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Drittes Kapitel.
Etliches aus der Chronika des Abtes zu Fischbeck.

Wir sind rein um deinetwillen,
Du schenkst uns Gerechtigkeit!
Du allein kannst uns erlösen,
Weil du rein von Ewigkeit.

 

Fischbeck, am hl. Christtag Anno 1528.

Gestern abend bin ich zum Abt geweiht worden. Die ganze Schwere und Verantwortlichkeit, für so vieler Seelen Heil zu sorgen und ihnen allen voran leuchten zu sollen, lastet auf meinem Herzen. Bin ich doch gar jung und unerfahren und zu früh zu solch hohen Ehren gekommen. Wunderbar, daß es wieder das Lied des Mönches zu Wittenberg sein mußte, das mir das Herz stille machte. Die Brüder sangen es, weil sie wußten, wie sehr ich es liebe, und sie hätten mir nichts Besseres singen können. Es liegt ein wundersüßer Trost in dem Verslein vom ew'gen Licht; zeigt es uns doch klar und deutlich, gegenüber unserem Unvermögen, die Herrlichkeit des himmlischen Kindes. Nicht wir sind es, die helle Lampen tragen – der Herr geht zu uns ein und macht uns zu Kindern des Lichtes. Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.

 

Den 2. Februar 1529.

Vor dem Altar in unserer Kapelle steht ein kleiner Sarg mit Efeu und weißen Blüten bekränzt; darin liegt ein Mägdlein mit schwarzem Haar und langen, dunklen Wimpern – Frau Ingeburg von Witzlebens einziges Töchterlein! Sie hat den Abt von Fischbeck bitten lassen, eine Seelenmesse für ihren Liebling zu lesen – ob sie es ahnt, wer ihrem Kinde diesen letzten Dienst erweist? Ich glaube es kaum, sind wir Fischbecker Mönche doch ein stilles, abgeschlossenes Völklein. Ich kann nimmer fortfinden aus der Kapelle; ist mir's doch, als sähe ich das süße Bild der Geliebten im Tode vor mir – ein stilles Gleichnis der Wirklichkeit – hab' ich doch meine Liebe zu Grab getragen. – Ich konnt's nicht lassen – ich mußte Frau Ingeburgs Töchterlein küssen, einmal – nur ein einziges Mal! Nun aber ist's, als ob alles wieder in mir erwacht sei – wo ist mein Stillesein und Hoffen geblieben!? Heiliger, barmherziger Heiland, erbarme dich meiner! –

 

Den 8. März 1529.

Gestern, als ich im Beichtstuhl harrte, kam eine verschleierte Frauengestalt in Trauergewändern in die Kapelle. Sie schlug den Schleier zurück – barmherziger Gott – es war Ingeburg! Ich rang nach Fassung, sie aber schien mich nicht zu kennen, nur einmal sahen mich die Märchenaugen fragend an. Dann kniete sie nieder und beichtete. Wie ein Heiligenbild erschien sie mir, nicht wie ein armes sündiges Menschenkind, das am Kreuz um Gnade bittet. Und was drückte sie? Immer wieder der Gedanke an den, der zu spät heimgekommen und das Hochzeitskränzlein im Gemach der Geliebten gefunden. Sie hatte den Gedanken mit Macht zurückgedrängt, sie war ihrem Gemahl ein getreues Weib, ihr liebliches Kind, ihr Sonnenschein, hatte ihr geholfen, froh zu sein, und im täglichen Gebet hatte sie Kraft gefunden, »aber,« schloß sie ihre Beichte, »jetzt wankt mir das Fundament unter den Füßen, Hochwürden, ich sehe die Mängel unserer Kirche, Dr. Luthers Lieder und Schriften erquickten mir das Herz, und es neigt sich in Zweifel und Hoffen der neuen Lehre zu. Mein Gemahl ahnt nichts davon, darf ich's ihm sagen, jetzt, wo wir beide so tief im Leid stehen und ich selbst noch nicht weiß, wie Gott der Herr mich führen will?« Sie schlug die Augen, die vom Weinen gerötet waren, zu mir auf. »Verurteilt mich, Hochwürden, wenn Ihr's müßt, ich kann nicht anders!« und sie brach in Tränen aus.

»An mein Herz!« rief es in meiner Seele, aber wie eine Mauer in der Stunde der Anfechtung schützte mich die sechste Bitte des heiligen Vaterunsers, die der Herr wohl besonders für meine Schwachheit gesprochen: »Führe uns nicht in Versuchung!« – – – – – – – –

Der Kampf in meiner Seele hatte ausgetobt, ohne daß die bleiche Frau etwas von seinen Stürmen vernommen; ruhig trat ich ihr als Abt und Beichtvater gegenüber und nahm ihr die Last, die sie drückte, im Namen der Kirche ab. Wohl zitterte die Hand, die auf dem Haupt der Geliebten ruhte, aber in der Seele hatte sich die Sturmflut gelegt, denn einer hat die Wellen bedroht, daß sie verstummten.

»Laßt Euch die Last, die Gott der Herr Euch auflegt, nicht zur Sünde werden, edle Frau, so Ihr sie als Anfechtung bekämpft, sündigt Ihr nicht!« sagte ich ihr beim Abschied. »Denkt nicht zu viel an die Jugendzeit zurück und nicht zu viel an das, was Gott Euch vor einem Monat genommen. Was Dr. Luthers Lehre anbetrifft und Eure Hinneigung zu derselben, so bin ich der letzte, der Euch verurteilt! Manches Wort von ihm hat mich zum tiefen Nachdenken getrieben – jedenfalls glaube ich nicht, daß Gott der Herr den Mann so hart richten wird am jüngsten Tag, wie der Papst und die Kardinäle es heute tun!«

Wieder blickten die Märchenaugen mich fragend an, dann legte sie die kleine Hand mit dem goldenen Ehering in die meine und sagte: »Habt Dank, Hochwürden, daß Ihr mir mit Trost und Rat beigestanden; ein armes Frauenherz bedarf derselben. Lebt wohl und betet für mich, ich bitte Euch darum – aber nicht zu den Heiligen – vergebt mir's, Hochwürden – nur zu dem Hochgelobten!«

Ja, zu ihm, der dich und mich mit seinem teuren Blute rein gewaschen hat von aller Sünde, bete ich Tag und Nacht, daß deine und meine Seele den Frieden findet.

Als ich Frau Ingeburg hinausgeleitete, wartete ihrer draußen eine Dame auf schwarzem Roß. Eine hohe, stolze Mädchengestalt war's, größer und stärker als Ingeburg. Lichtes, goldnes Haar umgab wie ein Heiligenschein das schöne Haupt, und zwei blaue Augen sahen kühn in die Welt. Um den Mund lag ein herber, fester Zug, als sei sie durch Leid hart geworden. Ihr schwarzes Tuchkleid aber zeigte, daß sie um einen Verwandten trauerte oder in dem Trauerhause als Gast weilte. Frau von Witzleben stellte mir denn auch das Hoffräulein der Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, Sybille Mathesius, eine Verwandte ihres Gemahls, als ihren Gast vor.

Wenige Worte wechselten wir noch, dann gaben die beiden Frauen den Rossen die Sporen; ich aber stand wie damals als Knabe und blickte dem weißen Zelter Frau Ingeburgs nach, bis er am Waldessaum verschwunden war.

 

Den 25. März 1529.

Die Veilchen dufteten lieblich unter meinem Fenster, und ich ging hinaus, um die Frühlingskinder zu pflücken und sie einem schwindsüchtigen Mägdlein im Dorf zu bringen. Als ich in die arme Hütte trat, kam mir Ingeburgs Gast entgegen. Die Jungfrau hatte einen Korb mit Erfrischungen im Auftrage der Schloßherrin für die Kranke gebracht und ihr ein Bildchen an die kahle, getünchte Wand geheftet. Die Augen des Mägdleins strahlten, unverwandt hingen sie an dem Bilde, das die Gestalt des Christkindes wiedergab.

Als ich kam, machte Sybille mir bescheiden Platz und wollte gehen, doch ich bat sie, zu bleiben, und so verließen wir zusammen die Hütte. Ich begleitete sie noch ein Stück heim; der Knappe mit den Rossen folgte in einiger Entfernung. Das Mädchen sah fast noch trauriger aus, als bei unserer ersten Begegnung, und ich wußte kaum, wo anzuknüpfen; schien mir doch ihre Seele wie ein verschlossenes Buch, das Leid und Jammer verbirgt. So fragte ich nach dem Nächstliegenden, ob sie mit dem seligen Abt, Alexander Mathesius, verwandt gewesen sei.

»Ja,« erwiderte sie, »das war mein Oheim, der Bruder meines Vaters.« Ihre Stimme zitterte, und ich fragte nach anderen Dingen. Sie erzählte mir von Frau Ingeburgs Mildtätigkeit gegen das arme Volk, wie sie stundenlang mit ihren Mägden am Rocken säße und täglich mit Erfrischungen und Verbandzeug in die Hütten der Armen ginge. Wolf Dietrich lasse sie nehmen und geben, wo es not sei und ihr Herz sie triebe, tue er doch alles, was in seinen Kräften stünde, um seinem Weibe den herben Verlust ihres Kindes zu ersetzen, und sie lohne es ihm in lieblicher Dankbarkeit. »Abends, am Kamin, sitzt sie an seiner Seite,« schloß Sybille, »und lehnt das Haupt an seine Schulter. Dann reden die zwei von der kleinen Ingeburg, und ich gehe hinaus – ist mir's doch wie eine stille Allerseelenfeier, die ich nicht stören darf. Aber bald ruft mich ihre helle Stimme, und dann kommt die liebe Hausmusik an die Reihe, des Ritters allabendliches Vergnügen. Er spielt die Laute, und dazu erklingt, wie die Stimme eines Engleins, Frau Ingeburgs Gesang. Ich mußte die zweite Stimme übernehmen, sie ließen mir keine Ruhe.«

Sie schwieg.

»Wie lange weilt Ihr noch in Hohenhaus?« fragte ich.

»Meine durchlauchtigste Herrin hat mich bis zum dritten April beurlaubt – am zweiten ist der Todestag meines Vaters!« sagte sie leise. Dann reichte sie mir mit einer gewissen Hast die Hand. »Lebt wohl, Hochwürden, habt Dank für Euer Geleit!« und ehe ich ihr helfen konnte, saß sie auf dem Roß, grüßte noch einmal anmutig und ritt in den Frühlingsabend hinaus, den Weg nach dem weißen Schlosse zu, das wie eine Blume in der märkischen Heide lag.

 

Den 27. März 1529.

Als ich heute bei der jungen Schwindsüchtigen war und ihr das heilige Abendmahl reichte, erzählte mir ihre Mutter, die mich hinausbegleitete, daß Frau Ingeburg oder Sybille Mathesius fast täglich mit einer Erquickung zu ihrer Tochter kämen. Sie nannte Frau Ingeburg einen Engel, und Sybille sei gar lieb und freundlich und denke auch mehr an andere, als an sich und ihr schweres Leid. Sie erzählte mir dann, daß der Vater des Hoffräuleins, ein hoch angesehener, gelehrter Herr aus Tangermünde, ganz plötzlich auf dem Gastmahl eines Herrn von Dornburg tot umgefallen sei, nachdem der Hausherr selbst ihm einen Trunk edlen Weines kredenzt habe. Man sagt, er habe früher um das Weib des Mathesius geworben, sie aber habe diesem den Vorzug gegeben. Der Mord sei dem Täter nicht zu beweisen, aber jeder wisse, wer schuld sei, und kein märkischer Edelmann lasse sich seit dem Tage auf dem Schlosse des Dornburgers sehen. Die edle Kurfürstin Elisabeth habe sich der jungen, ganz alleinstehenden Waise gar liebreich angenommen, und seit bald zwei Monaten sei Sybille Mathesius das Hoffräulein Ihrer Durchlaucht.

Nun begriff ich, was hinter den großen, halb geschlossenen Augen schlummerte – ein markerschütterndes, für unsern irdischen Sinn hoffnungslos trauriges Leid, das selbst eine Menschenseele, die auf den Herrn gesehen und ihm gefolgt ist, in Anfechtung und wohl gar in die Nacht des Zweifels und Unglaubens treiben kann.

 

Den 23. Dezember 1529.

Die Tinte scheint mir eingetrocknet zu sein, so lange schrieb ich nicht. Aber was kommt auch Ereignisreiches in unsern stillen Zellen vor! Der Sommer ging hin mit seinem Duften und Blühen, wir haben die goldenen Ähren geschnitten, und fröhlich klang's am Erntefest: »Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich!«

Nun sind wieder die Zweige kahl, und der Weihnachtsschnee fällt in dichten Flocken hernieder. Ein grauer Tag ist's heute – zu morgen muß ich noch einen Boten an die güldene Pforte schicken und um Sonnenschein bitten lassen; – dem ersten Christtag sehen wir entgegen – da darf uns die Sonne nicht fehlen! – – – –

Frau Ingeburg ist nicht wieder gekommen – ob sie erfahren hat, wer der Mönch ist, dem sie gebeichtet? – – – – – – – – – –

Gestern nacht träumte mir, ich trüge ein Hochzeitssträußlein an der Brust und ritt durch die Heide nach Jerichow. Ein bekanntes Pförtlein ward mir geöffnet, in dem stillen Jungfrauengemach des alten Hauses aber stand Ingeburg im Brautschmuck.

»Endlich! endlich!« jubelte sie an meinem Herzen, und ich küßte ihr das Glück von den Lippen. Da erwacht' ich; am Nagel hing das Mönchsgewand, der Schneesturm jagte um die kalte Zelle – der Kalender aber zeigte das Datum des 22. Dezembers, Frau Ingeburgs Hochzeitstag. Lange und bitterlich hab' ich geweint – o – daß uns diese Träume erspart blieben und die vergangene Zeit verschneit daläge wie die stille, weltvergessene Heide.

 

Am 10. Januar 1530.

Die Mark kommt mir oft wie eine einsame Insel vor, die der liebe Herrgott vergessen hat. Das Wunderlichste ist, daß ich ihm heute zum erstenmal dafür gedankt habe, daß er uns scheinbar so links liegen läßt. Aber das hat seinen guten Grund, und zum wirklichen Vergessen kommt's bei dem, der die Lilien kleidet, nicht, wenn's sich auch nur um die armen Heidekinder der Mark handelt. Wofür wir ihm nun gar nicht genugsam danken können, das ist der Friede, den wir an jedem neuen Jahresanfang als ein Gottesgeschenk mit auf den Weg bekommen, derweil draußen im Reich allerhand Zwist und Unruhe herrscht, und die Leute sich streiten um nichts Geringeres, als um unsern allerheiligsten Glauben. Ganz in der Stille, nach und nach, wie von ungefähr, klingt ein Wörtlein herüber, und die Heidekinder erwägen es in Ruhe, prüfen alles und behalten das beste. Noch ist hier in der Nähe kein lutherischer Gottesdienst gehalten worden, aber man redet davon, daß Albrecht von Magdeburg der Sache gar unentschlossen gegenüber stehe, während Kurfürst Joachim ihr in offener Fehde begegnet. Was die nächsten Jahre uns bringen, weiß Gott. Möge er nur verhüten, daß sie um seines lieben Evangeliums willen mit Feuer und Schwert zu uns kommen!

Im Kloster wird viel von der neuen Lehre gesprochen. Unter den Brüdern ist manch kluger, denkender Kopf, durch fleißig errungenes Wissen bereichert. Benediktus von Alvensleben und Hans Dietrich von Quast sitzen den ganzen Tag über der Übersetzung des Neuen Testaments von Dr. Luther, die lateinische Bibel daneben, und vergleichen und triumphieren, daß nichts Verkehrtes zu finden sei. Ich wehre ihnen das Forschen nicht – mancher Abt würde es rügen – aber, ist's Gottes Werk, kann ich's nicht hindern, ist's Menschenwerk, so wird's gar bald vergehen – auch hab' ich selbst Kopf und Herz voll von diesen Gedanken.

 

Den 20. Juni 1530.

Der Winter ist mir unter fleißigem Studium der heiligen Schrift und gelehrter Bücher der Theologie und Medizin gar schnell vergangen. Auch habe ich den Brüdern über manches Vorlesungen gehalten – das alles hielt mich bei der Arbeit. Auch von Dr. Luther haben wir manches gelesen; wohl gab es Anlaß zu Streit und allerhand Gewissensfragen, aber sind wir denn in der Welt, um im Daunenkissen hinterm Ofen zu träumen?

Ich will gewiß keinen Zwiespalt hervorrufen, aber ich kann meine Anvertrauten nicht vor den Erschütterungen und Stürmen der Welt, in der sie leben, bewahren. Ich müßte denn mit Sack und Pack auf einen andern Stern ziehen, und was hülf' es?

Wenn Gott der Herr uns zu seinem Werke haben wollte, er würde uns ein Halt zurufen, ehe das Schifflein an dem sagenhaften Eiland gelandet wäre.

Nein – nicht fliehen heißt es in der Zeit, in der wir leben, sondern wachen und beten und aufmerken, ob es der Herr und sein Wort ist, der uns gebracht wird. Ist er's, grüßen uns seine wahrhaftigen Boten, so dürfen, so müssen und sollen wir Haus und Herz auftun und ihn auf den Knieen bitten, herein zu kommen, auf den Lippen den Gruß seiner Gemeinde: »Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt!«

 

Den 30. August 1530.

Am 2. August ist Frau Ingeburg von Witzleben eines Söhnleins genesen. Das Kindlein ist schwach und zart und gleich getauft worden, Frau Ingeburgs Leben aber hat an einem Faden gehangen. Jetzt ist sie in der Genesung – Gott sei gedankt dafür!

 

Den 1. September 1530.

Gestern kam ich auf Amtswegen an Schloß Hohenhaus vorüber. Mein Weg führte mich an dem großen Garten vorbei, dessen Ende einen Hügel bildet, auf dem eine Laube von Gaisblatt und weißen Sommerrosen steht. Wie ein Luginsland blickte das luftige Gezelt in die Heide hinaus. Drinnen aber blühte holdes Leben. Auf dem Bänklein saß im weißen Sommerkleide die junge Herrin, ihr neugeborenes Kindlein im Arm. Als sie mich sah, flog ein flüchtiges Rot über das zarte Antlitz der schönen Frau, sie begrüßte mich freundlich und bat mich, meinen heißen Weg in der Mittagssonne etwas zu unterbrechen und mich in der Laube auszuruhen. Ich nahm das Anerbieten dankbar an und setzte mich neben sie und den kleinen Schläfer. Ein zartes Kindlein war's, und ich trug Sorge, ob Gott es ihr lange lassen werde. Sie ließ mir einen kühlen Trunk bringen, und wir sprachen von manchem. Unterdessen staunte ich über Frau Ingeburgs wunderbare Schönheit. Wie eine Waldfee saß sie vor mir im weißen Kleide, ihr Knäblein im Arm. Über einem Häubchen von Goldbrokat hing ein durchsichtiger Schleier, der das dunkle Haar leicht verhüllte. Die Märchenaugen blickten wie sonst träumerisch ins Leben – ein Zug sanfter Trauer lag über ihrem Antlitz, der selbst dann nicht wich, wenn sie sich über ihr Kind beugte und lächelnd mit ihm sprach.

Ich mußte bald weiter, da ich einen langen Heimweg hatte und sie im Kloster meiner warteten. Sie bettete den Kleinen in ein Binsenkörbchen, die Gartenwiege, wie sie es benannte, und legte ihre Hand in meine, als wir Abschied nahmen. Sie schien mir noch etwas sagen zu wollen, leise bewegten sich ihre Lippen, und sie legte die Linke über die Augen.

»Hochwürden,« begann sie, »ich muß Euch noch etwas sagen, ich habe Euch gegenüber etwas auf dem Herzen, was mich lange drückt. Ihr werdet mich für undankbar halten, daß ich nicht wieder zu Euch kam, seit Ihr mir so liebreich geholfen und meinem Kinde den letzten Dienst erwiesen. Es scheint manches im Leben anders, als es in Wahrheit ist, aber daß Ihr mich für undankbar haltet, ertrag' ich nimmer. Laßt es mich Euch frei bekennen: Ich darf nicht wieder zu Euch kommen!«

Sie rang nach Fassung, ihre Gestalt bebte, und sie lehnte sich an einen Baum.

»Ich darf's nicht,« stöhnte sie, »ich weiß Euren Namen! So lange ich nicht wußte, wer Ihr wäret, kam ich ruhigen Herzens – nun ist's unmöglich, Ihr werdet es selbst einsehen und mitfühlen.«

Ich blickte traurig in ihr totenblasses Gesichts

»Vergebt mir diese Beichte – hätte ich schweigen sollen?« fragte sie tonlos nach einer Pause.

»Nein,« sagte ich, »es ist besser, wir wissen beide, wer wir sind – es war groß und tapfer von Euch, edle Frau, und Ihr habt recht. Hättet Ihr meinen Namen nicht gehört, wäre ich Euch vielleicht fremd geblieben, ich selbst wenigstens hätte nichts gesagt, wollt ich doch Euren Frieden nicht stören, und Ihr hättet mich wohl kaum erkannt?«

»Ich war unsicher, bis ich in Eure Augen geschaut, da wußte ich, wem ich gebeichtet hatte,« sagte sie leise. »Könnt Ihr mir alles vergeben?«

»Ich Euch vergeben?« rief ich aus, »bin ich's nicht, dem diese Bitte noch immer auf der Seele lastet? Vergebt Ihr mir!«

Sie reichte mir mit tränenschwerem Blick, die Hände, die Märchenaugen sahen mich mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Trauer an, und ihre Lippen schluchzten: »Bernhardus!«

Einen Augenblick versenkten sich unsere Augen ineinander, dann sagte sie fest: »Lebt wohl, Gott behüte Euch! Ich sehe Euch nie wieder allein, nur heute mußt' ich es – ich konnte, nicht länger.«

»Lebt wohl, Frau Ingeburg,« sagte ich und küßte ihre Hand. »Der Herr lenke Eure und meine Schritte zum Frieden!«

Dann ging ich einsamer denn je, in mein stilles Heidekloster zurück.

 

Den 1. Juni 1531.

Es bricht mir fast das Herz – wieder steht ein kleiner Sarg aus Schloß Hohenhaus in unserer Kapelle, und die junge Herrin ist zum zweitenmal kinderlos! Arme Ingeburg – könnt' ich nur einmal zu dir kommen und dir die Tränen von den Augen wischen! Aber so? – Wie eine Mauer steht dein Hochzeitstag zwischen uns, und deine blassen Lippen sprechen: »Ich sehe Euch nie wieder allein!«

Du Heilige! Ich trage das Ordenskleid, aber lernen könnt' ich von dir bis zum Ende meiner Tage.

 

Den 3. Juli 1531.

Dr. Luthers Worte und Schriften klopfen immer mächtiger an Häuser und Herzen. Das stille Heidekloster sieht wie ein geistiger Waffenplatz aus, voll von Streit und Hader, Auseinanderrennen und Widerspruch, denn dreißig Köpfe sind unmöglich unter einen Hut zu bringen. Dieser redet begeistert für Luther, der rührt seine Schriften nicht an und schwört zu Roms Fahnen, ein dritter verbringt in Schwermut und Zweifel seine Tage.

Zwei haben das Mönchsgewand abgelegt: junge, hochbegabte Gesellen waren es, die Luthers Lehre für die rechte erkannt und sich zu derselben bekannten. Weinend nahmen sie dann Abschied von mir und baten mich, sie nicht für undankbar zu halten. Dann zogen sie nach Wittenberg. –

So sieht's im Kloster Fischbeck aus, und was das Schlimmste ist – das Herz dessen, der alle leiten und stärken sollte, ist voll banger Zweifel und Anfechtung. Ich weiß nicht, ob ich die Kutte noch lange tragen kann und darf, denn es sind arge Zweifel in meiner Seele über die Reinheit der römischen Kirche, über die Lauterkeit ihres Bekenntnisses, über ihre Gerechtigkeit aufgestiegen.

»Allein durch den Glauben! aus Gnaden selig!« sagt Dr. Luther auf Grund der Schrift – aber das wollen sie nicht gelten lassen, und der verfluchte Ablaßkram überschwemmt unser deutsches Land, damit die arme Seele aus dem Fegefeuer springt, in Wahrheit aber, daß der heilige Vater den Säckel immer voll hat. Die Pracht Roms und seiner Vasallen – das wäre meines Erachtens eines von den Kapiteln, die sich ein Mäntelchen umhängen dürften! –

Aber was wettere ich hier in meinen stillen vier Wänden, wo es niemand hört! Auf Wittenbergs Lehrstuhl da predigt der geistesgewaltige Mann, dessen donnerndes Bekenntnis Roms Herrschaft längst ins Schwanken gebracht hat. Wenn andere schweigen wollten, wenn er redete, würde uns manches Unheil erspart bleiben.

 

Den 13. August 1531.

Sybille Mathesius ist auf Schloß Hohenhaus. Gestern kam sie und brachte Eingemachtes für ein krankes Bübchen ins Dorf. Frau Ingeburg kam nicht mit. Ich traf Sybille, als sie heimreiten wollte, und begleitete sie, wie damals, ein Stücklein durch die Kiefern. Die Morgensonne schien freundlich durch das dichte Nadelholz und küßte mit ihren heißen Strahlen das goldene Haar des schönen Mädchens. Ihr Antlitz war noch sehr ernst, aber der herbe, kalte Zug um den Mund war fort – war das Elisabeth von Brandenburgs oder Dr. Luthers Verdienst, der viel bei der hohen Frau in Lichtenberg weilte? –

Sie erzählte mir, daß Ingeburg seit dem Tode ihres Söhnleins leidend sei, und daß Wolf Dietrich sich gar nicht trösten könne. Das mache das Herz seines Weibes noch trauriger, Schloß Hohenhaus habe schon lange keinen frohen Tag mehr gesehen.

»Und wie geht es Euch?« fragte ich, als Sybille ihren Bericht schloß.

»Ich danke Euch, Hochwürden,« sagte sie, »es geht mir gut. Gibt es doch keinen Menschen auf der Welt, bei dem es mir so wohl gefällt, als bei meiner durchlauchtigsten Herrin, ausgenommen Dr. Luther!« setzte sie fröhlich hinzu. »Wenn man ein Leid erlebt hat, so jäh und grauenvoll als das meine, so ist's ein Wunder Gottes, wenn er solch armes Menschenkind, das an seiner Liebe zweifeln und an seiner Gnade verzagen wollte, wieder froh macht und ihm wieder glauben hilft. Noch wunderbarer aber ist's, wenn er Menschenkinder als seine Werkzeuge dazu braucht und durch sie so Großes vollbringt. Die Kurfürstin und Dr. Luther haben schon manches zuwege gebracht, hierin aber haben sie Sonderliches geleistet, ob sie auch nur getan, was sie gemußt und gesollt – im Grunde hat es der Herr getan! Anders wollen sie's auch gar nicht hören, reden sie doch immer, als seien sie die unmündigen Kindlein, die nicht rechts und links unterscheiden können.«

So tönte der Lobgesang auf den Wittenberger Doktor und die kurfürstliche Frau in die Heide hinaus, mitten hindurch aber schwebten andere Klänge jubilierend höher und höher hinauf, bis zur goldenen Pforte droben, die lauteten: »Er hat alles wohlgemacht!« –

»Bleibt Ihr noch länger in märkischen Landen?« fragte ich die Jungfrau beim Abschied.

»Nein, Hochwürden,« lautete die Antwort, und der alte Zug von Trotz und Schmerz schwebte um ihre Lippen, »ich komme überhaupt nur in die Mark, um Ingeburg zu sehen! Weiter habe ich hier nichts Mehr zu tun!« setzte sie weicher hinzu, und die blauen Augen sahen schwermütig über die Heide. »Lebt wohl,« rief sie dann und neigte das blonde Haupt mit dem großen schwarzen Federhut, »lebt wohl, Hochwürden, ich wollte, ich sähe Euch noch einmal im Leben wieder, dann aber nicht als Kuttenträger, sondern als Dr. Luthers getreuen Anhänger – als einen ebenso verfluchten Ketzer, wie ich es bin!« fügte sie übermütig hinzu.

Ein letztes Grüßen, und ihr Traber flog zwischen den grauen Stämmen auf dem moosigen Boden durch das sonnenbeglänzte, schweigende Revier.

 

Den 30. November 1531.

Gestern war ich in Jerichow, um die alte Frau von Gerlach, Ingeburgs Großmutter, zu besuchen – fand sie aber nicht. Ein Bürger des Städtleins sagte mir, sie sei im August mit dem Hoffräulein der Kurfürstin nach Lichtenberg gereist, um Elisabeth, mit der sie als junges Mägdlein befreundet gewesen, wieder zu sehen. Es scheine fast, sie bleibe ganz dort, da sie einen großen Teil ihres Hausrats habe nachkommen lassen und das alte Haus immer noch verschlossen sei. So kehrte ich um; die Linde im Garten der Geliebten trug das weiße Adventsgewand' und streute mir, als ich vorüber kam, einige silberne Flocken in die Kutte, als kenne sie den Knaben wieder, der die kleine Königin geliebt. Von dem alten Kirchturm verkündeten die Glocken das Kommen des Hochgelobten, und droben vom Chor klang lieblicher Gesang von Knaben- und Mädchenstimmen in den Winterabend hinaus: »Hosianna dem Sohne Davids!« Immer wieder jubelten die hellen Stimmen das Lied, damit es morgen am ersten heiligen Advent fröhlich erklingen möge. Die Flocken rieselten sacht hernieder, wie lauter lichte Adventssterne grüßten sie die arme Erde, die so voll Leid und Tränen ist. Doch heute mußte sie froh und hell werden, die kleinen Flocken sorgten für das weiße Kleid, und frühmorgen kam ganz sicher die Sonne, dann konnte sie in strahlender Herrlichkeit den König der Ehren grüßen.

Der Mann in der Kutte wußte auch davon zu erzählen, ob auch sein Herz gar leiderfahren war, – aber er hatte schon oft Advent gefeiert, und in seiner Seele jubelte es auch heute: »Siehe, dein König kommt zu dir!«

 

Den 2. Februar 1532.

Das Jahr hat mit heftigem Schneetreiben begonnen. Ende Januar lagen gar hohe Schanzen um das alte Fischbeck, daß sie uns herausschaufeln mußten. Jetzund sind die Wege wieder frei, aber ein grimmiger Frost umfaßt wie mit eisernen Armen die Erde. Bitter ist's für das arme Volk, für die Fahrenden und das Wild in den Fluren. Wir wandern täglich mit Lebensmitteln für Menschen und Tiere aus, und doch haben wir oft den Kummer, daß uns ein Erfrorenes gebracht wird, der armen Rehlein mit wunden Füßen noch gar nicht zu gedenken. –

Drinnen wogt noch immer der Kampf mit dem Feldgeschrei: »Hie Rom! Hie Wittenberg!«

Gestern kam eine Schar auf mein Gemach und drängte mich, das heilige Abendmahl in beiderlei Gestalt auszuteilen. Ich erklärte ihnen, das sei schier unmöglich – als Abt eines katholischen Mönchsklosters habe ich meinem Eide gemäß zu leben oder das Ordenskleid abzulegen. Da gingen sie schweigend hinaus. Ein junger Mönch aber küßte meine Hand und bat: »Hochwürden, vergebt uns, wenn wir Euch das Leben sauer machen, doch für uns ist es auch nicht leicht, und wir sollen uns an Euch halten.«

Das Herz tat mir weh bei diesen Worten, aber könnt' ich anders handeln?

Herr Gott, laß endlich die Sonne der Gerechtigkeit klar und voll leuchten, auch über dem einsamen Kloster der Heide, daß aller Streit vor ihren goldenen Strahlen wie Morgennebel zerrinnt! –

 

Den 10. September 1532.

Lange schrieb ich nicht – sei mir nicht böse, Frau Ingeburg, daß die Chronika nicht umfangreicher wird, doch das Bild eines Mannes, voll Zweifel und bitterer Kämpfe im Herzen, kann dich nicht freuen. Könnte ich allen Sonnenschein der Welt über deinen blütenlosen Pfaden aufgehen lassen – Gott weiß, wie gern ich's täte! Aber bei uns gibt's höchstens ein duftloses Heidesträußlein, in kalter, nordischer Sonne gezeitigt, und die Seele ist voll Angst und Furcht, wie am Ende der Zeiten.

Zu den Heiligen bete ich schon lange nicht mehr – was soll es, arme, doch auch nur durch Christi Blut gereinigte und begnadigte Sünder um Hülfe anzurufen, anstatt gleich zu ihm zu gehen, der die Versöhnung ist für unsere Schuld! Ich liege längst unter dem Kreuz, aber es ist mir noch, als hinge ein Schleier vor meinen Augen, und ich kann das Bild dessen, der dornengekrönt zwischen Himmel und Erde schwebt, noch nicht voll erkennen. Und wenn ich eben vermeine, ich umfasse ihn ganz, so hör' ich die Heiligen von Verdienst und gutem Werk reden, und die reine Gottesmutter blickt mitleidsvoll auf mich nieder. O, es ist mir wohl bewußt, wenn's nach meinem Verdienst geht, so hat's ein Ende mit der Hoffnung ewigen Lebens. Und wiederum blick' ich empor zu ihm, dessen Blut das einzige Sühnopfer ist im Himmel und auf Erden, Wegzunehmen vieler Sünde, warum nicht auch die meine? Warum soll ich aus Verdienst, aus eigener Kraft selig werden, wo so viel Stärkere unterm Kreuz gekniet und Barmherzigkeit erlangt!? Aber – viele sind berufen – wenige auserwählet! – Das ist das Wort, das mir im Herzen brennt und meine Seele zermartert, als läg ich unter des Satans Hand. – Hat sich die ganze Hölle wider mich verschworen? Sind ihre Giftpfeile mächtiger als Christi Blut? – Ich kann und darf's nicht, – ich will's nicht glauben, denn dann bin ich verloren! Heißt es doch: »Auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden!« Daran halte ich mich – bin ich doch wie ein Versinkender – aber im Meer steht ein Felsen und ein Kreuz darauf, das strahlt in Sturm und Wetter, wie der Leuchtturm den verirrten Schiffern der See; und wer diesen Felsen erklimmt und das Kreuz umklammert hält, der hat Ruhe und Frieden – ob die Wogen greulich brausen, der Herr ist noch größer in der Höhe! –

 

Am 20. Oktober 1532.

Von den Bäumen fallen die Blätter. Die Zugvögel sind fort, und schauernd beben die kahlen Zweiglein in rauher Luft.

Wie ein Spätherbsttag liegt das Leben vor mir, und mein Herz ist einsamer denn je. Frau Ingeburg sah ich nimmer; leichtlich ist's das Herzeleid und Vermissen, das sie auf einsamer Scholle festhält. –

Die Zahl der Klosterbrüder hat sich vermindert – einer nach dem anderen zieht hinaus, um Licht und Freiheit in Wittenberg zu suchen. Nur die Alten bleiben. »Im weißen Haar sei ein Wechsel gar beschwerlich, und zum Seligwerden nimmer von nöten,« meinte der Pförtner, als letzthin ihrer dreie das Klosterkleid ablegten und Fischbeck verließen. Der Herr belasse den treuen Alten in Frieden in seinem Glauben; wer in unserer Kirche das Heil gefunden und ohne Kampf und Zweifel seine Straße ziehen kann, der wird meines Erachtens sicherlich selig darinnen! Wie oft sehn' ich die Zeit zurück, da ihr Wort mir eitel Wahrheit war, da kein Zweifel an die Botschaft Roms in meiner Seele lebte! – – Wie anders steht's heut um mich: mit offenen Augen seh' ich die Sünden der Diener der Kirche und das Lügengewebe ihrer Heuchelei, damit sie ein armes, blindes Volk umgarnen, bis es, ihnen vertrauend, in die Falle geht, und oft Gut und Blut daran setzt, bis es die Hüter seiner heiligsten Rechte in ihrer wahren Gestalt erkennt, – mit offenen Augen seh' ich meine Sünde, die meine Seele in eiserner Knechtschaft hält und ihr den Weg zu dem verlegt, den sie mit brennender Sehnsucht sucht, – und mit offenen Augen sehe ich's – und mein Herz möchte jauchzen, so oft ihm ein Strahl dieser Erkenntnis leuchtet – daß der »Frieden allein unter dem Kreuz wohnt, wo der Heiland mit ausgebreiteten Armen hängt, und das Verachtetste zu sich zieht in heiliger Liebe. Ihn selber muß ich haben, muß ihm nahen dürfen ohne fremde Fürsprach' und Fürbitte – und ob ich in Buß' und Reu' vor ihn hintreten soll, ob er nichts Gutes an mir findet – der Heiland, der dem Schächer am Kreuz das Paradies verheißen, – er selbst mit seinem heiligen Blute muß auch mich erlösen – aus Gnaden!

Ob die ganze Welt den Mönch zu Wittenberg schmäht – er hat dennoch recht; und ob nur eine Seele durch seine Botschaft den Frieden fände – er bleibt der Wegbereiter des Herrn, der das Licht des reinen Evangeliums wieder auf den Leuchter gesteckt, daß alle Welt in seinem Glanze wandele.

 

Den 13. November 1532.

Ob die Zeit der Kämpfe auf Erden ein Ende nimmt – ich glaub' es nicht. Lang' hab' ich gestritten und gerungen um das höchste Kleinod – viel länger und härter, als du es weißt, Ingeburg – denn ob ich sonst des Schreibens und Erzählens nicht unkundig bin – von meines Herzens Kampf und Leid zu reden, bleibt mir ein gar beschwerlich Ding. Derhalben ich auch in der Chronik nur ein gering Teil meiner Sorgen vermeldet – vergib, Geliebte, – doch was den Menschen am tiefsten bewegt, das bleibt zwischen der Seele und ihrem Gott allein. Auch würd's dich nicht freuen, ja, ich möchte besorgen, die Zweifel des schwankenden Mannes könnten auch dein Herz bang und irre machen. –

So leb denn wohl – der Hochgelobte helfe dir zum Frieden – was gäb' ich darum, könnt' ich dir das Kleinod des Evangeliums entgegentragen, fröhlichen Herzens, in lebendigem Glauben! Oft denk' ich, ich müßte durchbrechen, müßte meine Bande zerreißen – dann aber tritt Rom mir mit seiner Werkgerechtigkeit entgegen und droht mir mit ewigem Verderben, so ich den Schoß der Kirche verließe. – So steht's um mich. Bis ich im klaren bin, bis ich das Licht meiner Seele gefunden, bis ich den Heiland, der mich frei, ledig und los machen will, fest umfasse, – bis dahin schließ' ich dies Buch, daß dein und mein Friede bewahrt bleibe.

 

Den 8. Dezember 1532.

Gott sei gelobt! ich bin frei! In Wittenberg bin ich gewesen, dreimal hintereinander, und habe in der Schloßkirche gesessen und den Gottesmann predigen gehört und die Welt ringsum vergessen! Vergessen mein Leid, das harte, das mein Leben einsam gemacht, vergessen, daß ich Mönch und der Abt eines katholischen Klosters bin – vergessen alles, was um mich her vorging.

Aber eins habe ich gelernt, erfahren, im innersten Herzen lebendig erfaßt, um's ewig zu behalten: Daß Jesus Christus, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, mein Herr ist. Das war's, was mich zurückgehalten hat in Ängsten und Zweifeln, daß ich den Jammer meiner eigenen Sünde noch nicht als die erdrückende Last, als die Schuld ohnegleichen empfand, daß ich noch nicht zerbrochen vor ihm im Staube lag, als ein ganz armer Sünder, ohne alle eigene Gerechtigkeit, Tugend und Verdienst. Es konnte ja nicht anders sein, ich mußte ja auf solcherlei Weise in Not und Zweifel geraten – Gott sei gelobt, der mich in meiner Angst hierher getrieben! Der Strick ist los, die Ketten gesprengt, und meine Seele weiß, daß sie Flügel hat, die sie dereinst hinauftragen zu ihm, der sie mit seinem teuren Blute errungen und frei gemacht hat aus Gnaden. –

Dr. Luther habe ich in seinen vier Wänden gegrüßt und habe ihm beim Abschied die Hände gedrückt in stillem, tiefem Dank, daheim aber habe ich auf meinen Knieen gelegen und könnt nicht aufhören mit Loben und Anbeten, denn in meiner Seele war der Bann gebrochen, die Schwalbe hatte ihr Haus gefunden, und mein Herz jubelte: »Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn gehet auf über dir!«


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