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Das Herz

Zuerst erschienen in »Das Herz«, Insel-Verlag, Leipzig, 1910

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, II. Band

 

I

Gleich nach bestandener Matura legte Christoph bei zwei Gelegenheiten solche Proben geschäftlicher Befähigung ab, daß sogar der alte Pacher betroffen war. Er ließ den Sohn mit neunzehn Jahren mündig sprechen und erteilte ihm die Aufgabe, das Egerer Haus in Wien zu vertreten. »Nach den Beweisen, die ich von dir habe, wirst du in Wien sowenig wie anderswo unser Werk gefährden; ich verlasse mich auf dich.« Damit war Christoph allein und ging still und fest seinen männlichen Weg. Er tat, umschwärmt von Vergeudung und Vergnügen, keinen Schritt, der nicht Erwerb und Nutzen galt.

Eines Abends, als er, wie jeden Abend, um zehn Uhr nach Hause kam, stieß er im Dunkeln der Treppe mit den Fingerspitzen an einen Körper, der leise aufzuckte. Christoph schlug Licht: da flammte großes rotes Haar auf und ein zu weißes Gesicht sah ihn aus umschatteten Augen wie blind an. Er hob die Frau vom Geländer.

»Sie sind krank? Ich will einen Arzt holen.«

»Es ist unnütz. Ich habe nichts gegessen.«

Sie hatte seit fünf Tagen kaum gegessen. Christoph stützte sie bis in ihr Zimmer, holte seine Vorräte und zog sich zurück. Am Morgen, es war Sonntag, klopfte er und fragte, was sie zu tun gedenke. Sie sagte, sie wisse nichts mehr; ihr Mann trinke und habe sie verlassen. Sie wollte anständig bleiben. Er schwieg, er berechnete rasch, wie weit sein Einfall ihn führen könne; dann entschloß er sich.

»Ich will Ihnen in einem Restaurant die Pension bezahlen.« Nachher sprach er mit der Hausmeisterin. Es lag tatsächlich am Mann. Die Frau Melanie Gall hätte Kavaliere genug haben können, und der berühmte Makart wollte sie malen. Aber nicht einmal ihr Haar gab sie her.

Am nächsten Sonntag kam er wieder, um sie zu unterhalten, und darauf am Abend des Donnerstag, der ein Feiertag war. Er sprach von Schiller, sagte einen im letzten Schuljahr verfaßten Aufsatz her, der seine politische Überzeugung enthielt – und einen höheren Sinn als in der Nachtstunde, da er sie ersann, schienen die Sätze zu tragen, nun die Frau ihnen lauschte. Sie saß weich vorgebeugt, das Kinn in der weißen, wie muskellosen Hand, und sah von unten in seine Augen, die gelassen glänzten. Seine Stimme und seine Stirn waren fest und rein. Ihre Stirn, ihre Büste näherten sich langsam. Er sagte:

»Wir sollten uns alle für gleich halten und einander helfen; wozu sonst alle Arbeit.«

Da fühlte er ihren Atem, und ehe er erschrecken konnte, schlugen schon ihre Arme um seinen Hals.

Diese Nacht irrte er in den Straßen umher, schrieb am Morgen an seinen Vater, und noch vor Mittag stand er vor ihr.

»Meine Melanie, wir werden fort müssen.«

Sie sagte:

»Du hattest noch nie eine Frau besessen, wie?«

Da er den Kopf bewegte:

»Ich weiß, was ich getan habe!« – und sie umarmte seinen Kopf. Er entzog ihn ihr.

»Du wirst es schwer haben mit mir. Wir werden arm sein und in der Fremde leben.«

»Ich bin älter als du.«

»Vier Jahre, was bedeutet das.«

»Ich wundere mich. Du Kind, du willst mein Mann sein? – Nein, ich wundere mich nicht.«

Sie maß ihn. Er war nicht größer als sie, aber er hielt die schmalen Schultern gespannt, und wie kräftig lagen die Lippen aufeinander! Mit einem stockenden Lächeln der Bewunderung sagte sie:

»Ich bete dich an.«

Er schloß die Augen. Als er sie öffnete, war seine Stimme ganz leise und so ernst wie eine Drohung.

»Es ist fürs Leben.«

 

II

Die Antwort seines Vaters sah aus, wie er's erwartet hatte. Er fuhr nach Hause; und bei seiner Rückkehr sagte er zu ihr:

»Ich bin also enterbt und entlassen: wir können reisen.«

Sie fuhren auf einem Tandem über den Semmering nach Italien; es war im November.

»Aber hier ist es kalt«, sagte Melanie. »Wo ist die Sonne, wo sind die Blumen?«

Er erwiderte:

»Ich weiß bestimmt, daß hier etwas für mich zu machen ist.«

Er hatte sich die Agentur einer Fahrräderfabrik verschafft und brachte mit Verkäufen sie und sich von einer Stadt zur andern fort. In Brescia ging er zu dem Geschäftsfreund seines Hauses.

»Ihr Herr Vater hat mir schon geschrieben«, sagte der Mann. »Es ist Geld für Sie da, falls Sie die Frau, mit der Sie sind, verlassen wollen. Ich rate Ihnen, vernünftig zu sein. In einem Lande, dessen Sprache …«

Christoph hörte nicht weiter, er hatte die Tür zugeschlagen.

In Mailand bezogen sie eine Kammer, auf einen Hof hinaus, und Christoph lief die Stadt ab nach einer Anstellung. Des Abends kam er heim, abgehetzt, beschmutzt durch kleine niedrige Gelegenheitsarbeiten, die Augen noch voll von den Gesichten des Elends: – und da ging, gleich hinter dieser schwarzen Tür, die Feensonne ihres Haares auf! Sie streckte ihm diese weißen Arme entgegen, und ein warm blühender Garten umfing ihn. Er aber schlug nicht die Augen nieder. ›Sie ist reich‹, dachte er, ›aber auch ich bin es. Ich werde ihr einen Palast bauen. Eines Tages wird sie mir sagen, daß es das klügste war, was sie tun konnte, daß sie mit mir kam.‹

Es ward so kalt und die Arbeit so selten, daß er es vorzog, im Bett Italienisch zu lernen. Nach zwei Monaten war eines Morgens ihre Kammer ein wenig heller. »Ob die Sonne scheint?« Seit acht Tagen lebten sie von dem Rest einer Polenta, die Melanie von einer Nachbarin zum Kosten bekommen hatte. »Die Frühlingsluft wird uns gut tun.«

Auf der Straße nach Monza sahen sie einander, noch blinzelnd, in die Gesichter: sie waren schmäler und blasser – und gleich rasch umschlang einer des andern Arm.

»Wir haben einen guten Winter verlebt. Wir werden Glück haben.«

»Da –«, und Melanie lächelte wie eine Zauberin.

»Was schenke ich dir?«

Im Staub lag ein Zweilirestück. Welch ein Fest! Und wie sie gesättigt nach Hause kamen, wartete auf dem Tisch ein Brief; eine Hanffabrik in Ferrara, der Christoph sich angeboten hatte, berief ihn; und das Reisegeld reichte für zwei Billette dritter Klasse!

In Ferrara fand es sich, daß Buchhalter und Geschäftsführer in Angst lebten vor dem nahen Besuch ihres Herrn, des Abgeordneten Bizarri. Er war jähzornig, und die Bücher waren schlecht geführt. Christoph erbot sich, sie mit Hilfe der Nächte in Ordnung zu bringen. Melanie arbeitete mit ihm.

»Wenn ich dich nicht hätte, würden diese viertausend Francs mir entgehen.«

Eines Nachts trat der Geschäftsführer ein.

»Sie sind verheiratet, Herr Pacher? Aber dann bekommen wir ja eine schöne Frau mehr in unsere etwas eintönige Gesellschaft.«

Zwei Jahre lang lebten sie geachtet und in Frieden. Dann begegnete Melanie zögernden Grüßen, man richtete halbe Worte an Christoph. Ein Reisender seines Vaters war in der Stadt gewesen.

»Wie er hinter uns her ist!« sagte Melanie, zusammengebrochen. »Welch Haß!«

Christoph dachte: ›Ich begreife ihn; aber eines Tages werde ich ihm gegenübertreten, reicher als er selbst.‹ Und er richtete sie auf, er küßte sie.

»Ich habe schon ein kleines Kapital, wir sind auf dieses Nest nicht angewiesen. Wir gehen nach Bologna, und ich etabliere mich.«

Alles ging gut. Durch den Abgeordneten Bizzari ward Christoph mit einem jungen Mann von großem Einfluß bekannt, der ihm sogleich Freundschaft zeigte. Gaetano Grappa war aus einer mächtigen Familie der Stadt, und er lebte in Rom als Sekretär eines Ministers. Er verschaffte Christoph Kredit und Konzessionen; einmal führte er den Minister in die Fabrik.

»Nie habe ich einen solchen Freund gehabt«, sagte Christoph. Melanie sah ihn tief an.

»Wer weiß, was er von dir will. Du hast eine Freundin: ist das nicht genug?«

Im Sommer machten sie Fahrten in den Apennin; Gaetano kam für einen Tag von Rom her, um dabeizusein. Eines Sonntags saßen sie ohne Melanie droben in Abetone. Gaetano war schweigsam gewesen, und jetzt trank er.

»Ich habe dich nie so viel trinken gesehen«, sagte Christoph.

»Ich bin nicht, der du glaubst« – und Gaetano starrte ihn entsetzt an. »Zwischen uns ist ein Geheimnis. Welch Geheimnis!«

Flüsternd:

»Ich liebe deine Frau.«

Da Christoph heftig erbleichte:

»Oh! Fürchte nichts. Deine Frau ist eine Heilige. Sie würde mich sterben sehen.«

Er schluchzte auf.

»Und nimm hinzu, daß ich in Wahrheit dein Freund bin.«

Nach einer stummen Weile, da Christoph aufstand:

»Nimm es nicht wichtig; ich habe getrunken. Aber du sollst sehen, daß ich sicher auf dem Rad sitze: ich fahre die Abkürzung.«

»Sie ist lebensgefährlich!«

Der andere hielt an, am Rande des Abhanges.

»Du warnst mich?«

Christoph wandte sich ab.

Er hörte einen Sturz und eilte hinzu: Gaetano war unverletzt. Christoph berührte seine Schulter.

»Du dauerst mich.«

»Aber es wäre besser für uns alle, ich wäre umgekommen.«

»Ja«, sagte Christoph.

Sie führten ihre Räder. Gaetano begann plötzlich:

»Gib mir deine Frau! Ich spreche nicht zu dir wie ein Gentleman, aber danach frag ich nicht mehr. Gib sie mir und verlang, was du willst.«

Christoph erwiderte mit ruhiger Stimme:

»Du hast nicht nötig, mich zu bezahlen. Sie mag wählen zwischen uns.«

»Es gibt etwas Neues«, sagte er zu Melanie. »Der Gaetano liebt dich.«

Und mit einem Blick in ihre Augen:

»Ah! Es ist nichts Neues für dich: ich dachte es mir.«

Sie nahm seine Hand.

»Verzeih! Ich wollte dich nicht erzürnen gegen ihn, du solltest deinen Freund behalten.«

»Lassen wir's. Jetzt hast du die Wahl.«

»Was willst du sagen?«

»Er ist reich, er bietet dir eine große Zukunft: meine ist unsicher. Sein Einfluß reicht bis zum Papst, mag sein, daß er deine Scheidung bewirkt, was ich nicht könnte. Dann wird er dich heiraten.«

»Was geht das alles mich an. Ich soll wählen? Ich habe doch gewählt, als ich dir folgte. Hast du vergessen, was du damals sagtest? Es ist fürs Leben.«

»Mag sein – aber wir sind älter geworden und so oft schon enttäuscht. Mir ahnt, daß wir auch von hier werden fortmüssen. Willst du immer ohne Heimat bleiben?«

»Du bist meine Heimat, du!« – und sie schüttelte seine Schultern. »Denke an unsere Kammer in Mailand, als wir noch ganz fremd waren und allein. Oh! All die Fremden, durch die wir hindurchgegangen sind: ihre Masse hat uns aneinandergepreßt. Was will uns noch trennen!«

Sie sah seine Schläfen weniger hart, sein Mund zuckte – und sie jubelte auf, sie riß ihn an sich.

»Ah! Du hast gezweifelt. Du hast Angst gehabt. Wie ich dich dafür liebe! Du bereitest mir das Glück, daß ich mich dir noch einmal geben darf!«

 

III

Der junge Grappa warf mit dem Wagen um und lag zwischen Leben und Tod. Als er gerettet war, kam das Haupt der Familie zu Christoph und bat ihn, abzureisen mit seiner Frau.

»Wir würden hier kein Glück mehr haben«, sagten sie zueinander, »wozu den Armen quälen. Recht weit fort! Etwas ganz Neues!«

Sie fuhren nach New York. Alte Bilder, die Christoph in Italien zusammengebracht hatte, trugen ihm ein erstes Kapital ein. Er ließ Melanie in der besten Pension von Baltimore und zog aus, um Geld zu machen. Er erwarb Wald und Land, stach Torf, ward Mitbegründer einer Stadt, auf einer Farm von Räubern niedergestreckt – und sobald er vom Bett aufgestanden war und einen sicheren Wohnort hatte, holte er sie zu sich.

In vier Jahren stieg der Wert der zweihundert Baustellen, die ihm in Springtown gehörten, um das Zwölffache. Sie bewohnten ein ganz städtisches Haus.

»Was ist heute im Theater?« sagte Melanie eines Abends, und sie seufzte. »Hundertfünfzig Meilen vom nächsten Theater entfernt zu leben: welch Geschick!«

»Wir werden uns später dafür entschädigen. Inzwischen genießen wir hier den Vorzug, daß niemand sich um uns bekümmert.«

»Das ist freilich sehr wahr. Hierher verirrt sich kein Reisender deines Vaters. Aber mit dreißig Jahren verzichten müssen auf Menschen, Musik, Luxus!«

Da er nicht mehr antwortete:

»Später, sagst du? Aber können wir denn unverheiratet hinüber? Und du willst nicht, daß wir heiraten – obwohl meine kirchliche Ehe hier gar nicht hindert. Aber du bist ein zu guter Geschäftsmann, und dein Pflichtteil ist dir lieber als mein Glück.«

»Es ist nicht der erste Abend, daß wir dies alles besprechen.«

Sie hörte nicht.

»Noch später? Dann werde ich alt sein. Wirst du dann noch bei mir sein?«

»Wie du dich langweilst!« sagte er im Ton des Mitleids. Aber soviel Unvernunft machte ihn ratlos und ärgerlich; er ging hinaus.

Sie sprang auf, sie holte ihn von der Schwelle zurück.

»Bleibe! Du läßt mich zuviel allein mit meinen Gedanken.«

»Wenn ich nicht eine vernünftige Frau hätte, wir hätten uns nie durchgekämpft bis hierher.«

Sie stützte beide Hände fest auf seine Schultern, sie sah ihm in die Augen.

»Du willst mich nicht heiraten?« Und ehe er antworten konnte: »Überlege, was du sagst! Wir kennen uns so lange, und doch ist mir's jetzt, als habest du dich nie viel um mich bekümmert.«

»Ich verstehe dich immer weniger.«

Er führte ihre Hand an die Lippen.

»Darf ich jetzt gehen?«

Sie ließ ihn plötzlich los.

»Ja«, sagte sie in einem Ton, daß er sich umsah.

Als er am Morgen erwachte, war sie fort. Ein Brief lag da.

»Du liebst mich nicht mehr, ich befreie dich von mir. Ich gehe mit einem Mann, den ich nicht liebe, aber der mich heiratet.«

Er hielt sich am Tisch, ihn schwindelte es heftig. Gleichwohl tat er seine Arbeit wie immer. Mittags, wie er heimkam, schüttelte ihn das Fieber. Er unterdrückte es und machte einen Ritt. Es kam, ging, und kam wieder, er mußte nachgeben. Da ließ er auf einmal das Essen, blieb im Schlafzimmer und schloß die Läden.

Kameraden zogen ihn hervor, einer, ein Franzose, der in New York wohnte, nahm ihn mit dorthin, zerstreute ihn und drängte ihn in Unternehmungen. Zwei Monate später fuhr Christoph nach dem Westen, um eine Kupfermine zu kaufen. Sie war solange kaum ausgebeutet; die hohen Frachtsätze der zu Goulds Trust gehörigen Bahn hatten es verhindert; aber eine zweite, unabhängige Linie war, ganz nahe einer Mine, im Bau. Nach einem Jahr blieb der Bau plötzlich liegen: die Gesellschaft hatte sich mit Gould verständigt. Christoph verkaufte mit Verlust und kehrte nach New York zurück.

»Ich habe es satt«, sagte er zu seinem Freund, »ich gehe wieder hinüber. Vier Wochen, um alles abzuschließen.«

»Du wohnst solange bei mir«, sagte der Freund, »und du arbeitest auf meinem Büro.«

Eines Tages empfing er Christoph:

»Eine Frau hat nach dir gefragt: schlank, dreißig Jahre, kupferrotes Haar … Ah! Ich wußte es«, sagte er, da Christoph erbleichte.

Der Freund begann wieder, mit halber Stimme:

»Sie hat dir viel Leiden zugefügt?«

Christoph zuckte die Achseln.

»Es ist wahr, daß ich ihretwegen herübergekommen bin, und es war umsonst. Meine zweihundert Baustellen in Springtown, die ich damals verkaufte, würden mich schon heute zum Millionär machen. Ich bin enterbt, meine Gesundheit hat gelitten, ich habe meine Jugend verbraucht.«

»Das alles aber«, sagte der Franzose, »ist nichts, verglichen mit dem, was sie dir in diesem Augenblick antut, da sie wieder erscheint.«

Er trat, die Arme verschränkt, vor Christoph hin.

»Ich bin dein Freund, und ich sage dir: Wenn du sie noch ansiehst, lieber schlag ich dich tot.«

»Sei unbesorgt«, und Christoph sah vom Schreibtisch auf. »Sie ist gegangen, das konnte sie. Zurückzukehren steht nicht in ihrer Macht.«

Wie er am Tage darauf drunten aus dem Lift trat, stand sie da. Sie fiel sogleich nieder.

»Nimm mich zurück!«

»Wenn du nicht aufstehst –«, und er wollte an ihr vorbei. Aber sie umklammerte seine Füße, sie küßte sie.

»Verzeih! Nimm mich zurück!«

Er zerrte sie in die Höhe.

»Ich habe es nicht ausgehalten bei jenem. Ich liebe dich, immer werde ich dich lieben.«

Da er abwehrte:

»Du willst mich von dir stoßen? Du?« – die Hände gerungen. »Aber du begreifst doch, daß ich nicht wußte, was ich tat.«

»Du hättest es wissen sollen«, sagte er. Sie zog den Schleier von den Augen und sah ihn an.

»Jener hat mir sein halbes Vermögen verschrieben für den Fall, daß ich fort will. Ich lasse mich scheiden, das Geld ist dein.«

Da sah er auf einmal, daß sie eine andere war: sah die Erfahrungen in ihrer Miene, das Abenteurerleben hinter ihr. Er spürte brennendes Mitleid – und eine Lockung, die ihm das Blut in die Stirn trieb. Sie schrie auf, sie griff nach ihm.

»Ah! Du liebst mich noch!«

Er riß sich los, und er floh.

»Ich habe gezeigt, daß ich stark bin«, sagte er zu seinem Freunde. »Da nun mein Platz auf dem Schiff belegt ist: wir waren sieben Jahre zusammen, hilf sie mir suchen, ich muß Abschied von ihr nehmen.«

Nach tausend vergeblichen Schritten erfuhren sie die Straße. Christoph durchsuchte sie, Haus für Haus, Treppe für Treppe. In ihrer Wohnung sagte man ihm, sie liege seit drei Wochen im französischen Hospital.

Sie lächelte ihm aus dem Bett gütig entgegen.

»Ich bin nicht mehr sehr krank … Du reist? Schon heute?«

»Um sechs Uhr«, sagte er. Sie schien nicht zu hören, ihre Augen forschten in seinen. Leise und dringend:

»Du hast sehr gelitten, als ich fort war?«

Er zögerte.

»Ich bin damit fertiggeworden. Dafür bin ich ein Mann. Vielleicht hast du es noch schwerer. Darum eben komme ich.«

»Du reist. So soll es denn aus sein.«

Sie sprach mit starrem Blick vor sich hin.

»Sieben Jahre. Vielleicht wirst du doch einmal denken, daß es die besten waren.«

»Das denke ich schon jetzt«, sagte er und gab ihr die Hand. Sie nahm sie beide.

»Denn wir haben uns sehr geliebt … Wirklich? Du verläßt mich ganz?«

Plötzlich öffnete die Angst ihr weit die Augen, ihre Stimme flog.

»Du kannst nicht bleiben? Du kannst nicht vergessen?«

»Ich würde es dir später vorwerfen. Ich will dich als eine Entwürdigte nicht wiederhaben. Dafür habe ich die noch immer zu lieb, die du warst.«

»Wie du hart bist«, murmelte sie, und ihre Züge sanken ein. Er sah sie auf einmal tief ermüdet von Krankheit und Leidenschaft. Er dachte: ›Wenn ich sie behielte: in zehn Jahren wäre ich noch jung, und ich hätte eine alte Frau … Auf was für Gedanken ich komme!‹ – und er wandte sich ab und beugte das Gesicht in die Hände. Sie begann wieder:

»Einen Augenblick des Vergessens nach so vielen Jahren der Gemeinschaft: und du verurteilst mich!«

Sie erhob die Stimme. Eine Flamme der Feindschaft trat in ihren Blick.

»Aber du hast mich immer nur aus Stolz geliebt, aus Trotz gegen deinen Vater und die Welt, aus Eigenliebe.«

Sie arbeitete sich empor. Die Hand in die Brust gekrallt:

»Was bin ich dir. Ich hasse dich!«

»Und du?« sagte er, bleich. »Ich könnte dir sagen, daß du nur so lange zu mir gehalten hast, als wir verfolgt wurden und ich dir Opfer zu bringen hatte.«

Sie schrie auf.

»Nein! Nein!«

Und plötzlich leise, zusammengesunken:

»Wirklich? Ist es so? Wer sind wir denn, und welchen Feind tragen wir im Herzen?«

Aber sie umklammerte seine Arme.

»Ich will nicht! Ich will nicht untergehen! Du wirst mich nicht verlassen – da ich dir doch sage, daß ich dein bin. Hörst du? Ich stehe auf, ich bin gesund, wir gehen fort, ich arbeite mit dir, ich bin deine Frau!«

Da er sie ins Bett zurückdrängte:

»Ach, nicht? Deine Magd also, deine Magd. Reise und nimm mich mit, im Zwischendeck!«

Er drückte sie auf das Kissen, und er strich ihr leise über das Haar. Sie betastete ihre Lider.

»Verzeih!« sagte sie. »Ich weiß wohl, daß du recht hast. Wenn du mich zurücknähmest, du wärest ein Gott. Jetzt aber liebe ich dich, denn du bist ein Mann. Ich liebe dich, ich liebe dich!«

Sie verschränkte die Hände um seinen Nacken und hob sich langsam an ihm empor. So blickte er wieder ganz nahe in dies Gesicht, in das er länger geblickt hatte als in alle anderen Menschengesichter. Diese Lippen, denen er sich auf den Kopfkissen aller Länder anvertraut hatte, atmeten wieder in seine. Alles, was er sein Leben lang schön genannt hatte, kehrte zurück unter seinem Kuß. Das Wesen, das seine Seele, seine Jugend, das Beste seiner Kraft empfangen hatte, es schlang noch einmal zehrend um ihn die Arme … Ihre Lippen stießen aufeinander. Er sank nieder zu ihr, mit dem Gesicht an ihres.

»Christ!«

»Lani!«

Und sie weinten. Durch Schleier von Tränen sagten sie einander Liebesworte von einst, Erinnerungen ferner Stunden; und sie flüsterten leise, leise, als hätten diese Dinge keine laute Stimme mehr.

Eine Uhr schlug; er richtete sich auf.

»Leb wohl!«

Sie sah ihn an, wieder voll Angst.

»Ich kann nicht. Nie werde ich diese Liebe verwinden.«

»Doch«, sagte er, »und du wirst wieder glücklich werden. Man wird dich lieben. Wir leben weiter.«

»Ich will unglücklich bleiben. Wozu leben wir weiter. Ich habe doch eine Seele. Mein Gott!«

Von der Tür her sah er zurück: sie schluchzte abgewandt. Er tat einen raschen Schritt ins Zimmer, er öffnete den Mund. Aber er schüttelte, die Lider geschlossen, den Kopf, kehrte um und ging hinaus, wie im Traum.


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