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Ein Gemach im Schlosse.
Arkel, Golo und der Arzt in der Ecke des Zimmers, Melisande liegt ausgestreckt auf dem Bett.
Der Arzt
Sicher nicht durch diese unscheinbare Wunde findet sie den Tod; nicht ein Vöglein stürbe daran nimmermehr seid Ihr schuld an ihrem Tod, gnädigster Herr; darum bekämpfet Euren Gram ... auch ist's noch nicht gesagt, daß sie nicht am Leben bleibt ...
Arkel
Nein, nein, auf uns lastet unwillkürlich ein zu ängstliches Schweigen, ein düsteres Zeichen ... Seht nur hier, wie sie da schläft ... regungslos, regungslos ... ihre Seele erstarrt für ewige Zeit ...
Golo
Schuldlos traf sie mein Schwert! Oh, das könnte wohl starren Felsen Tränen entlocken! ... Sie liebkosten sich harmlos nach kleiner Kinder Art ... wie Geschwister es tun ... Und ich ... ohne Besinnung! ... Wider Willen hab ich es getan ... wider Willen tat ich's.
Der Arzt
Merket auf, mir scheint, sie wird erwachen ...
Melisande
Öffnet das Fenster ... öffnet das Fenster ...
Arkel
Genügt dir dieses Fenster hier, Melisande?
Melisande
Nein, nein, dort das große Fenster ... ich will schaun!
Arkel
Ist denn die Brise des Meeres nicht zu kühl für dich?
Der Arzt
Öffnet, öffnet ...
Melisande
Habt Dank ... Ist das die sinkende Sonne?
Arkel
Ja; es ist die Sonne, die sinket in das Meer; es ist spät! – Wie fühlest du dich jetzt, Melisande?
Melisande
Gut, gut! – Doch warum fraget Ihr darnach? Hab ich mich doch besser nie befunden ... – Doch bedünken will es mich, daß wohl etwas geschehn ist ...
Arkel
Was geschehn? – Ich verstehe dich nicht ...
Melisande
Selber versteh ich nicht mehr, was eben ich sprach, sehet nur ... auch was ich rede, weiß ich nicht ... und was ich wußte, weiß ich nicht ... ich sage nicht mehr, was ich will .
Arkel
Oh doch, oh doch ... Ich bin ja so froh, wenn ich höre, wie du so sprichst; hatte dich doch manchmal erfaßt ein Fieberwahn, und man verstand dich gar nicht mehr ... Siehst du, und jetzt ist das alles vorbei! ...
Melisande
Ich weiß es nicht ... Seid Ihr allein hier im Zimmer, Großvater?
Arkel
Nein, im Zimmer verweilet noch der Arzt, der dich geheilt hat ...
Melisande
Ah ..
Arkel
... und dann ist auch noch ein anderer da ...
Melisande
Wer ist es?
Arkel
's ist ... aber erschrick mir nur nicht ... tut er dir doch gar nichts zu leid, sei versichert ... und hast du Furcht, so geht er fort ... er ist niedergedrückt ...
Melisande
Wer ist es?
Arkel
's ist ... 's ist dein Gemahl ... Golo ist's.
Melisande
Wie, Golo ist hier? Warum hält er sich mir so fern?
Golo sich zum Bett schleppend
Melisande, Melisande!
Melisande
Golo, mein Gemahl? Hab ich dich doch beinahe nicht erkannt ... 's ist, weil ich in die Abendsonne geblickt ... Warum ist denn dein Blick so scheu? Du scheinst eingefallen und matt ... Ist es lange her, seit wir uns nicht gesehn?
Golo zu Arkel und zum Arzt
Bitte laßt uns nur ein wenig allein, versagt es mir nicht ... auf jeden Fall laß ich die Tür weit offen ... einen Augenblick nur ... denn ich möchte ihr noch etwas sagen; nimmermehr fänd ich Ruhe sonst im Grab ... Wollt ihr? – Nur ein Weilchen, dann kehret ihr wieder ... Schlaget die Bitte mir nicht ab ... gar zu elend bin ich ... Arkel und der Arzt ab – Melisande, hast du Mitleid mit mir, wie ich es empfand für dich? Melisande... willst du mir verzeihn, Melisande?
Melisande
Ja, ja, ich will verzeihen ... doch was soll ich verzeihn?
Golo
Ich tat dir viel zu leid, Melisande. Und ich kann dir nicht sagen das Leid, das ich schuf ... Doch seh ich klar, ich erkenn es heute klarer als je ... seit zuerst ich dich sah ... Ich selbst hab es verschuldet, das alles, was schon geschah, ... das, was geschehen noch wird ... Könnt ich alles dir sagen, sähest du klar, wie ich es seh, hell und klar, hell und klar! ... Doch ich liebte dich! ... ich liebte dich! ... Doch jetzt erleidet einer den Tod ... Ich bin's, der sterben will ... Und noch wissen möcht ich ... dich befragen möchte ich . Bist du mir auch nicht gram? ... Nur die lautre Wahrheit sag an: Einem, der zum Tode geht ... daß die Wahrheit ihm werd offenbar, denn er fände ja keine Ruh' im Grab ... Sprich, schwörest du, daß du die Wahrheit mir sagst?
Melisande
Ja!
Golo
Hast Pelleas du geliebt?
Melisande
Gewiß! Ich liebte ihn! Wo ist er?
Golo
Nein, du verstehst mich nicht, – oder willst mich nicht verstehen ... Wie mir scheinet ... mich bedünket ... Nun gut, hör an: Ich frage dich, ob du ihn mit verbotener Liebe geliebt? ... Sag an ... habt ihr euch an mir versündigt? Sprich, sprich, ja, ja, ja?
Melisande
Nein, nein, wir haben niemals uns vergangen. – Doch warum fragst du darnach?
Golo
Melisande! ... Die volle Wahrheit sag ... beim ew'gen Gott!
Melisande
Warum hätt ich die Wahrheit nicht gesagt?
Golo
Lüge jetzt nicht mehr, wo der Tod nahe ist!
Melisande
Wer ist dem Tode denn nah? ... Sag, bin ich's?
Golo
Du ... du und ich ... ich ja auch, gleich nach dir! ... Nur noch die Wahrheit brauchen wir ... endlich muß die Wahrheit an den Tag, hörest du! ... Alles, sag alles mir, daß alles ich verzeih! ...
Melisande
Warum naht mir der Tod? ... Nimmer wußt ich davon ...
Golo
Nun so wisse es jetzt ... es ist Zeit! ... Schleunig! schleunig! ... Künde sofort die Wahrheit! ...
Melisande
... die Wahrheit dir? ... die Wahrheit dir?
Golo
Komm zu dir, Melisande! ... Komm zu dir! ... Sag, wo bist du denn jetzt? Melisande, sag an! ... Er gewahrt Arkel und den Arzt an der Schwelle des Zimmers. Gut, gut, so kommt nur herein ... Sie sagte nichts, es ist ja nutzlos ... ihr Geist ist schon zu weit von uns ... Und ich erfahr es nie! ... Und so werd ich hier sterben wie ein Blinder! ...
Arkel
Was tatest du? ... ach, du tötest sie noch ...
Golo
Schon hab ich sie getötet ...
Arkel
Melisande ...
Melisande
Großvater, seid Ihr es?
Arkel
Ja, mein Liebling ... Was willst du, daß ich tun soll?
Melisande
Ist es wahr, daß der Winter anbricht?
Arkel
Und warum fragst du danach?
Melisande
Es ist so kalt, und ich sehe keine Blätter ..
Arkel
Dir ist kalt? ... Willst du, daß man die Fenster schließe ...
Melisande
Nein ... laßt sie offen, bis die Sonne versunken im Meer. – Langsam sinkt sie hinab, so ist nun der Winter gekommen?
Arkel
Du liebst den Winter nicht?
Melisande
Oh nein ... Ich fürchte mich vor dem eisigen Frost .
Arkel
Du fühlst dich wohl?
Melisande
Ja, ja; da die Angst und Qual von mir gewichen ...
Arkel
Willst dein Kind du nicht sehn?
Melisande
Welches Kind?
Arkel
Dein Kind, deine kleine Tochter ...
Melisande
Sagt, wo ist sie?
Arkel
Sie ist hier ...
Melisande
Ach, wie seltsam ... Die Arme heben kann ich nicht, sie zu fassen ...
Arkel
Das ist nur, weil du dich noch schwach fühlst ... Für dich will ich sie halten; o sieh nur ...
Melisande
Sie ist gar zu ernst ... dabei so schwächlich ... und das Weinen steht ihr nah ... wie sie mich jammert ... Nach und nach füllt sich das Zimmer mit den Dienerinnen des Schlosses, die sich längs der Wände aufstellen und in Schweigen verharren.
Golo brüsk auffahrend
Was ist los? Was für ein Aufzug! Was wollen all die Weiber hier? ...
Der Arzt
Es sind Eure Mägde ...
Arkel
Wer hat sie denn hierher gerufen?
Der Arzt
Ich sicher nicht! ...
Golo
Warum kamet ihr hierher? – Es hat euch ja doch niemand gerufen ... Was wollt ihr hier bei uns tun? Was soll es denn damit? Gebt Bescheid ... Die Dienerinnen antworten nicht.
Arkel
Mein Sohn, sprich nicht zu laut ... sie befiel der Schlaf; ihre Augen sind zu ...
Golo
Sollte sie? ...
Der Arzt
Nein, nein, o seht, wie sie noch atmet ...
Arkel
Dem Aug entquillen Tränen. Es sind Tränen der weinenden Seele ... Warum streckt sie so die Arme aus? Was verlangt sie?
Der Arzt
Nach ihrem Kinde sicher ... heftig kämpft in ihr die Mutter gegen ...
Golo
Wie, schon so bald? ach, schon so bald? – Saget die Wahrheit, redet, redet ...
Der Arzt
Vielleicht wohl ...
Golo
Unaufhaltsam? ... Oh, ... Ach, ich muß ihr noch sagen ... Melisande! Melisande! ... Laßt uns allein ... ich muß allein mit ihr bleiben! ...
Arkel
Nein, nein, kommt näher nicht ... Erwecke sie nicht durch ein fruchtlos Wort ... Du vermissest nicht der entschwindenden Seele ...
Golo
Hab ich es verschuldet? ... Ich hab's nicht verschuldet!
Arkel
O gib acht ... o gib acht ... Wir müssen leiser noch sprechen, leiser noch ... Nichts hemme mehr ihren Flug ... Denn die Seele des Menschen ist schweigsam ... trachtet ohne Geleit zu entschweben ... scheu und zaghaft duldet sie ihr Leid ... Doch unsre Trauer, Golo ... Ach, unsre Trauer an allem, was wir sehn ... Oh! Oh! ... Plötzlich sinken alle Dienerinnen im Hintergrunde des Zimmers auf die Kniee. Arkel wendet sich um: Nun, was ist?
Der Arzt
nähert sich dem Bett und betastet den Körper
Ja, sie haben recht ...
Arkel
Sah ich doch nichts ... Seid Ihr gewiß?
Der Arzt
Ja, ja!
Arkel
Und ich hörte doch nichts ... so schnell, so plötzlich ... Lautlos ist sie verschieden .
Golo schluchzend
Oh! Oh! ...
Arkel
O bleibe jetzt nicht hier, Golo ... Tiefes Schweigen fortan ehre sie ... So komme hinweg ... Es ist furchtbar, doch ist es nicht deine Schuld ... Dieses liebliche Wesen war so ruhig, so schüchtern und so schweigsam ... Ja, dieses arme kleine Wesen war voller Rätsel, wie wir alle ... Wie sie ruht, als wäre sie die ältere Schwester ihres Kindes ... So komm ... Auch das Töchterchen darf bleiben nicht im Totenzimmer ... Das Kind soll leben an der Mutter Stelle ... ihm bestimmte das Schicksal zu leben ...
ENDE