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Ginevra degli Amieri

Zuerst erschienen in »Manais und Ginevra«, R. Piper & Co., München 1905

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, I. Band

 

I

»Ich bin erwacht und fürchte mich fast, die Augen zu öffnen, und fühle ein fremdes, weites Dunkel um mich her. Messer Faustos Atem? Nichts – nur eine betäubende Stille, wie der lange Nachhall langsamer, unhörbarer Schritte … Warum sind meine Hände gefaltet! Ich schlafe nie auf dem Rücken und mit gefalteten Händen. Leise die Lider gelöst: Das Fenster bei meinem Bett, es ist fort. Wo bin ich?

Das, worauf ich gelegen habe, ist umgefallen, wie ich so hastig aufsprang. Was ist es? Kein Bett: eine Bahre! Die Ungeheuer! Sie erheben sich grau aus der Nacht und blicken von Turmhöhe aus weißen Augen. Ach, es sind Pfeiler, und aus langen Fenstern kommen eckige, weiße Stücke Mondes darauf. Hilf, Himmel, ich bin im Dom! Und bin, nun weiß ich's wieder, gestorben!

... Es klirrte etwas, deucht mich, als ich vor Schrecken nochmals auf die Bahre sank. Meine Spangen! Aber es sind nur die mit den Amethysten. Er hat sich gehütet, mir die anderen mitzugeben, die mit den Karfunkeln. Habe ich etwa mein Kreuz am Hals? Nein! Das große Edelsteinkreuz! Das ist zu stark! Ich will … Jesus, im Zorn bin ich ausgeschritten und wage mich nun nicht mehr zurück. Wie ich mich fürchte! Ich hätte nie gedacht, ich würde zu diesen Toten gehören – die wiederkehren. Einen Schritt noch, Ginevra? Hilfe! Eine Gestalt, ich sah sie deutlich, flog durch die Luft auf mich zu … Nein, es ist der Kruzifixus an der Kanzel; und er hält ganz still. Nur die Dunkelheit bewegt alles.

Aber die Knie sind mir unsicher geworden, ich will mich setzen, unter seine gekreuzten Füße, auf das Ende der Bank.

Ich habe, was mir geschieht, verdient, o Herr. Das ist wohl wahr; denn ich lästerte dich! Aber gib auch du zu, die Liebe ist hart! Warum mußte ich Raniero lieben, da es doch Sünde und ganz unnütz war? Du weißt, auch wenn du mich am Leben gelassen hättest, ich würde mich doch ihm nie gewährt haben. Obwohl andere dergleichen tun: und du strafst sie weniger schwer als mich, die so tugendhaft war … Willst du mir wohl sagen, was dies alles sollte?

Ich warte.

Im irdischen Leben heißt's immer: Das werden wir jenseits erfahren; und: Darüber reden wir droben. Nun sprich! Ich wußte wohl, du würdest nichts vorbringen können zu deiner Rechtfertigung. Du hast mir zuviel auferlegt, du darfst dich nicht wundern, daß ich versagte. Hatte ich doch genug an Messer Fausto, meinem Mann, und seinen Schlägen, und daß er mir meine Tugend nicht glaubte. Immer: ›Du liebst ihn!‹ Ich sagte: ›Nein! Schlage mich, aber ich liebe ihn nicht!‹ Wäre das Nein wenigstens die Wahrheit gewesen! Leider war es Ja … Er darauf: ›Mich liebst du auch nicht! Was liebst du denn?‹ Und ich: ›Ich liebe dich, wie ich es dir schulde – und liebe auch die Stirnkettchen, die Messer Ugos Sohn verfertigt.‹

›Ihn, den Sohn liebst du!‹ – ›Nein! Ich habe ihn niemals gesehen!‹ Und so war es. Aber ich hatte mit Absicht von Messer Ugos Sohn gesprochen, verführt durch einen seltsamen Kitzel, weil ich wußte, nun werde Messer Fausto mich nochmals schlagen. Denn er schlug mich, sobald ich nur den Namen irgendeines Mannes aussprach. Warum aber tat ich es, mußte es tun, und drängte mich heran zum Schmerz? Das erkläre, Herr, warum du soviel Leiden bestimmtest für eine Unschuldige!

›Ich will dir die Ketten für die Stirn kaufen‹, sagte Messer Fausto, als er vom Schlagen müde war. ›Damit du mir keine Hörner daransetzest. Du mußt gerecht sein: ich tue, was ich kann.‹ Ich antwortete: ›Gewiß. Ich werde es niemals tun.‹ Und ich wollte es auch nicht. Damit in der Frühe, wenn ich zur Heiligsten Annunziata ging, die Madonna Eletta den Finger ausstreckte und sagte: ›Seht die Heuchlerin! Sie hat mich mit dem Gino ins Gerede gebracht, sie selbst aber schläft mit dem Raniero!‹ – Es ist schon wahr, daß ich es von ihr gar nicht wußte. Aber was wußte denn sie von mir? Und redete doch, hinter meinem Rücken. Wäre es wahr gewesen, was sie sagte, ich hätte mich so schwarz gefühlt wie die Mohrin hinter mir, Herr, die meinen Gobbo, den Papagei, trug. So aber hing mein Brokat (und um den beneidete sie mich doch nur) über den Malen, die mein Mann mir geschlagen hatte, und ich war eine Gerechte. Und Don Vinante, mein Beichtvater, wußte es wohl, und außer Messer Fausto, meinem Mann, den die Eifersucht irr machte, zweifelte keiner an meiner Tugend, und allen, die sündigten, durfte ich mitten ins Gesicht sehen. Und wenn Raniero im Hof der Kirche stand und falsche Seufzer ausstieß, ging ich hoch vorbei, den Blick gradaus, und hatte einen großen, starren Genuß: ›Du wirst dennoch nie erfahren, daß ich dich liebe! Die Liebe ist hart; aber ich bleibe standhaft, du gewinnst nichts. Du bist böse, bist dazu eingesetzt, mich zu verderben. Ich hasse dich!‹ Ja, das dachte ich, o Herr. War das nicht recht und löblich?

Zu Hause mußte ich mich dann wieder sehr quälen. Warum? Heißt das gerecht? Für soviel guten Willen? Ich nahm meine große Puppe aus der Truhe und drückte sie ans Herz. Da fühlte ich's, als würfe sie mir beide Arme um den Hals; mir ward ganz heiß, ich herzte sie immer und sagte: ›Du sollst von Raniero kommen! Ich habe dich von ihm, du bist sein Kind, hörst du, das will ich, das soll sein!‹ Und dann sprang die Angst vor der Sünde in mir auf, und ich warf die Puppe mit dem Gesicht auf die Erde und mich mit dem Gesicht aufs Bett, daß wir einander nicht mehr sähen, und jammerte in das Kissen: ›Nein, ich will nicht, ich will kein Kind von ihm!‹ Und klagte bis in die Nacht. Und Messer Fausto, mein Mann, kam und schlug mich wieder – und hatte auch recht. Ich schrie wohl, damit er aufhörte: ›Warum haben wir keine Kinder!‹ Aber ich wußte doch, das sei Gottes Sache.

Was sollte ich tun? Muß man denn einen Menschen lieben, wie diesen Raniero? Einen gewöhnlichen Angestellten in der Bank meines Vaters. Einen, der die Geschäfte versäumt, auf den Wiesen am Mugnone im Grase steht, stundenlang, wie ein Storch, und dann, ganz blaß, bis vor mein Haus schleicht? Einen, der schon längst fortgeschickt wäre, wenn ich nicht für ihn gebeten hätte oder vielmehr für die alte Mutter, die von ihm lebt. Denn das tat ich, Herr, und war es nicht fromm und barmherzig von mir, für meinen Feind zu bitten? Nun erkläre mir aber: wenn mein Bruder sich so anstellen würde in unserem Bankhaus, ich würde ihn verachten. Und diesen muß ich lieben! Soll er doch verdienen und eine Frau nehmen, wie es sich geziemt. Aber auf mich hat er es abgesehen! Und fordert meinen Mann zum Zweikampf heraus. Denn das hat er getan, Herr, und es ist eine solche Albernheit, daß sogar du gelacht haben mußt: wenn du Art und Figur Messer Faustos bedenkst.

Und dann hat er ihn auch noch verschont! Herr, du magst sagen, was du willst, aber es ist natürlich, daß ich wünschte, nun möchte es einmal aussein. Messer Fausto hatte mich blau geschlagen; ich wünschte, mögen sie sich gegenseitig umbringen. Dann aber: Nein, nur Raniero! Denn ich kann es dir schwören, Herr, bei deinen eigenen Wunden: nicht Messer Fausto wollte ich tot sehen! Er kam auch zurück; es war nichts geschehen; und ich kriegte Ohrgehänge und eine Straußenfeder, mit lauter Edelsteinen geziert, die konnte ich zur Kirche tragen. Aber alle wußten schon, wenn sie meine Geschenke erblickten, dann war ich geschlagen worden … Und da dachte ich, das ist wahr: ›Warum hat Raniero nicht lieber zwei Kerle geschickt, die ihn anfallen?‹ Und ich habe sogar den Don Vinante, meinen Beichtvater, beredet, daß er in seiner Unschuld etwas angerichtet hat, daß Messer Fausto vor San Frediano hinaus mußte. Und das ließ ich dem Raniero berichten durch einen Bettler, der nicht sagen durfte, wer ihn schickte, und ließ ihn in verdeckten Worten zu einem Streich auffordern.

Da sieh nun, Herr, wie weit du es mit mir getrieben hast! Eine Gattenmörderin und auf dem Rade, so hätte ich enden können! Wenn ich nicht deine Mutter angefleht hätte, als Messer Fausto vor der Stadt und in Leibesgefahr war: die hat jenen zurückgehalten von der Tat und das Schlimmste verhütet. Ich aber schwur damals in der Not, es möge daraus werden, was immer, Schande und Tod – ich wolle doch, solange ich lebe, dem Raniero nicht angehören. ›Die Liebe hat mich so elend gemacht; ich will mich an ihr rächen!‹ Ich war von Sinnen, und die beiden Tauben, die vor meinem Fenster einander liebkosten, die ergriff und erwürgte ich! Und als ich's tat, fühlte ich meine eigene Kehle unsichtbar umklammert und schloß die Augen und mußte mich an die Fensterbank stützen, ich wäre sonst umgefallen.

Wie nun Messer Fausto zurückkehrte und es der heilige Samstag vor Ostern war und aus dem Tor des Domes der Festhall kam wie eine Wolke mit Engeln darauf, da sprach es hinter meinen gesenkten Lidern, und, Herr, ich konnte nichts dafür: ›Sie feiern ihn, der die Liebe ist und sich hat kreuzigen lassen. Er will, daß auch ich lieben und dafür sterben soll. Und ich sträube mich nicht. Aber ruchlos und abscheulich ist's, daß er aufersteht und auch das von mir erheischt. Wer glücklich tot ist, der solle es bleiben dürfen und endlich in Sicherheit sein vor der Liebe und dem, der die Liebe ist!‹

Mit diesen Gedanken war ich bis nahe vor das Tor gelangt, und plötzlich erweiterte es sich wie ein Mund, ich fühlte seinen Atem auf meiner Stirn brennen, und eine ungeheure Stimme, eine Orgelstimme, schrie: ›Du sollst sterben und wiederkehren vor allen anderen und zugleich mit mir. Schon morgen sollst du wiederkehren, sollst sehen, wie alle meinem Auferstehen zujauchzen, das du gelästert hast. Bei deinem aber soll dich frieren, und du sollst große Reue haben!‹

Alle müssen es gehört haben, so laut ward es geschrien! Warst du das, Herr? Wohl; denn du hast's wahr gemacht. Dann erkläre mir aber, was eine Frau zu bereuen hat, die ihren Mann nicht betrügen und seine Geschenke nicht verlieren und von den Leuten nicht mit Fingern gezeigt werden wollte. Sollte ich etwa Schande und Armut auf mich laden, weil es irgendeinem Menschen einfiel, mich zu lieben? Zwar liebte auch ich ihn. Warum aber bestimmtest du dies so? Und vergingst dich dadurch gegen die bürgerlichen Regeln? Heute ist Ostern, und wir sind beide auferstanden; nun erkläre diese Dinge!

Aber du schweigst. Du hältst nur den Kopf auf die Schulter geneigt und siehst mich kaum, so tief sind deine Lider herabgelassen. Hörst du's wenigstens, wenn ich gegen deine Füße klopfe? Ach nein; du seufzest nur und legst den Kopf auf die andere Schulter. Mich hast du hierher bestellt, und du selbst schläfst lieber noch etwas!

Wie ich verlassen bin und abgeschieden von allem, allem. Mich friert; ich habe keinen Mantel und nichts, wo hinein ich mich hüllen kann; nur das große weiße Leinentuch von meiner Bahre.«

 

II

»Nun bin ich draußen und weiß nicht, wie ich herkam. Ich strich so lange au den Wänden entlang im Dom, bis ich auf einmal herausschlüpfte. Die Stelle könnte ich nicht wiederfinden. Ich begreife nicht, was mit mir geschieht, und mir ist sehr bange. Habe ich nicht eben noch unserem Herrn getrotzt? Jetzt sehe ich wohl, wie alles unsicher ist und voll von Geheimnissen. Ist denn dies der Domplatz, auf dem am Mittag die Weißen und die Schwarzen einander Hohnreden zurufen und die Händler die Bänder und Kuchen feilbieten? Über den mit stolz gesenkten Augen die anständigen Frauen wandeln? Jetzt ist Ginevra bange, wenn sie auf diese Quadern hinabstiege, sie möchten unter ihren Füßen weggleiten wie Wasser.

Wagen mußt du's, du willst dich doch nicht auf diese Stufen legen wie eine Bettlerin. Trägt es mich? Oh! Es regt sich um San Giovanni her, auf den alten Gräbern! War's nichts? Ich habe Furcht, ich, die ich selbst eine Tote bin! Aber die in jenen Särgen sind Heiden … So also ist denen zumute, die wiederkehren. Alles erschreckt sie, und sie wissen nicht, wozu sie kamen. Ich fühle in mir ein helles, kaltes Licht, das wacht in der Welt allein. Vom Turm schlägt es ein Uhr. Allein, ohne Zweck, und wer weiß, wie lange. Erlösche ich nicht, zergehe ich nicht? Bin ich nicht bloß am Mondlicht entzündet? Ich will in eine dunkle Gasse huschen, vielleicht ist's dann aus.

Du bist noch da, Ginevra. Vorsichtig an der Mauer hin – dort geht eine Tür auf. Wenn sie mich sehen! Da, schau, es ist das Haus Messer Tibaldos, und wer schleicht heraus? Messer Gino – und durch den Türspalt lugt Madonna Eletta? Ist nicht Messer Tibaldo nach Pisa? Also hatte ich recht mit Messer Gino und Madonna Eletta. Ich dachte es gar nicht. Und er, er läuft vor mir davon! Ach ja, ein Geist. Was ein Geist alles sieht! Da bin ich vor Messer Faustos Haus. Es ist doch mein Haus, soll ich nicht klopfen dürfen? Wie lange es währt! Mich friert. Mach auf! Oh, seine Nachtmütze!«

»Wer klopft?«

»Ginevra, Euer Weib.«

»Wer?«

»Ginevra degli Amieri.«

»Um Gottes willen, entweiche! Verschone mich! Ich schlug dich, ja; aber es war mein Recht, denn ich war dein Mann. Du darfst mich dafür nicht heimsuchen! Ich will Messen lesen lassen, damit du Ruhe bekommst.«

»Er hat das Fenster zugeworfen. Wie seine Stimme vor Angst sich brach! Hätte er mich nicht einlassen sollen? Ich mag ein Geist sein, aber hat er nicht auch meine Seele geheiratet? Wohl nicht. Wozu aber muß eine Tote umhergehen? Ich will's bei meinen Eltern versuchen; es ist nicht weit.

Schon rühren sie sich. Ein Licht wandert durchs Haus. Die Mutter schläft wieder einmal nicht und wirtschaftet umher. Ihr ist's wohl leid, daß ich tot bin. Nun ist der Vater am Fenster. Vater!«

»Du schlechte Tochter! Warum erschrickst du deine arme Mutter. Du mußt wohl sehr sündig sein und hast darum keine Ruhe gefunden. Morgen sollen die Teufel gebannt werden aus dir. Aber tu deinen Eltern nichts an! Geh doch zu deinem Mann! Wir haben dich ihm gegeben und Geld genug dazu, so daß wir dir nichts mehr schulden!«

»Er hat den Laden angezogen und den Riegel vorgelegt. Die Mutter stand hinter ihm und rang die Hände. Wie ihr's schrecklich sein muß, daß ihr Kind, ihr so gehegtes, nun zu den Bösewichten und irrenden Seelen in die Nacht hinausgescheucht ist! Aber auch der Vater hat recht: er hat für mich bezahlt, ich habe keine Forderung an ihn. So allein ist man: ich wußte das nicht. Ich dachte, sie könnten mich schlagen, aber ich würde immer ein Bett haben. Sonst sperrten sie mich ein. Jetzt öffnet mir niemand …

Oh! Wo bin ich? Dort schleichen sie schon, die Bösewichte, dort unter dem Schwebebogen. Sie schleichen hinter einem, den eine Frau umschlingt. Sie küßt ihn: da greifen sie ihn. Die Frau hält ihn fest, damit sie ihn töten können. Oh, auch das war Liebe? Ich will schreien. Hilfe! Nun werden sie mich – töten? Sie können's ja nicht mehr. Sie sehen mich: alle laufen davon. Ich habe einen Menschen gerettet. War ich dazu gesandt? Guter Mensch, höre! Oh! Auch er läuft. Ich war ihm so dankbar, ich weiß nicht wofür. Aber er läuft vor mir weg. Und nun? Was ist dies für ein Haus? Kennst du es, Ginevra? Du gingst mit Messer Fausto, deinem Mann, vorbei, und er behauptete, du habest hinaufgesehen, und versprach dir Schlimmes. Du hattest es nicht; aber seither wußtest du, wo Messer Raniero wohnt. Jetzt wüßtest du es ohnedies; die Toten kennen alle Plätze … Dahin also sollte ich. Sonst habe ich keine Zuflucht und keine Bestimmung. Ich will klopfen.«

 

III

»Wer ist es?«

»Mich friert, öffnet mir!«

»Wer seid Ihr?«

»Ginevra.«

»Ginevra ist tot. Geht in Frieden.«

»Sie ist tot, drum kommt sie zu Euch. Lebte sie, sie käme nicht … Ihr schweigt?«

»Ich öffne Euch. Tretet ein und folgt mir über die Treppe. Ich hebe das Licht ganz hoch, und Ihr seht, Madonna Ginevra, dies Haus ist Euer. Meine alte Mutter ist taub, und sie schläft. Wir sind allein.«

»Aber Ihr geht immer rückwärts vor mir her, Messer Raniero, und laßt mich nicht aus dem Auge. Nun stellt Ihr die Kerze so hin, daß sie mir ins Gesicht leuchtet, begebt Euch bis ans Ende des Zimmers und verschränkt die Arme. Ihr habt Furcht vor mir, auch Ihr! Oh, ich bin müde, und so kalt.«

»Ich fürchte Euch nicht so sehr, als da Ihr lebtet. Arme Ginevra.«

»Was sagt Ihr? Warum bleibt Ihr also dort hinten? Alles flieht mich, weil ich gestorben bin. Kann ich dafür, daß ich wiederkehre? Ich habe es nicht gewollt. Wer das gedacht hätte, früher in den wimmelnden Gassen, im lauten Gedränge der Kirchen, daß Menschennähe so kostbar werden würde!«

»Wollt Ihr mir die Hand reichen, Madonna Ginevra?«

»Eure Hand ist warm. Verzeiht: Ihr seid gut, daß Ihr mich zu Euch einließt. Draußen war es schlimm. Wie geht es zu, daß Eltern und Gatte mich fortschicken. Ihr aber, Messer Raniero, öffnet der Toten, die Euch doch nichts erwidern kann. Ich habe nie gehört, daß jemand umsonst gibt. Was wollt Ihr?«

»Ich will, Madonna Ginevra, daß Ihr Euch in meinen Stuhl setzt, so, und daß Eure Blicke alle diese Dinge neu und wohltätig machen. Vielleicht wird es sich leichter leben lassen zwischen den Wänden, die Eure Stimme vernommen haben? Und dann …«

»Warum sprecht Ihr zitternd und werdet so blaß?«

»Und dann laßt es Euch wohl sein im Frieden und kehrt nicht mehr wieder. Denn lieber will ich Euch missen, als daß Ihr um meinetwillen dieselbe Strafe erdulden solltet wie im Pinienwald bei Ravenna jener nackte und immer gehetzte Geist, der einst eine gegen Liebe grausame Frau war.«

»Das sind Lügen von Messer Giovanni Boccaccio, Ihr müßt ihm nicht glauben. Was wißt Ihr, ob denen, die wiederkehren, hier nicht doch wohler ist als drunten. Ihr habt mich ein wenig erwärmt. Dort ist's nicht gut sein. Mich schaudert; ich will nicht wieder hinab.«

»Ihr wolltet lieber bei mir bleiben, Madonna Ginevra?«

»Wer hat das gesagt, Messer Raniero? Nur daß Ihr den Dichtern nicht alles glauben müßt, sagte ich. Aber Ihr seid selbst einer, und Ihr stecktet mir im Hof der heiligsten Annunziata, während Messer Fausto einen unverschämten Bettler schalt, Verse in die Hand. Warum seid Ihr nicht eifriger im Geschäft?«

»Ihr habt recht, denn die Verse waren schlecht.«

»Sie waren lügenhaft. Ihr schriebt darin von einer Sklavin, die Euch sehr teuer sei, und die Ihr dennoch um meinetwillen verstoßet, und die darum zugrunde gehe. Was für Lügen, Messer Raniero! Erstens, woher solltet Ihr eine Sklavin haben? Ihr seid der Sohn Messers Guido, der zum Handwerk der Wolle gehörte. Hättet Ihr noch eine Geliebte gehabt, die Frau eines Nobile, und sie, mir zu gefallen, verlassen!«

»Was wißt Ihr. Madonna Ginevra, frage nun ich. Was könnt Ihr wissen. Hört mich an: Ich habe Euretwegen so Großes verlassen und verloren, daß niemand Größeres erträumen kann. Bevor ich Euch erblickte, waren mir Taten sicher, die von Harnischen glänzten, und bemerkte ich in mir, wenn ich lauschte, das Quellen wundervoller Worte. Keine Frau hatte sich mir verweigert, kein Reich mir widerstanden; ich war ein nie besiegter Sänger und ein Held, dem nichts verboten dünkte … Das alles endete, als Ihr mir erschient, in Kleinmut. Ihr wäret endlich die, die meine Träume übertraf, vor der ich sie, wie meine arme Magd, verstecken und vertreiben mußte. Ihr schicktet mir das Fieber einer Begierde, so übermächtig, daß ich mich davor fürchtete, sie zu stillen. Ich fühlte mich von einem Fluch geschlagen, lag keuchend da und verwünschte Gott, weil Ihr am Leben wäret! Das, Madonna Ginevra, ist Liebe! In mir war's übervoll von vielem, das Euch entgegenschlug, wie ein Herz, das von einer Armbrust flöge, wie ein Blütenzweig, den eine Hand niedergebeugt hätte und plötzlich schnellen ließe – aber ich war stumm. Und die heißesten Taten, die in mir geschahen, regten draußen, jenseits meiner Brust, nicht einmal soviel Staub auf, wie ein Hund, der über die Straße läuft. Manchmal trieb ich ein verzweifeltes Spiel, mir selbst zum Hohn, und stellte mich tüchtig. So forderte ich Euren Mann zum Kampf – und ließ ihn unversehrt. Denn als ich ihm gegenüberstand, vernichteten mich Zweifel: Wer bin ich, und wie darf es mir einfallen, an Dinge Eures Lebens zu rühren. Wie kann ich gegen Euren Willen Euren Mann töten. Wie Euch meinen eigenen Tod zumuten, diese lächerliche Beleidigung! Muß nur einer Eurer Atemzüge langsamer oder schneller gehn, weil ich Euch liebe? Ich kam mir tot vor, hört Ihr's?, ich, und wie ein kraftloser Schatten. In Schattenspielen raubte ich Euch, durchjagte mit Euch die Welt, tötete, wessen Atem Euch nur anwehte. Seht Ihr den Boden dieses Zimmers etwa voll Blut? Und doch habe ich hier in mancher Nacht gewütet, bis ich selbst, voll Wunden und röchelnd, dahinsank!«

»Und so, Messer Raniero, habe auch ich ganz in irren Tränen abendelang die große Puppe geherzt, die ein von Euch empfangenes Lebendiges sein sollte, habe mich gesträubt und Euch in Sehnsucht gehaßt, bis Messer Fausto mir das Gesicht aus einem Kissen riß und mich schlug. So haben wir dasselbe Leben geführt, Messer Raniero. Ich höre Euch zu mit einer Freude, die mich zerreißt. Ihr seid gewiß noch schlimmer daran gewesen als ich selbst? Ich wähnte, Euch fechte nichts an, und Ihr seiet nur dazu eingesetzt, mich zu verderben. Und ich habe unsern Herrn gelästert, weil er mir, nur mir die Liebe auferlegt hatte, für jetzt und ewig; und habe zu meiner Strafe Euch nochmals wiedersehen müssen, als arme Tote. Aber, nicht wahr, auch im Leben habt Ihr es recht schlecht, und nicht ich, die schon starb, bin die Unglücklichere? Sagt es mir! Daß Ihr sehr leidet! Mehr als ich! Dann will ich Barmherzigkeit an Euch üben und Euch liebhaben!«

»Es ist schön, mit Euch zu leiden, o Ginevra!«

»Ist mir das Leiden noch erlaubt? Einer Toten? Dann gebt es mir! Oh, Ihr gebt es mir! Oder ist es Lust? Ich weiß nicht mehr; ich bin eine irrende Seele.«

»Ihr lebt, Ginevra! Nun die Sonne sich nähert, kann ich es erkennen. Ihr waret ein Schatten, jetzt aber seid Ihr dabei, erweckt zu werden. Ich weiß nicht, wer Euch erweckt.«

»Die Liebe, Raniero, erweckt mich.«

»Ihr tragt, Ginevra, auf Euren Wangen, die sich röten, den Abglanz des Ortes, woher Ihr zurückkehrt. Wie Ihr strahlt! Erzählt doch, was Euch dort geschah!«

»Seine Stimme kam von jenseits eines Feuers, das irgendwie so köstlich schien, daß das Herz darin zu baden wünschte; und er befahl mir, zurückzukehren und sie auf mich zu nehmen, die Liebe. Und sein Urteil klang wie Verheißung, und sang und harfte. Ich sehe es, Raniero! Gleichzeitig sehe ich den Himmel und meinen Geliebten!«

»Nun fühle ich Euer Herz schlagen, Ginevra, und Euren warmen Atem, und – auch das Fleisch Eurer Lippen haben meine gefühlt, Ginevra! So ist es Leben und grenzenlose Erfüllung und soll nicht mehr schwinden? Ihr werdet immer in diesem Hause bleiben, kein Mensch wird wissen, daß Ihr auf Erden seid.«

»Nein, alle sollen mich sehen, und wenn wir zur Kirche gehen, mich lästern und verdammen! Ich trage alles, so will es die Liebe. Ich werde Euch dienen, und Ihr könnt mich vertreiben, wenn Ihr meiner satt seid, wie Eure Sklavin.«

»Hört doch, Ginevra, den klingenden Osterhimmel!«

»Mich töten, wie Eure Sklavin.«

»Vernehmt Ihr meine Stimme, Ginevra? Oh, lehnt nicht Euren Nacken in Eure verschränkten Hände und haltet nicht Euer goldig überflossenes Gesicht den Überirdischen hin! Seid nicht mit ihnen, seid mit mir! Ich ängstige mich!«

»Ich weiß jetzt, warum er wiederkehrte, und ich folge ihm nach. Es ist schwer und doch selig. Wir kommen wieder, um uns noch einmal kreuzigen zu lassen; und kämen immer wieder, sooft die schwere und süße Liebe es will.«

»Ihr sinkt um! Ginevra, was ist Euch! Barmherzigkeit! Ihr verspracht sie mir! Euer Herz steht still. Waren denn, die ich fühlte, seine ersten und letzten Schläge? Seid Ihr nur gekommen, damit Ihr mich durch Fortgehen noch elender machen könntet? Hütet Euch, Madonna Ginevra! Wie denn? Ich war von Sinnen, als ich soeben an ihr zweifelte. Ich wußte wohl, daß sie in Tod zurückfallen werde. Sie ist mein, weil sie tot ist. Im Leben war sie meine große Qual, aber ich bin der, dem ihr Schatten hold ist. Sie wird wiederkehren, sich mir jede Nacht aufs neue beleben. Ich will sie nun zurücktragen, bis zur Nacht; und will ganz frohen Mutes sein. Auf der Straße sind Kirchgänger, im leuchtenden, jauchzenden Ostermorgen. Ihr Mädchen, die ihr zum Dom geht! Ihr habt den gleichen Weg wie eine Frau, die in diesem Hause wartet. Sie ist geschmückt wie ihr; und wie glücklich immer ihr sein mögt, ihr habt euch ihrer nicht zu schämen. Kommt herein und nehmt sie mit!«


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