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Ein Springbrunnen im Park.
Pelleas und Melisande treten auf.
Pelleas
Unkund ist es Euch, wohin ich Euch geleitet! Häufig zur Mittagszeit such Zuflucht ich hier, wenn es wird zu heiß im Park am Schloss. Dumpf ist's heute, gar schwül auch im Schatten der Bäume.
Melisande
Klar ist das Wasser ...
Pelleas
Es ist frisch und kühl wie der Schnee. 's ist eine alte verlassene Fontäne. Wie man sagt, sprudelt' einst hier eine wundertätige Quelle, alle Blinden machte sie sehend; die Quelle der Blinden heißt sie noch heut im Volk.
Melisande
Öffnet sie nicht mehr die Augen der Blinden?
Pelleas
Seitdem unser alter König beinah erblindet, ist sie versiegt ...
Melisande
Wie es einsam hier ist ... nichts reget sich.
Pelleas
Hier an diesem Ort herrschet stets ein grausiges Schweigen. Man belauscht des Wassers Schlaf ... Wollt Ihr Euch setzen an den Rand des marmornen Beckens? Durch der schattigen Linde dichtes Laub dringet kein Strahl! ...
Melisande
Ich lehne mich über den Marmor, zu schauen auf des Marmors Grund ...
Pelleas
Niemand hat ihn erschaut. Dies Wasser ist wohl unergründlich wie das Meer.
Melisande
Doch wenn ein Kleinod glänzt auf dem Grund, so würde man es sehen ...
Pelleas
Neigt Euch nicht zu sehr hinab ...
Melisande
Gern berührt' ich das Naß ...
Pelleas
Seht Euch vor, daß nicht Ihr gleitet ... ich halte Euch fest an der Hand ...
Melisande
Nein, nein, laßt die Hände mich tauchen hinein ... Meine Hände sehen heute so kränklich aus und blass ...
Pelleas
Oh! Oh! Seid behutsam! Seid behutsam! Melisande! Melisande ... Oh! Eure langen Haare ...
Melisande richtet sich auf
Ich kann es nicht, kann den Quell nicht erreichen!
Pelleas
Doch Euer Haar tauchte in den Quell ...
Melisande
Ja, reicht es doch über den Arm ... 's ist länger als ich selbst ...
Pelleas
War's nicht auch an einer Quelle Rand, wo er einst Euch fand?
Melisande
Ja!
Pelleas
Was sprach er zu Euch?
Melisande
Nichts; – ich entsinne mich nicht mehr ...
Pelleas
Trat er dicht an Euch heran?
Melisande
Ja, auch küssen wollt er mich ...
Pelleas
Das habt Ihr nicht gewollt?
Melisande
Nein!
Pelleas
Und warum wolltet Ihr nicht?
Melisande
Oh seht! Eben sah ich was sich regen auf dem Grund ...
Pelleas
Seid behutsam! Seid behutsam! Fallt nicht hinein! Womit spielet Ihr da?
Melisande
Es ist der Ring, den er mir gab ...
Pelleas
Spielet nicht mit dem kostbaren Ring über der Tiefe ...
Melisande
Nicht zittert mir die Hand ...
Pelleas
Wie er funkelt und blitzt! Werfet ihn doch nicht so hoch in die Luft!
Melisande
Oh!
Pelleas
Er fiel hinein!
Melisande
In den Quell fiel der Ring!
Pelleas
Seht Ihr ihn? Seht Ihr ihn?
Melisande
Nicht sah hinab ich ihn sinken.
Pelleas
Glänzen sah ich ihn dort!
Melisande
Mein Ringlein?
Pelleas
Ja, ja; seht hin ...
Melisande
Oh! Oh! So unerreichbar weit! ... Nein, nein, das ist der Ring nicht, das ist mein Ring nicht. Er ist dahin ... verloren! Nur noch ein Kreis blieb im Wasser vom Ring ... Ach, was sollen wir jetzt tun?
Pelleas
Laßt nicht gleich sinken allen Mut wegen des Ringes. Fasset Euch, am Ende finden wir ihn wieder, wo nicht, so finden wir wohl einen andern.
Melisande
Nein, nein, wir finden diesen Ring nicht mehr, und nie finden einen andern wir mehr ... Mir schien es doch, ich hielt ihn fest in der Hand ... Fest schloß ich beide Hände zu, und dennoch entglitt mir der Ring ... den ich zu hoch geworfen zur Sonne empor.
Pelleas
So kommt, wir suchen ihn ein andermal. Doch jetzt laßt uns gehen. Man könnte uns vielleicht begegnen. Es schlug grad Mittag, da fiel Euch der Ring in den Quell.
Melisande
Doch was sag ich meinem Mann, wenn er frägt, wo er ist?
Pelleas
Wahrheit allein, die Wahrheit nur ... Beide ab.
Ein Gemach im Schlosse.
Golo aufs Bett hingestreckt, Melisande steht an seinem Kopfkissen
Golo
Nun! nun! 's ist nicht schlimm, es lief noch gnädig ab. Immer noch rätselhaft ist es mir, wie das so alles kam. Ruhig jagte ich für mich im dichten Wald. Plötzlich bäumte sich mein Pferd unter mir ohne Grund ... Sah es wohl etwas Seltsames, daß es erschreckte? ... Eben aus der Ferne vernahm ich grad das Mittagsgeläut. Sobald es zu End, macht es einen jähen Satz und läuft grad wie besessen gegen die Bäume! Weiß ich doch nicht, was dann weiter geschah. Ich fiel herab, wahrscheinlich kam ich unter das Pferd, war mir doch grad, als ob der ganze Wald über mir läge, war mir doch grad, als sei das Herz mir zerstückt. Doch mein Herz ist in Ordnung. Wie es scheint, ist es nicht schlimm ...
Melisande
Wünscht Ihr nicht einen Trunk?
Golo
Schön Dank! Hab' keinen Durst.
Melisande
Wünscht ein andres Kissen Ihr nicht? ... Ich gewahre einen kleinen Flecken von Blut auf diesem hier.
Golo
Nein; es lohnt sich nicht der Mühe.
Melisande
Ist es auch wahr? ... Ihr leidet nicht zu sehr?
Golo
Nein, nein, litt ich doch viel Schlimmeres. Ich bin stark wie Eisen und Stahl.
Melisande
Schließet die Augen und sinket in Schlaf. Ich bleibe bei Euch die ganze Nacht ...
Golo
Nein, nein, ich will es nicht, daß du dich abquälest für mich. Ich brauche weiter nichts; bald werd ich schlummern wie ein Kind ... Sag, was gibt's, Melisande! Warum brichst du in Tränen aus?
Melisande bricht in Tränen aus
Ich bin ... ich fühl mich hier nicht wohl ...
Golo
Dir ist nicht wohl hier? Woran liegt's, sag es mir, Melisande?
Melisande
Ich weiß es nicht ... ich fühl mich hier nicht wohl. Lieber will ich alles Euch gestehen; O Herr, ich fühle mich nicht glücklich hier ...
Golo
Sag, was ist denn geschehen? Hat jemand dich gekränkt? Wer nur könnte beleidigen dich?
Melisande
Nein, nein, kein Mensch hat das Geringste mir getan ... das meine ich nicht.
Golo
O, du suchst etwas mir zu verbergen? Sag die ganze Wahrheit mir doch, Melisande ... Ist es der König? Ist's meine Mutter? Ist es Pelleas?
Melisande
O nein, es ist nicht Pelleas. Mich kränkt niemand . ach, Ihr könnt mich nimmer verstehn ... Mich quält ein Leid, das viel stärker ist, als ich ...
Golo
Je nun; sei vernünftig, Melisande. Was willst du, daß ich tue? Du bist nicht mehr ein Kind. Willst du etwa dich trennen von mir?
Melisande
O nein, das meine ich nicht. Niemals würde ich gehn ohne Euch ... doch nicht hier wünscht ich länger zu leben .. denn bleib ich hier, so leb ich nicht mehr lang ...
Golo
Nun, so künde, welch ein Grund treibt dich fort? Du bist doch nicht von Sinnen ...oder plagt dich ein kindischer Traum!? Vielleicht ist es Pelleas? Sei offen! Wie mir scheint, spricht nur wenig er mit dir.
Melisande
Nicht doch, manchmal spricht er mit mir. Wenig liebt er mich, mir deucht; mir verriet es sein Blick ... Zwar spricht er mit mir, so oft er mir begegnet ...
Golo
Sei ihm deswegen nur nicht gram, war er doch stets ein wenig scheu, ja, er ist etwas seltsam, das gibt sich bald, du wirst sehn, er ist jung noch.
Melisande
Das alles mein ich nicht ... nein, das mein ich nicht ...
Golo
Nun was denn? Kannst du dich nicht gewöhnen ans. Leben hier im Schloss? Ist's zu traurig denn hier? Allerdings ist dieses Schloß schon sehr alt und sehr düster ... auch liegt es frostig und versteckt. Die Bewohner sind alle schon sehr bejahrt. Auch das Gelände scheinet traurig dir wohl mit den Wäldern überall, mit den wildverwachsenen, lichtlosen Wäldern. Doch auch heiter sieht alles sich an, wenn man will, obschon die Freude, die Freude hier uns ein seltener Gast. Doch sage mir nur etwas, ja gleichviel was: gern tu alles ich, was du verlangst ...
Melisande
Ja, ich weiß, nimmer sieht man hier des Himmels Blau. Heute früh hab ich zum erstenmal es gesehen.
Golo
Das also hat dir Tränen entlockt, du arme Melisande? Ist es wirklich nur das? Du weinst, weil du nicht den Himmel siehst? Nun, nun, bist doch nicht so jung, um über so etwas zu weinen ... Steht nicht der Sommer vor der Tür, wo den Himmel du täglich siehst? Und dann im nächsten Jahre ... Wohlan, gib mir deine Hand, reich die kleinen weißen Hände mir! Er ergreift die Hände. Oh! diese kleinen Hände, die ich zerdrücken möcht wie Blütenschnee ... Halt! Wo ist der Ring, den ich damals dir gab?
Melisande
Der Ring?
Golo
Ja, wo hast du ihn gelassen, deinen Trauring?
Melisande
Mir deucht, daß vom Finger er glitt.
Golo
Vom Finger? Und wo glitt er vorn Finger? Du hast ihn wohl verloren?
Melisande
Nein; er ist mir entglitten ... ist mir vom Finger geglitten ... doch ich weiß, wo er ist.
Golo
Und wo ist er?
Melisande
Euch ist bekannt ... Euch ist bekannt jene Grotte am Meer ... Nun ja, dort war's, dort an der Grotte war's ... Ja, ja, ich weiß es wieder. Ich ging heut morgen dahin. Für Yniold, Euer kleines Söhnchen, las Muscheln ich am Strand ... Man findet schöne daselbst ... mir entglitt dabei der Ring ... und dann nahte die Flut, ich mußt von hinnen gehen, bevor ich ihn wiedergefunden.
Golo
Bist du des auch ganz gewiß?
Melisande
Ja, ja, ich bin ganz sicher ...gleiten fühlt ich ihn noch ...
Golo
Nun dann, such diesen Ring augenblicklich!
Melisande
Suchen ihn ... augenblicklich ... im Dunkel der Nacht?
Golo
Du suchst ihn sogleich, trotz der dunklen Nacht ... Eher gab ich mein Alles hin, mein Hab und Gut, eh den kostbaren Ring ich vermißte ... Kennst du doch nicht seinen Wert, weißt du doch nicht, woher er stammt. Die Meeresflut steigt hoch in dieser Nacht, das Meer spület leicht ihn hinweg ... beeile dich.
Melisande
Wag ich doch nicht ... so ganz allein hinzugehen ..
Golo
Geh hin, geh hin und nimm noch jemand mit. Doch gehen mußt du jetzt augenblicklich, hörst du? Zaudre nicht und bitte Pelleas, daß er gehe mit dir.
Melisande
Pelleas? Pelleas mit mir? Doch Pelleas will sicher nicht.
Golo
Pelleas tut dir alles, um was du ihn bittest. Kenn ihn doch weit besser als du. Geh hin, eile dich. Nicht werd ich schlafen, bis den Ring ich wiedersehe.
Melisande
Oh hier ... nimmer fühl ich mich glücklich, ich fühle mich nicht glücklich. Sie geht weinend ab.
Vor einer Felsgrotte.
Pelleas und Melisande treten auf.
Pelleas in großer Erregung
Es ist hier an der Grotte. Es ist so schwarz, daß man den Grotteneingang im dunklen Einerlei nicht unterscheiden kann ... Am Firmament erglänzt kein einziger Stern. Warten wir, bis des Mondes Licht die Wolken durchdringt, bis sein Schein die Grotte hell erleuchtet, bis ungefährdet der Zugang für uns. Sehr gefährliche Stellen sind dort: ein enger Pfad zerteilet zwei Gewässer, deren Grund bisher noch kein Sterblicher fand. Nicht dacht ich daran. mit mir zu nehmen die Fackel oder die Leuchte. Doch ich hoffe, das helle Licht des Mondes reichet aus. Ihr wagtet Euch niemals hinein in diese Grotte?
Melisande
Nein! ...
Pelleas
Kommt hinein! ... Denn den Ort müßt Ihr kennen, wo, wie Ihr sagt, Ihr den Ring verloren; er könnt darnach fragen. Groß ist die Grotte und herrlich und getauchet in ein bläulich Dunkel. Wenn darin man eine kleine Flamme entzündet, gleicht die Decke dem Himmelsgewölbe, das hell von Sternen erglänzt. Reichet mir die Hand und zittert nicht so sehr. Keine Gefahr ist dabei, auch kehren wir sofort zu dem Meeresstrand zurück, wenn die Helle des Mondes erlischt. Ist es das Summen der Grotte, das Euch so ängstigt? Höret Ihr, wie das Meer hinter uns rauscht? Mir deucht, das Meer ist wenig friedsam diese Nacht ... Oh, der Mond scheint herein! ...
Der Mond wirft einen breiten Lichtstreifen auf den Eingang und einen Teil der finsteren Stellen der Grotte; in einer gewissen Tiefe gewahrt man drei elend aussehende Greise, gegen einander gekauert und an ein Felsstück gelehnt, in tiefem Schlaf.
Melisande
Ha!
Pelleas
Was gibt's?
Melisande deutet auf die drei Alten
Sehet dort ... Sehet dort! ...
Pelleas
Ja ... ich seh sie ebenfalls ...
Melisande
O laßt uns gehn! ... laßt uns gehn ...
Pelleas
Die drei armen Alten hat der Schlaf übermannt. Eine fürchterliche Hungersnot ist im Land ... Doch wie kamen die zum Schlaf hierher? ...
Melisande
Oh laßt uns gehn, oh kommt ... laßt uns doch gehn!
Pelleas
Seid behutsam, sprechet leise zu mir ... erweckt die Armen nicht ... Noch sind sie in tiefen Schlummer gebannt ... Oh kommt ...
Melisande
Lasset mich; lasst allein den Weg mich finden ...
Pelleas
Wir kommen her ein andermal. Beide ab.