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Zehntes Kapitel.
Die Rose von Jerichow.

Der Mond steht in stiller Herrlichkeit
Hoch über den schweigenden Seen –
Mir aber ist in dämmernder Nacht
Dein Bildnis hell und leuchtend erwacht,
Wie ich einst im Lenz dich gesehen!

In dem letzten Häuslein eines armen Spreedorfes saß Ingeburg Witzleben am Lager eines todkranken Mannes. Vom Kirchlein klang die Betglocke; Abendzeit war's, und die Nebel legten sich weiß über Sümpfe und Wiesen. Schweigend, die Hände über den Knieen gefaltet, saß die junge Frau auf der roh gezimmerten Bank neben dem Alten. Als sei der Tod schon eingekehrt, so still war's in der Kammer, nur ab und an hob ein tiefer Seufzer die Brust des Kranken, dann neigte sich Ingeburg über das Lager und fragte nach seinem Begehr. Das Reden ward ihm schwer, kaum wußt' er sich ihr verständlich zu machen. Mit flehendem Ausdruck hingen die fieberglänzenden Augen an dem Kreuzbild des Herrn, das über dem Rosenkranz an der getünchten Wand befestigt war. Sie folgte seinem Blick und dachte, er werde der letzten Wegzehrung begehren. Das Dorf war zumeist noch katholisch; die martinisch Gesinnten nahmen teil an den Gottesdiensten eines Nachbardorfes, dessen Bewohner sich durchweg zur neuen Lehre bekannten.

»Soll ich den Priester rufen?« fragte sie, sich erhebend. Erst vor etlichen Stunden gekommen, hatte man sie gebeten, den alten, treuen Wächter des Dorfes zu pflegen, und der Greis, dem die liebreiche, sanfte Art des jungen Weibes wohltat, hatte bald Zutrauen zu Ingeburg gefaßt.

Bei ihrer letzten Frage aber kam jähes Erschrecken über ihn, als gäbe ihn die Angst dem Leben wieder, richtete er sich auf und rief, die welken Hände abwehrend ausstreckend: »Nein – nicht den Priester! Ich will martinisch werden! Das Sakrament begehr ich – wie's unser Herr geboten hat!« Das weiße Haupt sank auf das Strohlager, darüber Ingeburg ein Linnen gebreitet, zurück, aber die Augen folgten jeder ihrer Bewegungen, und die fahlen Lippen wiederholten zitternd: »Wie's unser Herr geboten hat!«

Ingeburg war ratlos. In dem kleinen Zuge, dem sie sich angeschlossen, war kein Geistlicher zugegen gewesen – waren es doch zumeist Frauen und Jungfrauen, welche insonderheit des Leibes Not und Schmerzen zu lindern gekommen. Zwar hatte die Kurfürstin davon geredet, daß der Hofprediger der kleinen Schar der Pfleger im Laufe des Tages nachfolgen und zum wenigsten eine Nacht dort bleiben werde – doch ob er angelangt war, sie wußte nicht darum. Auch Bernhardus hatte in dem Zuge gefehlt, – man sagte, er sei im letzten Augenblick abgerufen worden, um dem sterbenden Weibe des Schloßvogts beizustehen. Wär' er ihr nahe gewesen – sie hätte sich ein Herz gefaßt und ihn in ihrer Not um Hülfe gebeten, trotz allem, das zwischen ihnen lag – schwerer und einsamer als es war, konnte ihr Leben ja nimmer werden; wollte sie doch auch nichts für sich erbitten, sondern für einen der Geringsten, die der Heiland seine Brüder geheißen – sie wußte es, sie hätte keine Fehlbitte getan.

Aber er war noch nicht gekommen, sie hätte ihn ja vorüberreiten gesehen, und auch den Hofprediger der Kurfürstin hatte sie nicht erblickt. Hülflos blickte sie die dämmernde Dorfstraße entlang – eine heiße Angst überkam sie, daß der Alte sterben möchte, bevor ihm der letzte Wunsch erfüllt worden. Was sollte sie tun? wußte sie doch keinen, den sie mit ihrer Botschaft hätte betrauen können, alle, die mit ihr gekommen, saßen an Kranken- und Sterbebetten, und im Hause wohnte niemand, als ein altes Weib, das ab und an hereinblickte, um ihr und dem Kranken Nahrung zu bringen, und sich dann wieder zurückzog.

Ingeburg trat ins Freie hinaus. Ihr weißer Zelter, den sie unter der Linde angebunden, wieherte ihr entgegen. Sie lehnte das Haupt an den Hals des treuen Gesellen und strich liebkosend über sein weiches Haar. Das Tier wandte den klugen Kopf zu der Herrin um – es war's ja gewohnt, Freud' und Leid mit ihr zu teilen. Seit Ingeburgs Kindertagen waren sie beisammen gewesen, und das Rößlein wußt' es allezeit, ob sie traurigen oder frohen Sinnes war. Auch heut schmiegt es sich zutraulich an sie, als ahnt es ihre Sorgen.

»Wüßt'st du mir einen Rat, mein Spielgenoß,« sprach sie seufzend.

Mit jedem Augenblick unruhvoller, wanderten ihre Gedanken von dem stillen Lager drinnen den Weg zurück, den sie gekommen. Was mochte die beiden Männer zurückhalten, warum kam der Hofprediger nicht allein, wenn Bernhardus daheim die Pflicht rief. Ein Gedanke fuhr ihr durch den Sinn, der sie erzittern machte – sie wußte, daß zu später Stunde Wegelagerer und Gesindel ihr Wesen auf der Heerstraße trieben, daher dieselbe als unsicher und gefahrvoll bekannt war.

Die Hände gegen die Brust gepreßt, lauschte sie hinaus. Jeden Ton vernahm sie in abendlicher Stille, vom Dorfe drang kein Laut zu ihr, lag doch fast in jeder Hütte ein Sterbender oder es ruhte ein Toter in der Kammer. Um so deutlicher hörte sie das leiseste Geräusch, das der Westwind über hie Wälder herauftrug. Atemlos horchte sie, an ihr treues Roß gelehnt, immer fester griffen ihre Hände in die Mähne des Tieres.

Plötzlich fuhr sie empor, stürzte in das Haus und rief die alte Frau an das Lager des Kranken.

»In Bälde kehr' ich heim,« rief sie, sich über den Alten beugend, »will's Gott, mit dem Sakrament!«

Einen Augenblick später saß sie im Sattel. Wie eine Rasende spornte sie ihr Tier, und jagte den einsamen Pfad entlang durch die dunklen Tannen.

»Er ruft mich!« klang's jauchzend in ihrer Seele, und mit hallender Stimme rief sie den Namen des Geliebten.

Da klang dicht vor ihr die Antwort: »Ingeburg!« Eine Staubwolke verhüllte die Streitenden. Der Hofprediger und ein junger Bürger saßen noch im Sattel, Ribbeck kämpfte schon zu Fuß. Zwei Wegelagerer waren über sie hergefallen, schwer bewaffnet schienen dieselben im Vorteil. »Ingeburg!« rief Ribbeck, »es ist spät geworden, Rose von Jerichow – aber ich komme!«

Sie war aus dem Sattel gesprungen und hatte sich zwischen die Kämpfenden gedrängt. Mit der Linken hielt er sie umfaßt, seine Lippen preßten sich auf ihren Mund, das Blut sickerte ihm von den Schläfen und fiel in dunklen Tropfen in ihre Locken – während seine Rechte das Schwert führte. – – –

Da klang Hufschlag und lautes Geschrei vom Dorfe her, zwei Fuhrknechte, mit Knitteln bewaffnet, kamen auf schnaubenden Hengsten daher und hieben die Städter heraus. In der nahen Schenke hatten sie Geschrei und Waffenlärm vernommen und waren noch gerad' zur rechten Zeit gekommen, denn die drei Spandauer waren des Dreinschlagens ungewohnt. Fluchend ergriffen die Räuber die Flucht. Die Sieger leisteten Verzicht darauf, sie zu verfolgen; so schnell als möglich ordnete sich der kleine Zug, denn Ingeburg trieb, in der Sorge um ihren Pflegebefohlenen, zur Eile.

Als letzte schritt sie an Ribbecks Seite durch den immer dunkler werdenden Tann. Der Mond war aufgegangen, hin und wieder fiel sein silberner Glanz durch eine Lichtung auf den breiten Weg und beleuchtete das blasse Antlitz des jungen Weibes. Die Wimpern tief gesenkt, wanderte sie vorwärts – jetzt, da er, dem Leben wiedergegeben, an ihrer Seite ging, verstand sie sich nimmer, und der seltsame Schritt, den sie getan, wollt' ihr kaum glaubhaft erscheinen. Der Gedanke, den Geliebten zu erretten, hatte sie hinausgetrieben in Nacht und Not – mit der Scheu des Weibes, das seine Liebe wie ein Kleinod verbirgt und eher Angst und Pein erleidet, als seinen Schatz preiszugeben, kehrte sie wieder – aber sie hatte diese Scheu, ein heilig Geheimnis zu wahren, mißachtet, ihr Stolz war verletzt durch eigene Schuld – und doch – hätte sie anders gekonnt? »Er ruft mich!« klang es noch immer in ihrem Herzen, während sie verstohlen zu dem geliebten Manne aufblickte, der ihr schweigend, sein Glück im Herzen bewegend, zur Seite schritt. – »Er ruft mich!« – »Es ist spät geworden, Rose von Jerichow, aber ich komme!« – – –

Und er kam – kam bald – gar zu lange schon hatte sie gewartet.

Am Wächterhäuslein angelangt, geleitete Ingeburg die beiden Männer zu dem Alten. Müd, mit gefalteten Händen lag er da, ein Leuchten ging über die abgezehrten Züge, als er sie mit ihren Begleitern eintreten sah.

In fröhlichem Glauben trat er zu Luthers Lehre über und empfing das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Dann schloß er die Augen wie ein Kind, das von des Tages Freud und Leid ausruht. Es war die letzte Ruh auf Erden, ein Hinüberschlummern sanft und leis, ohne Kampf und Schmerz. Kaum merklich war die Seele entflohen, ein Bild des Friedens ruhte der Leib auf dem dürftigen Lager.

Ribbeck hatte dem Toten die Augen zugedrückt, in stillem Gebet umstanden sie die Leiche, dann ging einer nach dem anderen hinaus, und die greise Nachbarin setzte sich an das Lager, um dem alten, treuen Hausgenossen die Totenwacht zu halten. Träne auf Träne rann ihr herab, und die harten Hände falteten sich zu heißem Gebet für die arme Seele, die im letzten Stündlein den Schoß der Kirche verlassen.

* * *

Draußen unter der Linde saß Ingeburg. Weiß schimmerte die Heerstraße im Mondlicht, jede Blüte im Garten konnte sie erkennen, so sternenklar war die Nacht. Wie im Traum blickte sie über Wiesen und Wälder, regungslos, als dürfe sie ihr Plätzlein nimmer verlassen, bis er gekommen, den sie erwartete. Am Fenster, wo der Tote lag, sang eine Nachtigall, leise Klänge schwebten herüber, als rühre der Nachtwind drüben im Kirchturm die Glocken. Sonst war alles still, nur das Gebet der alten Frau in der Totenkammer klang einförmig durch die geöffneten Fenster.

Da nahten Schritte, sie preßte die Hände auf die Brust – er war's – und nun stand er vor ihr und redete mit ihr, wie sie es tausendmal in heißer Sehnsucht erträumt. Sie antwortete ihm, ohne zu wissen was; seine Lippen fühlte sie auf den ihrigen, seine Hände auf ihrem Haupt – leise lösten sie den Witwenschleier und rissen ihn mitten durch. »Das ist nun vorüber, du süße, geliebte Frau,« rief er und drückte ihr schönes Haupt, das die herabfallenden Locken wie ein schwarzer, seidener Mantel umgaben, an seine Brust. Von seinem Stolz sprach er zu ihr, der dem Weibe, das einem andern gehört, die Minne versagen wollte, von seiner Sehnsucht nach Glück und Heimstätte und einer tiefen, starken Liebe, – der Liebe, die sein Leben dereinst glückselig gemacht, die es in Elend und Einsamkeit getrieben.

Die Tränen stürzten ihr über die Wangen; zitternd schmiegte sie sich an ihn und wollte ihn um Vergebung bitten um das Leid seines Lebens, daran sie allein schuld. Aber er wollte nichts davon hören. »Mein ist alle Schuld,« sprach er. »Warum ging ich ohne Abschied von dir – hätt' ich ein Wörtlein für dich gehabt, du wärest mein geblieben!«

Mit klaren Augen blickte die schöne, bräutliche Frau zu ihm auf. »Deine Freud' und dein Leid hab' ich allzeit im Herzen getragen, als wären sie mein; heut' aber empfang ich mit ihnen in heißem Dank meines Lebens Glück – dich selbst, Geliebter!«

Er blickte nieder in die Märchenaugen, ihr Glanz war derselbe wie einst in der Laube zu Jerichow, da er die kleine Königin im Arm gehalten. –

Kein Ton unterbrach die Sommerruhe; durch die Wipfel blickte der Mond und beleuchtete das zarte Antlitz des jungen Weibes, das still an der Brust des Mannes lag, dem es zu eigen gehörte.

Mitternacht schlug's vom Turm. Vom Walde herüber schwebte es feierlich wie leises Flügelrauschen, als zög' der Engel eines großen Glückes über die träumende Erde.


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