heißen und ihnen manchen derben Schmatz aufzudrücken, der lange Zeit eine weiße Spur hinterließ. Die Kinder hatten alle einen guten Hang; Renzo bestand ernstlich darauf, daß sie lesen und schreiben lernten; »denn da doch einmal die Schurkerei,« sagte er, »just hierin besteht, sollen sie auch damit umzugehen wissen.«

Eine Lust war's, ihn seine Abenteuer erzählen zu hören. »Ich habe gelernt,« schloß er gewöhnlich, »mich in keine Händel einzulassen, keine Predigt auf offenem Platz mehr zu halten, nicht mehr als nötig zu trinken und nicht mit dem Klopfer in der Hand an der Türe zu stehen, wenn Hitzköpfe in der Nähe sind; ich werde mich künftig hüten, mir eine Klingel an die Füße zu binden, ohne vorher zu bedenken, was daraus entstehen kann.« – Und hundert andre Dinge der Art.

Lucia dagegen fand diese Lehren nicht gerade an sich falsch, war aber damit nicht befriedigt; es schien ihr etwas daran zu fehlen. Da sie nun dasselbe Lied oft singen hörte und jedesmal darüber nachdachte, sagte sie einst zu ihrem ehelichen Sittenprediger: »Und ich, was hab' ich gelernt? Ich habe die Leiden nicht aufgesucht, sie haben mich gefunden; wenn du nicht etwa sagen willst,« fügte sie lächelnd hinzu, »mein Mißgriff habe darin bestanden, daß ich dir wohlwollte und mich dir versprochen habe.«

Renzo wußte mit der Sache nicht ins reine zu kommen. Nach langem Suchen und Reden verständigten sich endlich beide darüber, daß das Unglück oft sich einstellt, weil der Mensch ihm die Gelegenheit gibt; daß aber auch das vorsichtigste und unschuldigste Benehmen nicht immer gegen dasselbe schützt; die Leiden mögen indessen mit oder ohne eigene Schuld daherziehen, das Vertrauen in Gott mildert sie und macht sie zu einem besseren Leben brauchbar. Diese Folgerung, wenn auch nur von ungebildeten Leuten herausgebracht, dünkte uns so passend, daß wir sogleich darauf bedacht waren, sie als die Quintessenz unserer ganzen Geschichte hierherzusetzen.

Hat diese Geschichte euch leidlich gemundet, ihr Leser, so meint es mit dem Anonymus und zugleich ein wenig mit seinem Nacherzähler gut. Sollte sie euch aber gelangweilt haben, so seid überzeugt, daß es gegen unsre Absicht geschehen ist.

Ende.


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