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Die arme Tonietta

Zuerst erschienen in »Das Herz«, Insel-Verlag, Leipzig, 1910

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, I. Band

 

I

Der alte Cantalupi hatte ziemlich getrunken, auf dem Wege pfiff er und klatschte in die Hände; und als nun der Zug den Hügel, der Colbasso heißt, hinaufgelangte und vor dem Hof der Neuvermählten alle haltmachten, da rief er:

»So geht denn zu Bett, meine Kinder! Dies Feld hat mein Großvater bebaut. Auch mein Enkel soll es bebauen.«

Er ließ sich von seiner Tochter ein Glas Wein bringen, küßte sie und den Schwiegersohn und kehrte um. Einige der Älteren folgten ihm; die junge Welt aber verlangte zu trinken und daß alle hinter den Pfeifern her um das Haus gehen sollten. Die Mädchen spähten in das Schlafzimmer der Hochzeitsleute und stießen sich an. Eine warf eine Blume auf das Bett, darauf tat auch die nächste es, und schließlich rupften alle von der Erde, was da war, und schleuderten es ins Fenster. Der junge Ehemann kam und fragte, warum sie lachten und schrien, aber sie sagten: um gar nichts, und er kehrte zu den Burschen zurück. Gerade schickten sie die junge Frau wieder hinein, nach einem neuen Fiasko, und hinter ihr her riefen sie Scherze. Ihr Mann hörte, wie der Carlino von Montemurlo zu einem andern sagte:

»Mag sie hergeben, was da ist! Sie wird Geld haben, denn ein Liebhaber wie der Tancredi läßt keine arm zurück.«

Matteo stürzte sogleich vor, um den Carlino zu packen. Aber es überkam ihn, daß dann alle es erfahren würden und daß dies seine Hochzeitsnacht sei. So riß er sich, die Zähne auf der Faust, hinter den Wagenschuppen zurück. ›Wären jene erst fort‹, dachte er und stieg, schwankend vor Schmerz, die Wiese hinab, ›dann werden wir abrechnen Tonietta und ich!‹ Er ließ sich hinfallen und sagte, erschöpft durch seine Wut: »Vielleicht war es eine Lüge Carlinos.« Dann schien es ihm wieder wahr, und er schluchzte in die Hände. »So habe ich bei den Soldaten, die langen Jahre, ihr alle diese Briefe geschrieben, indes der Tancredi sie hatte!«

Wie er endlich zurückging, hielt er den Kopf gesenkt und die Fäuste geschlossen. Kaum aber daß er, am Zaun, vom Boden aufsah, zog schon sein Fuß sich zurück und legten seine Hände sich auf die Brust. Vor dem Madonnenbilde in der Mauer kniete Tonietta; vom Mond, der noch tief hinter den Ölbäumen war, drang ein dünner Strahl bis zu ihr und zerstäubte auf ihr; und die violetten und bestirnten Tiefen über ihr waren so still, als hörte der ganze Himmel nur sie. Matteo ließ sich, wo er stand, auf die Knie. Als Tonietta aufstand, erblickte sie ihn, und sie gingen sich entgegen.

»Alle sind fort, schon lange«, sagte Tonietta. »Ich habe dich erwartet.«

»Und du denkst an keinen, der nicht hier ist?« fragte er und streckte den Kopf vor. Sie legte ihren in den Nacken.

»Bist du nicht hier, o Matteo?«

Da schüttelte er sich, die Augen geschlossen, und wand den Arm um ihre Hüften. So gingen sie um das Haus. Von einer sehr fernen Straße, wohl schon bei Villa Cotagna, kam noch einmal der Ton des Pifferaro.

»Wie wir allein sind!« sagte Tonietta. »Waren je andere so allein?«

Matteo breitete wild die Arme aus.

»So sollte es bleiben!«

»So sollte es bleiben«, sagte auch sie. Wußte sie denn, was er dachte? Daß morgen, wenn er den Tancredi zur Rede stellte, vielleicht alles aus war?

»Denn wir sind glücklich«, sagte sie.

»Ja, glücklich!« – und er preßte sich an sie.

»Wie es duftet, Lieber! Es duftet aus unserem Zimmer. O sieh! Es ist voll Blumen. Unser Bett ist voll Blumen.«

»Das waren die Mädchen!« rief er. »Sie haben sich lustig gemacht über mich.«

»Warum lustig gemacht? Sie wollten uns Freude machen. Aber wir müssen die Blumen hinaustragen, sonst werden wir krank.«

»Und wenn wir stürben! Wäre es nicht das beste?«

»Warum? Wir, die so glücklich sind!«

»Das Glück ist kurz, o Tonietta. So glücklich wie diese Nacht werden wir vielleicht nie mehr sein. Könntest du nicht mit mir sterben?«

Sie verschloß ihre Augen an seiner Brust.

»Auch sterben könnte ich mit dir, o Matteo!«

Da atmete er tief auf und sah empor. Ihm war's, als ragte er in den Himmel wie die Zypresse dort, die mit ihrer Spitze an einen Stern stieß.

An seiner Hand und auf seiner Brust betrat Tonietta das Haus. Als sie aber wieder hervorkamen, schleifte Matteo sie hinter sich, und sie schrie: »Mitleid! Du bist wahnsinnig.«

Vom Anblick der Madonna bekam sie Kraft, sich loszureißen, und sie warf sich vor das Bild hin und bewegte die hinaufgestreckten Hände, als wände sie an einem Seil.

»O Madonna!« rief sie, »o meine Madonna! Auch du bist eine Frau, und du weißt wohl, daß ich unschuldig bin! Sage ihm, daß ich unschuldig bin!«

Er hielt sie schon wieder.

»Ich bin betrogen!« – und er griff sich nach der Kehle. »Du und dein Vater, ihr habt mich betrogen. Er muß dich zurücknehmen. Fort mit dir!«

Er schleifte sie weiter. Auf der Mitte des Hügels klammerte sie sich an eine große Wurzel und war nicht loszubringen.

»Bin ich nicht dein Weib?« schrie sie immer wieder. »Dein Weib, das dich liebt?«

Zuletzt zerschnitt er die Wurzel, und so mußte sie mit. Es ward Tag.

Im Dorf sahen es weder er noch sie, daß von ihrem Lärm die Leute an die Fenster kamen. Sie hatten das Blut in den Augen und waren wie blind.

Der alte Cantalupi stand schon auf seiner Schwelle, und kaum, daß er die Worte des Schwiegersohnes unterschieden hatte, rief er der Tochter entgegen:

»Du hast mir schöne Ehre gemacht! Jetzt sieh zu, wo Platz für dich ist!«

Und die Arme hielt er quer vor den Eingang. Tonietta wollte hindurch, aber sie waren so hart, daß es sie umwarf.

»Daß ich unschuldig bin!« – mit zwei Fingern, die sie hoch in die Luft schüttelte. »O Madonna, daß ich unschuldig bin!«

»Das mache mit deinem Mann ab!« sagte ihr Vater.

In dem Haufen von Burschen, der sich umherschob, kam ein Gemurmel auf. Die Frauen drüben verstanden es, und eine sagte laut:

»Der Conte: es ist wahr. Denn noch am Sonntag kam sie aus seinem Hause.«

»Du lügst!« – und Tonietta schnellte ihr an die Gurgel. Das Mädchen wälzte sie ab, die nächste stieß sie weiter, und immer schreiend: »Ihr lügt!« flog Tonietta von dieser zu jener, bis eine, die kleine Lorenzina, sie in den Armen behielt und leise sagte:

»Arme Tonietta!«

Da schlug Tonietta nicht mehr um sich und war still. Nur lang aufseufzen hörte man sie hinter ihren beiden Händen; und gebückt und strauchelnd gelangte sie durch den Haufen der Männer, der auseinanderwich, und an den Kindern vorbei, die pfiffen … Alle sahen ihr nach. Jetzt nahm sie die Hände vom Gesicht. Jetzt schleppten ihre nackten Füße nicht mehr im Staube. Jetzt war sie, eilend, am Ende des Dorfes und schlug sich, in der Morgensonne, den Rock über den Kopf wie eine Reisende.

»Sie will wohl einen weiten Weg machen«, sagte jemand.

Die Burschen drückten Matteo die Hand und bemitleideten ihn. Er erwiderte:

»Was tut mir's, da meine Ehre gerächt ist. Und mein Leben werde ich nun wieder als Schuster verdienen.«

Der alte Cantalupi aber sagte:

»Was, Schuster. Ich habe dir den Hof und die Tochter gegeben und nehme weder sie noch ihn zurück.«

So kehrte denn Matteo allein nach Colbasso um. Hinter dem Hügel stand die Sonne und blendete so sehr, daß er mit dem ersten Blick das Haus nicht fand und erschrak, als sei es fort. Das Gras wehte; er hielt still: ob das Wehen nicht zu hören sei. Nein, auch das war nicht zu hören. Und das Haus stand vorn und hinten offen; man sah ganz hindurch, ins Leere; und Matteo kam es vor wie ein Menschenleib, durch den ein Messer gefahren war.

Er lehnte sich gegen den Schuppen, und vor Müdigkeit rutschte er zu Boden. Da traf er in dem weiten Land, das schon blaute, auf die Straße, zog ihr gedankenlos blinzelnd nach und sah eine Gestalt sich bewegen. Bei dem großen schwarzen Stein, der das Grabmal des Nero war, blieb sie stehen, taumelte dagegen und glitt daran nieder, wie er selbst an seinem Schuppen. Plötzlich aber sprang Matteo auf und stieß mit der Faust nach ihr dort unten; denn auch sie hatte rückwärts den Arm geschüttelt.

 

II

Der Fuhrmann Giovaccone aus Calto erzählte eines Tages in der Schenke, zu Rom bei Piazza Montanara habe er die Tonietta gesehen. Er kannte sie genau, weil er seit zwanzig Jahren den Wein ihres Vaters abholte; und durch eine Gasse war sie gegangen mit einem Manne. Der Mann war ein Bauer, er konnte einer aus Storchio sein, Giovaccone wußte es nicht sicher. Diese Begegnung war schon vier Wochen her, aber da der Fuhrmann seitdem noch nicht im Dorf gewesen war, erfuhr man davon erst jetzt.

Als es dem Matteo berichtet ward, sagte er, es sei nicht wahr; und dem Biagio, Sohn des Gasparo, der dabei blieb, fuhr er zu Leibe. Die andern trennten sie und redeten ihm Vernunft zu: was die Tonietta ihn noch angehe. Er war blaß und wollte nicht mehr Boccia spielen, nahm seinen Rock und ging nach Haus.

Am Morgen darauf kam zu ihm sein Freund Michele Lattuga. Er kam auf seinem Karren geradewegs von Rom und sagte zu Matteo, er müsse ihn ernsthaft sprechen. Matteo legte seine Hacke nieder, nahm aus dem Strohsack am Pferde die Flasche und bot sie dem Freunde. Michele setzte sie an den Mund; darauf sagte er:

»Ich darf mit gutem Gewissen deinen Wein trinken, denn als in der Hauptstadt die Tonietta, deine Frau, sich mir anbot, habe ich unserer Freundschaft gedacht und sie ausgeschlagen. Du mußt wissen, daß nicht jeder so handelt wie ich und daß der Carlino aus Montemurlo …«

»O schweig!« rief Matteo, mit den Fäusten auf den Ohren … »Ich wollte sagen«, setzte er hinzu, »daß jetzt, da sie die Dirne macht, alles eins ist, und auch du hättest sie dir nehmen können.«

Michele stutzte und dann ergriff er Matteos Hand.

»Ich wollte es dir verheimlichen, Freund, und dich schonen; aber, die Wahrheit zu sagen, habe auch ich ihr nicht widerstehen können. Denn man muß zugeben, daß sie eine schöne Frau ist.«

Matteo war auf einmal dunkelrot und griff um sich.

»Was hast du?« fragte Michele.

Matteos Hand war in die Ackererde gefahren. Er erschrak selbst, weil er hatte nach der Hacke greifen wollen.

Plötzlich lachte er auf.

»Mir kommt ein spaßhafter Gedanke: Wenn nun der Tancredi sie wiedersieht. Er hatte gehofft, mich zu betrügen; statt dessen ist er selbst der Betrogene und teilt sie mit aller Welt.«

»Das ist wahr«, sagte Michele; »und es könnte sein, daß die Sache ihm schon passiert ist, denn auch der Conte war in Rom, ich sah ihn seine Käse abladen auf Piazza Montanara. Heute morgen um zwei ist er aufgebrochen, noch vor mir, und wäre längst zurück, wenn er nicht nach seiner Gewohnheit sich in Villa Cotagna festgetrunken hätte.«

Matteo stand auf und zeigte hinab auf die Straße.

»Dort kommt er!«

»Und er fährt halb im Graben«, bemerkte Michele.

»Er wird sich den Hals brechen.«

»Das wäre schade«, sagte Matteo, »denn ich habe mit ihm zu reden.«

Er faßte in seine Hosentasche und ging schon.

»Und das Pferd?« fragte Michele.

»Es wird nicht fortlaufen. Komm schnell.«

Im Hof der Schenke stand der Karren des Tancredi, und das Pferd schnob noch vom Laufen; er selbst aber saß schon breit und fest dort innen, die Füße von sich gestreckt, in Stiefeln, die verhärteter Schlamm bedeckte. Er hatte das Messer in der Faust, vor sich den halben Liter samt einem großen Käse, und erzählte dem Wirt und zwei Bauern, wie er in der Hauptstadt die Krämer hineingelegt habe. Als er den Matteo in der Tür sah, lächelte er höhnisch und fuhr mit zwei wulstigen Fingern zu dem hinaufgebogenen Schnurrbart. Die roten Blätter seiner Gesichtshaut sahen durch den schmutzigen blonden Bart, worin Käsebrocken staken.

»Ihr kommt von Rom?« fragte Matteo sogleich und trat, die Brauen gefaltet und beide Hände in den Taschen, an den Tisch hin. Der Tancredi erwiderte:

»Nimm zuerst den Hut vor mir ab; ich bin ein Edelmann.«

Er öffnete eins seiner von den Backen erdrückten Augen und klemmte das Monokel davor. Matteo riß sich den Hut vom Kopf und warf ihn zu Boden; er bückte sich, aber mit drohenden Brauen, und sagte:

»Exzellenz, ich werde es nicht wieder vergessen.«

»Um so besser für dich. Dann will ich so gefällig sein, dir die Grüße zu bestellen, die deine Frau mir aufgetragen hat.«

»Ihr habt sie gesehen?«

»Gesehen!« – und der Tancredi faßte, den Mund zum Lachen weit offen, aber stumm, alle der Reihe nach ins Auge. Dann lockerte er unter seinem Bauch den Gurt und warf hin:

»Geschlafen habe ich mit ihr!«

Alle waren still. Man hörte ein Knirschen. Matteo bückte sich noch einmal und sagte:

»Exzellenz, Ihr tatet nach meinem Wunsch, denn als ich die Tonietta fortjagte, dachte ich sie eben zu Euch zu schicken.«

»Du bist gut; aber sie ist zu tief im Preise gesunken für einen Edelmann. Sie verlangte zehn Paoli, und ich habe ihr nur vier gegeben.«

»Aber Ihr, der Ihr sie schon früher kanntet: denn, nicht wahr, Ihr kanntet sie vor mir …?«

»Wer weiß?«

Der Tancredi bog sich rückwärts und goß sich das Glas in den Mund. Matteo streckte den Kopf vor, seine Augen gruben, unter ihrer tiefen Falte, in dem hingebreiteten Gesicht des andern, und die Lippen gingen ihm auseinander, als schmachtete er.

Der Tancredi schnalzte.

»Nimm einen Stuhl und sprechen wir von deiner Frau! Sie gefällt mir mehr als dir, und wenn ich das nächste Mal in die Hauptstadt fahre, denke ich ihr treu zu sein.«

Matteo setzte sich, nahm das Glas, das der Wirt ihm hinstellte, und leerte es in der Zeit, da der andere sprach, zweimal ohne Pause.

»Und daran siehst du«, sagte jener, »wie sie mir gefällt, denn ich habe genug an meinen Mägden und brauche die Weiber der Hauptstadt nicht.«

Matteo hörte auf zu trinken.

»Ihr solltet die Tonietta als Magd aufnehmen, Exzellenz.«

»Warum? Da sie mich in der Hauptstadt weniger kostet.« Matteo rührte nicht Blick noch Glieder.

»Ihr solltet die Tonietta als Magd aufnehmen, Exzellenz.«

Der Tancredi schlug auf den Tisch.

»Lassen wir deine Frau bei ihrem lustigen Leben. Ich will dir, obwohl du nur ein Bauer bist, von anderen Weibern erzählen, die ich kannte …«

Matteo ließ ihn reden und trank wieder. Plötzlich hörte er sich lachen und selbst mit Geschichten loslegen. Er berichtete von seinen Abenteuern bei den Soldaten, eignete sich die seiner Kameraden an, schmückte aus und erfand. Er bemerkte, daß die Gesichter der andern in einem Nebel verschwunden waren und ihm gegenüber nur noch der Tancredi saß, der ihm in die Hand schlug und ihn seinen liebsten Freund nannte. Matteo fühlte Tränen kommen, und sein Herz schlug begeistert. Er rühmte dem Tancredi die Schönheit der Tonietta und daß er ihr seine Ehre vorgezogen habe. Dann wollte er wissen, wie sie in der Hauptstadt ausgesehen habe – und hatte sie noch ihr gelbes Tuch gehabt? Das war ein Geschenk von ihm. Wo wohnte sie?

»Via de' Merli«, sagte der Tancredi, und er beschrieb genau den Weg dahin, rühmte ihre guten Manieren, ihr Zimmer und die Makkaroni, die sie ihm zu kosten gegeben hatte.

»Via de' Merli«, wiederholte Matteo immer dazwischen … »Früher war sie in Colbasso: eine Nacht nur. Wollt Ihr nicht das Haus ansehen?«

Da der Tancredi weitertrank:

»Kommt doch, Exzellenz!«

Schließlich fiel ihm ein, von einem Fäßchen alten Weines zu sprechen, das er noch von seiner Hochzeit her habe, und damit brachte er den andern auf die Beine. Sie taumelten hinaus. Der Tancredi faßte festen Fuß und zog sich, den Bauch schwenkend, die Hose höher. Während er auf den Karren kletterte, mußte Matteo nachschieben, und dafür zog er den Matteo hinauf. Sie fuhren, wie sie konnten, und lachten, wenn sie über dem Graben hingen.

Zu Hause wollte Matteo sogleich wieder von Tonietta anfangen, aber der Tancredi warf mit Stühlen nach der Wand und schrie, er wolle nichts hören, bis der Wein da sei. Matteo holte ihn, und dann stützte er sich, angesichts des Trinkenden, mit den Fäusten auf den Tisch, stand und betrachtete ihn, wieder mit Grübeln und Lechzen.

»Hat sie Euch geliebt?« fragte er.

»Wer? Deine Frau? Warum nicht: da ich ein Mann bin und ihr vier Paoli gab.«

»Und früher? Vor mir?«

»Nie gesehen«, antwortete der Tancredi.

»Wie? Nie gesehen?«

»Denkst du wirklich noch an solche elende Kleinigkeit? Da dein Wein mir schmeckt, will ich dir eröffnen, daß ich deine Frau nicht anders gekannt habe als jedes Mädchen im Dorf … Was glotzt du mich an? Man hat dich belogen: ist das so selten?«

Matteo flüsterte, denn er hatte keine Stimme mehr:

»Warum habt Ihr mir nichts gesagt?«

»Du vergißt, daß du mit einem Edelmann sprichst. Was gehen mich die Liebesgeschichten eines Bauern an.«

Alles war also unnütz, wollte Matteo sagen; aber anstatt zu sprechen, knirschte er so furchtbar mit den Zähnen, daß der Tancredi sich halb vom Stuhl erhob. Er fiel sogleich darauf zurück, und Matteo zog die Hand aus der Hosentasche.

»Laßt nur«, sagte er. »Was hätte es geholfen, wenn Ihr sprachet. War sie doch schon dort unten – in Via de' Merli.«

Er rang die Hände.

»Oh, die arme Tonietta! Wäre sie tot! Und auch ich hätte niemals leben dürfen.«

Draußen, beim Zaun, fand er sich wieder, und gegenüber, unter der Madonna, kniete sie, und plötzlich war, statt der harten Sonne, Mondschein da. Durch das Öllaub kam der Strahl und zerstäubte auf ihr. Sie wandte sich um, und nun gingen sie einander entgegen. Matteo breitete die Arme aus: da strauchelte er und fiel mit dem Gesicht ins Gras.

Als er aufstand, war es dämmrig; er hatte einen schweren Kopf, im Leibe Angst und dachte nur immer: ›Was ist geschehen. Barmherzigkeit, was ist geschehen.‹

Er trug den Pferden Futter hin und sagte:

»Du würdest es gewiß nicht zugelassen haben, o Herr Gott, daß ich mich in unserer Hochzeitsnacht in ihr irrte: würdest es nicht zugelassen haben, wenn sie unschuldig war. Der Tancredi wird aus Feigheit gelogen haben.«

Plötzlich ließ er alles fallen.

»Das wolltest du! Sie war unschuldig, und in jener Nacht hätten wir beide sterben sollen, weil unser Glück zu groß war. Dazu lagen auf unserem Bett die Blumen.«

Er ging hinein, als müßten sie noch da sein. Statt der Blumen lag auf dem Bett der Tancredi und schnarchte. Matteo fiel über ihn her und rüttelte.

»Auf! Euer Pferd ist fortgelaufen.«

»Laß es laufen«, grunzte der Tancredi und wälzte sich auf die andere Seite. Matteo keuchte. Er hielt sich die Ohren zu, weil er wilde Stimmen hörte. Die Augen voll Blut, sah er in den Armen des Tancredi Tonietta. Der Tancredi wälzte sich über sie. Matteo konnte nicht rasch genug in die Hosentasche fahren – und endlich stieß er zu – welche Erlösung! –, stieß zu, stieß zu …


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