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Das gestohlene Dokument

Zuerst erschienen in »Ein Verbrechen und andere Geschichten«, Verlag von Robert Baum, Leipzig 1898.

Textquelle: Aufbau-Verlag, Berlin, 1953. Heinrich Mann, Novellen, II. Band

 

Sehr geehrter Herr Redakteur!

Das plötzliche und für uns schmerzliche Hinscheiden des Herrn Geheimrat Glumkow, vortragenden Rats im Ministerium des Innern, gibt noch immer Anlaß zu den verschiedensten Kommentaren. Wir verstehen sehr wohl, daß das gewissermaßen auffällige Betragen, das unser Verwandter kurz vor seinem Tode an den Tag legte, einen Verdacht in weitere Kreise dringen ließ, der ihn mit jenem, damals die öffentliche Meinung in hohem Grade beunruhigenden Vorfall in dem Ministerium, dem er als Beamter angehörte, in Verbindung brachte. Inzwischen ist, wie Sie wissen, der Täter ermittelt worden, und zwar in einer ganz anderen Person, als der jenes Agenten, als dessen Mitschuldigen sich unser Verwandter in seiner unglückseligen Verwirrung betrachtete. Aber »Semper aliquid haeret«.

Um das Andenken eines in jeder Beziehung untadeligen Beamten von gegenstandslosem Verdachte zu reinigen, halten wir, seine Familie, es nunmehr für angemessen, den Tatbestand jener Angelegenheit, soweit er den Verstorbenen angeht, in seinen eigenen täglichen Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Wir stellen Ihnen dabei anheim, die etwa kompromittierenden Personalien, die darin zur Sprache gelangen, nach Gutdünken unkenntlich zu machen.

Für die Familie des Geheimen Rats Glumkow

in vollkommener Hochachtung ergebenst

Dr. Albert Glumkow
Gymnasial-Professor

 

Donnerstag, 2.

Diesmal muß ich es als eine wirkliche Zurücksetzung auffassen. Obwohl ich an der Ausarbeitung der neuen Umsturzvorlage den Hauptanteil habe, ist die Vertretung des Ministers im Reichstage nicht mir, sondern dem Geheimrat v. Ehwald übertragen worden. Mit dem Gesetz wird zwar auch diesmal nicht viel zu machen sein, so gut wir die öffentliche Meinung fortdauernd bearbeiten mögen. Die Roten haben zuviel heimliche Bundesgenossen im Reichstage. Alles was »sozial« angekränkelt ist, fühlt sich durch unsere Vorlage betroffen. Also im Grunde ein undankbares Geschäft sie zu vertreten. Aber es bringt einen doch in Sicht. Man empfiehlt sich, je unwahrscheinlicher ein Erfolg ist, desto mehr durch Überzeugungstreue. Auf alle Fälle ist es ein Affront, nach dem es eigentlich nur noch den Abschied gibt. Der ist aber unmöglich aus den bewußten Gründen – ich möchte das Gesicht meiner 1. Frau bei der Nachricht sehen –, oder aber dem Ehwald ist ein Stein hinzuwerfen. Er ist eine Null, nur dekorativ und sich Sr. Exzellenz empfehlend. Man muß die Amendements abwarten, die der nächste Ministerrat bringen wird. Ehwald, den ich unter irgendeinem Vorwand im Stich lassen kann, wird zu ihrer Abfassung unfähig sein.

 

Sonnabend, 4.

Wieder ein Dokumentendiebstahl im Ministerium. Es ist unerhört. Ich sehe noch den unglücklichen Kanzleidirektor Brummer vor mir, wie er unter dem Blick des Ministers zusammenknickte. Ich erkannte unsere gutmütige Exzellenz gar nicht wieder. Aber es ist wahr, daß der Spaß aufhört, wenn die geheimsten Falten unserer Aktenmappen nicht mehr vor den Helfershelfern der Roten sicher sind. Wir könnten schließlich unsere Kanzleien gleich mit den Büros des »Vorwärts« vereinigen, das würde das Budget nicht unwesentlich entlasten. Hätte ich nur nicht der ganzen Szene zwischen Sr. Exzellenz und Brummer beiwohnen müssen! Es war kein Abgang tunlich. Zwanzig Beamte standen herum, wie zu einer fürchterlichen Musterung. Ich bin noch ganz überwältigt. Dem Mann sind die stillen Freuden des a.-D.-Standes sicher. Und wäre es nicht vorsichtiger, ich möchte sagen staatsmännischer, ihm gleich nachzufolgen, anstatt einen ähnlichen Anlaß abzuwarten – der alle Tage eintreten kann? Aber der Ministerrat steht noch bevor; er kann Ehwald teuer zu stehen kommen. Wir werden ja sehen.

 

Mittwoch, 8.

Schlimme Tage. Ich bin seit der Brummerschen Sache noch immer fieberhaft erregt und trage so etwas wie die Vorahnung eines Unglücks mit mir herum. Unsinn. Als ob es hieran nicht gerade genug wäre. Beßhardt erfüllt mich auch mit den gemischtesten Gefühlen, sooft ich genötigt bin, seinen Rapport entgegenzunehmen. Er hat von seinen mannigfachen früheren Berufsarten – Wechselagent und Reisender in Glanzwichse, glaube ich – eine biedermännische Kraft der Überzeugung von der Güte der Sache, die er vertritt. Als Agent provocateur ist er vollkommen oller ehrlicher Seemann. Es wirkt ja ganz komisch, wenn er sich über die Treulosigkeit eines von ihm angeworbenen Roten entrüstet, der auf dem Wege war, ihn den Genossen zu verraten. Kaum habe er ihn noch kaltstellen können. Er erzählt lauter solche Geschichten, die höchstens ins Polizeipräsidium gehören, bei uns aber dem Orte keineswegs angemessen sind. Und wenn der Mensch seine laute Biedermannsstimme mäßigen könnte. Unmöglich; in meinem Vorzimmer wäre alles zu hören gewesen. Ich mußte mit ihm in Ehwalds (der gerade abwesend war) Kabinett eintreten, wo man sicher ist. Aber sich mit Beßhardt allein zu befinden, ist auch kein Vergnügen. Es kompromittiert einen gewissermaßen. Jedermann fühlt, daß der Mensch, wie er die Genossen an uns verrät, geradesogut auch imstande wäre, uns an die Genossen zu verkaufen. Man kann in diesen Zeitläuften, wo, natürlich abgesehen von Sr. Exzellenz, niemand hoch genug steht, um ganz außer Verdacht zu bleiben, gar nicht vorsichtig genug sein. Der Mensch hat ein gewisses Augenzwinkern, womit er einen, ich möchte fast sagen, zu seinem Komplicen macht. Na, er tritt morgen seine Provinztour an, um die Stimmung zugunsten unserer Pläne zu bearbeiten. Ich werde einige Zeit von ihm befreit sein.

 

Sonnabend, 11.

Die Sache ist schief gegangen. Ehwald hat Glück gehabt, wie alle diese repräsentativen Strohköpfe. Die Minister machen dem Entwurf weiter keine Schwierigkeiten. Ehwald ist der Blamage entgangen. Als ich den Minister heute behutsam sondierte, übrigens ohne nennenswerte Hoffnung, winkte er mir deutlich ab. »Mein lieber G., Sie sind ehrgeizig. Wir müssen alle ehrgeizig sein. Aber Sie sind zu ehrgeizig.« Er sah mich bei dem letzten Wort schief an und wand sich hin und her, als hätte er eigentlich »aufdringlich« sagen wollen. Wie gesagt, nicht daß ich etwas anderes erwartet hätte. E. sitzt zu fest im Sattel. Se. Exzellenz ist auch nicht unbeeinflußbar und Frau v. E. ist sehr schön …. Aber ich schreibe Unvorsichtigkeiten. Ein leichtes Fieber läßt mich seit acht Tagen nicht los.

 

Montag, 13.

Das ist das Unglück, das ich erwartet habe. Sage mir noch einer, es gäbe keine Ahnungen! Es ist schlimmer, als sich aussprechen läßt. Mir schwindelt, wenn ich an die Minute denke, als Heidstetten mit dem »Vorwärts« in der Hand auf mich losstürzt. Ohne ein Wort gelesen zu haben, weiß ich sofort alles. Es kann ja nur das sein. So ziemlich das gefährlichste Stück Papier, das zur Zeit im Ministerium existiert. Eine Zusammenstellung alles Materials, das die einzelnen Agenten, die einander nicht kennen, dem Polizeipräsidium geliefert haben. Eine vollständige Liste aller unserer »Anarchisten«, der Preis eines jeden Mannes dabei bemerkt, bis auf die Zuschüsse der Blätter, die den alten »Vorwärts«-Despoten im eigenen Lager beunruhigen. Kurz, eine förmliche Heerschau über die gesamten, von uns gegen die Roten ins Feld gestellten Mob-Bataillone. Und der detaillierte Schlachtplan für den zu veranstaltenden großen Putsch in der Linienstraße, der unserer Vorlage die nötige Schwungkraft geben sollte. Die Vorlage ist nun so gut wie bestattet, der Minister hat einen Stoß erhalten – wer weiß, ob er sich bis zur Reichstagseröffnung davon erholt. Er wütet nicht, wie das vorige Mal, das war Kinderspiel. Er geht blaß und mit zusammengekniffenen Lippen umher, jeden wie seinen Feind musternd. Im ganzen Hause herrscht Leichengeruch, scheint mir.

 

Später:

Nun ist es heraus, und das erfahre ich erst jetzt! Das Dokument, das sich natürlich heil und sicher vorgefunden hat – die Kerle verstehen zu photographieren – lag vor der Tat in Ehwalds Kabinett! Der Minister hat ihn bis zuletzt halten wollen, daher das verspätete Bekanntwerden des Umstandes. E. liegt nun am Boden, urplötzlich umgeworfen, hoffnungslos geliefert, mausetot für immer. Aber darf ich triumphieren? Da der infame Abdruck heute erschienen ist, so nimmt man an, daß der Diebstahl vorgestern stattgefunden habe, natürlich in Ehwalds Abwesenheit. Und ich – ich habe eine halbe Stunde in dem Unglückszimmer zugebracht, mit Beßhardt zusammen. Wir sind direkt vom Korridor eingetreten; daß uns jemand gesehen hat, bezweifle ich. Aber wenn ich bemerkt worden bin? … Man hätte keine Feinde, wenn nicht ein Verdacht auf mich fiele.

 

Später:

Ich war zu aufgeregt, um weiterzuschreiben. Nun kann ich diese unsinnigen Zeilen nicht undementiert dastehen sehen. Wovon rede ich? Wer bin ich denn, daß jemand es wagen sollte, mich, den Geheimrat Glumkow, mit den geschworenen Feinden von Thron und Altar, von Staat und Gesellschaft zusammen zu nennen, zusammen mit der Rotte! Wenn irgendein Beamter, ganz abgesehen von Verdienst, einfach in seinem Pflichtbegriff untadelig dasteht, so bin ich's. Erst jetzt wird mir klar, wie einzig wahr die Auffassung meiner Stellung ist, der ich immer gefolgt bin; ohne »Tendenzen«, ohne »soziale« Modekrankheit, ohne Nachgeben nach links oder rechts. Ich habe immer ruhig den Wink von oben abgewartet und niemals die unstatthafte Eitelkeit hervorgekehrt, die man hochtrabend Persönlichkeit nennt und die stets nur kompromittiert. Als Beamter war ich ehrgeizig, als Mensch nicht im geringsten. Wer auf mich den Verdacht lenken wollte, würde einfach für wahnsinnig gehalten, dessen bin ich gewiß … Zwar, was ist noch gewiß? Der Minister soll geäußert haben, daß er sich selbst nicht mehr traue. Darf ich mir denn noch trauen? Ach, lassen wir die zwecklosen Fragen. Ich werde wieder Chinin nehmen müssen. Meine Temperatur steigt des Abends nicht unbedenklich.

 

Dienstag, 14.

Ganz mit kaltem Schweiß bedeckt bin ich aufgewacht. Es war ein grauenhafter Traum. Ich durchlebte die ganze Szene in Ehwalds Kabinett noch einmal. Beßhardt erzählte mir seine Gaunereien mit einer Vertraulichkeit, als ob er mich jeden Augenblick auf die Schulter klopfen wollte. Unser Einverständnis wurde mit seinem gewissen Augenzwinkern besiegelt. Ich reichte ihm das Dokument hin, das ich von seinem Platze nahm, den ich genau kenne. War er mir denn gestern schon bekannt? Aber heute, wie gesagt, kenne ich ihn und weiß auch, daß er mir damals bekannt war … Mir fällt auf, daß ich mich ganz so ausdrücke, als wenn der Traum den wirklichen Vorgang wiederholt hätte?

 

Abends:

Gut, daß ich mich den ganzen Tag zu Hause gehalten habe. Ich fühlte mich wie zerschlagen, unfähig zu irgendeiner Bewegung, wie zu irgendeiner Ideenfolge. Ich habe all die Stunden keinen Gedanken gefaßt. Das ist eine rechte Erholung. Ich darf hoffentlich die Krise der kleinen Krankheit, die ich mir infolge des bedauerlichen Ereignisses zugezogen hatte, als überwunden betrachten.

 

Mittwoch, 15.

Die Krise ist allerdings vorüber. Ich habe befriedigend geschlafen, und mein Kopf ist völlig klar. Ich zweifle jetzt nicht mehr, daß mein sogenannter Traum nur eine lebhafte Erinnerung an das wirklich Vorgefallene war. Ich habe das Dokument gestohlen. Das finde ich jetzt ganz erklärlich. Hatte ich nicht das lebhafteste Interesse an Ehwalds Sturz? Ehrgeiz ist nicht einmal ein unedles Motiv. Auch habe ich die Vorahnung meiner Tat gehabt, die mir durch frühere Fälle des Abhandenkommens von Aktenstücken eingegeben ist. Warum ich die Tat vergessen hatte? Vielleicht infolge der jedenfalls großen Aufregung, in der ich sie verübt habe – vielleicht, daß ich es geradezu in Autosuggestion tat. Die Frage gehört möglicherweise den Ärzten, mich geht sie nichts an … Ich gehe merkwürdig leicht über das wichtige Verantwortlichkeitsproblem hinweg. Aber es ist noch viel wichtiger, das Dekorum zu wahren. Habe ich aus der vollendeten Tatsache die Konsequenz zu ziehen, so besteht sie in ruhiger Haltung und Vorsicht. Zur Kopflosigkeit ist kein Grund. Denn wer weiß etwas Sicheres, außer mir und Beßhardt? Mich beargwöhnen, käme einer Beleidigung gleich. Und wer hätte ein Interesse daran? Ich habe jetzt meine Familie zu verteidigen, in der die altpreußische Beamtenehre niemals wanken wird. Kann ich mir denn überhaupt meine Frau vorstellen, wie sie die Nachricht empfängt, ihr Mann, der Geheimrat Glumkow, habe gestohlen? Unsinn. Ich verteidige aber auch den Staat. Denn die Regierung hat ein dringendes Interesse daran, daß der Dieb unbekannt bleibe, daß mindestens kein hochgestellter Beamter als Täter entdeckt werde. Das fehlte noch zur Vervollständigung des Skandals. Ich bin mir bewußt, als Mensch wie als Beamter, vollkommen pflichtgemäß zu handeln.

 

Abends:

Der Blick des Ministers hat mich doch dekonzertiert. Es lag eine solche Vorsicht darin, kälter als die meinige. Sollte er schon etwas wissen? Bah, was hätte ich von ihm zu fürchten! Falls er sich nicht selbst verloren fühlt und im Stolpern aus Rache noch einen Gewaltstreich vollführt. Er könnte der schönen Frau v. Ehwald eine letzte Gefälligkeit erzeigen, wenn er mich bloßstellte, um die Ehre ihres Gatten zu retten. Ich bereue es jetzt, gestern nicht ins Ministerium gegangen zu sein. Man hat dort inzwischen neue Betrachtungen über den Fall angestellt, offenbar in einer gewissen Richtung. Bei meiner Scheu, bestimmte Fragen zu stellen, kann ich nicht dahinterkommen. Es wird mir doch schwerer als ich dachte, dies wichtige Geheimnis zu bewahren. Ich habe im Heucheln keine Übung, weil ich mir nie eine Meinung gestattet habe, die ich nicht auch höheren Ortes hätte aussprechen können. Der ungewohnte Zustand greift mich mächtig an, ich fühle das Fieber wiederkommen.

 

Donnerstag, 16. Mittags:

Eine erbärmliche Nacht. Es war mir beim Aufwachen, als ob ich mich mit Beßhardt gestritten und sehr laut gesprochen habe. Trotz meiner gereizten Schlaffheit bin ich ins Amt gegangen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß man dort in meiner Abwesenheit den Fall kommentiert. Ich bin aber nur kurze Zeit geblieben, aus Furcht, mich vollends zu verraten. Denn daß sie es jetzt wissen, mindestens ahnen, ist mir ziemlich unzweifelhaft. Sooft ich mich einer Gruppe von Kollegen näherte, steckten sie die Köpfe zusammen, und ich hörte deutlich meinen Namen flüstern. Mehrmals muß Heidstetten es auch gehört haben, gegen den sie reserviert sind, weil er für meinen Intimus gilt. Als ich ihn das erstemal fragte, was man von mir wolle, schien er nicht zu verstehen. Das zweitemal sagte er: »Wir sprachen ja neulich von Halluzinationen? Na, wollen Sie mir glauben, daß ich gestern nacht beim Nachhausekommen auch welche gehabt habe? Nach den Aufregungen dieser letzten Zeit kann das dem gesündesten Menschen passieren. Man wird nervös. Tatsächlich, was wir jetzt durchzumachen haben ….« Das »wir« betonte er in ungerechtfertigter Weise und sah mich dabei starr an. Der Minister hat sich nicht blicken lassen, oder vielleicht bin ich ihm ausgewichen.

 

Abends:

Meine Sache steht noch schlimmer, als ich glaubte. Meine Frau ist nicht mehr ahnungslos. Bei Tische war sie schweigsam und schien mich doch zum Reden veranlassen zu wollen. In meinem Unwohlsein sah sie offenbar keinen hinreichenden Grund für meine Zurückhaltung. Als nachher Besuch kam, gab sie mir eilig einen Vorwand, mich zu entfernen. Wie habe ich daran nur nicht früher gedacht! Gegen alle anderen würde ich den Kampf aufnehmen. Aber meine Frau! Ich habe ihr von jeher alles gesagt, was sie zu wissen wünschte. Dies Geheimnis kann nicht zwischen uns bestehen. Ich habe die positive Gewißheit, daß ich mich werde verraten müssen, vielleicht in acht Tagen, vielleicht morgen. Und darauf das Zusammenleben? Das ist unmöglich. Sie darf nichts Bestimmtes wissen. Aber die jetzige Lage ist unhaltbar. Ich müßte mich also – davonmachen – es ist schwer auszusprechen –, mich aus der Welt schaffen ….

 

Später:

Der Gedanke kam so plötzlich und ist doch, selbst in meinem jetzigen Zustande, recht schwer zu fassen. Ich bin eine Stunde lang auf und nieder gegangen und fühle das Fieber wieder überhandnehmen. Wenn das nur nicht wäre. Man hat alle seine Kraft nötig, um sich zusammenzuhalten, etwas Gefährliches gut verschlossen bei sich zu behalten, und verfällt in einen Zustand, in dem man sich durch ein Wort den Hals abschneidet. Wir haben manchmal über solche Sachen gesprochen, Heidstetten, Schelsky und ich. Heidstetten wollte wissen, daß die Affäre zwischen Oberst v. Kapman und Assessor Holbehn durch eine Krankheit der Frau v. K. veranlaßt sei. Sie habe im Fieber ihr Verhältnis zu Holbehn eingestanden. Schelsky, der in solchen Kreisen verkehrt, erzählte von dem letzten großen Börsengewinst des Kommerzienrats Bertheim. Frau v. Pankus, mit der er ein Verhältnis unterhält, hinterbrachte ihm ein Geheimnis, das ihrem Manne während eines Fieberanfalles entfahren war. Das sind so Geschichten, über die man bei Huth, eine Flasche Rotspon zwischen drei Freunden, herzlich lachen kann. Heute jagen sie mir blasse Furcht ein. Ich zittere und bin bei meiner Aufregung doch so ermattet, daß ich meine Beine nicht fühle. Wenn ich jetzt vom Stuhl aufstände, würde ich zusammensinken. Ich werde ernstlich krank werden, hilflos zwischen den Händen Fremder, des Arztes, des Wärters, denen ich meine Seele ausschütte. Das darf nicht sein, der Gedanke daran ist schon zuviel. Mein ganzer Stolz, mein Ehr- und Pflichtgefühl bäumt sich dagegen auf. Ich weiß, was ich meiner Familie schuldig bin, fünf Generationen ehrenwerter Beamten – und meiner Frau. Gegen den Toten wird man Rücksicht üben, auch die Pension wird ihr gesichert sein. Ebenso ist das Regierungsinteresse dann hinlänglich gewahrt. Man kennt den Täter und wird sich, froh, dem Eklat entgangen zu sein, mit seinem Verschwinden begnügen. Ich werde in jeder Beziehung meine Pflicht getan haben. Indes will ich mir nichts vormachen. Man macht sich ja vieles vor. Aber mit dem geladenen Revolver vor sich auf dem Tisch ist eigentlich kein Grund mehr dazu. Als ich vorhin an die Stunden bei Huth dachte und an die freundschaftlichen Plaudereien, fiel mir wohl ein, daß das nun auch vorbei ist. Ich kann ja keinen Menschen mehr ohne Mißtrauen ansehen. Die kleinen Behaglichkeiten, die zusammen das Leben erträglich machen, sind mir verloren. Was ich vorhabe, tue ich also auch meinetwegen.

 

Später:

Ich habe es doch nicht gleich tun mögen. Das Fieber scheint durch die Beichte, die ich mir abgelegt habe, etwas beruhigt zu sein. Diese Nacht will ich mir noch geben – probeweise. Wenn nur Beßhardt aus Breslau wieder zurück wäre. Ich könnte ihn fragen, ob alle Vorkehrungen getroffen sind, daß wir unentdeckt bleiben. Aber er kommt erst am 22., und bis dahin kann alles verloren sein.

 

Freitag, 17.

Es ist nun entschieden. Beim Erwachen – sehr spät, so daß meine Frau oder die Dienstboten etwas gehört haben müssen – hatte ich noch den lauten Klang meiner Stimme im Ohr. Ich schrie in Gegenwart von Ehwald, Sr. Exzellenz, Heidstetten, Beßhardt und aller Leute, die mich höhnisch angrinsten, mein Geständnis: »Ich habe das Dokument gestohlen.« Es ist also nichts mehr zu machen, ich muß vor mir selbst entfliehen. Ich überlege, ob ich diese Aufzeichnungen vernichten soll. Indes ziehe ich vor, sie so wegzulegen, daß nur meine Frau sie finden kann. Ich bin gewiß, daß sie ihr nichts Neues sagen werden. Aber meine offene Beichte wird ihr die Überzeugung geben, daß ich recht gehandelt habe und sie für mein Andenken milder stimmen.


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