Niklaus Manuel
Die Totenfresser
Niklaus Manuel

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8. Eine angebliche Dichtung des Regierungsmanns Manuel nach 1528. Sein Tod 1530.

Zu Ostern 1528 ward in Bern die Obrigkeit neu bestellt: die Wahlen fielen ganz im Sinn der Neuerer aus. Manuel, seit 1512 im Großen Rat der Zweihundert sitzend, ward infolge des Umschwungs bereits zu Ende Mai Mitglied des neu eingeführten Chorgerichts und im Herbst Venner zu Gerbern, d. h. Bannerträger und Vertreter eines der vier Stadtquartiere in der Regierung. Durch Gesetz habe man, so schreibt Berchtold Haller aus Bern an Vadian in St. Gallen, Ehebrecher und Leute von anstößigem Lebenswandel aus den Räten hinausgedrängt und, wenn sie sich nicht bessern würden, mit Verbannung bedroht. »So haben«, fährt er fort, »zwanzig aus dem Rat der Zweihundert und vier aus dem Kleinen Rat weichen müssen. Emanuel ist von seiner Landvogtei in die Regierung (senatus) berufen worden, und die Zahl der guten Gläubigen ist so gemehrt, daß sie die der Ungläubigen übersteigt.« »Manuel wird nie etwas versäumen«, so rühmt derselbe Haller dem Freunde Zwingli die Zuverlässigkeit und Umsicht des neuen Regierungsmannes.

Wie schon früher der Künstler, so geht nun auch der Dichter Manuel für seine zwei letzten Lebensjahre fast vollständig in seiner öffentlichen Tätigkeit auf: wir haben nach der auf den Sieg der Reformation verfaßten Krankheit der Messe und ihrem Anhang kein literarisches Werk XLI mehr von ihm. Denn das »Elsli Tragdenknaben«, das laut dem ersten zu Basel 1530 erschienenen Druck in diesem seinem Todesjahre an der Herrenfastnacht – wenige Wochen vor seinem Hinschied – zu Bern aufgeführt worden ist, gehört unserm Manuel zweifellos nicht zu.

Zunächst fehlt wiederum jede Andeutung eines Verfassers, wie sie Manuel in seinen echten Spielen und Gesprächen (Totenfresser, Papst und Christus, Ablaßkrämer, Barbali) durch den »Schweizerdegen« am Schluß zu geben pflegt. In den erwähnten einzigen alten Druck – die zwei andern sind, ebenso wie die Überarbeitungen, viel später – ist am Ende des Büchleins »in alter Handschrift« der Vermerk eingetragen: »Diß spil sol gestelt haben Niclaus Manuel ein guotter Maaler und Burger zu Bern.« Dieser soll nach Grüneisen und Bächtold zu der Dichtung veranlaßt worden sein durch seinen eben erfolgten Eintritt in das neue Chorgericht, von dem nach Bächtold unser Spiel »eine lebensvolle Anschauung« gewährt. Nun ist aber im »Elsli« nicht das Walten und die gute Wirkung eines solchen Chorgerichts vorgeführt; vielmehr findet ein Rechtstag (Vs. 47) vor dem geistlichen Gericht (51), vor dem Offizial eines bischöflichen Gerichts (3) statt, wobei zwar allerlei Hiebe auf die geistlichen Richter und ihre Habsucht fallen und die von ihnen empfohlene Heirat eines lockeren Paares erst durch das Zureden eines einfachen bibelbelesenen Bauern zustande kommt, aber eine Beziehung auf das neue Ehegericht nirgend zutage tritt.

Das 1530 zu Bern gespielte und zu Basel gedruckte »Elsli« ist also ein von dem uns verlorenen »Chorgericht«, das sich Manuel 1529 samt dem »Traum« und anderen Werken seiner Feder von Zwingli zurückerbeten hat, gänzlich verschiedenes Fastnachtsspiel irgendeines damaligen Berner Poeten. Das »Elsli« wäre auch, mit seiner Verbindung von derber Zotigkeit und frommer Salbaderei, XLII teilweise im Munde derselben Personen, Manuels keineswegs würdig; es wäre zudem bloß die ungeschickte Bearbeitung eines ältern Stückes. Adolf Kaiser hat (1899) nachgewiesen, daß der Kern des »Elsli« bereits in den verschiedenen Gestalten eines Tirolischen Spieles von einem Liebespaar Rumpolt und Mareth vorliegt. Dieses kurze Spiel sei dann vermutlich zunächst im Neckarland durch Einschiebung von Reden und Personen, worin auch neuere schwäbische Begebenheiten verwertet wurden, zu einem größern Volksschauspiel umgestaltet worden; ein Angehöriger des schwäbisch-bernischen Kreises der Berner Reformationsfreunde habe dieses schwäbische Spiel aus der Heimat mitgebracht und vorgeschlagen, ihm einen theologischen Anstrich zu geben, einen reformatorischen Schwanz anzuhängen. Das sei dann vielleicht unter Niklaus Manuels Leitung geschehen; aber jedenfalls brauche er nicht länger der Verfasser dieses »in seiner Doppelnatur geringwertigen« Spieles zu heißen. (Wir hatten diesem auch von uns empfundenen Eindruck der dramatischen – und namentlich der ethischen – Geringwertigkeit und psychologischen Unmöglichkeit des Stückes schon gleich nach seiner vollständigen Herausgabe durch Bächtold – 1878 – in der »Zeitschrift für deutsche Philologen« Worte gegeben und Urteile über den Verfasser des »Elsli« daran geknüpft, die wir seit 1899 über Manuel nicht mehr aussprechen dürften, jedoch nicht zurückzunehmen brauchen, da ihm dieses Werk nicht zur Last fällt.)

Wenn wir aber von dem Dichter Manuel seit 1528 nichts mehr, von dem Maler und Zeichner wenig mehr hören, so erklärt sich das leicht aus dem bewegten Leben, das dem Ratsherrn und Chorrichter, dem einstigen Herold und nunmehrigen berufenen Vertreter der reformatorischen Umgestaltung Berns für seine zwei letzten Lebensjahre aus diesem Umschwung erwuchs. Die Durchführung der XLIII Reformation in Bern seit der entscheidenden Disputation war Sache der weltlichen Obrigkeit; die kirchlichen Angelegenheiten bildeten auch den Hauptinhalt der damaligen Politik Berns gegenüber den Eidgenossen und dem Ausland. Da konnte man Manuel brauchen. Er hat in den zwei letzten Jahren seines Lebens, 1528 bis 1530, Bern nachweislich auf über dreißig Tagsatzungen und Konferenzen vertreten. Er hat als Schützenhauptmann den Interlakner Aufstand gedämpft und den Ersten Kappelerkrieg unblutig zu Ende führen helfen, hat als Gesandter in Basel, Schaffhausen und Soloturn für die Annahme der Reformation gewirkt und in Straßburg den Schwur der Stadt zu dem Christlichen Burgrecht der evangelischen Orte entgegengenommen. Er hat noch wenige Wochen vor seinem Tode auf einem angesichts des bedrohlichen Bundes von Papst und Kaiser berufenen Tag der Burgrechtsstädte zu Basel die knappen und versöhnlichen Vorschläge eingereicht, die der Zürcher Ratsschreiber den schärferen Anträgen des gewählten Ausschusses als »Manuels Ratschlag« entgegenstellte: »mit den Eidgenossen sich zu verständigen, die alten Bünde zu beschwören, gute Sorge und Wachsamkeit zu üben«. Am 28. April 1530 ist Manuel gestorben. Der früh Vollendete, der in noch jungen Jahren die bildende Kunst der redenden, im Dienste der großen Bewegung der Zeit stehenden geopfert, hat noch die Gunst erleben und die Pflicht erfüllen dürfen, die damals stürmisch auf der Volksbühne vertretenen Gedanken in treuer und rastloser Bemühung dem Ziele entgegenzuführen, ohne den schweren Schlag, der im Zweiten Kappeler Krieg des folgenden Jahres die evangelische Sache in der Schweiz und weit über sie hinaus traf, erleben zu müssen.

Bern und Stein am Rhein, 1922.

F. V.

 


 

XLIV Der nachfolgende Druck der ›Totenfresser‹ gibt den Text des Stückes nach der einzigen alten Hs. H (Hamburg, Stadtbibl.), deren große Lücke aus B (Bächtolds Ausgabe des Druckes von angeblich 1522, richtig 1523) vervollständigt ist. Abgewichen sind wir in den aus B entnommenen Textteilen in dem durchgehenden Ersatz des ai durch ei, das sicher damals, wie noch heute, der Mundart des Bernerlandes entsprach. Dagegen sind wir dort in der Bezeichnung der anden Vokale und Diphthonge der nach genauer Wiedergabe der Laute strebenden Hs. H gefolgt. Das nach der Mundart des Schreibers zu å oder au gewandelte lange a ist nach der Hs. als ă gedruckt, wobei Inkonsequenzen des Schreibers beibehalten sind. Für den Umlaut des langen o in ou, der in schweizerischen Mundarten noch vorkommt, ist die Schreibung ŏ aus der Hs. aufgenommen, für den Umlaut des uo das Zeichen der Hs., ů, angewandt, für das kurze und das lange ü die einheitliche Schreibung ú durchgeführt, außer wo beibehaltene abweichende Schreibung (ŭ) abweichende Aussprache anzudeuten scheint. Der Umlaut von ŏ und ō ist in der Hs durch oe [als Ligatur], in B durch ö bezeichnet, was wir beidemal beibehalten, der von ă und ā hsl. durch e und ae, in B durch ä, was bei uns wiedererscheint.

Die Bezeichnung weiterer benutzter Drucke neben Hs. H und Druck B entspricht derjenigen Bächtolds. Kursivschrift im Text deutet eine Abweichung derselben von der bez. Hs. an. Einzelne weitere Dichtungen Manuels sind zitiert als Tr.: Taum, BL: Biccoccalied, TF: Totenfresser (bei Bächt. ›Vom Papst und seiner Priesterschaft‹, was aber nur auf eine Inhaltsangabe bei Anshelm zurückgeht), PCG: Vom Papst und Christi Gegensatz, AK: Ablaßkrämer, Bb: Barbali, EF: Ecks und Fabers Badenfahrt, KM: Krankheit der Messe, TM: Testament der Messe. 1

 


 


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