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Neuntes Kapitel.
Schwere Wege.

Die Zeit vergeht in Leid und Schmerzen,
Steh du mir bei in aller Not!
Bist du nur mein im Tod und Leben,
Hab ich genug, mein Herr und Gott!

Gestärkt in deinem Leib und Blute
Steht über Leid und Angst mein Herz –
Herr, hilf mir fröhlich weiter siegen
Und zieh' mich täglich himmelwärts.

Durch die bunten Fenster der Burgkapelle schimmerten die warmen Strahlen der Morgensonne, als droben im Turm die Glocken zum Frühgottesdienst riefen. Viel Volks strömte herzu – die Einwohner von Spandau waren gute Christen, die sich getreu zu Gottes Wort und Sakrament hielten – und kaum faßte die kleine Kapelle die Schar der Kirchgänger.

Als eine der letzten schritt Frau Ingeburg die steinernen Stufen hinan. Fast noch ernster und trüber als es sonst ihre Weise, suchte sie sich im Schatten eines Pfeilers ein verborgenes Plätzchen und verrichtete still ihr Gebet. Eine seltsame Unruhe sprach aus dem blassen Antlitz, wie ein heißer Kampf zog es bisweilen darüber hin, und oftmals verbarg sie es im Witwenschleier, als würd' sie der Tränen nicht Meister. – –

Die Epistel des heiligen Pfingsttages war verlesen, vom Chor sangen die Kurrendeschüler Dr. Luthers Festlied – hell und zart klang's durch das maiengeschmückte Gotteshaus:

»Komm, heiliger Geist, Herre Gott,
Erfüll' mit deiner Gnaden Gut
Deiner Gläubigen Herz, Mut und Sinn,
Dein brünstig Lieb' entzünd' in ihn'n!
O Herr, durch deines Lichtes Glanz
Zu dem Glauben versammelt hast
Das Volk aus aller Welt Zungen –
Das sei dir, Herr, zu Lob gesungen –
Halleluja! Halleluja!«

Das junge Weib im Schatten der Säule hatte das Haupt auf die Brüstung gelegt, ihr Körper bebte vor unterdrücktem Schluchzen. Niemand hatte ihrer acht, das stille Plätzchen verbarg sie der Menge – nur zwei Augen blickten unverwandt zu ihr hinüber – in tiefer Bewegung; einem Manne gehörten sie an, der nicht weit von ihr in einem der fürstlichen Chorstühle saß. – – – – – – – – – –

Nach der Predigt gedachte der Hofprediger der durch die Seuche bedrängten Ortschaften; mit warmem Wort gemahnte er der Barmherzigkeit, die sich in dienender Liebe zu den Ärmsten neigt. Ein schwerer Weg sei es, der Mut und Gottvertrauen fordere, doch wer ihn gehe, einen dieser geringsten zu erquicken, der habe es dem Herrn getan. »Und ob einer unter euch wäre,« schloß er, »der sich noch nicht öffentlich zur neuen Lehre bekannt, begehrt aber martinisch zu werden, bevor er hinauszieht, dem vermelde ich, daß ich bereit bin, das Bekenntnis seines Glaubens vor Gottes Angesicht allhier zu vernehmen.« Er verließ die Kanzel und trat in den Altar.

Einen Augenblick blieb alles still. Dann trat einer nach dem andern aus den gefüllten Schiffen, und eine Schar Männer und Frauen bekannte sich zur reinen Lehre. Sie wollten nicht alle mit hinausziehen, aber jeder von ihnen wollte mit Gaben und Fürbitte den Armen beistehen, mehrere jedoch meldeten sich, die von der Seuche Befallenen zu pflegen.

Mit weit geöffneten Augen saß Ingeburg an den Pfeiler gelehnt. Träne auf Träne rann ihr herab. Endlich erhob auch sie sich und legte mit leiser zitternder Stimme ihr Bekenntnis ab. Ernst blickte der Geistliche auf das zarte, bleiche Frauenantlitz nieder – würde sie die Kraft finden, diesen Schmerzensweg zu gehen? –

Die Feier des heiligen Abendmahls in beiderlei Gestalt beschloß den Gottesdienst.

Auch Ribbeck war zum Altar getreten. Eine Flut von Gefühlen wogte in seinem Herzen. In aller Frühe hatte die Kurfürstin ihn zu sich bescheiden lassen und ihm in geheimer Zwiesprach' anvertraut, daß Ingeburg in alter Lieb' und Treue des Geliebten ihrer Jugend gedenke.

»Ich darf's Euch nicht vorenthalten,« sprach sie, »wo Ihr morgen auf schwerem Gange Weggesellen seid. In einer Stunde des tiefsten Schmerzes und der Verlassenheit hat Ingeburg mir von allem erzählt. Nimmer hätt' ich geredet, ob ich auch fast täglich gesehen, wie Ihr Euch nicht verstehen wolltet, und dem einen das Herz wehe tat beim Worte des andern. Nun aber, da Ihr den gleichen Weg wandern wollt, da Ihr nicht wisset, ob Ihr Euch in der Heimat wiederseht – da treibt's mich, – daß ich nicht länger schweigen kann – um Ingeburgs – um Eures Glückes willen!«

Dann redete sie noch von den Zweifeln der jungen Witwe um ihren Übertritt, daß sie aber am vergangenen Abend zu ihr gekommen sei, um der Kurfürstin ihren Entschluß, martinisch zu werden und als Pflegerin auszuziehen, mitzuteilen.

»Sie weiß es nicht, daß Ihr mitzieht, ich verschwieg es ihr aus guter Meinung – gegen Euch aber durft' ich nimmer schweigen,« schloß sie.

Als habe sie in Märlein zu ihm geredet, stand er vor ihr; lächelnd blickte sie in die strahlenden Augen, dann faßte sie seine beiden Hände. »Gott geleite Euch, liebwerter Freund,« sprach sie huldreich. »Er schenke Euch ein Glück so groß, wie's ein armes Menschenherz ertragen kann. Und so Ihr in Lebens Freud und Not eines Freundes bedürft, so vergeßt es nicht, daß Brandenburgs Kurfürstin zu aller Zeit in Treuen zu Euch steht.«

Er küßte in tiefem Dank die Hände der hohen Frau. »Ob solcher Gnaden unwert, ich nehme sie an als Ew. Durchlaucht getreuester Vasall,« erwiderte er bewegt. –

Vom Turme riefen die Glocken – sie drängte ihn hinaus. Gleich darauf rauschte ein Frauengewand über den Estrich – Ingeburg Witzleben trat ein, um vor dem ernsten Gange den Segen der mütterlichen Freundin zu erbitten.


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