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Die Stiftung der Schauenburgerin.

Zur Geschichte des Klosters Allerheiligen im badischen Schwarzwald.

Erstes Kapitel.
Schwarzwaldzauber.

 

Wenn alle Knospen springen,
Wenn rings der Lenz erwacht,
Wenn Wald und Feld erblühen
In junger Frühlingspracht, –
Dann lockt mich in die Weite
Die süße Maienzeit
Und zeigt mir still ihr Kleinod –
Dich, Schwarzwaldherrlichkeit.

 

Mein letztes Semester lag hinter mir. Mit mehr als geteilten Gefühlen hatte ich das schöne Freiburg verlassen und durchstreifte, um mir den Übergang ins Philisterleben so leicht als möglich zu machen, noch einmal den geliebten Schwarzwald. Ein paar kurze Tage noch, und es galt von dem leichten, frohen Leben Süddeutschlands Abschied zu nehmen für lange Zeit. Denn, so sehr der Märker an seiner Scholle hängt und angesichts der größten Herrlichkeit der Welt mit heimwehkranker Liebe an Sumpf und Sand, an den Duft der Kiefern und das Trällern der Heidelerche zurückdenkt – zugeben muß er's – ein anderes Leben ist's dort unten am Rhein, am Neckar, bei den frohen Schwaben – der alte Zopf fehlt.

Zum Schluß als Letztes und Bestes hatte ich mir das schöne Allerheiligen aufbewahrt, jenes stille, waldumrauschte Mönchsgut der Ortenau, die sagenhafte Stätte einer urdeutschen Vergangenheit. Schon einmal im Jahre 1797 hatte mein Fuß den heiligen Konvent betreten, aber es war eine kurze Rast gewesen, die ich mit meinem Vater in Allerheiligen gehalten; eine trübe Nachricht aus der Heimat kürzte unseren Aufenthalt, und am anderen Morgen mußten wir weiter. Ich aber gelobte mir im stillen, zurückzukehren, mochte kommen, was da wolle. Soviel Schönheit und edles deutsches Leben, soviel Poesie sehen und daran vorübergehen müssen, soviel Festtagsstimmung begegnen und nicht auf sich einwirken lassen, das durfte nicht sein – ich wollte, mußte zurück. Inzwischen aber zogen Jahre dahin. Über Allerheiligen waren schwere Wetter niedergegangen. Aus der blühenden Stiftung war eine Ruine geworden, die ahnen ließ, was einst gewesen. Die Abtei war säkularisiert, die Klosterschule aufgehoben worden. Ein einsamer Kapuziner, dem die Seelsorge in den umliegenden Dörfern von der Regierung zugestanden worden war, blieb Hüter der heiligen Schwelle. Der Staat hatte beschlossen, das Kloster zur Anlage einer mechanischen Spinnerei zu verwerten; doch bald erkannte man das Unzweckmäßige des Planes und verwarf denselben wieder. Aber noch bevor man sich geeinigt, ward die Frage durch höheren Willen entschieden und die heiligen Hallen vor irdischer Dienstbarkeit bewahrt. Wenige Wochen nach dem Auszug der Mönche am Tage des Ordensstifters, am 6. Juni 1803, dessen Gedächtnis zu feiern wie alljährlich große Scharen gekommen waren, zog ein schweres Unwetter über das Gebirge, und ein Blitzstrahl verwandelte den ehrwürdigen Bau in einen Trümmerhaufen. Ein Freund, der vor wenigen Wochen die Ortenau durchwandert hatte, erzählte mir von dem wunderbaren Eindruck, den dies Stück steinerner Vergangenheit im Schatten des deutschen Waldes auf ihn gemacht und schloß mit dem Bemerken, an Allerheiligen dürfe ich nicht vorüber. Und wie zog's mich hin! Bald lagen die alten Folianten hinter mir, und ich wanderte mit dem Ränzel auf dem Rücken durch die blühende Ortenau, an den Ufern der Renck entlang. Unweit Oberkirch grüßten die Ruinen der Schauenburg von hoher Bergwand nieder. Ein stolzer, sturmfreier Sitz mochte das alte Kastell gewesen sein, das Erbgut des Hauses Zähringen, das Jungfernlehn der edlen Frau, die vor mehr als sechshundert Jahren dem Orden der Prämonstratenser die fromme Schenkung gemacht. Baumstarker Efeu umwob das alte Gemäuer, in den Mauerluken wucherten Farne und Wildrose, und der blaue Himmel strahlte nieder in Saal und Gemach. Der Morgenwind strich durch die weltfernen, himmelhohen Tannen, und der Bergbach sprang silberhell über Stein und Wurzelwerk, es war, als ob ein Rauschen im Wald von vergangenen Zeiten spräche!

Ich aber schritt weiter durch die blühende Welt, dem sagenumwobenen, märchenhaften Ziel meiner Wanderung zu. Immer stiller und einsamer ward der schmale Saumpfad, immer wilder und romantischer. Noch hatte keine Menschenhand mit rauher Gewalt den Zauber dieser Abgeschiedenheit zerstört, noch atmete die grüne waldwilde Stätte, unter deren Blütengerank eine große Vergangenheit begraben lag, ungekünstelte Ursprünglichkeit, und das Unberührte verlieh ihr doppelten Reiz. Und mitten in all die Festtagsstille hinein zog's hehr und gewaltig wie der Klang der Münsterglocke, ein Brausen und Jauchzen, ein Rauschen im Wald, ein überirdischer, tausendstimmiger Chor: Die Wasser von Allerheiligen! Über die Felsen kamen sie herabgestürzt, silberne Gießbäche voll ungezügelter, urwüchsiger Kraft, schäumend den Durchgang durch enges Geklüft erzwingend und im funkelnden Tropfenfall verschwenderisch ihr edles Naß zerstäubend. Es ist gut sitzen an den Wassern von Allerheiligen, im Schatten der stillen, unter den Zweigen seiner Waldbäume verborgenen Kirche. Das Menschenherz wird klein vor all der Größe, und im Rauschen des Gießbachs begegnet ihm Gott, der Allmächtige. Die Sorge zerrinnt angesichts der sieghaften Schöpfungsgewalt, alle Erdenwünsche treten vor der Majestät des Augenblicks zurück, vor dem unmittelbaren starken Bewußtsein: Es ist der Herr! – –

Und wieder wanderte ich weiter.

Da lagen halb verborgen von Waldrebe und Efeu die Kirchenruinen im Schatten uralter Bäume und gaben in ihren malerischen Überresten ein letztes Bild der wunderbaren Schönheit des gewaltigen Gotteshauses. Schlanke Pfeiler, von den Zweigen einer wilden Rose umrankt, das feingegliederte Kapitäl vom reichen Blätterschmuck gekrönt, strebten empor – die verwitterten Mauern wiesen die Überreste einer wunderbar edlen Ornamentik auf. Mit seinen halbverfallenen Spitzbogen stand der verlassene Kreuzgang; Gras wuchs auf den Stufen, und die Sommerblumen sproßten aus den Mauerritzen und wiegten die Köpfchen im Winde. Durch das junge Grün der Linden fiel schimmernd das Licht der Morgensonne, wie ein Goldnetz lag's über dem knospenden Walde, über dem grünen Grund, wo Veilchen und Himmelsschlüssel zwischen den grünen Steinen blühten und ein schillernder Käfer durch das Laub eilte. –

Und tiefer Friede ringsum! – Als gält es, seine Schuhe ausziehen an dieser Stätte, als wölbte sich der verfallene Säulengang zum strebenden Chor, und im Geist sah ich die weiße Kanzel im Osterschmuck wieder, sah den Heiland der Welt am Kreuz hängen und in heiliger Milde auf die Bittenden niederschauen, und meinte den Chor der Mönche zu vernehmen, die in festlicher Frühe einander grüßten:

»Er ist erstanden!«

»Er ist wahrhaftig auferstanden!«

*

Ostern war's, als ich, ein Büblein, an des Vaters Hand die blühende Abtei betrat – und heut war's wieder hochheilige Zeit. Aber wie anders ich auch die stille Stätte wiederfand, eines war ihr geblieben, die himmlische Weihe, die über sie ausgegossen war, die einst des Kindes Seele mit tiefer Andacht erfüllt, als hätten Engelhände in goldenen Lettern ihr heilig Zeugnis über die Kirchenpforten geschrieben: »Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels!« Aber vom Grunde klang's herüber wie das Lied vieler tausend Stimmen aus weiten Gefilden, wie stilles, sanftes Sausen – –

Es ist gut sitzen an den Wassern von Allerheiligen, denn im Rauschen seiner Gießbäche redet Gott, der Allmächtige!

*

Es zog mich noch einmal dorthin zurück. Stundenlang mocht ich gesessen und dem Stürzen des Waldbachs zugeschaut haben.

Der mächtige Schall verschlang alles andere, ich vernahm nichts mehr, als das Rauschen der fallenden Wasser.

So kam's, daß ich in jähem Schreck zusammenfuhr, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Aber der Schrecken war bald verflogen, denn das freundliche Gesicht des alten Kapuziners, das sich über mich neigte, war nicht geeignet, Furcht zu erwecken. Lächelnd begrüßte mich der Greis, ich sah, wie seine Lippen sich bewegten, aber das Rauschen des Baches verschlang seine Worte. Kopfschüttelnd blickte er zu dem schäumenden Gesellen hinüber. »Es wird hier nichts!« rief er mir ins Ohr, und ich erhob mich und winkte dem Wasserfall mein Lebewohl.

Er begann ohne Umschweife: »Ich muß Euch schon einmal im Leben gesehen haben! Seid Ihr zum erstenmal in Allerheiligen?«

Und als ich verneinte und ihm von meinem Besuch im Jahre 1797 berichtete, rief er erfreut: »Wußte ich's doch! Das Flachsköpfchen mit den großen blauen Augen hab ich in meinem langen Leben nicht vergessen, und als ich Euch heut am Wildbach sitzen sah, erwachte sogleich die Erinnerung an diese Kinderaugen aufs neue in meiner Seele. Also Ihr seid der kleine Bursch von dazumal! Auch ich war zu jener Zeit als Gast im Kloster und sah zum erstenmal das schöne Allerheiligen in seiner Blütezeit!« Sein Auge schweifte wehmütig über die Tannen. »Ja, des Herrn Wege sind unerforschlich!« Eine helle Träne rann langsam über das runde Gesicht des Mönches. »Ich bin der Hüter des Konvents,« sagte er mit schmerzlichem Lächeln, »nicht weit von hier liegt mein Häuslein, wollt Ihr mein Gast sein und mir ein paar Tage die Einsamkeit kürzen?« Ich schlug in die dargebotene Hand ein und nahm die Gastfreundschaft des Greises dankbar an.

»Nicht wahr und dann erzählt Ihr mir mehr von Allerheiligen und seiner edlen Stifterin?« bat ich.

»Von der Herzogin Uta? Ja, mein Sohn, von der sollt Ihr hören!« und er klopfte mich wohlgefällig auf die Schulter, als hätte ich ihn nichts Lieberes fragen können. »Wißt,« fuhr er dann in gedämpftem Tone fort, als fürchte er, die Waldvögel möchten sein Geheimnis erlauschen und weiter tragen, »ich hab einen Fund getan in dem alten Gemäuer! In der Krypta der Kirche fand ich eine Chronika von der Hand des ersten Propstes zu Allerheiligen. Das Büchlein enthält Aufzeichnungen über das Leben der Herzogin Uta, deren langjähriger Kaplan der Propst Giringus vor der Gründung des Klosters war. Selten hat wohl eine fürstliche Frau so Hartes erduldet und ist dabei so glaubensmutig, so frommen Herzens geblieben wie die Schauenburgerin. Gern teilt' ich die Historia weiteren Kreisen mit, doch sie ist in alter Sprache geschrieben, und ich bin schwach und lebensmüde, kaum reicht meine Kraft zum Amte des Wächters und zum Dienst der Seelsorge in den Dörfern. Es heißt aber: Tue was deines Amtes ist – und so liegt des Propstes Chronik zuunterst im Schrein, wohl verwahrt, ein verborgener Schatz im Acker. Wer aber des greisen Benedikts Gast ist und nach der alten Zeit fragt, der soll von der Herzogin Uta und ihrer frommen Stiftung hören, so viel er begehrt!«

Wir waren am Ziel. Eine Viertelstunde später saß ich unter der Sommerlinde vor der Klause an der Seite Bruder Benedikts, der sich wie ein Kind freute, daß er das Flachsköpfchen wiedergefunden und an seinem Tische mit frischer Milch und herrlichem Kuhkäse bewirten durfte. – –

Der Mond war über den Wäldern aufgegangen. Sein silberner Glanz lag auf Tal und Tannen, auf den weißen Kapitälen des Kreuzganges. Aus den Wiesen stiegen die Nebel empor, in wunderbarer Schönheit ging die Frühlingsnacht über der stillen Ortenau auf. »Das ist Schwarzwaldzauber!« sagte der Greis, mit gefalteten Händen über die mondbeglänzten Wälder blickend.

Es war Mitternacht, als wir zur Ruhe gingen. Der Kapuziner kniete mit dem Rosenkranz unter der Marter Gottes nieder und neigte das weiße Haupt in tiefer Anbetung vor dem Gekreuzigten. Aus dem nächsten Dorf rief eine Turmuhr die zwölfte Stunde, der Ruf eines Käuzchens verklang in den Tannen. Dann ward alles still, nur die Wasser rauschten von den Felsen nieder und der Nachtwind summte sein uraltes Feierlied im Konvent zu Allerheiligen.

*

Am anderen Morgen holte Bruder Benedikt die Chronik des Propstes Giringus hervor und sagte, mir den alten vergilbten Pergamentband einhändigend: »Setzt Euch draußen an den Steintisch unter die Linde! Da ist's gut sein an Sommertagen. Ich gehe derweil zu einem Kranken ins Tal. Um Mittag bin ich wieder daheim!«

Er ging, und ich richtete mich unter dem alten Baum häuslich ein. In seinen duftenden Wipfeln summten Bienenvölker, Efeu und wilde Rosen rankten vom Dach der Klause herüber in die Zweige, gelbe Falter und Libellen flatterten ab und zu, und die Primeln und Reseden des kleinen wohlgepflegten Gärtchens grüßten in bunter Farbenpracht herüber. Ja, hier war's gut sein, in Sonnenglanz und Lenzesluft; ein Königskind könnt' es nicht besser haben.

Ich aber öffnete die Spangen des alten Buches und schlug fast ehrfürchtig die erste Seite auf.

Und dann hab ich gelesen, bis mich der greise Benedikt an den Schultern faßte und aufrüttelte und rief: »Wacht auf, Herr Studiosus, die Mittagssuppe wartet und wir schreiben das Jahr des Herrn 1810.«

Aber hätte nicht zugleich das Grautier, das man, um den Bauplatz des Konvents zu bestimmen, von der Schauenburg hinab in die Wälder der Ortenau getrieben, sich niedergelegt und somit die Stätte für die fromme Stiftung gefunden, ich wäre elendiglich verhungert und verdurstet! Doch dann hätte sich die edle Schauenburgerin des fahrenden Gesellen sicherlich erbarmt!

Zweites Kapitel.
Aus der Chronika des Propstes Giringus zu Allerheiligen.

 

»Die Lieb ist eine güld'ne Krone!«
Sprach eine wunderschöne Frau.
Ihr Antlitz strahlte wie die Sonne,
Wie eine weiße Ros' im Tau!
Sommer und Winter zogen ins Land –
Sie trugen ein schimmerndes Brautgewand!

»Die Lieb ist eine Dornenkrone!«
Sie sprach's. Ihr Haar war silberweiß,
Und eine Träne perlte leise
Die Wang hernieder, schwer und heiß.
»Liebe, du königliche, sag an,
Was hast du der weißen Ros' getan?«

 

Schauenburg, im Lenz 1150.

Es war still im Land.

Die Sonne ging glutrot hinter den Bergen unter.

Vor ihrem warmen Leuchten war der letzte Schnee geschmolzen, in dunklen Streifen leckte das Wasser die Felsen hernieder. Manch geschütztes Plätzlein, von grauen Mauern umhegt, schimmerte veilchenblau und unten am Bach, welcher der Eisfesseln ledig wie ein leichtfüßiges Kind durch die Wiesen hüpfte, streckten die Himmelschlüssel die goldgelben Köpfchen aus dem Grase hervor, neugierig Umschau haltend, ob es wahrhaftig der Lenz sei, der holdselig die Erde gegrüßt. Über die grüne Wintersaat zog sanftes Geläut. Voller, immer voller klang's, und hüben und drüben fielen eherne Stimmen ein, zum brausenden Chore sich einend. Es klangen heut ja überall im deutschen Lande die Glocken, vom gewaltigen Spiel der Dome in den Städten bis zu dem dünnen Stimmlein oben im Holzturm des ärmsten Schwarzwalddorfes. Feierlich tönte ihr Ruf und hoheitsvoll zugleich, bis ein Ton nach dem anderen verklang. Wie ein Seufzer verhallte der letzte Laut in den Bergen und von den glänzenden Kuppen kam's nieder, als flüsterten Geisterstimmen von der Glocken Romfahrt in der stillen heiligen Woche des Herrn. Dann war tiefe Ruhe ringsum, es war der Vorabend des großen Sabbats.

Des Abendgolds leuchtende Lichter zogen über Tal und Höhen, über die graue Burg, die wie ein Schwalbennest oben am Felsen hing. Aber bald war die Farbenpracht verschwunden. In den Wiesen lagerten die Nebel und die Türme des alten Kastells hoben sich scharf und düster vom Himmel ab. Rauh strich der Wind über den kahlen Kamm, die Tannen rauschten das Nachtlied. Ein weißer Dampf stieg rings aus den Hütten der Talbewohner; mit dem Nebel streitend, strebte er empor – der Dampf des Wassers war's, damit sie das Herdfeuer löschten. Wie ausgestorben lag das Dorf, keine Arbeit ward getan, still saß ein jeder daheim, in schweigender Ruhe harrte das Volk des großen Sabbats. Die Lichter erloschen, in tiefem Dunkel lagen die Hütten, selten nur hellte ein Kienspan die Diele und kein Laut war auf der Dorfstraße vernehmbar. Nur auf der Schauenburg war es noch hell, der Eisenring in Frau Utas Gemach warf seinen hellen Schein auf die efeuumsponnene Mauer.

Sie saß nicht gern im Finstern, ich wußt' es wohl, und dem Dämmerstündlein schien die Fleißige abhold. Es war, als wolle die blasse Frau mit der Schnebbhaube über dem Goldhaar durch rastloses Schaffen ihr Witwenleid zum Schweigen bringen. Aber heimlich stahl sich die Träne brennend heiß über die zarte Wange und tropfte auf die stickenden Hände herab. Dann preßten sich die Lippen der Gräfin wohl herb zusammen, und ward sie des Schmerzes nimmer Meister, so tat sie das Velum in die Truhe und schritt hinaus – hoch aufgerichtet, und doch rannen die Tränen unaufhaltsam in den Witwenschleier. Ja, ich kannte Frau Uta! – –

Ich eilte, rechtzeitig hinaufzukommen, denn um neun Uhr sollt' ich in der Halle den Abendsegen lesen. Die greise Pfalzgräfin Luitgardis, Frau Utas Mutter, pflegte beizeiten zur Ruhe zu gehen.

Eilig schritt ich vorwärts. Als ich die Halle betrat, kam mir die Herrin entgegen. Ein feiner roter Streifen säumte ihre Augenlider. Sie hatte einen schweren Tag hinter sich, den Sterbetag ihres edlen Gemahls. Doch als sie mich grüßte, war ihr Antlitz hell und lieblich, als gedächt' sie daran, daß in der Frühe Ostern sei, da die Felsen sprangen und die Sonne in das leere Grab des Gekreuzigten schien. Ihre Mutter aber berief mich nach dem Abendsegen zu sich und vertraute mir leise, daß Herzog Heinrich von Bayern für seinen Bruder Welf um Utas Hand geworben.

»Wir müssen ihr Zeit lassen,« sagte sie, und ein Lächeln verklärte das immer noch schöne Antlitz. »Es wird immer einsamer um sie werden, wie lange währt's, und ich geh' davon! Redet ihr zu, Ehrwürden, so sie darauf kommt – nichts Schöneres gäb's für mich, als sie ein zweites Mal mit der grünen Raute zu schmücken.«

Da trat die Tochter herzu, und die großen, blauen Augen schauten fragend von einem zum andern. – –

Aber in der Frühe des Ostertages ritt der Bote des Bayernherzogs aus Schauenburgs Toren. Ich hatte die Antwort an Seine Liebden auf Pergamentblatt niederschreiben müssen. Der langen Rede kurzer Inhalt war der, daß die Wittib des Grafen Berthold von Eberstein die Trauer um ihren Gemahl nicht abzulegen gewillt sei.

*

Zu Ende des Wonnemonds.

Des Burgwarts Töchterlein lag todkrank, und die Kunde von der Not drang ins Frauengemach. Da erhob sich die junge Herrin vom Stickrahmen und stieg den Wendelstein hinab in die Gesindekammer, wo die kleine Ursula lag. Sie setzte sich neben das Bettchen und beugte sich über das Kind, als sei's ihr eigenes. Dann legte sie ihre kühle, weiße Hand auf die fieberglühende Stirn und reichte den brennenden Lippen den Trunk erfrischenden Safts. Über das abgezehrte Gesichtlein aber ging ein holdes Lächeln, und es war, als glänze auf dem Antlitz des jungen Weibes der Widerschein.

Spät abends kam sie wieder. Sie sandte die müde Mutter, trotz allen Sträubens, zur Ruh und setzte sich, ungeachtet meiner Bitten, zur Nacht an das Krankenbett. Und wieder kam das Kind unter der sanften Hand, die es pflegte, zur Ruhe und schlief den ersten erquickenden Schlaf nach langer Zeit.

Um Mitternacht trieb's mich vom Lager; leise schaute ich in das kleine Gemach, wo die edle Frau Samariterdienst tat. Ein Öllämpchen warf seinen matten Schein über das Bettchen des Kindes und die hohe Gestalt im Witwenkleide. Sie hatte die Schnebbhaube zur Nacht gelöst, in reichen Wellen fiel das lange, goldene Haar über die Schultern, und das lichte Gekräusel flimmerte um die hohe Stirn wie ein Heiligenschein. Sie hatte mein Kommen nicht bemerkt. Regungslos verharrte sie in ihrer Stellung, den ernsten Blick auf das schlafende Mägdlein gerichtet. Mir aber zog's durch den Sinn, warum sie, die wie keine andere Liebe und edle Frauensorgfalt zu geben weiß, ihr blühendes Leben auf der stillen Schauenburg vertrauern sollte. Hätte sie nur ein Kindlein gehabt! Aber Frau Utas Wiege war leer geblieben und manche heiße Träne war geflossen in dem sonst so glücklichen Ehestand des gräflichen Paares, wenn ein Jahr nach dem anderen verging und der Kindersegen ausblieb. So ließ ich die Gedanken wandern!

Da wurden alle meine Sinne gefesselt. Das blonde Mägdlein erwachte und tastete nach der linden Hand.

»Mutter,« flüsterte es.

Die Herrin neigte sich über das Lager, ein süßes Lächeln um die Lippen.

»Ursula!« hörte ich ihre sanfte Stimme.

Einen Augenblick schaute die Kleine fragend empor, dann schlang sie beide Arme um den Nacken der schönen Frau und jubelte mit hellem Stimmlein: »Liebe, süße Frau Uta!«

Ich konnte ihr Antlitz nicht mehr sehen, so tief neigte sie es zu dem Kinde nieder. Leise schlich ich mich davon in meine Kammer.

In meiner Seele aber war Ungeahntes erwacht, und nur ein Gedanke lebte in mir: das Glück der Herrin! Könnt ich ein Englein erhaschen, ein kleines, wenn's zur Erde geflogen käm', könnt ich's über Nacht vor ihre Schwelle legen! Dann würden früh morgens zwei blaue Augen hell aufleuchten und klopfenden Herzens würde sie lauschen, wenn ein helles Stimmlein sie grüßte: »Liebe, süße Frau Uta!«

*

Im Brachmond.

Die greise Luitgardis stand auf dem Söller und blickte gedankenverloren ins Tal.

»Redet ihr zu, Ehrwürden!«

Wohl zum zehntenmal hatte sie die vier inhaltsschweren Worte an mich gerichtet, seit der junge Bayernherzog vergeblich um Frau Utas Hand geworben. »Redet ihr zu, Ihr tut wohl daran! Mein Kind hat ein Herz voll reicher Minne, ich weiß es, sie darbt ohne ein anderes, dem sie Liebes erweisen kann. Stille Einkehr und jeweilige Stunden des Alleinseins tun jedem Menschen not, aber stete Einsamkeit ist nicht gut, wofern nicht sonderliche Gründe ein Leben in frommer Beschaulichkeit gebieten. Und Uta ist jung und von Natur frohen Sinnes, auch wär' Herzog Welf mir als Sohn willkommen!«

Also sprach die Greisin, nickte mir hellen Auges zu und schritt, auf den Krückstock gestützt, in die Halle, wo Frau Uta das kostbare Velum vollendete, das während Klein-Ursulas Krankheit in der Truhe gelegen.

»Schaut, Frau Mutter, wie schön die Kirchenrosen leuchten!« hörte ich ihre helle Stimme sagen, und sah durchs Fenster, wie sie die schneeige Seide mit der Goldstickerei in die Höhe hob. Aber mich bedünkte, die Rosen auf Frau Utas Wangen seien herrlicher als alle anderen! Und dann vermeint ich wieder die Stimme ihrer Mutter zu hören: »Redet ihr zu, Ehrwürden!« wie ein zweischneidig Schwert drangen die schlichten Worte mir in die Seele, und ich erschrak vor mir selber. Mit Entsetzen blickt ich auf mein geistlich Kleid, als trüg es untilgbare Flecken. Giringus, du Priester Gottes des Allerhöchsten, wer bist du, daß du die Augen auf ein fürstlich' Weib wirfst und heiße Minne im Herzen trägst!

*

Zu Ende des Brachmonds.

Ich hab mein Herz in harte Zucht genommen. Wenn Manneswille das zarte Blümlein, das wohl in jedem Herzen einmal emporsprießt, ersticken und ertöten kann, so werd' ich siegen, aber ich glaub's nicht! Mein Herz spricht dawider: Du wirst die Herrin minnen dein Leben lang! Die Heiligen mögen mir beistehen! Unter dem Gnadenbilde des Erlösers habe ich gekniet, milde blickte das edle Antlitz auf mich nieder. An den Dornen der Marterkrone hingen Blutstropfen, und im Abendlicht schienen lauter dunkelrote Rosen daraus hervorzusprießen und duftend des Dulders heilige Stirn zu umkränzen.

Da ward meine Seele endlich ruhiger. Unter dem Kreuz wohnt der Friede, und es dünkt mich, als würd' ich allda zuversichtlicher als im Gebet zu den Heiligen und der reinen Gottesmutter. Die gebenedeite Jungfrau wolle mir mein sündig Denken vergeben und dem Irrenden helfen! –

Mit dem festen Vorsatz, Frau Luitgardis' Befehl nachzukommen, betrat ich den Beichtstuhl.

Wartend saß ich hinter dem Gitterlein. Die Linde pochte an die bunten Kirchenfenster und die Finken jubelten um den Chor, aber ich vernahm nichts von den Wonnen der sommerlichen Zeit. Auf den Stufen des Wendelsteins rauschten Frauengewänder und das junge Antlitz in ernstem Sinnen geneigt, betrat die Schauenburgerin das Gotteshaus, den Schritt zum Beichtstuhl gelenkt. Dann kniete sie nieder; lange ruhte ihr goldlockig Haupt am Schnitzwerk, dann fragte sie unter heißen Tränen und tiefem Erröten: »Herzog Welf hat seine Werbung wiederholt, Ehrwürden – ist's Sünde, so ich ihn kommen heiße?«

»Sünde?« Ein Wörtlein von mir und das junge Weib zu meinen Füßen hätte nie wieder einem Manne angehört – aber ich machte mich hart und sagte dagegen: »So Euch nicht die Leidenschaft treibt, ist's nicht Sünde.«

Da ging ein leises Lächeln um ihren Mund. »Nein, Ehrwürden, wie sollt' mich Leidenschaft treiben, ich hab ja den Herzog nimmer gesehen. Der Mutter zu Liebe geschieht's, daß ich Euch befrage!«

Und mit dem klaren Kindesblick sah sie zu mir empor.

»Sünde ist's nicht,« wiederholt ich leise, »aber seht zu, daß Ihr dem fürstlichen Herrn echte Minne schenkt! Frau Luitgardis hat recht, lange tragt Ihr das Witwenkleid, und der Lenz geht dahin. Man rühmt die Bayern als edle und tapfere Fürsten, warum sollte Herzog Welf aus der Art schlagen!«

Mehr wußt ich ihr nicht zu sagen. Das Für und Wider wog gar zu schwer.

Als sie sich aufrichtete, sah ich helle Tränen an den langen Wimpern glänzen. Wie hart stritt ihr Frauenherz – der Mutter zu Liebe!

*

Zu Anfang des Weinmonds.

Lange schrieb ich nicht. Es ist keine Freude, zuzuschauen, wie der Sommer dahingeht und das Laub welkt. Gar zu sehr ist's das Abbild alles Irdischen, und wenn uns auch die Hoffnung ewiger Herrlichkeit leuchtet, wir Menschen sehen, was vor Augen ist, blicken auf das, was heute und morgen geschieht und bestimmen des Jahres Lauf, als stünd's in unserer Macht. Und dann kommt's ganz anders.

In den letzten Tagen des Herbstmonds zog lachendes Leben auf der Schauenburg ein, wie es das alte Kastell lange nicht mehr geschaut haben mochte. Vom Bergfried flatterte das bayrische Fürstenbanner mit Schauenburgs buntem Fähnlein um die Wette, kostbare Teppiche hingen aus den Bogenfenstern nieder, Blumengewinde mit dem Schönsten, das der Herbst bringt, schwebten einem blühenden Lustgärtlein gleich von Erker zu Erker.

Ein festfroher höfischer Zug war die mit duftenden Tannenzweigen bestreute Straße heraufgekommen, erlauchte und edle Gäste zogen in die hellen Gastgemächer der Schauenburg ein. Aber in der Kemmenate beugte Welf der Sechste von Altdorf-Spoleto das Knie vor Graf Bertholds lieblicher Wittib und legte ihr Bayerns schimmernde Herzogskrone zu Füßen.

Es war ein stolzes Bild, als der schönste Mann im Reich die hohe Frauengestalt im lichtblauen, silbergestickten Sammetmantel umfaßte, den heißen Blick auf der Huldgestalt des schönen, bräutlichen Weibes, das sich ihm in Lust und Leid gelobte. Uta aber senkte den Blick vor der Glut seines Auges, der Zauber seines Wesens bannte all ihre Gedanken und stumm ließ sie's geschehen, als er sich über sie neigte und seine Lippen auf ihren zarten Mund preßte. Lange und heiß küßte er sie, fast erschrak ich vor solch sieghaft begehrender Minne. Und dann hört' ich ihn leise zu ihr sagen: »Wenn der Mond sich wieder rundet, rüstet das Brautfest, holde Uta!« Sie antwortete nicht. Ich sah nur, wie sie purpurübergossen das Haupt neigte, und dann traten sie zusammen hinaus und grüßten das Volk.

Der Hochgelobte beschere der edlen Frau nach all dem Herzleid ein ungetrübtes Glück! Das ist mein heißes Gebet! Ich kann die Sorgen nicht bannen, der Bayernherzog gefällt mir nicht, in seinem Auge ist etwas Unstetes! Doch ich mag irren, wie oft im Leben trügt der Schein! Aber für das Liebste auf Erden begehrt man das Beste und Edelste, und mein Herz sagt mir, daß Frau Utas Glück eine Rose ist mit scharfem Dorn.

*

Zu Ende des Weinmonds.

Die Trauben glühten im Rebengang und die Wälder standen in Herbstschöne, als die greise Pfalzgräfin Frau Utas goldene Locken mit Kranz und Schleier schmückte. Und dann stand das schöne stolze Paar in der kleinen Burgkapelle, und ich segnete ihren Bund mit dem Wort, das die Kirche über den Eheleuten spricht.

Es war eine stille Hochzeit; sie hatte es im Andenken an ihren vielgeliebten ersten Gemahl nicht anders gewollt, und Herzog Welf fügte sich den Bitten der Braut. Doch bedünkt es mich, er habe es anders kurzweiliger gefunden.

Wüßt ich nur eines fest und gewiß: ob sie glücklich ist! Sie schaut ihn ja mit süßem Blick an, wenn er sie küßt, und als er zur Hochzeit eintraf, sah ich sie an seinem Halse hängen. Und doch, und doch – wie ganz anders war der edle Berthold von Eberstein, ihr seliger Gemahl! Es ist mir zu Sinn, als grüben sie dem Glück ein Grab, ein tiefes, und legten alles Holde, das die Herrin in ihrem Leben froh gemacht, still hinein. Und dann schauen zwei große blaue Augen mich traurig an und die weißen Lippen öffnen sich halb und schließen sich wieder, als müßten sie die herbe schlimme Wahrheit verschweigen: Meine Mutter hat's gewollt!

*

Es war spät geworden, derweil ich solches schrieb und ihr Hochzeitstag sich zu Ende neigte. Silbern lag der Vollmondschein über den friedlichen Tälern, über dem dunklen Schwarzwald, als wollt er all seine Märlein erforschen und Wicht und Gnom aus den Gräsern und Büschen hervorlocken. Fast taghell war der Schloßhof, und der alte betürmte Bau warf die gewaltigen Schatten weit über den schimmernden Plan. Unter der Burglinde plätscherte der Brunnen seine sanften Melodien, ab und an glitt ein goldgelbes Blatt lautlos nieder und verschwand in der Tiefe. Weiße Edelrosen neigten das königliche Haupt im Tau der Nacht, purpurn umkränzte des Weinlaubs Fülle den Bergfried und die Fenster des Frauengemachs.

Sie war wunderbar lieblich, diese strahlende Herbstnacht mit ihren mondbeglänzten Höhen, ihren letzten Rosen.

Schwarzwaldzauber hieß man unten in den Spinnstuben solch weltferne stille Nacht mit ihren Wundern.

Und als ich am Fenster stand und mich nicht satt schauen konnte an all der Herrlichkeit, da pochte es leise; als ich mich aber fragend umschaute, wer so spät meiner begehren möchte, stand die neuvermählte Herzogin auf der Schwelle. Wie gebannt hing mein Blick an der hohen Gestalt im Brautgeschmeide. Sie aber regte sich kaum, nur die schimmernde Rechte lag leise bebend auf der Stuhlwange, und die starre Seide des silbergestickten Kleides knisterte auf dem Estrich.

Ich wollte die Kerzen im Eisenring entzünden, doch sie litt es nicht. »Der Mond scheint,« sagte sie, und dann fuhr sie nach kurzem Schweigen fort: »Ich wollt Euch noch einmal Lebewohl sagen, Ehrwürden! Habt Dank für alle Eure Treue, ich werd's Euch nie vergessen, daß Ihr mir in trüben Zeiten beigestanden, und gedenke Eurer als eines Freundes! Vergeßt Frau Uta nicht,« ihre Stimme stockte, und im Mondlicht meinte ich eine Träne in ihrem Auge glänzen zu sehen. »Vielleicht kommt eine Zeit, da ich Eurer bedarf, Ehrwürden – wollt Ihr kommen, wenn Herzog Welfs Gemahlin Euch ruft?«

Gar seltsam trafen mich ihre Worte. In tiefer Bewegung faßte ich die Hand, die sie mir reichte, und erwiderte: »Gott schenk Euch soviel Glück, daß Ihr nimmermehr des Trostes bedürft, Frau Herzogin! Sollt er's aber anders fügen, so bin ich Eures Rufs gewärtig zu aller Zeit!«

Sie drückte meine Hand. »Lebt wohl!« flüsterte sie mit unterdrücktem Schluchzen, dann eilte sie leichtfüßig den Wendelstein hinan.

Vom Turme schlug es Mitternacht. In den Gängen ward's lebendig. Ein festlicher, glänzender Zug kam durch die kerzenhellen Säle, und von fackeltragenden Edelknaben geleitet, führte Herzog Welf seine junge Gemahlin in ihre Gemächer.

Lange noch blickte ich vom Fenster zum Erker hinüber, wo die Ampel hinter rosenfarbener Seide glomm und die Edelrosen im Nachtwind flüsterten – und in meiner Seele klangen die schmerzlichen Worte der Herrin wieder: »Wollt Ihr kommen, wenn Herzog Welfs Gemahlin Euch ruft?«

*

Am heiligen Christabend.

Frau Luitgardis liegt krank danieder. Derweil die Glocken das Geburtsfest des Heilandes einläuteten, reicht' ich der Greisin die letzte Wegzehrung. Sie ist still und friedvoll und zum Sterben fertig und wartet voll Sehnsucht, daß der Herr komme. Nur eins macht ihr das Scheiden schwer, der Gedanke, die Tochter auf Erden nicht wiederzusehen. Ein Bote war an Frau Uta entsandt worden und kehrte mit dem Bescheid heim, die Herzogin sei unpaß und müsse von der weiten Fahrt in Winterszeiten abstehen. Unten in den Gesindekammern aber soll er allerlei Reden geführt haben. Herzog Welf sei selten daheim und lasse seine junge Gemahlin zumeist allein. Die Spatzen auf den Dächern erzählten sich, er gehe gern abseits führende Wege und dergleichen mehr. Frau Uta rüste die Wiege für den kommenden Sommer, aber selten erhelle ein Lächeln ihr schönes Antlitz, als habe sie's nimmer begehrt, ein Kindlein zu herzen.

Die greise Pfalzgräfin hatte von ihrem Sterbelager still zu den winterlichen Bergen hinübergeblickt, als die Botschaft der Tochter eintraf.

»Sie kann nicht kommen,« sagte sie, da ich eintrat, und eine Träne rann langsam über das welke Antlitz. Mir aber fuhr es durch den Sinn: »Das ist nicht Frau Utas Antwort! Sie darf nicht kommen!« Doch schwieg ich.

Da fuhr die Greisin fort: »Dürft ich den Lenz noch erleben und ein einzig Mal den Enkel in den Armen halten, wie gern wollt ich dann abscheiden!«

Es war mir ein Trost, daß sie nichts von den Kümmernissen der Tochter zu ahnen schien. In dem Gedanken, daß ihr Kind glücklich ist, hat sie sich still zum Sterben niedergelegt und wartet auf das Ende. Draußen fallen die Flocken, wie glitzernder Christschmuck liegt's über der Welt, und die gnadenvolle hochheilige Nacht geht über den verschneiten Landen auf. Ich aber sitze und warte auf Erdenleid und Vereinsamung, auf das Klopfen der Engel Gottes an dem Kämmerlein der greisen Frau, und durch meine Seele zieht's wie Leidesahnung: Du wirst noch größeren Jammer schauen!

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Im Wonnemond des Jahres 1151.

Wie lange schrieb ich nicht.

Das Leben auf der vereinsamten Burg bringt des Neuen zu wenig, um eine Chronik zu schreiben. Auch führt mein geistlich Amt mich manch weiten Weg in die Dörfer hinab oder hinauf zu den Holzhauern und Kohlenbrennern oben im Schwarzwald. Kehr' ich dann spät abends müde heim, so sitz ich gern still im Gemach und denke der vergangenen Zeit, da die Herzogin Uta in den hohen Sälen der Schauenburg waltete. Wie eilt die Zeit! Bald liegt die greise Luitgardis ein halbes Jahr im Grabe, und von Frau Uta hört' ich nimmer seither! –

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Um die Mitte des Herbstmonds.

Ein Fahrender kam auf die Burg und berichtete, Herzog Welfs Gemahlin sei eines Söhnleins genesen. Auf den Knien hab ich Gott gedankt; leichtlich wird dies Kind ein Band zwischen Mann und Weib, und sein junges Leben erhellt das Dasein der Mutter. Könnt' ich sie ein einzig Mal sehen mit ihrem Erstgeborenen im Arm! – Ob sie mich rufen wird?

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Zu Ende des Hornung im Jahre des Heils 1152.

Sommer und Winter ziehen ins Land, und der Lenz bringt wieder, was der Herbst unter fallenden Bäumen begrub, nur das Menschenleben fähret dahin wie ein Strom im Zeitenwetter, wie ein Gras, das bald welk wird, und seine Tage kehren auf Erden nicht wieder. Gott und den Heiligen sei's gedankt, daß wir eine Antwort haben auf all unser Fragen, daß uns Ostersieg und Osterleben geschenkt ward durch unseren Herrn Jesum Christum!

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Im Windmond 1152.

Gestern kam ein Mann in bayrischen Farben zur Schauenburg geritten und brachte mir ein Schreiben mit dem Siegel des Herzogs von Altdorf-Spoleto. Es war meine Berufung an Herrn Welfs Hoflager, als Kaplan und Beichtvater der Herzogin.

Lange stand ich und blickte auf das Pergament in meiner Hand. Wie hatte ich auf diese Stunde gewartet, und nun sie da war, bedünkt es mich, als sollt' ich sie hinausschieben in ferne Zeit!

Ja, sie rief mich! Wie schwer mochte ihr das Herz sein!

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Altdorf, im Jänner 1153.

Am Neujahrstage habe ich mein neues Amt angetreten.

Die Herzogin Uta empfing mich mit der alten Freundlichkeit, und ich fühlte es ihr ab, daß sie des Wiedersehens froh war. Aber ihr Antlitz war bleich und verhärmt und merklich gealtert. Ich mußte ihr von dem Ende ihrer Mutter berichten, und sie hörte mir mit heißen Tränen zu. Dann fragte sie, wie es auf der Schauenburg stehe, und nicht das Kleinste war ihrem Gedächtnis entschwunden, bis zum ärmsten Hütebuben hinab wollte sie Auskunft haben. Und doch fühlte ich's ihr ab, daß sie nicht bei ihren Worten war. Ihr Antlitz trug einen Ausdruck, als hörte sie mir nur mit halbem Ohr zu, und plötzlich erhob sie sich.

»Verzeiht, ich muß nach meinem Kinde sehen!«

Sie schob den schweren Vorhang, der den weiten Saal in zwei Hälften teilte, zurück. »Wollt Ihr meinen Sohn sehen, Ehrwürden?«

Ich folgte ihr an die Wiege. Da lag ein schwaches, winziges Büblein mit müdem Blick und fast greisenhaftem Aussehen, das mit leisem Lächeln die Mutter grüßte und die dünnen Ärmchen nach ihr ausstreckte. Ich mußte an mich halten, um ihr meine Gedanken zu verbergen.

»Es ist ein zartes Kindlein,« sagte sie, das magere Körperchen emporhebend und das kleine welke Gesicht zärtlich an sich drückend. –

Ein schmerzensreiches, dornenvolles Mutterglück ward ihr beschert, und ich las in ihrem Auge die bange, angstvolle Frage: wie lange wird's währen?

Herr Gott, nur das nicht! Nimm ihr dies Kindlein nicht, das einzige, daran sie hängt! Denn von ihrem Gemahl sprach sie kein Wort; erst als ich sie nach ihm befragte, erwiderte sie kurz: »Er ist in Spoleto.«

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Im Wonnemond.

Ein langer, einsamer Winter war's in Abgeschiedenheit und Stille. Herzog Welf ist noch immer abwesend; es heißt, er sehe auf seinen Lehnsgütern nach dem Rechten. Frau Uta geht still ihren Weg, sein Fernbleiben scheint sie nicht zu kränken. Stundenlang sitzt sie im Erker mit der Spindel oder am Stickrahmen, und der kleine Welf spielt zu ihren Füßen auf dem Wolfsfell. Es ist und bleibt ein schmächtiges Büblein, dem man seine Abkunft von dem stolzen stattlichen Elternpaar nicht ansieht. Auch gleicht er in seinem Wesen keinem anderen Kinde. Niemals hört ich ihn lachen und kreischen oder der Mutter durch ein fröhlich Spiel Unruh bereiten. Immer ist's das sinnende, altkluge Gesichtlein mit Frau Utas schönen Augen, die mich anschauen, als wollten sie des Lebens Tiefen erforschen. Und die bange Sorge, die mir bei seinem ersten Anblick das Herz beschwerte, verschärft sich mit jedem Tage: Das Büblein ist krank! Arme, arme Uta!

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Zu Beginn des Brachmonds.

Endlich ist der Herzog heimgekehrt. Sein Auge ist noch unsteter und flackernder als früher und heiße Leidenschaft schlummert in der Tiefe. Ein Funken, und die Flammen lohen empor.

Ich stand in der Fensternische des Frauengemaches, dahin mich Frau Uta beschieden, um allerlei, das mein Amt betrifft, mit mir zu bereden, und wartete auf das Kommen der Herzogin. Da trat Herr Welf herein, fragte mich barsch, wo seine Gemahlin sei und was mich herführe.

Ich stand ihm Rede und da erschien auch Frau Uta. Sie trug ihr Kind auf dem Arm, erschrocken blickte es in das strenge Antlitz des Mannes. In ihm aber erwachte angesichts des schwachen Kindes, das der Erbe seiner Krone und seines königlichen Reichtums werden sollte, der Zorn, und er schalt sein Weib in meinem Beisein um des kranken Aussehens des Kindes willen, als habe sie in seiner Pflege etwas versäumt.

Ich wollte gehen, er aber herrschte mich an: »Ihr bleibt!«

Mit großen traurigen Augen sah seine Gemahlin zu ihm empor, kein Wort kam von ihren Lippen.

»Ja, so geht's, Frau Herzogin,« rief er. »Erst gibt's keine größere Wonne, als ein Kindlein wiegen, aber sobald Mühe und Last aus dem Mutterglück erwachsen, hat's ein Ende!«

»Welf!« schrie sie auf. Dann preßte sie die Lippen fest aufeinander, als wollt' sie eine bittere Antwort zurückdrängen. Mir aber stieg böse Ahnung empor, ich wußte plötzlich die Antwort, die Frau Uta in heißem Schmerz zurückdrängte: »Dies Kind wird nimmer gesund!« Und schaudernd zog es durch meine Seele: bis ins dritte und vierte Glied!

Der Herzog aber mochte in seines Weibes Augen gelesen haben, was in ihrer Seele vorging. Sein Zorn war so rasch verflogen, als er gekommen, und der Anblick seiner schwer gekränkten Gemahlin und des dahinsiechenden Knäbleins mochte ihn zur Einsicht bringen. Er eilte auf sie zu und legte den Arm um sie: »Uta, vergib mir!«

Ich sah es, wie sie mit sich kämpfte, aber dann reichte sie ihm die Hand.

Er zog die schmalen Finger an die Lippen, ein verzweifelter Blick streifte das Greisenantlitz seines Kindes. Sie aber wandte sich hastig ab. »Ich muß das Kind zur Ruhe bringen!«

Hochaufgerichtet verließ sie das Gemach, und doch trug sie eine schwere Last durchs Leben. Ob sie nie daran rührte, ich wußte es, wie die Dinge standen, wußte es, daß die stolze Frau mit dem ärmsten Weibe in Altdorf freudig getauscht haben würde, so es ihr Ruh' und Frieden gebracht hätte.

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Am 3. des Erntemonds.

Frau Utas Kind ist tot. Kaum wüßte ich, daß mich je im Leben fremdes Leid so tief bewegt hätte, als das Sterben dieses kleinen Bübleins, das sein müdes Leben aushauchte wie eine welke Frühlingsblume.

Frau Uta ist groß in ihrem stillen, tiefen Leid, das sie herannahen fühlte Tag um Tag, Stunde um Stunde. Herr Welf sitzt wie versteinert an der Leiche, und nichts vermag ihn zu bewegen, seinen Platz zu verlassen; auch Frau Utas Bitten, der Ruhe zu pflegen und Speise zu sich zu nehmen, sind umsonst. Es ist, als sei mit dem Kinde die letzte Hoffnung auf Glück für ihn erloschen.

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Zwei Tage später.

Heute mittag ist die Leiche des Welfenkindes beigesetzt, und es ist gekommen, wie ich's vorausgesehen.

Der Herzog saß in dumpfem Brüten an der Bahre, bis die irdische Hülle seines Sohnes in die Schloßkirche überführt und in den Sarg gelegt werden sollte. Mit Gewalt hat man ihn fortführen müssen, und seither wandelt er wie im Traum.

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Zu Beginn des Windmonds.

Die Herzogin waltet ihres Amtes wie bisher; selten rastet die fleißige Hand, und überall find' ich die Spuren ihrer Frauensorgfalt. Aber in der Dämmerstunde, um die Zeit, da sonst das Büblein auf ihren Knien gesessen und mit dem Goldhaar der Mutter spielte oder mit ihr kosete, sitzt sie einsam im Erker, das Haupt in die Hand gestützt, und blickt in den grauen Herbstabend hinaus. Kein Wörtlein kommt jemals über ihre Lippen.

»Der Hochgelobte hat es also gefügt, und für mein armes Kindlein ist's das Beste so!« sagte sie in den ersten schweren Tagen, als ich ein Stündlein bei ihr war.

An sich selber denkt sie nicht. – Herzog Welf ist freundlicher gegen seine Gemahlin, als früher. Auch scheint er in Bezug auf sein häusliches Leben gute Absichten zu hegen, denn Frau Uta sagte mir jüngst, ihr Gemahl werde den Winter über in Altdorf bleiben.

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Im Heumond des Jahres 1154.

Bald ist's ein Jahr, daß wir den kleinen Welf bestatteten, und es scheint, als solle dem herzoglichen Paar kein zweiter Erbe geboren werden. Oft seh ich Frau Utas Augen vom Weinen gerötet. Dann neigt sie das Haupt wohl tiefer über die Arbeit, aber ich kann den Grund ihrer Kümmernis unschwer erraten. Bisweilen scheint mir Gottes Walten gar rätselvoll. Wie anders wär' das Leben der edlen Fürstin, würd' ihr noch einmal Mutterglück beschert. Ja, dürft' sie wieder ein Büblein oder Mägdlein in den Armen wiegen und auf das erste Lächeln warten, auf den ersten Gruß des hellen Stimmleins! Aber niemand auf der Welt sagt: »Liebe, süße Frau Uta!« und der es sagen möchte, darf es nimmer! Ja, Gottes Wege sind unerforschlich für unsern kurzsichtigen, irdisch gerichteten Sinn! –

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Am letzten Tage des Jahres 1155.

Was ich gefürchtet und in heißer Angst meinen Gedanken verwiesen, was ich Gott und die Heiligen bat, in Gnaden abzuwenden – es ist da, und meine Seele faßt das Entsetzliche nicht!

Das Verhältnis Herzog Welfs zu seiner Gemahlin hat sich immer trüber gestaltet. Seine Hoffnung, daß ihm ein zweiter Erbe geboren würde, ist nicht erfüllt worden, und die schöne stille Frau, deren große blaue Augen dem leidenschaftlichen, ausschweifenden Manne mit stummer Klage begegnen, ist ihm längst ein Dorn im Auge. Ein wildes Gelage folgt dem andern im Altdorfer Hof, und der Umgang des Schloßherrn ist mehr als zweifelhafter Art.

Am heiligen Christabend, als Frau Uta unter dem Geläute der Glocken aus der Kapelle kam, sah sie den Bankettsaal festlich erleuchtet. Rasch entschlossen stieg sie die Stufen hinan, der Gedanke, daß das wilde Treiben die heilige Nacht entweihen sollte, schnürte ihr die Kehle zu. Und dann stand sie vor der Tür. Ich war ihr, Böses ahnend, gefolgt und sah sie zögern. Doch nach kurzem Kampf trat sie über die Schwelle.

In einem Kreise von Männern und Frauen, die in schillernder, aufsehenerregender Kleidung erschienen waren, saß der Herzog an festlicher Tafelrunde. Die Becher kreisten, der Wein floß in Strömen, lautes Gelächter klang durch den Saal, als Herzogin Uta eintrat.

Ihr Gemahl aber erhob sich, verneigte sich mit unverschämter Ehrerbietung vor seinem Weibe, sagte ihr mit lallender Stimme schöne Worte und lud sie ein, an seiner Seite Platz zu nehmen.

Frau Utas Antlitz war marmorweiß. Kalt wies sie den Trunkenen zurecht, dann beschwor sie ihn, sich nicht zu versündigen und in der hochheiligen Nacht Umkehr zu halten und Buße zu tun.

»Buße?« schrie Welf und lachte laut auf. »Seid Ihr von Sinnen, Frau Herzogin?«

Da wies sie ihn auf sein zügelloses Leben hin und bat ihn mit erhobenen Händen, andere Wege einzuschlagen. Sie wolle ihm alles vergeben.

Ihn aber faßte der Zorn.

»Wer seid Ihr, daß Ihr mit Eurem Herrn und Gemahl rechtet,« herrschte er sie an.

»Euer angetrautes Weib!« erwiderte sie scheinbar ruhig, aber auf ihrem Antlitz wechselte glühendes Rot mit der Blässe des Todes.

»Was, angetrautes Weib!« schrie er, »hinaus mit Euch, sage ich. Fort, oder ich rufe die Knechte!« Ich war mit einem Schritt an ihrer Seite.

»Ja, der Pfaff ist der rechte Rittersmann, taugt längst nicht mehr für den geistlichen Stand! Glückauf zum Minnedienst! Fort mit euch beiden!«

Frau Uta stand vor ihm und blickte ihn mit edler Würde an.

»Ich gehe schon, Herzog Welf,« entgegnete sie kalt. »Aber eins sage ich Euch: Mir mögt Ihr ins Angesicht schlagen mit Euren schamlosen Worten, aber versündigt Euch nicht an dem Priester des höchsten Gottes – es möchte Euch im letzten Stündlein gereuen!«

Sie wandte sich kurz ab, nahm die Schleppe ihres Gewandes auf und schritt hochaufgerichtet aus dem Saal. Ich wagte es nicht, sie anzusprechen, doch wich ich ihr nicht von der Seite. Schweren Schrittes stieg sie den Wendelstein hinan in den Frauensaal, da die Wiege des kleinen Welf gestanden. Unter dem Hausaltar, wo das Marienbild im roten Licht der ewigen Lampe erglänzte, brach die unglückliche Frau zusammen. »Verstoßen!« klagte sie, als könnte sie die Schmach nimmer fassen. »Verstoßen!« Ich stand ratlos. Aber da sprang sie schon wieder jäh empor. »Lebt wohl, Ehrwürden, ich muß fort, er sagte es ja, fort, ehe die Knechte mich hinaus treiben!« Sie faßte meine Hände. »Habt Dank für alle Treu' und vergeßt Frau Uta nicht –« Tränen erstickten ihre Stimme.

»Frau Herzogin,« bat ich, »Ihr dürft nicht alleine gehen! Es ist Nacht! Zudem ...«

Sie unterbrach mich: »Der alte Schauenburger Knecht, der mich nach der Hochzeit hergeleitet und in meinem Dienst verblieben ist, wird mein Beschützer sein, auch ist meine Gürtelmagd mir ergeben und wird mir folgen.«

Ich bat noch einmal, aber sie schüttelte müde das Haupt. »Ich danke Euch, Ehrwürden, aber es geht nicht an. Es würde heißen, die Herzogin von Altdorf-Spoleto sei bei Nacht mit ihrem Kaplan davon gegangen! Bedenkt den Ruf einer Frau, bedenkt die Würde Eures Amtes! Gott wird mir beistehen!«

Sie hatte recht, und ich drängte sie nicht länger, so schwer es mir ward, zu entsagen.

»Bleibt geruhig auf Eurem Posten,« fuhr sie fort, »und zeigt Euch so viel als möglich den Altdorfern, um üble Nachrede zu vermeiden. Vom Herzog aber fordert zum gesetzten Tage Eure Entlassung in allen Ehren.«

Sie schwieg, als kämpfe sie etwas in sich nieder, dunkle Glut bedeckte ihr stolzes Antlitz.

»Und wo wollt Ihr hin?« fragte ich.

»Euch sag' ich's,« sprach sie leise, »aber sagt es niemandem, nach Spoleto.«

»Wär' die Schauenburg nicht ein sicherer Zufluchtsort?« warf ich ein. »Zudem ist sie Euer Erbgut, während Ihr in Spoleto ...«

»In Spoleto hab' ich kein Heimatrecht mehr, vermeint Ihr – ja, ja, so ist's! Aber noch bin ich Herzogin von Altdorf-Spoleto, die angetraute Gemahlin Welfs von Bayern, und nimmer scheidet die Kirche den Ehebund. Kehr' ich nach Schauenburg zurück, so muß mein Gemahl glauben, ich könne nicht vergeben noch vergessen, in Spoleto aber eß' ich, ob auch im Witwenhause, sein Brot.«

Sie schlug die Hände vor das Antlitz und brach in fassungsloses Weinen aus.

Da nahm ich sie sanft bei der Hand und kniete mit ihr nieder unter dem Bilde des Hochgelobten, und unter dem Kreuz ward sie still. Ruhig stand sie auf und reichte mir abschiednehmend die Hand.

Ich hielt sie nicht zurück. Es ging auf Mitternacht, und noch hatte sie nicht das Nötigste zur Reise beisammen. Aber mit Hilfe der treuen Gürtelmagd war in Bälde alles geschafft, und eine Stunde später verließ die Herzogin Uta das Schloß ihres Gemahls durch ein Hinterpförtlein in dunkler Gewandung, wie eine arme Magd, der man den Laufpaß geschrieben. Noch einmal wandte sie sich zurück und sah mich tränenschweren Auges an.

»So er Euch darum befraget, so sagt ihm, es sei alles vergeben!«

Aufschluchzend hüllte sie sich fester in den Mantel und schürzte das Gewand zum Gang durch den Schnee.

Und dann schloß sich die Tür hinter den drei dunklen Gestalten – ich war allein. Oben im Bankettsaal ging's lärmend zu. Lachen und wüstes Geschrei übertönte das Saitenspiel. Schweren Herzens ging ich in mein einsames Gemach. Es war finster, und ich entzündete etliche Lichtlein im Eisenring. Bis das letzte verglomm, saß ich in Gedanken verloren, und durch meine Seele zog's, ob die Verstoßene auf ihrem verschneiten Pfad wohl daran gedenken werde, daß in dieser Nacht das göttliche Kind geboren sei zu Trost und Heil aller Welt, oder ob in ihrem Herzen nur das bittere Wörtlein Raum fände, das alle Bedrängten so leicht sprechen: Verlassen!? Möchte das Licht aus dem Stalle zu Bethlehem seinen hellen Schein über ihren Weg breiten, daß sie in dem Kinde in der Krippe den Frieden findet, der höher ist als alle Vernunft.

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Um die Mitte des Wonnemonds 1156.

Zum letztenmal sitz' ich in dem traulichen Gemach, das die Fürsorge der edlen Herzogin mir einst so heimisch gestaltet. Es ist, als sollten wir nicht zu fest wachsen hienieden und es lernen, das Wanderzelt abbrechen und da wieder aufrichten, wo es Gott der Herr befiehlt. Zwar hab' ich mich in der letzten Zeit oft fortgesehnt, denn seit Frau Uta von dannen zog, läßt's mir keine Ruhe mehr. Aber der Augenblick des Scheidens von gewohnter Stätte ist allezeit schwer, denn der Mensch gewöhnt sich nicht nur an den Menschen, sondern an den Ausblick aus seinem Fenster, an das Büschlein, das duftend hereinblickt, an das Spätzlein, das morgens auf das Bett flattert und unverschämt pickt, bis es erhört wird. Morgen mit dem Frühesten zieh ich aus, manch' liebe Erinnerung mit mir nehmend; den Zorn aber wolle Gott mir helfen abzutun und dahinten zu lassen. Mein Weg führt zunächst zu Frau Uta; bedarf sie meiner, so bleib ich – sonst findet sich wohl ein anderes Plätzchen unter dem Himmel, da ich mein Haupt hinlege. Der Abschied von Herzog Welf ist mir erspart geblieben. Er zecht mit seinen Kumpanen im Rittersaal, und wenn er denselben verlässet, weiß jedes Kind in Altdorf, daß er für niemanden zu sprechen ist. Wie's enden mag, weiß der Himmel!

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Spoleto, zu Ende des Wonnemonds.

Als ich den grünen Wiesenpfad entlang kam, der auf das Witwenhäuslein draußen vor Spoletos Toren zuführt, und der schlichten weißgetünchten Behausung mit dem efeuumsponnenen Strohdach ansichtig wurde, da meinte ich, fehlgegangen zu sein, denn schier unmöglich dünkt es mich, daß die Herzogin Uta in dem bescheidenen Heimwesen wohne. Und doch verhielt sich's so. Unter dem rot und weißen Blütendach eines Apfelbaumes saß sie, von spielenden Kindern umringt, ein kleines flachsköpfiges Mägdlein auf dem Schoß. Dem Kleide einer Novize glich ihr langes graues Gewand mit dem Kragen über den Schultern, aber das Blondhaar, das sie in schweren Zöpfen ums Haupt gesteckt trug, lugte wie eitel Gold unter der Frauenhaube hervor und spielte in zitterndem Gekräusel um das schöne Antlitz. Auf ihren Wangen lag ein feines Rot, das Spiel mit den Kleinen mochte es hervorgezaubert haben.

Leise trat ich näher, sie gewahrte mich nicht. Da zupfte ein Büblein sie am Arm: »Ein fremder Mann, Frau Uta!«

Rasch blickte sie empor.

»Ehrwürden!«

Nimmer meint' ich, sie so froh gesehen zu haben.

O, Heimatliebe, du Zauberin! –

Und dann mußt' ich mich neben sie setzen, und sie fragte nach allem in Altdorf. Ganz zuletzt, als ich ihr freudig Bericht erstattet hatte, sprach sie leise: »Und mein Gemahl?« Da war sie, die peinliche Frage, auf die ich gewartet hatte. Und ich fand die Antwort nicht.

Die Kinderaugen aber sahen mich angstvoll an.

»Ehrwürden, er ist tot?«

»Nein, er lebt,« erwiderte ich leise.

Da fragte sie nicht weiter. Ihr Auge blickte wie hellsehend in die Weite und ihre Lippen hauchten: »Er lebt!«

Armes Weib! Ja, er lebt, aber was für ein Leben ist's! Und sie hält ihm dennoch die Treue!

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Im Erntemond.

Ich bin bei der Herzogin geblieben und walte meines Amtes als Hauskaplan im Witwenhause.

Ein stilles Leben ist's, aber man kann viel lernen im Umgang mit der edlen, fürstlichen Frau, welche die Schmach ihrer Verlassenheit wie eine Heilige trägt. Aus Altdorf erhielt ich heimliche Kunde: Herzog Welf verprasse sein Erbe und habe bereits etliche seiner Ländereien an den Kaiser verkauft. Es heißt, er werde in nächster Zeit für mehrere Wochen nach Spoleto kommen und es sei angezeigt, Frau Uta von diesem Plan zu unterrichten. Ihr Gemahl scheine ihren Aufenthalt nicht zu kennen, jedenfalls sei augenblicklich nicht zu einer Begegnung mit ihm zu raten, da er allen besseren Einflüssen unzugänglich sei.

So muß die Verstoßene abermals ihr Bündlein schnüren und die kaum liebgewonnene Heimstätte wieder verlassen. Aber diesmal wandert ihr getreuer Kaplan mit ihr! –

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Schloß Sindelfingen bei Stuttgart, im Weinmond.

Nun liegt der schwere Abschied hinter uns. Nassen Auges sagte die Herzogin ihren Hausgenossen Lebewohl und wandte dem stillen Asyl den Rücken. Immer wieder schaute sie zurück auf das efeugrüne Strohdach und das blühende Gärtlein, wo sie so oft im Schatten des Apfelbaumes mit den Kindern der Armenhäusler gespielt. Und dann ward das liebliche Spoleto ihren Blicken entrückt. Ich bat sie, den Mut nicht sinken zu lassen in all der Not, die ihr gesandt worden. Da trocknete sie rasch die Tränen und lächelte mir zu: »Nein, Ehrwürden, so lange mir ein so treuer Freund zur Seite steht, wie Ihr seid, so lange blick' ich getrost in die Zukunft, auch weiß ich mich in Gottes Hand geborgen!«

Welch reicher Lohn meiner geringen Liebesmühe! –

Schloß Sindelfingen empfing uns im leuchtenden Herbstschmuck, eine der schönsten Burgen des schwäbischen Neckargebiets. Im Gärtlein prangten die letzten Malven, in heimlichen Laubengängen glühte des Weines edle Frucht und hier und da blühte eine späte Rose in Herbstesschönheit. Über Burg und Stadt lag violetter Abendglanz, weiße Nebel stiegen aus den Wiesen auf. Vom Turm rief die Betzeitglocke zur Vesper, hell und feierlich grüßte die Botin des Höchsten die heimatlose Frau bei ihrem Eintritt in das alte Schloß. Die Tränen stiegen ihr ins Auge, sie hob das Haupt gen Himmel und faltete die Hände über der Brust, als sie die Stufen hinanschritt. Ich aber sandte ein heiß' Gebet hinauf: »Herr, segne ihren Eingang und Ausgang heut' und ewiglich!«

*

Am Abend des großen Sabbat, im Jahre 1157 nach unseres Herrn Geburt.

Heute sind es sieben Jahre, daß ich dies Büchlein zu schreiben begann. Manche Unterbrechung erfuhr die Chronik, manches Herzleid steht auf dem Pergament verzeichnet, und es ist mir zu Sinn, als müsse nun einmal eine Seite voll Morgenglanz und Frühlingsfreude kommen, eine Seite, darauf voll und ungetrübt die helle goldene Sonne schiene, daß unter ihrem warmen Strahl alle Knospen sprängen, alle Sorgen verblaßten! Sie ist ein Stück unseres Lebens, ohne sie verkümmern wir, wie arme Blumen in den Scherben der Gasse. Ja, ich hab's gut gehabt; mein Leben lang hab ich in den Burgen, auf den Bergen gewohnt, da schaut man die Königliche zuerst, wenn sie in strahlender Herrgottsfrühe über die Höhen emporsteigt! Da kennt man sie, da liebt man sie wie einen treuen Freund. Aber unten in den Städten, da nur die Giebel und Erker kurz aufleuchten, ehe sie zur Ruh geht, da kennt man sie nicht, da weiß man nicht, welch ein Kleinod die Sonne ist! Ja, es ist gut wohnen auf Burgen und Bergen! Man schaut nicht den Kleinkram der Gasse und der Ausblick ist frei und weit! Doch das Herzleid, das Gott der Herr uns sendet, kommt früher; denn mühelos flattert ein Englein zu einer Burg hernieder, aber in die Täler hinab, in die Städte ist's eine beschwerliche Fahrt! –

Auf Schloß Sindelfingen wartet auch eine edle Frau auf Sonne, auf die Ostersonne; und ihre Seele klimmt die Berge hinan, daß sie die zerrissenen Felsen schaue und das helle, offene Grab und die Boten Gottes!

Ja, ich weiß es, in ihrer Seele ist's Ostern, trotz allem Erdenleid, denn die Kraft und der Grund ihres Glaubens heißen: »Er ist erstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!«

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Am 2. heiligen Ostertag.

Wer an Gottes Wunder nicht glaubt, den heiß ich einen Narren!

Die Herzogin Uta hatte dem gestrigen Morgengottesdienst beigewohnt und trat aus der Kirche in den sonnigen Burghof unter die blühenden Bäume, wo der Brunnen sein Frühlingslied murmelte. Da kam der Burgwart auf sie zu und vermeldete ihr die Ankunft zweier Männer, die mit einem Bittgesuch warteten. Der eine sei blind und ganz auf seinen Begleiter angewiesen. Frau Uta gebot, sie in die Halle zu führen und winkte mir im Vorbeigehen, ihr zu folgen. »Ehrwürden, Ihr werdet den besten Rat wissen!« Ich folgte ihr in die Halle, wo die Bittsteller schon warteten.

Aber auf der Schwelle zauderte die Herrin, jähes Rot wechselte mit Todesblässe auf ihrem Antlitz, sie wankte.

»Um Gott, Frau Herzogin!«

Aber schon hatte sie sich emporgerafft, und mein Blick ging an ihr vorüber. Da stand Herzog Welf im armseligen Büßerkleide, zum Greise gealtert, die toten Augen ins Leere gerichtet. Als ihr Gewand über den Estrich glitt, lauschte er auf und streckte die Hände aus: »Stehe ich vor der Herzogin Uta?« Seine Stimme war rauh wie eine zersprungene Saite, seine Knie zitterten. Sie aber stand vor ihm und blickt' ihn an, und in ihren Augen strahlte ein wunderbarer Glanz, während ihr die hellen Tränen über die Wangen liefen. Hätte er sie sehen können! Aber er sah nichts, er war blind.

»Uta, erbarmt Euch meiner!«

Die gebrochene Gestalt kniete zu ihren Füßen, die zitternden Hände hoben sich flehend. Sie aber richtete ihn auf.

»Ich hab' Euch alles vergeben, mein Gemahl,« sagte sie sanft und führte den Blinden liebreich zu einem Sitz. Ich ging still hinaus und winkte dem Begleiter Herzog Welfs, mir zu folgen, denn was die zwei miteinander zu reden hatten, durfte nur Gott hören. Aber als Stunde um Stunde verrann, als die Mittagszeit vorüber war und Frau Uta sich nicht sehen und hören ließ, lüftete ich ein wenig den Vorhang. Da saß sie neben dem Blinden und hörte ihm freundlich zu, die abgezehrte Hand in ihrer Rechten haltend. Auf seinem Antlitz aber lag's wie Verklärung. Der Schächer, der zur Rechten des heiligen Kreuzes hing, kann nicht friedevoller ausgeschaut haben als dieser Mann. Er, der die Sünde und ihre entsetzliche Gewalt kannte, er hatte auch die stärkere Macht an sich erfahren, die aus den tiefsten Tiefen zum Lichte führt. Arm und blind, auf das Erbarmen seines Weibes angewiesen, durfte sein geistig Auge doch den Glanz der Sonne schauen, die nicht untergeht.

Unten im Tal verklangen die Osterglocken. Alle Berge blühten, in Lenzeswonnen lag träumend der veilchenblaue Grund und ein Lied klang trällernd in den Wiesen.

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Zu Beginn des Christmonds.

Schloß Sindelfingen ist eine Stätte stillen Friedens und edler, weiblicher Barmherzigkeit geworden.

Die Herzogin Uta scheint mit jedem neuen Morgen zu bedenken, daß deutsche Liebe und Treue nicht wanken dürfen, und zumal getraute Treue geheiligt sein soll. In rührender Art pflegt sie ihren blinden Gemahl, und der Mann, dessen Leben in jungen Jahren durch eigene Schuld vernichtet ward, lohnt es ihr mit tiefer Dankbarkeit.

Der Herzog führt ein Leben der Opferwilligkeit und der Buße. Seine Tage sind mit schweren Übungen ausgefüllt, und oft mahnt ihn seine Gemahlin, seiner selbst zu schonen. Aber die Kasteiung scheint ihm Bedürfnis zu sein und den Frieden seines Herzens zu bedingen.

Durch Werke der Barmherzigkeit und fromme Stiftungen sucht er im Verein mit seinem edlen Weibe wieder gut zu machen, was er gefehlt.

Wie eine geistige Schmiedewerkstätte erscheint mir der weite Frauensaal, wo die zwei zusammensitzen und Plane entwerfen für andere und Liebes und Gutes ersinnen für die Armut.

Und auch ich werde still und lerne immer mehr auf das Unsichtbare schauen, auf das, was da bleibet, wenn Erdenminne und Glück vergehen, und die heiße Liebe, die ich einst nimmer zu überwinden gemeint, wird geklärt und geadelt und heißet jetzund Freundestreue. Ob Frau Uta es ahnt, was ich durchkämpft habe, bis diese Wandlung vollendet ward? Ich weiß es nicht. Nach Kräften hab' ich's ihr zu verbergen gesucht, denn es ist genug, so wir vor dem einen treu erfunden werden, dessen Flammenauge die Seele in ihren Tiefen ergründet.

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Im Lenz 1191.

Warum geschah es nur, daß Jahre ins Land zogen und ich meine Chronik nicht weiter schrieb?

Weil meine Tage ausgefüllt waren im Dienste anderer und das edle Vorbild des herzoglichen Paares mir ein täglich neuer Antrieb ward, Gutes zu tun und nicht müde zu werden. Mein armes Büchlein aber ist mir wie ein Tagedieb erschienen, auch bedünkte mich, es geschehe nichts Bemerkenswertes, ich hätte denn jede Stiftung und Guttat Herrn Welfs darin verzeichnen müssen. Das aber ist nicht der Zweck meiner Chronika. Das Leben einer edlen, fürstlichen Frau sollen ihre Blätter bergen und aufbewahren, daß sie nicht vergessen werde im deutschen Land.

Der Herzog ist alt geworden, sein Ende scheint nahe. Seit etlichen Wochen ist er bettlägerig und die Kräfte schwinden. Aber sein Geist schafft noch immer und der Plan einer Stiftung an den Prämonstratenser Orden hält all seine Sinne gefangen. Auch Frau Uta nimmt regen Anteil an dem Bau der stolzen Abtei in ihrem Heimatgebiet, der Ortenau, deren Bild ihr Gemahl uns in kühnen Umrissen vor Augen führt. »Zu den Füßen der Schauenburg« – das ist sein Gedanke. Es ist, als ob der Scheidende seinem treuen Weibe eine sonderliche Freude bereiten wolle, die ihr den Abend ihres Lebens verschöne.

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Am letzten Tage des Wonnemonds 1191.

In der Frühe des Pfingsttages ist Herzog Welf entschlafen, der Letzte und Sechste seines Namens im welfischen Hause.

Frau Utas Tränen flossen reichlich, aber es waren Tränen ohne Bitterkeit, und sie behält den Toten in treuem Andenken. Nach dem Leichenbegängnis vertraute sie mir, daß sie für die nächsten Monde die Schauenburg beziehen werde. Sie fühle sich zu einsam und fremd auf Sindelfingen und wolle später ganz in ihre Heimat zurückkehren. Ob ich sie begleiten wolle?

In ihrem Auge stand's wie bange Frage, als ob ich ein Opfer brächte!

Ein Opfer! O, es gibt wohl nichts, das ich lieber täte!

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Schauenburg, im Heumond des Jahres 1191.

Die Herzogin Uta stand auf dem Söller und blickte klaren Auges auf ihre blühenden Heimatlande. Die hohe Gestalt im langen Trauergewande ist ungebeugt, einzelne silberne Fäden durchziehen, kaum merklich, an den Schläfen das Goldhaar. Nur wer tiefer in das klare Frauenantlitz blickt, sieht die feinen Runzeln und Falten und die Spuren des Leides, das über sie hingegangen ist. Mit der ganzen Kraft ihrer Liebe umfaßt sie jetzt die Heimat, und den letzten Willen ihres Gemahls in der Gründung der Prämonstratenser-Abtei auszuführen, beschäftigt sie täglich. Doch ist sie unschlüssig über den Ort, da das Kloster erbaut werden soll, und oft find' ich sie wie heut an die Mauer gelehnt, den hellen Blick sinnend in die weiten Täler und auf die Höhen des Schwarzwaldes gerichtet.

Kommt Zeit, kommt Rat, Frau Herzogin!

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Zu Ende des Weinmonds 1191.

Am Tage der heiligen Ursula ward auf Befehl der Herzogin Uta ein Esel, mit dem für den Klosterbau bestimmten Gelde beladen, von der Schauenburg aufwärts in das Gebirge getrieben. Zwei Männer folgten, das Tier beobachtend, von ferne, denn an der Stelle, da es sich niederlegen würde, sollte die Abtei erbaut werden.

Zwei Stunden weit schritt das Grautier bergan, bis es von Durst geplagt bei einer Quelle Halt machte. Dann setzte es seinen Weg bis zur Höhe des Berges fort und entledigte sich daselbst der silbernen Last. Aber die Stätte ist für die Gründung des Klosters gar zu sehr den Stürmen ausgesetzt, und so plant man nur die Errichtung einer Kapelle zu Ehren der heiligen Ursula auf dem Berge, und wählte die am Fuße desselben gelegene Niederung zum Bauplatz.

Rauh und wild ist anjetzo das Land, aber bald beginnt die Rodung von der Hand fleißiger Ordensbrüder. Gott segne den Bau – noch bevor der erste Schnee fällt, soll der Grundstein gelegt werden.

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Um die Mitte des Erntemonds 1193.

Im Beisein der Herzogin von Schauenburg ist gestern die schöne Abteikirche zu Ehren »Allerheiligen« geweiht worden. Hoch und schlank strebt der gewaltige Bau im Schmuck seiner edlen Ornamentik zum blauen Himmel empor, und die hellen Stimmen der Glockenstube vereinen ihren Ruf mit dem fernen Brausen des Gießbaches zum Lobe Gottes. Wunderlieblich ist die Welt ringsum, keinen würdigeren Platz wüßt' ich dem heiligen Konvent!

So baut denn weiter im Namen des Hochgelobten, ihr frommen Brüder. Aber sorge, du Steinmetz, so du ein Engelsantlitz im Marmor bildest, daß es die lieblichen Züge der Schauenburgerin trägt. Es soll grüßen alle, die da eingehen zu heiliger Stätte!

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Im Weinmond 1196.

Drei Jahre zogen ins Land. Die Abtei Allerheiligen ist fast vollendet, die Schenkung verbrieft und versiegelt und durch Kaiser Heinrich VI. bestätigt worden.

Fünf Brüdern vom Prämonstratenserorden steht eine stille, schöne Heimstätte offen, eine waldumrauschte Stätte des Friedens im deutschen Land. Nur der Propst fehlt noch, man sagt, die Herzogin Uta wolle denselben erwählen, und man wartet ihrer Entscheidung.

Aber sie schweigt. Schwerkrank liegt sie darnieder, und bange Sorge zieht durch meinen Sinn.

Draußen im Lande aber raunt man sich zu, die Wahl des Propstes zu Allerheiligen sei vergessen worden.

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Zu Ende des Weinmonds 1196.

Frau Utas letztes Stündlein ist nahe. Heute früh reicht ich ihr die letzte Wegzehrung. Still und friedvoll lag sie mit gefalteten Händen, und ihre Augen wanderten über die dunklen Wälder zu der weiten Lichtung, wo das goldene Kreuz von Allerheiligen auf dem Glockenturm funkelt. In ihrem Blick strahlt's wie Verklärung, als schaue sie über die Berge des Schwarzwalds höher, immer höher hinauf bis ins Paradies.

Ich trat leise ins angrenzende Gemach und befahl der Gürtelmagd, mich zu rufen, sobald eine Veränderung einträte. Dann stieg ich den Wendelstein hinab ins Archiv, um das nötigste im Amt zu ordnen. Aber kaum hatte ich begonnen, da pochte es. Die Mönche von Allerheiligen, fünf an der Zahl, traten herein und verneigten sich ehrerbietig vor mir. Fragend blickte ich von einem zum andern; da trat der älteste aus der Reihe und sprach:

»Auf Befehl und Geheiß der Herzogin Uta von Schauenburg geloben wir Euch Gehorsam als unserem Herrn! Seid gegrüßt, Propst Giringus zu Allerheiligen!« Und mit ihrem Handschlag gelobten sie mir die Treue.

Wie im Traum stand ich. Dann aber zog's mich mit Macht an das stille Lager droben im Frauengemach.

Ich kam noch zur rechten Zeit. Die freundlichen blauen Augen lächelten mild und zwei abgezehrte Hände streckten sich mir entgegen.

»Gott segne Allerheiligens ersten Propst!« kam's leise von den sterbenden Lippen der hohen Frau. Ich aber kniete an ihrem Lager nieder und neigte mich über ihre Hand. Sie war kalt wie der Tod.

Erschüttert blickte ich auf.

»Ja, es geht zu Ende,« sagte sie ruhig. »Aber ich darf sterben, meine Arbeit ist getan, und ein Trost ist's mir, daß das Werk meines Gemahls in Euren Händen liegt. Gott segne Euch in Eurem heiligen Amt und vergeßt Uta von Schauenburg nicht!«

Ihr Haupt sank zurück, die treue Gürtelmagd küßte sie, und unter meinem Gebet zog ihre Seele in die Heimat ein, die kein Tod zerstört. Mir aber war's, als vernähme ich das Rauschen der Flügel derer, die gekommen waren, die müde Pilgerin heimzutragen, hinauf zu dem, der die Arme am Kreuz ausgebreitet um unseretwillen.

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Zu Beginn des Windmonds.

Ein sonniger Herbsttag war's, da wir die Herzogin Uta zur letzten Ruhe geleiteten, und ich meinte, alle Knospen müßten springen und Ostergeläut erklingen an ihrem Grabe.

»Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herrn Jesum Christum!« klang der Chor der Mönche wie der Siegesjubel nach gewonnener Schlacht, und unser Schmerz um die Entschlafene löste sich in Dankestränen.

Und dann war alles still auf der Burg, noch stiller und einsamer, als nach dem Ableben der greisen Pfalzgräfin.

Ich stand am Fenster in meinem Gemach, wie einst, da Frau Uta im Brautgeschmeide hereingetreten war und mich mit leiser, trauriger Stimme fragte: »Wollt Ihr kommen, wenn Herzog Welfs Gemahlin Euch ruft?« Und es war mir, als stünd' sie wieder auf der Schwelle und winkte mir. Aber ihr Antlitz war sonnig und hell, wie Verklärung lag's darüber.

Ja, ich wollte kommen, das große heilige Werk zu beginnen, dazu sie mich im Namen Gottes berufen. Ein letztes Mal kniet' ich am Betschemel nieder und erbat mir Gnade und Kraft; dann nahm ich von den stillen vier Wänden Abschied und schritt zu Tal.

Näher und näher kam ich der neuen Heimat; schon winkten die Türme des Gotteshauses aus dem Dunkel der Tannen und das Rauschen der Wasserfälle klang herüber.

Zögernden Fußes betrat ich die Kirchenstufen, durch meine Seele zog's: »Wehe mir, ich bin unreiner Lippen!« Eintretend blickte ich zur Wölbung des Portals empor.

Da grüßte mich aus dem Blattwerk der Ornamentik ein holdes Antlitz, lieb und bekannt, als habe es längst auf das Kommen des Mannes gewartet, der in Scheu und Zagen die heilige Schwelle betrat, zu deren Diener und Wächter er bestellt worden war. Mit süßem Lächeln blickte das steinerne Antlitz auf den Eintretenden nieder, als wollt' es ihn grüßen, wie man einen alten treuen Freund grüßt.

Und der erste Propst zu Allerheiligen sah hinauf; sein Antlitz ward immer stiller und getroster. Er kannte den Engel; es war ihm ums Herz, als müßten sich die stillen Lippen noch einmal öffnen und ihn grüßen, wie an jenem letzten Abschiedsmorgen im Frauengemach der Schauenburg: »Gott segne Allerheiligens ersten Propst!«


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