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Siebentes Kapitel.
Witwenschleier und Brautkränzlein.

Mir ist, ich müßt' verbergen
Vor dir und deinem Leide
Mein grünes Myrtenkränzlein,
Mein bräutliches Geschmeide!
Liegt doch um meine Seele
Dein Leid wie eine Mauer –
Es weht dein schwarzer Schleier
In tiefer Witwentrauer.

Still und dunkel war's auf Schloß Hohenhaus, vom Turm wehte die Trauerflagge auf Halbmast, Wolf Dietrich von Witzleben aber ruhte unten in der Gruft seiner Ahnen. Feierlich hatten sie ihn beigesetzt, die ganze Altmark nahm teil an dem traurigen Ereignis, und niemand versäumte, dem jungen Ritter die letzte Ehre zu erweisen.

Desto erbitterter war alles auf den schändlichen Verführer, und jedermann freute sich, daß Bredow ihn gefordert hatte.

Die Gäste waren wieder fortgeritten, ohne daß sie die junge Witwe gesehen; teilnahmlos, ohne Tränen lag Frau von Witzleben seit dem entsetzlichen Abend in ihrem Gemach, und Sybille mußte als Hausfrau walten.

Am Tage nach der Beisetzung, als alles wieder still geworden war, stand sie auf, legte Witwentracht an und ging hinab in die Kapelle. Da fand sie die Tränen wieder, und die steinerne, eisige Ruhe machte weicher Ergebung Platz. Sie sprach über alles mit Sybille und weinte sich an ihrem Herzen aus, wieder und immer wieder, wenn das Leid und die Einsamkeit sie zu überwältigen drohten. Es war gut für sie, daß Sybille da war, deren ruhige, klare Weise ihr in ihrem Jammer eine Wohltat war. Sie ließ sich ganz von der geliebten Freundin leiten und folgte wie ein Kind ihren Ratschlägen, trat doch gerade in den ersten Tagen vieles an die unglückliche Frau heran, darin sie des Rates bedurfte.

Bredow hatte am Morgen nach dem Leichenbegängnis fort gemußt, im blanken Stahlgewand war er gegangen, und die Mädchenhand, die er beim Abschied geküßt, hatte zitternd in seiner Rechten gelegen. So war Ingeburg allein auf sich selbst und Sybille angewiesen, die eine aufsteigende Unruhe mutig bekämpfte und sich gar lieblich um die Freundin zu schaffen machte. Ingeburg wollte die Wintermonate noch in Hohenhaus, welches einem Lehnsvetter ihres Gemahls zufiel, verbringen und dann nach Lichtenberg zu ihrer Großmutter ziehen – vor dem einsamen Hause in Jerichow mit seinen vielen Erinnerungen graute ihr. –

Vier Tage waren vergangen, seit Wolf Dietrich todeswund heimgebracht wurde, da kam spät abends, fast um dieselbe Zeit wie damals, ein kleiner Zug berittener Mannen vor die Zugbrücke von Hohenhaus, und der Türmer meldete die Ankunft eines edlen Gastes. Hans Jürgen von Bredow war's, aber nicht hoch zu Roß, wie er ausgeritten – verwundet wurde er in das Herrenhaus getragen, denn Hohenhaus war der nächste Ort, wo ein Kranker gutes Obdach und Pflege finden konnte. Er selbst ahnte nicht, daß man ihn dorthin brachte, ohnmächtig hatten ihn die Mannen vom Kampfplatz getragen, und der alte Hausmeister Wolf Dietrichs, der ihm nachgeritten war, hatte ihn auf Befehl seiner Herrin in ihr Haus tragen lassen. Dornburg war auf dem Kampfplatz geblieben, der Tod hatte ihn nicht anders gefunden, als er im Leben gewesen. Grauenvoll war sein Ende, einen wilden Fluch auf den Lippen war er dahin gefahren, kein Kreuz hatte in die Nacht des Verbrechers geleuchtet, kein Armensündergebet war über die Lippen des Sterbenden gekommen, ein entsetzlicher Ausdruck der Verzweiflung lag auf den verzerrten Zügen des Toten.

Am Waldesrand, an einsamer Stelle scharrten die Knechte die Leiche ein, und das Heidekraut wuchs barmherzig darüber, als wollte es das Grab des Mörders verbergen und die Schmach des geschändeten Geschlechts zudecken.

In der Halle von Hohenhaus aber stand wieder eine Bahre, und wieder kniete eine Frauengestalt daneben und lauschte angstvoll den Atemzügen des Verwundeten. Es war Sybille. Sie hatte dem Junker das Haupt und den leichter verletzten Arm verbunden, und noch immer war er, trotz vieler Belebungsversuche, nicht aus dem tiefen, todesähnlichen Schlummer erwacht. Eine namenlose Angst zog durch die Seele der Jungfrau. Auf dem zarten Gesicht wechselte tödliche Blässe mit glühendem Rot, immer wieder beugte sie sich über das Antlitz des Junkers und lauschte. Durch ihre Seele zog ein heißes Weh, ein Gefühl großer, schwerer Schuld lastete auf dem jungen Herzen, das in Stolz und Eigenwillen eine tiefe Liebe zurückgedrängt hatte.

War jetzt alles zu Ende? Sollte ihr der Tod nehmen, was sie im Leben von sich gestoßen?

Wieder legte sie die kühlende Binde auf die Stirn des Junkers, da öffnete er langsam, wie aus tiefem Traum erwachend, die Augen, mit einem Blick tiefen Glückes weilte sein Auge auf dem Jungfrauenantlitz, das sich über ihn beugte, und seine Lippen flüsterten: »Sybille!«

Überwältigt beugte sie sich zu ihm nieder, alles vergessend. Ihr Haupt ruhte an seiner Brust, und sie jubelte unter Tränen: »Hans Jürgen, kannst du mir vergeben? Ich habe dich geliebt mein Lebenlang!«

Es war, als nähmen ihre Worte ihm alle Schmerzen; er schlang den gesunden Arm um sie und drückte seine Lippen auf den zarten Mund des Mädchens. Sie aber war wie im Traum; die strahlenden Augen versenkten sich in die des geliebten Mannes, sie vergaß unter seinem Brautkuß ihr Leben und ihr Leid, und ließ die ganze Fülle seiner Liebe auf sich wirken. Lange hatte sie so gekniet, da kam Frau Ingeburg im Witwenschleier die Treppen herab. Hans Jürgen und Sybille wechselten noch einen stillen Blick, Frau Ingeburg aber begrüßte herzlich den Junker in ihrem Hause und bat ihn, sich ihre und Sybillens Pflege gefallen zu lassen.

»Ich hätte ja nimmer in bessere Hände kommen können!« sagte er ritterlich und zog ihre Hand an die Lippen.

Sie lächelte – zum erstenmal in ihrem Leid – und ihr Blick streifte Sybille. Dann rief sie die Knappen, und nach kurzer Zeit ruhte der Junker weich gebettet in einem der hellen Gemächer der Burg; an seiner Seite aber saß die Jungfrau, deren tiefstes Leid und Glück vom Adel gekommen, als seine verlobte Braut.

* * *

Bredow genas bald bei der treuen Pflege der beiden Frauen, und als die ersten, schönen Märztage kamen, ging er auf den Arm der Geliebten gestützt durch den Garten. Das Verlöbnis des jungen Paares wurde noch geheim gehalten, nur Frau Ingeburg wußte darum, denn Hans Jürgen mußte bei der Kurfürstin um Sybillens Hand werben; so kam es, daß der goldene Brautring noch immer an ihrer Hand fehlte.

Frau von Witzleben trug still und sanft ihr Leid, und freute sich selbstlos an dem aufblühenden Glück der Freundin. Es war ihr eine Wohltat, für zwei liebe Menschen sorgen zu dürfen, wäre sie allein gewesen auf der einsamen Scholle – sie wäre versunken in Trauer und leidvollen Gedanken.

So kam der Mai mit seinem Duften und Blühen. Die Sonne grüßte die Heide wieder, wie sonst im Lenz, und es sproßte und keimte allerorten. Junge Saaten breiteten sich mit lichtgrünem Schimmer über die erwachende Erde, die Veilchen dufteten am Strom, und im Moor kamen die kleinen aufgerollten Farrenkräuter zum Vorschein. Das stille, weiße Schloß aber war noch einsamer geworden, denn die junge Herrin war fortgezogen, um nicht mehr heim zu kommen. Tränenschweren Auges wandte sie sich immer wieder nach der Burg um, und ihr edler Zelter schien sie zu verstehen, denn er zögerte bei jedem Schritt. Hans Jürgen und Sybille ritten schweigend neben ihr. Sie ehrten ihr Leid; hätte es in ihrer Macht gestanden, es ihr zu erleichtern, sie hätten vieles daran gesetzt.

Frau Erica von Gerlach stand vor der Tür ihres kleinen Hauses, als der Junker mit den beiden Frauen in Lichtenberg einritt. Er schwang sich aus dem Sattel und hielt Ingeburgs Steigbügel.

Die alte Edelfrau brach in Tränen aus, als sie ihr geliebtes Enkelkind im Witwenschleier erblickte, und Ingeburg mußte alles tun, um sie zu beruhigen.

Sanft und freundlich geleitete sie sie in das Haus, und als sie dann behaglich beisammen saßen und sie sah, wie still und ergeben ihr Liebling war, da ward auch sie wieder ruhiger und ließ sich alles von der jungen Witwe erzählen. Diese wollte ganz bei der Großmutter bleiben, zu deren größter Freude. In dem Häuschen war Raum genug für zwei, Ingeburg ließ ihren Brautschatz kommen, und bald waren ihre Räume behaglich und schön hergerichtet. Abends waren sie beide viel bei der Kurfürstin, die Ingeburg mit warmer, teilnehmender Liebe empfangen hatte. Sie bat keine anderen Gäste, wenn die beiden Witwen bei ihr waren, und so war es nur der engere Kreis des kleinen Hofes, bestehend aus Bredow, Sybille, Esther Sophie von Alvensleben und dem Hofprediger, den Ingeburg kennen lernte.

Bredow wurde bald nach seiner Rückkehr zum Marschalk ernannt; er hatte dieses Amtes längst gewaltet, allein der Titel hatte ihm noch gefehlt.

Elisabeth hatte ihm in überströmender Freude die Hände gereicht, als er am Morgen nach seiner Rückkehr bei ihr um Sybille geworben und ihr alles erzählt – war es doch längst ihr Wunsch gewesen, diese beiden vereinigt zu sehen, doch hatte sie gezweifelt, daß Sybille den Bürgerstolz überwinden werde. Lange saß die edle Frau mit dem getreuen Vasallen in ihrem Gemach und beredete alles für die Zukunft, dann aber mußte sie kommen, um die es sich handelte. In ihrem bräutlichen Glück, schöner denn je trat sie ein; als sie Bredow neben der Kurfürstin sitzen sah, erriet sie alles, und ein leises Erröten flog über ihr Gesicht. Elisabeth aber nahm sie in die Arme und führte sie dem Geliebten zu.

»Du bist ja längst mein eigen,« sagte er, sie an sich drückend und ihre Lippen küssend, »aber ich mußte doch noch in allen Ehren um dich werben, Sonnenschein meines Lebens!« Er steckte den Brautring an ihre Hand, und sie blickte glückselig zu ihm auf.

Durch die offenen Fenster schaute der Frühling mit seinen Blüten, durch die taufrische Morgenluft zogen jubelnde Lerchenklänge. Vom Turm der Schloßkapelle riefen die Glocken zum Morgengottesdienst. Der Junker hatte die Hände gefaltet und blickte hinauf, Sybille aber legte demütig die zarten Finger unter die Hand des Geliebten, und von den Lippen des jungen Paares klang das heilige Vaterunser. »Amen,« sagte die Kurfürstin, als sie geendet, »der Herr segne und behüte euren Ausgang und Eingang!«


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