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Sechzehntes Kapitel.

Wer möchte es unserm Renzo eine Stunde früher gesagt haben, daß mitten in seinem umhersuchenden Verlangen, bei dem Beginn der zweifelvollsten, entscheidendsten Augenblicke, seines Herzens Empfindungen zwischen Lucien und Don Rodrigo geteilt sein würden? – Und doch war es so. Jene Gestalt mischte sich unter die lieblichen oder die schrecklichen Bilder, welche Hoffnung oder Furcht ihm abwechselnd an den Augen vorüberführten; die Worte, die er zu Füßen jenes Krankenlagers vernommen, drängten sich zwischen die Zuversicht und die Verzweiflung, indem beide um seine Seele miteinander rangen; er konnte für den glücklichen Ausgang der gegenwärtigen verhängnisschweren Stunde kein Gebet zum Himmel emporsenden, ohne die Flehensstimme dreintönen zu lassen, die er dort begonnen und die der Schlag der Glocke abgebrochen hatte.

Renzo hatte sich kaum auf den Weg begeben, als er den Pater Felice in der Kapellentür erscheinen und nach dem Mittelbogen der Seite, die der Stadt zugewendet war, hingehen sah. Hier hatte sich, unterhalb der Stufen, im freien Gange die Schar aufgestellt; aus der Gebärde des Mönches ließ sich sogleich entnehmen, daß er die Predigt bereits angefangen hatte. Renzo hörte den letzten Teil der feierlichen Rede, die alle Zuhörer in diesem Augenblicke erschütterte, mit an und stellte sich dann an die Seite einer Hütte, um den Zug der Genesenen an sich vorüberzulassen. Er stand halb verborgen, den Körper zurückgezogen, den Kopf nach vorn gestreckt, die Augen zur Beobachtung geschärft. In stürmischen Schlägen pochte sein Herz, und doch beruhigte ihn ein neues, ganz eigentümliches Vertrauen.

Barfuß, mit dem Strick um den Hals, ein langes schweres Kreuz emporhebend, kam Pater Felice daher; sein Gesicht bleich und fleischarm, Zerknirschung und Mut zugleich aussprechend. Langsam, aber entschlossen waren seine Schritte, indem er die Schwäche seiner Begleiter zu schonen suchte; es schien, als liehen ihm diese überflüssigen Beschwerlichkeiten die Kraft, die notwendigen Lasten, welche von seinem Amte unzertrennlich waren, desto unverdrossener zu ertragen. Unmittelbar hinter ihm gingen die etwas herangewachsenen Kinder, größtenteils mit nackten Füßen, wenige vollständig bekleidet, manches wirklich im Hemde. Dann kamen die Frauen, fast alle einem der kleinen Mädchen die Hand reichend und abwechselnd das Miserere singend. Der matte Klang dieser Stimmen und die lebensarme Blässe dieser Gesichter hätten auch einem Zuschauer, der in neugieriger Gleichgültigkeit dagestanden, das Herz mit frommem Mitleid erfüllen können. Renzo aber beobachtete, prüfte von Reihe zu Reihe, von Gesicht zu Gesicht, und nicht ein einziges entging ihm; denn das langsame Fortschreiten des Zuges verstattete ihm allen Gebrauch der Sorgfalt. Vorüber geht's und vorüber, er späht und späht, er mustert und mustert; umsonst. Er wirft halbe Blicke auf die Schar, die noch zurück war und mit jedem Schritte abnahm; schon sind es nur wenige Reihen noch, die letzte schreitet vorbei, alle wenden ihm schon den Rücken zu – lauter unbekannte Gesichter! Mit hängenden Armen, den Kopf auf die eine Schulter niedergesenkt, läßt der Arme, während die Männer vor ihm hinschreiten, dem fortschleichenden Zuge seine Blicke nachfolgen. Eine andere Aufmerksamkeit beschäftigte ihn. Denn eine neue Hoffnung steigt in ihm auf, da er hinter diesen Männern einige Karren entdeckte, auf welchen die Genesenen saßen, die auf ihren Füßen noch nicht sicher genug waren. Auf diesen kamen die letzten Frauen. Und auch hier konnte Renzo so sorgfältig alle Gesichter und Gestalten mustern, daß keine einzige ihm entging. Aber ach! Er untersucht den ersten, den zweiten, den dritten, und irrt immer mit dem nämlichen Erfolge bis zum letzten hin, hinter welchem nichts als ein zweiter Kapuziner folgte, mit ernstem Anblick und einem Stabe in der Hand, um den Zug in Ordnung zu erhalten. Es war Pater Michele, welcher dem einstweiligen Vorsteher des Krankenhauses, wie wir erzählt haben, vom Gesundheitsausschuß zum Gehilfen gegeben worden war.

So verschwand ganz und gar jene wohltuende Hoffnung, und indem sie entschwand, nahm sie nicht bloß den Trost, welchen sie verliehen, mit sich hinweg, sie ließ unsern Jüngling auch, wie es gewöhnlich der Fall, in einer weit freudloseren Lage zurück. Die glücklichste Möglichkeit war nun, Lucien krank darniederliegend zu finden. Da aber die Inbrunst dieser neuen Hoffnung, so düster sie winkte, schnell auf die übermannende Furcht sich einstellte, hängte sich der Arme mit aller Kraft des Gemütes an diesen trübseligen schwachen Faden; er trat zur Straße hinaus und begab sich dahin, woher der Zug gekommen war. Als er an den Fuß der Kapelle gelangt war, senkte er das Knie auf die unterste Stufe und richtete an den Vater im Himmel ein Gebet oder vielmehr ein Gewühl von verworrenen Worten und unterbrochenen Reden, von Ausrufungen und Bitten, von Klagen und Versprechen – Worte, wie man sie an keinen Sterblichen richtet, da es ihm an Scharfsinn gebricht, um sie zu verstehen, oder an Geduld, um sie anzuhören.

Ein wenig ermutigt stand er auf, ging um die Kapelle und befand sich in dem andern leeren Gange, welchen er noch nicht betreten hatte. Dieser endigte der Pforte gegenüber. Nach wenigen Schritten sah er zu beiden Seiten die Einzäunung, von welcher Bruder Cristoforo ihm gesprochen hatte; sie war, wie der Mönch gesagt hatte, voller Zwischenräume und Lücken. Durch eine von diesen trat Renzo hinein und befand sich im Aufenthalte der weiblichen Kranken. Bei dem ersten Schritte schon gewahrte er an der Erde eine kleine Glocke, wie sie die Apparitori an den Füßen trugen; vollständig, mit ihrem Schlingbande lag sie da. Renzo geriet auf den glücklichen Einfall, diese Glocke könnte ihm bei seinem Eintritt hier als ein Freibrief dienen; er nahm sie auf, sah sich um, ob keiner herblickte, und band sie sich an. Nun machte er sich augenblicklich an das Aufsuchen.

Ohne Erfolg und ohne Ereignisse war Renzo schon weit hineingeschritten, als er hinter sich einen Ruf hörte, ein »O!«, welches ihn erreichen zu sollen schien. Er wandte sich und sah in einiger Entfernung einen Kommissar, der mit erhobenen Händen ihm zuwinkte. – »Dort in den Zimmern,« schrie der Mann, »da ist Hilfe nötig; hier ist eben erst aufgeräumt worden.«

Renzo begriff augenblicklich, für wen man ihn hielt. Die Schelle war die Ursache des Mißverständnisses. Er schalt sich einen Unklugen, daß er nur an die Unannehmlichkeiten gedacht hatte, die dieses Zeichen ihm ersparen konnte, und nicht an alle diejenigen, die er sich damit auf den Hals zog; zugleich aber sann er nach, wie er sich so schnell wie möglich aus dieser Verlegenheit befreien könnte. Er nickte daher dem Kommissar mehrmals mit dem Kopfe zu, als habe er verstanden und sei willens, Gehorsam zu leisten; darauf suchte er dem Manne aus den Augen zu kommen und drückte sich seitwärts zwischen die Buden hinein. Als er sich in hinlänglicher Entfernung glaubte, suchte er auch die Ursache der ärgerlichen Verwechslung sich vom Leibe zu schaffen, und um dies unbemerkt bewerkstelligen zu können, schlüpfte er in eine Enge zwischen zwei kleinen Hütten, welche mit der Rückseite gegeneinander gewandt waren. Er bückt sich, um die Schlingbänder zu lösen, und während er so, den Kopf gegen die Strohwand der einen Hütte gestemmt, dasteht, dringt ihm aus dieser eine Stimme ins Ohr ... »O Himmel! Ist es möglich?« – Seine ganze Seele tritt ihm ins Ohr, keinen Atemzug vermag seine Brust zu tun ... ja, ja! Es ist ihre Stimme! – »Warum Furcht?« sprach diese sanfte Engelstimme, »wir haben wohl etwas anderes schon als ein Sturmwetter überstanden. Wer uns bis jetzt geschirmt hat, wird uns auch künftig schirmen.«

Wenn Renzo nicht laut aufschrie, so geschah's nicht aus Furcht, daß er bemerkt würde, sondern weil es ihm an Atem gebrach. Wie marklos schlotterten seine Knie, seine Augen umnebelte plötzliche Dämmerung – aber nur im ersten Augenblick; im zweiten war er schon auf den Beinen, lebhafter und kräftiger als vorher; in drei Sprüngen fliegt er um die Hütte, steht an der Schwelle, sieht mit seinen Augen sie, die er sprechen gehört, sieht sie ... auf ihren Füßen sieht er sie stehen, über ein Bett sich hinneigend. Sie wendet sich bei dem Geräusch, sie sieht ihn, glaubt falsch zu sehen, zu träumen; dann aber schaut sie ihm deutlicher ins Auge und schreit: »Großer Gott!«

»Lucia! Ich hab' dich gefunden! Du stehst vor mir! Du bist es, ja! Bist am Leben!« So schrie Renzo und stürzte, an allen Gliedern zitternd, auf sie zu.

»Großer Gott!« wiederholte sie, noch heftiger zitternd, »du? Was ist das? Wie war's möglich? Warum? – Die Pest!«

»Ich hab' sie gehabt. Und du?«

»Ach, auch ich! Und von meiner Mutter ...?«

»Ich hab' sie nicht gesehen. Sie ist zu Pasturo; doch glaub' ich, sie befindet sich wohl. Aber du? Wie bist du noch so matt! Wie siehst du noch so schwach aus! Aber doch geheilt, nicht wahr, geheilt?«

»Der Herr hat mich noch hier unten lassen wollen. Ach, Renzo, warum bist du hier?«

»Warum?« sagte Renzo, näher zu ihr hintretend. »Du fragst mich noch, warum? Was mich hier hat herziehen können? Ist es nötig, daß ich es erst dir erkläre? An was hab' ich zu denken? Heiß' ich nicht noch Renzo, bist du nicht noch Lucia?«

»Weh mir, was sagst du? Hat dir meine Mutter nicht schreiben lassen ...?«

»Wohl, nur zu wohl hat sie mir schreiben lassen. Eine schöne Nachricht, um sie einem armen unglücklichen Jungen in einem Brief zu überschicken, einem gemarterten Flüchtling, einem ehrlichen Jungen, der wenigstens keinen schlimmen Streich jemals begangen hat!«

»Aber Renzo! Renzo! Da du wußtest ... warum kommst du her? Warum, Renzo?«

»Warum ich komme? O, Lucia, warum ich komme, fragst du? Nach so vielen Versprechen! Sind wir nicht mehr wir selber? Erinnerst du dich nicht mehr? Was fehlt denn noch?«

»O Herr!« rief Lucia schmerzlich, indem sie die Hände faltete und die Augen zum Himmel emporhob, »warum hast du mir nicht die Gnade erzeigt, mich hinauf zu dir zu nehmen? Renzo! Was hast du mir getan! Sieh, ich fing schon an zu hoffen, mit der Zeit würde ich ... würd' ich vergessen ...«

»Eine schöne Hoffnung!« erwiderte Renzo nicht ohne Entrüstung.

»Weh mir, was hast du getan! Und an diesem Orte! In diesem Aufenthalte des Jammers! Bei solchen Schauspielen! Hier, wo Sterben die einzige Handlung, konntest du ...«

»Für die Sterbenden müssen wir zu Gott beten und hoffen, daß sie an einen seligen Ort gelangen; daß aber die Lebendigen ihre Tage in Verzweiflung zubringen sollen, ist darum noch nicht recht.«

»Aber Renzo! Du bedenkst nicht, was du redest! Ein Versprechen, der Mutter Gottes getan, ein Gelübde ...«

»Und ich sage dir, daß solch ein Versprechen nichts bedeutet.«

»O Herr! Welch eine Rede! Wo bist du während dieser Zeit gewesen? Mit was für Menschen bist du umgegangen? Wie sprichst du?«

»Ich spreche wie ein echter Christ,« antwortete der Jüngling, »und von der Jungfrau denk' ich besser als du. Ich denke mir, daß sie kein Versprechen zum Schaden eines Mitmenschen verlangt. Wenn die heilige Jungfrau gesprochen hätte, ja dann! Was ist's aber gewesen? Eine Einbildung, deine eigene Einbildung. Weißt du, was du der Jungfrau zu versprechen hast? Versprich ihr, daß die erste Tochter, die uns Gott schenkt, Maria heißen soll; zu dem Versprechen will auch ich hier auf der Stelle Amen sagen; das sind Gedanken, die der Mutter Gottes größere Ehre machen; das ist 'ne Frömmigkeit, in welcher mehr Vernunft liegt und kein Mitmensch sein Verderben findet.«

»Nein, nein, sprich nicht so; du weißt nicht, was du sagst. Du weißt nicht, was das heißt, ein Gelübde tun; du hast die Drangsal nicht erlebt, hast so etwas nicht erfahren. Laß mich, um aller Heiligen willen, laß mich!«

Mit diesen Worten wandte sie sich ungestüm von ihm ab und kehrte nach dem Bette zurück.

»Lucia!« rief Renzo, ohne sich zu regen, »sage mir wenigstens, sage mir, wenn diese Ursache nicht wäre, wärst du nicht anders gegen mich gesinnt?«

»Mensch ohne Herz!« antwortete Lucia, indem sie sich umwandte und mit Mühe ihre Tränen unterdrückte. »Wenn du mich hättest unnütze Worte sprechen lassen, Worte, die mir weh täten, die vielleicht 'ne Sünde wären, gäbest du dich dann zufrieden? Geh, o geh, vergiß mich; wir waren nicht füreinander bestimmt. Dort oben werden wir uns wiedersehen, und das Leben hienieden ist so kurz! Geh, laß meine Mutter wissen, daß ich geheilt bin, daß Gott mir auch hier seinen Beistand immer offenbart hat, daß ich eine gute Seele gefunden habe, die wackere Frau da, die Mutterstelle bei mir vertritt; sag' ihr, ich hoffe, daß wir uns wiedersehen werden, wenn Gott will ... und wie er will. Geh, um des Himmels willen, und denk' nicht mehr an Lucien, oder nur, wenn du betest, denk' an mich, Renzo!«

Und wie jemand, der nichts weiter zu sagen hat noch etwas andres anzuhören gesonnen ist, einer Gefahr sich entziehen will, zog sie sich schnell nach dem Bett zurück, auf dem die Frau lag, von welcher sie gesprochen hatte.

»Höre, Lucia, höre!« rief Renzo, ohne sich jedoch ihr zu nähern.

»Nein, nein, geh, ich beschwöre dich!«

»Höre, Vater Cristoforo ...«

»Was?« fiel ihm Lucia hastig ins Wort.

»Ist hier.«

»Hier? Wo? Wie weißt du das?«

»Ich hab' ihn eben gesprochen, bin eine ganze Zeit mit ihm zusammen gewesen. Ein Geistlicher, wie der Mann, sollt' ich glauben ...«

»Er ist hier? Gewiß, um den armen Kranken beizustehen! Aber er? Hat er an der Pest krank gelegen?« »Ach, Lucia! Ich fürchte, nur allzusehr hab' ich Furcht ...« und während Renzo mit dem Aussprechen des schmerzlichen Winkes zögerte, hatte sich Lucia aufs neue vom Bett losgerissen und eilte auf ihn zu – »ich fürchte, sie liegt ihm jetzt in den Gliedern!«

»Armer, heiliger Mann! Aber was arm? Arm sind wir, verwaist, wenn er stirbt. Wie ist's mit ihm? Liegt er zu Bett? Hat er Unterstützung, Hilfe?«

»Er ist auf den Beinen, er geht umher und steht den andern bei; wenn du ihn aber sähest, wie er aussieht, wie er sich mit Not fortschleppt! Ich hab' so viele gesehen, so viele, und täusche mich leider nur zu wenig!«

»O Gott!« rief Lucia, »und er ist hier!«

»Hier, und gar nicht weit. Wenig weiter, als von deinem Hause zu meinem herüber – wenn du dich noch erinnerst.«

»O heilige Jungfrau!«

»Gut, wenig weiter. Du kannst dir denken, daß wir von dir gesprochen haben. Er hat mir Dinge gesagt ... Und wenn du wüßtest, was er mich hat sehen lassen! Du wirst's erfahren; jetzt aber will ich dir zu hören geben, was er mir, mit seinem eigenen Munde, gesagt hat. Er hat mir gesagt, ich soll fleißig nach dir suchen; der Herr habe seinen Gefallen daran, wenn ein junger Mensch so handelt, und würde mir zu deiner Begegnung verhelfen; wie's auch wirklich geschehen ist. Und er ist ein Heiliger. Siehst du also?«

»Wenn er so gesprochen hat, so geschah's, weil er nicht weiß ...«

»Was soll er von Dingen wissen, die du, ohne eines andern Meinung zu hören, getan hast? Einem wackeren Mann, einem Mann von Vernunft wie ihm, dem kann so was nicht einfallen. Was er mich aber hat sehen lassen ...« Und nun erzählte er den Besuch in jener Hütte. Obgleich Luciens Geist und Sinne sich in diesem Aufenthalte notwendigermaßen an die stärksten Eindrücke gewöhnt hatten, stand sie dennoch von Schauder und Mitleid tief ergriffen da. »Und auch dort,« fuhr Renzo fort, »hat er wie ein Heiliger gesprochen; hat gesagt, daß der Herr diesem Armen – ich kann ihn jetzt nicht anders nennen – vielleicht Gnade zugedacht hat und ihn aus dem Buche der Frevler streichen will; aber wir müßten deswegen zusammen für ihn beten – zusammen, hörst du wohl?«

»Ja, ja,« rief Lucia, »wir wollen beten, jeder, wo wir leben werden; Gott weiß die Gebete vereinigt zu erhören.«

»Aber wenn ich dir seine eigenen Worte sage ...«

»Er weiß ja nicht, Renzo ...« fiel ihm Lucia in die Rede. »Wenn ein Heiliger spricht, so ist's Gott, der ihn reden läßt. Er hätte nicht so gesprochen, wenn's nicht gerade so sein müßte.«

»Nein, Renzo, nein; Gott will nicht, um seine Barmherzigkeit zu üben, daß wir unrecht handeln; laß ihn walten; unsre Pflicht ist das Gebet.«

»Aber deine Mutter, die arme Agnese, die mir immer so wohlgewollt, die so sorgsam uns als Mann und Weib zu sehen trachtete, hat sie dir nicht auch gesagt, daß du dich von einem verkehrten Gedanken regieren läßt? Wie sie dich auch schon in andern Dingen zurechtgewiesen hat, denn in vielen Stücken denkt sie verständiger als du ...«

»Meine Mutter! Soll meine Mutter mir zur Verletzung eines Gelübdes raten? Renzo, du bist nicht bei Sinnen!«

»Nun, ich will dir etwas sagen,« sprach Renzo. »Ihr Mädchen könnt dergleichen Dinge nicht begreifen. Pater Cristoforo hat mir gesagt, ich soll zurückkommen und ihm Bescheid bringen, ob ich dich gefunden habe. Ich gehe. Wir wollen ihn hören, und was er sagen wird ...«

»Ja, geh zu dem heiligen Mann; sag' ihm, daß ich für ihn bete, er möge auch für mich beten, ich hab's so nötig! Aber um des Himmels willen, beim Heil unsrer Seelen bitt' ich dich, komme nicht wieder her, mir weh zu tun und mich ... zu versuchen. Vater Cristoforo wird dir die Sache auseinanderzusetzen wissen und dich zur Vernunft bringen; dann wirst du dich zufrieden geben.«

»Zufrieden geben? O, den Gedanken reiß' dir aus der Seele. Hast mir das garstige Wort schon einmal schreiben lassen; ich weiß, was ich darüber hab' ausgestanden. Und jetzt bist du hartherzig genug, mir's noch zu sagen. Ich aber versichere dir klar und rund, daß ich mich nimmermehr zufrieden geben werde. Du willst mich vergessen – ich dich nicht. Dich vergessen! Woran soll ich das ganze Jahr hindurch denken? Nach so vieler Hoffnung, so vielen Versprechen? Was tat ich dir, seit wir uns verlassen haben? Weil ich gelitten habe, behandelst du mich so? Warum hab' ich Elend ausgestanden? Warum die lange Zeit, weit von Hause, von euch weg, traurig verlebt? Warum bin ich beim ersten Augenblick, da ich nur gekonnt habe, hierher gekommen, dich aufzusuchen?«

Als Lucia vor Tränen zu Worte kommen konnte, faltete sie die Hände aufs neue und erhob die schwimmenden Augen zum Himmel. »Hilf du mir, heilige Jungfrau! Du weißt, daß ich seit jener Nacht keinen Augenblick wie diesen erlebt habe. Du hast mir bisher deinen Beistand geliehen, leihe mir ihn auch jetzt.«

»Ja, Lucia,« sagte Renzo, »du hast recht, wenn du die Mutter Gottes anrufst; warum willst du dir aber einreden, daß diese Mutter der Barmherzigkeit, die so gut ist, an unsern Leiden, an meinen wenigstens, ein Wohlgefallen habe, weil dir ein Wort in einem Augenblick entwischt ist, wo du in Ängsten nicht wußtest, was du sprachst? Meinst du, sie habe dir damals geholfen, um dich hernach in Jammer verwickelt zu halten? Wenn aber das bloß 'ne Ausrede ist, wenn ich dir verhaßt geworden bin, so sag's mir, sprich mit klaren Worten.«

»Um aller Heiligen willen, hör' auf, Renzo, du bringst mich um. So endet's nicht gut. Geh zum Vater Cristoforo, empfiehl mich ihm und kehre nicht wieder zurück, kehr' nicht wieder zurück!«

»Ich gehe. Aber ich kehre wieder zurück, wär's auch vom Ende der Welt!« – Mit dieser Beteuerung eilte er hinweg.

Lucia setzte sich neben dem Bett nieder, oder sank vielmehr zur Erde; sie legte den Kopf auf die Seitenlehne des Bettes und ließ ihren Tränen freien Lauf. –

Renzo flog indessen nach der andern Seite des Gebäudes. Erst nach eifrigem Suchen, nicht ohne verlorene Schritte fand er sich nach der Gegend wieder hin. Er sah die Hütte, aber Pater Cristoforo war nicht darin. Nun schwärmte er ringsumher, spähte nach allen Seiten und entdeckte ihn endlich in einem Zelte, wo er, gebeugt und mit dem Munde fast am Boden, einen Kranken tröstete. Renzo blieb stehen und wartete schweigend. Bald sah er, wie sein Cristoforo dem armen Unglücklichen die Augen zudrückte, darauf sich aufs Knie warf, einige Sekunden betete und dann aufstand. Endlich kam er hervor und schritt auf den Jüngling zu.

»Ei,« sagte der Mönch, als er ihn erblickte. »Nun?«

»Sie ist hier, ich hab' sie gefunden.«

»In was für 'nem Zustande?«

»Geheilt,« sagte Renzo.

»Der Herr sei gelobt!«

»Aber,« begann der Jüngling, als er nahe genug war, um es ihm zuflüstern zu können, »'s ist ein andrer übler Umstand vorhanden!«

»Was willst du damit sagen?«

»Ich will sagen ... Sie wissen wohl, lieber Pater, wie das gute Mädchen ist; sie spinnt sich manchmal in ihre eigenen Gedanken ein. Nach so vielen Versprechen, nach all dem, was Sie wissen, sagt sie mir jetzt, daß sie mich nicht heiraten kann; denn, sagt sie, was weiß ich? in jener Nacht der Furcht war ihr der Kopf heiß, und da hat sie sich sozusagen der Mutter Gottes geweiht. Eine unvernünftige Sache, nicht wahr? 'ne Sache, die wohl einer tun kann, der die Einsicht dazu hat und ein Mensch von Kenntnissen ist; für uns gewöhnliche Leute aber sind das Dinge, womit man sich nicht einlassen soll – hab' ich recht?«

»Wohnt sie weit weg von hier?« fragte Bruder Cristoforo.

»O nein, ein paar Schritte jenseits der Kirche.«

»Warte hier einen Augenblick auf mich, und hernach wollen wir miteinander gehen, Renzo.«

»Nicht wahr, Pater, Sie wollen ihr begreiflich machen ...?«

»Noch weiß ich's nicht, mein Sohn; ich muß erst hören, was sie mir sagen wird.«

»Versteh,« sagte Renzo. Die Augen zur Erde gesenkt und die Arme über die Brust geschlagen, stand er da, seine nicht gehobene Ungewißheit zu bezwingen. Der Mönch begab sich in die Hütte, kam mit einem Korbe am Arme wieder hervor, kehrte zu dem Harrenden zurück und sagte: »Wir wollen gehen!«

Das Wetter war währenddessen immer stürmischer geworden, und deutlicher verkündigte sich ein nahes Ungewitter. Zuckende Blitze schossen durch die steigende Finsternis, ihr augenblickliches Flammenlicht umglänzte die langen Dächer, die Schwibbögen der Halle, die Kuppel der Kirche und die niedrigen Giebel der Hütten; der Donner brach mit plötzlichem Krachen hernieder und lief rollend von einem Ende des Himmels zum andern. Aufmerksam auf den Weg, die Seele voll der unruhigsten Erwartung, schritt Renzo vorwärts und zügelte mit Gewalt seine Schritte, um sie den Kräften seines Begleiters anzupassen; dieser, erschöpft durch die mühseligen Anstrengungen des Tages, von körperlichen Beschwerden niedergedrückt und durch die schwüle Hitze beängstigt, wanderte mit Anstrengung und hob wiederholt das kränkelnde Gesicht gen Himmel, als suchte er freier Atem zu schöpfen.

Nachdem sie zur Hütte gelangt waren, blieb Renzo stehen, wandte sich zum Mönch und sagte mit zitternder Stimme: »Dort drin ist sie!«

Sie treten ein. Lucia dreht sich um, springt ungestüm auf, fliegt auf den Greis zu und schreit: »Pater Cristoforo!«

»Aus wie großer Angst hat Euch der Herr erlöst, Lucia!« rief dieser. »Ein mächtiger Trost für Euch, daß Ihr Eure Hoffnung jederzeit auf ihn gesetzt habt.«

»Ja! Aber Sie, Vater? – Ich Arme, wie er ein ganz anderer Mann geworden ist! – Wie geht es? sagen Sie, wie geht es?«

»Wie Gott will und wie, mit seiner Gnade, auch ich will!« erwiderte der Mönch mit heiterem Antlitz. Darauf zog er sie seitwärts. »Hört, ich kann nur wenige Augenblicke hier sein. Habt Ihr noch vollkommenes Zutrauen zu mir, wie vor Zeiten?«

»O, sind Sie nicht noch immer mein Vater?«

»Also, Tochter, was ist das für ein Gelübde, von dem Renzo mir gesprochen hat?«

»Ein Gelübde, das ich der Madonna getan, mich nicht zu verheiraten.«

»Habt Ihr aber damals bedacht, daß Ihr durch ein Versprechen gebunden wart?«

»Da es den Herrn und die Mutter Gottes betraf ... nein, hab' ich nicht daran gedacht.«

»Dem Herrn, Kind, sind Opfer und Anerbietungen wohlgefällig, wenn wir sie aus unseren eigenen Kräften ihm darbringen. Das Herz will er, den Willen; Ihr aber konntet ihm nicht den Willen eines andern zum Opfer bringen, dem Ihr Euch verpflichtet hattet.«

»Hab' ich unrecht daran gehandelt?« fragte Lucia.

»Nein, armes Mädchen, das denkt nicht; ich glaube selbst, die heilige Jungfrau hat die Absicht Eures betrübten Herzens wohlgefällig aufgenommen und sie dem ewigen Vater für Euch dargeboten. Sagt mir aber, habt Ihr Euch mit niemandem jemals darüber beraten?«

»Ich habe nie geglaubt, daß es etwas Unrechtes sei, um es zu beichten; und das wenige Gute, das wir Menschen auf Erden tun können, das dürfen wir nicht zählen.«

»Habt Ihr keinen andern Beweggrund, der Euch etwa zurückhält, das Wort, das Ihr dem Jüngling gegeben, wahrzumachen?«

»Was ihn betrifft ... für mich – was für 'nen Beweggrund sonst? Ich wüßte nicht zu sagen ... sonst keinen.« – Die zögernde Antwort aber verkündigte etwas ganz anderes als eine Ungewißheit des Gedankens, und ihr Gesicht, noch von der Krankheit entfärbt, blühte plötzlich in der lebhaftesten Röte auf.

»Glaubt Ihr,« nahm der greise Mönch, den Blick senkend, das Wort, »daß Gott seiner Kirche die Gewalt gegeben hat, die Schuldigkeiten und die Verpflichtungen, zu welchen sich die Menschen gegen ihn verbunden haben, aufzulösen und unwirksam zu machen, sobald ein größeres Heil daraus erwachsen kann?«

»Gewiß,« sagte das Mädchen, »das glaub' ich.«

»So wisset, wir Diener Gottes, die wir mit der Pflege der Seelen hier auf Erden beauftragt sind, wir haben für alle diejenigen, die ihre Zuflucht zu uns nehmen, die weiteste Befugnis der Kirche. Ich kann also, wenn Ihr es verlangt, von jeder Verpflichtung, wie sie auch immer laute, Euch lossprechen und das Band dieses Gelübdes trennen.«

»Ist's aber nicht eine Sünde, wenn man zurücktritt und ein Versprechen bereut, das man der heiligen Jungfrau gegeben hat? Ich hab' es damals von ganzem Herzen ausgesprochen ...« Von einer so unerwarteten Hoffnung ergriffen, war Luciens Gemüt aufs heftigste bewegt; sie fühlte einen Zweifel aufsteigen und hatte geglaubt, durch alle die Gedanken, welche seit so langer Zeit die vorzüglichste Beschäftigung ihres brütenden Geistes gewesen, es unerschütterlich befestigt zu haben.

»Eine Sünde, Kind?« sagte Bruder Cristoforo. »Sünde, zur Kirche seine Zuflucht zu nehmen, ihren Diener zu ersuchen, daß er Gebrauch mache von der heiligen Gewalt, die er von ihr und sie von Gott erhalten hat? Ich bin Zeuge gewesen, wie Ihr beide zur Vereinigung geschritten seid, und beim Himmel, wenn ich jemals geglaubt habe, daß ein Paar von Gott zueinander geleitet worden, so wart Ihr dieses Paar; jetzt seh' ich nicht, warum derselbe Gott Eure Trennung wollte. Ich muß ihn preisen, daß er mir, unwürdig wie ich bin, die Kraft verliehen hat, in seinem Namen zu sprechen und Euch von Eurem Wort zu lösen. Wenn Ihr mich ersucht, ich soll Euch Eures Gelübdes entbunden erklären, werd' ich keinen Augenblick mich bedenken, es zu tun, und ich wünsche, daß Ihr mich darum ersuchet.«

»Dann, dann ...« sagte Lucia mit einer Miene, welche nur die Scham verwirrte, »ja, dann ersuche ich Sie darum!«

Der Mönch rief den Jüngling durch einen Wink herbei. Dieser stand im entferntesten Winkel und sah mit aufmerksamen Blicken nach ihnen hin. Nachdem er hingetreten, sprach Bruder Cristoforo mit lauter feierlicher Stimme zu Lucien: »Kraft der heiligen Gewalt, welche die Kirche mir anvertraut hat, erkläre ich Euch hiermit gelöst vom Gelübde der Jungfräulichkeit, erkläre alles, was Ihr darin unbesonnenerweise gelobt, für nichtig und entbinde Euch jeder Verpflichtung, welche Ihr dabei auf Euch genommen habt.«

Welche paradiesischen Töne des Entzückens für Renzo! Er dankte mit funkelnden, feuchten Augen dem Redner und suchte dann, obschon vergebens, Luciens Augen zu begegnen.

»Kehret mit der Sicherheit des Friedens zu Euren früheren Gedanken zurück,« fuhr der Kapuziner fort, »liebet Euch wie Gefährten auf der Reise; es begleite Euch der Gedanke, daß Ihr einst zur bestimmten Stunde Euch verlassen müsset, und der Glaube, daß Ihr für immer Euch wiederfindet. Stattet dem Himmel Euren Dank ab, daß er Euch nicht durch rauschende verhallende Fröhlichkeit zu diesem Ziele geleitet hat; durch Ungemach und Elend hat er es Euch erreichen lassen, um Euch einer ruhigen besonnenen Fröhlichkeit fähig zu machen. Wenn Gott Euch Kinder schenkt, so trachtet, sie für ihn zu erziehen, ihnen die Liebe zu ihm wie zu den Mitmenschen einzuflößen, und gebt ihnen in allem andern eine tugendhafte Anleitung. Lucia! Hat Euch Euer Bräutigam gesagt, wen er hier gefunden hat?«

»Ja, ehrwürdiger Vater, er hat es mir gesagt.«

»Ihr werdet für ihn beten und des Gebetes nicht müde werden. Und auch für mich werdet Ihr beten. Kinder! Ich möchte gar gern, daß Ihr ein Andenken an Euern armen Mönch habet.« – Mit diesen Worten nahm er aus seinem Korbe eine Schachtel von schlechtem Holze, die aber mit der Geschicklichkeit, welche den Kapuzinern eigen, gedrechselt und geglättet war. – »Hier drin ist das Überbleibsel jenes Brotes, des ersten, um welches ich aus Menschenliebe gefleht, des Brotes, von dem Ihr sprechen gehört habt. Ich hinterlasse es Euch, behaltet es, zeigt es Euren Kindern. Sie werden in eine traurige Welt treten, in ein schmerzenreiches Zeitalter, mitten unter stolze Menschen und freche Versucher; sagt ihnen, sie sollen immer Verzeihung üben, immer und für alles, sollen beten für den armen Mönch!«

So gab er Lucien die Schachtel. Diese empfing sie mit großer Ehrfurcht, wie eine heilige Reliquie. – »Jetzt sagt mir,« sprach er darauf mit ruhigerem Tone, »was habt Ihr hier in Mailand für Unterstützung? Wo denkt Ihr Euch niederzulassen, wenn Ihr aus der Stadt hier fortgeht? Und wer wird Euch zu Eurer Mutter führen, die Gott bei Gesundheit erhalten möge?«

»Diese gute Frau, die mit mir unsere Hütte teilt,« sagte Lucia, »hat so lange Mutterstelle bei mir vertreten. Wir werden zusammen das Haus hier verlassen, und dann wird sie auf alles bedacht sein.«

»Gott segne sie!« sagte Bruder Cristoforo und trat zum Bette, in dem die Frau lag. »Ich danke Ihnen auch,« sprach diese, eine Frau von etwa dreißig Jahren, die durch die Pest Witwe geworden war und in wenigen Tagen ihre ganze Familie hatte hinscheiden sehen, »Sie haben die beiden armen Geschöpfe hier so gottselig getröstet, wenn ich mir auch Rechnung gemacht hatte, die liebe gute Lucia auf immer bei mir zu behalten. Einstweilen aber lass' ich sie nicht fort; ich werde sie nach ihrem Dorf begleiten und sie in ihrer Mutter Hand geben; ich werde,« fügte sie leise hinzu, »werde sie ausstatten. Ich hab' mehr liegen, als ich verbrauchen kann, und es lebt keine Seele mehr, für die ich's sonst aufbewahren sollte.«

»So können Sie,« sagte der Mönch, »eine schöne Tat vor Gott tun und dem Nächsten eine Wohltat erzeigen. Ich empfehle Ihnen das arme junge Mädchen nicht weiter; ich seh' schon, wie sie ganz die Ihrige geworden ist. Nur Gott ist zu loben, der auch in seinen Plagen sich wie ein Vater zeigt; er hat Sie beide sich finden lassen und dadurch beiden ein Zeichen seiner Liebe offenbart. Nun auf!« rief er, indem er Renzos Hand faßte, »wir beide haben hier nichts mehr zu tun und sind schon allzulange hier gewesen. Wir wollen gehen.«

»O Vater!« rief Lucia. »Werd' ich Sie noch wiedersehen? Ich bin geheilt, ich, die ich nichts Gutes in dieser Welt verrichte, und Sie ...«

»Schon seit langer Zeit,« war des Kapuziners ernste, aber sanfte Antwort, »fleh' ich zum Herrn um die Gnade, mich hinwegzunehmen mitten im tätigen Liebeseifer für meinen Nächsten. Wenn er jetzt sie mir gewähren will, so müssen alle, die Liebe für mich empfinden, in mein Dankgebet einstimmen. Fort, gebt dem Jüngling Eure Aufträge an Eure Mutter.«

»Sag' ihr, was du gesehen hast,« sagte Lucia zu ihrem Verlobten; »daß ich eine zweite Mutter hier gefunden habe, daß ich mit dieser redlichen Frau sobald wie möglich hinkommen werde und sie gesund zu finden hoffe.«

»Wenn du Geld brauchst,« sprach Renzo, »ich hab' hier alles bei mir, was du mir geschickt hast, und ...«

»Nein, nein,« unterbrach ihn die Witwe, »ich habe mehr als nötig.«

»So komm,« rief Bruder Cristoforo.

»Auf Wiedersehen, Lucia!« sagte Renzo. »Und auch Sie, vortreffliche Frau!« – Was er aber in diesem Augenblick empfand, konnte er durch keine Worte bezeichnen.

»Wer weiß,« rief Lucia betrübt, »ob uns der Herr die Gnade erzeigt, daß wir uns alle, wie wir hier stehen, noch wiederfinden!«

»Genug,« sprach der Mönch, »er sei immer mit euch und verleihe euch seinen Segen!« – Das war sein letztes Wort in der Hütte.

Der Abend war nicht mehr weit, und das Unwetter drohte loszubrechen. Der Kapuziner machte dem Jüngling noch einmal das Anerbieten, für diese Nacht in seiner dürftigen Behausung neben ihm zu bleiben. »Gesellschaft kann ich dir nicht leisten,« fügte er hinzu, »aber du wirst wenigstens unter Dach und Fach sein.«

Dessenungeachtet drängte es unsern Jüngling, sich auf den Weg zu machen. Was Stunde und Wetter betraf, so bestimmten sie ihn nicht; Nacht und Tag, Sonne und Regen, Westwind und Nordsturm galten ihm in diesem Augenblicke vollkommen gleich. Er dankte also dem Freunde und eröffnete seine Absicht, so schnell wie möglich Agnesen aufzusuchen.

Als sie in dem Gange schritten, drückte ihm Bruder Cristoforo die Hand. »Wenn du sie findest, was Gott gebe, so grüße sie auch in meinem Namen; ihr und allen, die sich noch an Bruder Cristoforo dort erinnern, sage, sie möchten freundlich für ihn beten. Gott begleite dich und segne dich immerdar!«

»O teurer, teurer Pater! Werden wir uns wiedersehen?«

»Dort oben!«

Mit diesen Worten riß er sich von Renzo los. Dieser blieb stehen und blickte ihm nach, bis er ihn verschwinden sah. Dann eilte er nach dem Tore hin und warf zur Rechten und Linken die letzten Blicke des Mitleids auf dieses Gefilde des Jammers. Alles umher war in außerordentlicher Bewegung; Karren wurden gezogen, Monatti liefen hin und her, geschäftige Hände brachten die Zelte in Ordnung, Kranke schleppten sich schwankend nach den Hallen, Ohnmächtige krochen an der Erde hin, alles suchte Schutz vor dem drohenden Ungewitter.


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