Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Daß Don Rodrigo, begieriger als je, mit seiner Unternehmung zu Ende zu kommen, entschlossen war, die Hilfe eines furchtbaren Menschen nachzusuchen, haben wir berichtet. Von diesem Unbekannten Vgl. dazu die Einleitung in Band I können wir weder Tauf- noch Familiennamen, noch einen Titel oder eine Vermutung darüber angeben; freilich höchst seltsam, da wir in mehr als einem Buche aus jener Zeit – und wir reden von gedruckten Büchern – ihn erwähnt finden. Daß dieser Mensch in all den Büchern ein und derselbe, bestätigt die Identität des Erzählten; überall aber verrät sich eine große Bemühung, den Namen, als würde er die Feder, die Hand des Schreibers versengt haben, zu vermeiden. Francesco Rivola, da er, in seinem Leben des Kardinals Federigo Borromeo, von diesem Menschen sprechen muß, nennt ihn »einen Herrn, ebenso mächtig durch seine Reichtümer wie vornehm durch seine Geburt.« Weiter kein Wort. Giuseppe Ripamonti, welcher in der fünften Dekade seiner vaterländischen Geschichte ihn umständlicher erwähnt, setzt statt seines Namens verschiedene Behelfswörter. – »Ich will das Ereignis eines Mannes erzählen,« sagt er in seinem schönen Latein, das wir, so gut wir können, übersetzen, »welcher unter den Großen der Stadt einer der ersten war und eine Villa zu seinem Wohnsitze bestimmt hatte; er setzte sich dort gewaltsam durch Verbrechen fest und kümmerte sich um Gerechtigkeit, um Richter, um Obrigkeit und Landesherrn nicht im entferntesten. An der äußersten Grenze des Staates wohnend, führte er ein unabhängiges Leben und nahm, nachdem er selbst ein Verbannter gewesen, dann aber zur Sicherheit gelangt war, Verbannte auf.« – Dieser Schriftsteller soll uns künftighin noch manchen andern Fingerzeig liefern, wenn wir im Verfolg unseres Anonymus unsere Erzählung zu bestätigen oder zu erläutern haben. Tun, was durch öffentliche Verbote untersagt oder durch irgendeine Gewalt verhindert war; nur aus Herrschlust den Schiedsrichter oder Gebieter in fremden Angelegenheiten spielen; von allen gefürchtet werden und Leute, welche gewohnt waren, andre in Diensten zu haben, in seinem Dienste halten: das waren jederzeit die vorzüglichsten Leidenschaften dieses Menschen. Seit den Jünglingsjahren empfand er beim Anblick und dem Lärmen so vielfacher Gewaltsucht, so vieler Erschütterungen und Kämpfe, bei diesem Heer von Tyrannen ein Gefühl, welches aus Unwillen und rastlosem Neide bestand. In der Stadt unterließ er als Jüngling keine Gelegenheit, den Berüchtigsten in diesem Handwerk sich zu zeigen, ihnen in den Weg zu treten, sich mit ihnen zu messen oder ihre Freundschaft zu suchen. Dem größten Teil an Reichtümern und Anhängern, an Kühnheit und Tapferkeit vielleicht allen überlegen, verleidete er vielen jede Nebenbuhlerschaft mit ihm, richtete den einen übel zu und machte sich den andern zum Freunde. In Wirklichkeit wurde auch er am Ende der Verwalter, das Werkzeug aller andern; auch sie ermangelten nicht, die Tätigkeit eines solchen Verbündeten in Anspruch zu nehmen, und bei solchem Rufe hielt er jede Weigerung für eine Verdunkelung seines Ruhmes, als könnte er die angenommene Stellung nicht behaupten. Auf diese Weise stellte er sowohl für sich als für andre so sträfliche Dinge an, daß weder Namen noch Verwandtschaft, weder die Freunde noch seine eigene Kühnheit ihn vor der öffentlichen Verbannung schirmen konnten; so vielfachem mächtigen Hasse mußte er am Ende weichen und sich aus dem Staat entfernen. Hierauf, glaube ich, bezieht sich eine merkwürdige Stelle in unserm Ripamonti. »Als er einmal das Land räumen mußte, war die Heimlichkeit, mit welcher er zu Werke ging, die Achtung und Furchtsamkeit höchst seltsam; er zog zu Pferde, mit einem Gefolge von Hunden, unter Trompetenschall durch die Stadt, und als er vor dem königlichen Palaste vorüberkam, hinterließ er der Wache einen übermütig-beleidigenden Auftrag für den Statthalter.«

In der Entfernung brach er seine Umtriebe nicht ab; er blieb mit seinen Freunden im Briefwechsel, und diese hingen, um Ripamontis Ausdruck wörtlich zu übersetzen, »in heimlichem Bunde verwegener Anschläge und heilloser Unternehmungen« fortwährend mit ihm zusammen. Ja, er scheint um diese Zeit, an höherem Orte, mit neuen entsetzlichen Absichten umgegangen zu sein; der erwähnte Geschichtschreiber gleitet mit geheimnisvoller Kürze darüber hinweg. »Auch einige auswärtige Fürsten bedienten sich mehrmals bei wichtigen Gelegenheiten seines bösen Herzens und schickten ihm oft aus weiter Entfernung Verstärkung an Mannschaft, die unter seinem Befehle dienen sollte.«

Endlich – nach wie langem Zwischenraume weiß man nicht – ward entweder durch Vermittlung eines Mächtigen der Bannspruch widerrufen, oder die Kühnheit des Menschen errang ihm die Freiheit. Er beschloß, nach Hause zurückzukehren, und führte es wirklich aus; doch begab er sich nicht nach Mailand, sondern auf das Schloß einer seiner Lehnsleute an der Grenze des bergamaskischen Gebietes, wo damals, wie jedermann weiß, Venedig die Herrschaft führte. Hier wollte er von nun an wohnen. »Dieses Haus,« erklärt Ripamonti, »war gleichsam eine Werkstatt blutiger Aufträge; Erzbanditen und Mörder seine Diener; der Koch wie der Küchenjunge mußten sich auf Dolchstöße verstehen; Knaben hatten blutdampfende Hände.« Außer diesem musterhaften Hausgefolge hatte er ein ähnliches, seines Winkes gewärtig, umher zerstreut; in den verschiedenen Punkten der beiden Staaten, an deren Grenze er lebte, gleichsam auf Posten stehend.

Alle Gewalttätigen weit umher hatten, der eine bei dieser, der andre bei jener Gelegenheit, zwischen der Freundschaft und der Feindschaft dieses außerordentlichen Tyrannen wählen müssen. Die ersten, welche einen Versuch zum Widerstände gemacht, kamen so übel dabei weg, daß keiner weiter einen solchen Versuch sich in den Kopf kommen ließ. Wollte man unabhängig von ihm bleiben, so reichte es nicht hin, auf seine eigenen Angelegenheiten wachsam zu sehen oder auf sich achtzuhaben. Es langte ein Abgesandter von ihm an und befahl, man solle von dieser Unternehmung abstehen oder jenen Schuldner zu drängen aufhören; so mußte man entweder Ja oder Nein antworten. Hatte ein Teil mit lehnsmännlicher Ergebenheit irgendein Geschäft seinem schiedsrichterlichen Ausspruche überlassen, so sah der andre sich zu der schwierigen Wahl gezwungen, auf seine Entscheidung es ankommen zu lassen oder sich als seinen Feind zu erklären; das war ebenso gut, wie man damals sagte, als vom Großvater die Schwindsucht geerbt zu haben. Wer unrecht hatte, nahm zu ihm seine Zuflucht, um bei der Entscheidung recht zu haben; viele hatten das Recht auf ihrer Seite, suchten aber einen so mächtigen Schutzherrn zu gewinnen und ihrem Widersacher den Vortritt bei ihm abzulaufen; diese wie jene wurden vorzüglich von ihm abhängig. Bisweilen traf es sich, daß ein ohnmächtiger Unterdrückter, von einem Übermächtigen gepeinigt und gedrängt, sich an ihn wandte; dann ergriff er seine Partei und zwang den Gegner, von der Beleidigung abzustehen, sein Unrecht zu vergüten, sich zu Entschuldigungen herabzulassen, oder zermalmte ihn, wenn er Widerstand leistete, trieb ihn, die Gegend, wo sein Übermut sich gespreizt, zu verlassen, und ließ ihn auch wohl eine noch schnellere, schrecklichere Strafe zahlen. In solchen Fällen ward der gefürchtete, verabscheute Name einen Augenblick gesegnet; denn wie die Zeiten damals waren, hätte man dieses Heilmittel, um nicht Gerechtigkeit zu sagen, diese Vergeltung von keiner andern Gewalt, selbst von der öffentlichen nicht, erwarten können. Öfter aber und gewöhnlich war die seinige eine Dienerin ungerechter Lüste, gewaltsamer Eigenmächtigkeiten, beleidigender Launen. Doch der verschiedene Gebrauch dieser Gewalt brachte am Ende dieselbe Wirkung hervor; es beherrschte die Gemüter eine hohe Vorstellung von demjenigen, was er gegen Billigkeit und Unbilligkeit durchzusetzen vermochte, während beide allen andern Menschen so viele Hindernisse in den Weg legen und sie oft wieder zum Rückschritt bewegen. Der Name der gewöhnlichen Tyrannen beschränkte sich meistens auf den kleinen Landstrich, in welchem ihre drückende Gegenwart sich empfinden ließ; jedes Gebiet hatte die seinigen; sie waren einander so ähnlich, daß die Leute um diejenigen, deren Gewicht oder Feindseligkeit sie nicht seufzen machte, sich wenig bekümmerten. Dieser aber war seit langer Zeit in jedem Winkel des Herzogtums bekannt; überall machte sein Leben einen Gegenstand der Erzählungen unter dem Volke aus; mit seinem Namen war der Begriff von übermäßiger Macht, war etwas Dunkles und Fabelhaftes verbunden. Der Verdacht, daß er überall Verbündete und Mordgesellen besolde, erhielt die Erinnerung an ihn überall lebendig. Freilich nur ein Verdacht; denn wer möchte sich offen zu solch einer Söldnerschaft bekannt haben? Aber jeder Unterdrücker konnte sein Bundesgenosse, jeder Schurke sein Helfershelfer sein; die Ungewißheit selbst eröffnete also dem Glauben ein weiteres Feld und gab dem Schrecken eine finstrere Farbe. Sooft sich irgendwo unbekannte Waffenträger, Leute von scheußlicherem Aussehen als gewöhnlich blicken ließen, sooft man den Urheber einer ungeheuren Tat nicht anzugeben oder zu erraten wußte, raunte man sich seinen Namen zu, welchen wir, dank der Vorsicht unsrer Schriftsteller, nicht mitteilen können und durch die Bezeichnung »der Ungenannte« ersetzen müssen.

Von der Burg dieses Menschen bis zu Don Rodrigos Palast waren nur sieben Miglien. Kaum sein eigener Herr und ein Unterdrücker geworden, mußte dieser einsehen, daß bei der geringen Entfernung von solch einem Gewaltmann das Handwerk sich nicht treiben ließ, ohne mit demselben aneinanderzugeraten oder sich mit ihm zu verständigen. Er hatte sich daher ihm angeboten und war, im Geiste aller übrigen, sein Freund geworden; er hatte – mehr gibt die Handschrift nicht zu verstehen – ihm verschiedentlich Dienste geleistet und dadurch jedesmal das Versprechen von Vergeltung und Beistand unter allen Umständen erhalten. Indessen war es ihm sehr darum zu tun, mit einer solchen Freundschaft nicht an das Licht der Welt zu treten; wenigstens sollte niemand erfahren, wie innig sie wäre und worauf sie fußte. Don Rodrigo wollte wohl auch den Unterdrücker, aber nicht den zügellosen Unterdrücker spielen; das Handwerk war in seinen Augen Mittel, nicht Ziel; es kam ihm darauf an, in der Stadt frei zu verweilen, die Bequemlichkeiten, die Lustfahrten, die Ehrenbezeugungen eines gesitteten Lebens zu genießen, und so mußte er gewisse Rücksichten nehmen, seine Verwandten bedenken, die Freundschaft würdevoller Männer zu behaupten suchen und in der Wagschale der Gerechtigkeit immer eine Hand haben, um sie, wo es nötig, auf seine Seite zu neigen, sie seitwärts zu drücken oder denjenigen zu Boden zu werfen, welcher auf solche Weise leichter als durch eigene Gewalt ihm beikommen zu können meinte. Hierin würde ihm die innige Verbindung mit einem Berüchtigten dieser Art, mit einem unverhohlenen Feind der öffentlichen Gewalt unstreitig üble Dienste geleistet haben und ihm vorzüglich bei dem Grafen Oheim schlimm bekommen sein; die Freundschaft indessen, die sich nicht verbergen ließ, konnte für eine unerläßliche Bequemung gegen einen Menschen gelten, dessen Feindschaft allzu gefährlich war, und durfte mit der Notwendigkeit entschuldigt werden.

Eines Morgens ritt Don Rodrigo aus und hatte einen Jagdzug, auch eine kleine Begleitung von Bewaffneten zu Fuße bei sich; der Graue dicht neben ihm, vier andre nachfolgend. So nahm er nach dem Schlosse des Ungenannten seinen Weg.


 << zurück weiter >>