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Zweites Kapitel.
Bruder Bernhardus.

Aus jedem Aug' voll Leid und Tränen
Blickt dich dein Herr und Heiland an
Und forscht und fragt dein Herz ganz leise,
Was es ihm heut zu Lieb getan.

Der junge Mönch, dem Alexander Mathesius am heiligen Christabend das Ordenskleid gegeben, war bald der Liebling des ganzen Klosters. Er diente demselben als Arzt und zog auch mit seiner Wissenschaft aus in die nächstliegenden Dörfer, arme Kranke, die mittellos und hülflos daniederlagen, zu heilen. Oft klopfte es am Klostertor, und ein blasses Kind, dessen Mutter krank lag, fragte nach Bruder Bernhardus, oder ein Wandersmann mit wunden Füßen bat den heilkundigen Mönch um ein Pflaster. Immer war er freundlich bereit, zu helfen, zu verbinden oder gleich mitzuwandern, wo es not tat; ob es draußen stürmte und schneite, war einerlei – im Herzen des Bernhardus stand ein Spruch geschrieben, der hieß: »Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet!« Danach hatte er sein Leben eingerichtet.

Wohl gelehrt und edler Weisheit kundig, offenen Auges für alles, was um ihn her vorging, immer bereit, mit seinem Wissen und Vermögen andern, ohne sich damit hervorzutun, zu dienen, bildete er bald den Mittelpunkt der Brüderschar, und als nach einigen Jahren der greise Abt die Augen schloß, wurde einstimmig Bernhardus von Ribbeck zu seinem Nachfolger gewählt. Es wurde ihm schwer, die Würde anzunehmen, waren doch fast alle Brüder älter als er, und manch ehrwürdig Haupt mit weißem Haar war darunter. Als aber einer der ergrauten Mönche nach dem andern kam und dem jungen Genossen mit herzlichen Bitten zuredete, gab er schließlich nach und wurde im Jahre des Heils 1528, am Vorabend des heiligen Christfestes, zum Abt von Fischbeck geweiht. Es war ein feierlicher Augenblick, als der Erzbischof Albrecht von Magdeburg die Weihe vollzog und dem jungen Abt das Gelübde abnahm, vor dem Angesicht des Allerhöchsten in seinem Beruf zu wandeln. Die Augen auf das Kreuzbild des Herrn gerichtet, trat er zum erstenmal in den Altar, um das Hochamt zu halten. Seine erste Predigt in der Frühe des Christtages grüßte das Kind von Bethlehem – licht und klar drangen die schlichten Worte in jede Seele, ein Kindesherz hätten sie erquicken können, und als das Amen verhallt war, tönte wie sonst das Lieblingslied des seligen Abtes, das seinem jungen Nachfolger zum Frieden geholfen hatte, von den Lippen der Brüder.

* * *

Dreimal hatten seit jener Feier die Mönche von Fischbeck das himmlische Kind mit dem Christpsalm Dr. Luthers gegrüßt; in die verschneite Heide hinaus war's erklungen, wie der Gesang der himmlischen Heerscharen. Die Stimme des Abtes war immer die hellste gewesen, und aus seinen Augen leuchtete der Wiederschein des Sternes, der den Hirten von Bethlehem gestrahlt. Fast hätte man denken können, er habe sein Leid vergessen, aber wer ihn kannte, wußte, daß er es nur an der Krippe jenes Kindes niedergelegt, dessen Licht seine Seele erfüllte.

Bernhardus von Ribbeck hatte das Mägdlein mit den Märchenaugen nicht vergessen, und es kamen heiße Stunden über ihn, wo er mit seinem Gott streiten wollte, daß er sie nicht am Herzen halten durfte; aber er behütete sein Herz wie einen Juwel und ließ nichts aus noch ein, außer der lichten Gestalt dessen, der ihm in der schwersten Stunde seines Lebens den Frieden gebracht, und so war und blieb das Ende all seiner Kämpfe: »Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.«

* * *

Der Lenz des Jahres 1532 war hereingebrochen, die Turteltauben girrten in den Kronen der stillen Heidewälder, und die Lerche verkündete dem Wandersmann immer von neuem, wie wunderlieblich der liebe Gott die Erde gemacht. Es war ein weiser Gedanke von der jungen Sängerin, nimmt's doch manch einer nicht wahr, wie schön die Welt für ihn geschaffen, geht mit verdrießlichem Gesicht durch den schönen Lenz und hat keinen fröhlichen Blick, geschweige ein Dankeswörtlein für den gütigen Schöpfer Himmels und der Erden. –

Bernhardus von Ribbeck saß in seinem Gemach über der Chronika. Manches hatte er erlebt, manches erlitten und gelernt in den langen Jahren, da er als Mönch und Abt in Fischbeck war – über manches hatte auch sein Herz erfreut, und jeder dankende Blick eines Sterbenden, jedes Herz, das seine Seelsorge gestärkt und erquickt, jedes »Gottvergelt's, Hochwürden,« aus dem Munde eines Armen war ihm wie eine Frühlingsblume, die Gottes Sonne geküßt. Heute blickte er in die vergilbten Blätter, während draußen die Bienen in der Klosterlinde summten. Daneben lag noch ein Büchlein, kleiner als die Klosterchronika, in violettem Sammet, mit Silber beschlagen, das war Bernhardus' eigene kleine Chronik – die Geschichte seines Lebens und seiner Liebe. Vorne drin stand in roten Lettern:

 

»Der Frau Ingeburg von Witzleben
nach meinem Abscheiden zu übersenden.«

Bernhardus von Ribbeck,
Abt zu Fischbeck.

 

Es war das Vermächtnis des Mönchs an die Geliebte. Selten schrieb er darein; nur wichtige Daten und was sonst sein und ihr Herz bewegen mochte, fanden sich in dem Büchlein verzeichnet.

Er schlug die Blätter zurück, bis auf den Tag, da er zum Abt geweiht war, und vertiefte sich in Erinnerungen.


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