Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Akt

Erster Auftritt

Ein Schlossturm.
Ein Rundweg läuft unter einem Turmfenster her.

Melisande

am Fenster, während sie sich ihr offenes Haar kämmt.

Mein langes Haar sinkt nieder bis zur Schwelle des Turms; mein Haar erwartet dich herniederwallend am Turm, bis die Sonne versank, den ganzen langen Tag. Sankt Daniel, Sankt Michael, Sankt Michael und Sankt Raphael, ich bin Sonntags geboren um die Mitte des Tags.

Pelleas erscheint auf dem Rundweg.

Hollah! hollah! ho!

Melisande

Wer ist da?

Pelleas

Ich, ich und ich! ... Was tust du dort an deinem Fenster und singst wie ein fremdes Singvögelein?

Melisande

Ich kämme mein langes Haar für die Nacht ...

Pelleas

Dein Haar sinkt dort die Mauer hinab? Und ich dacht, du hättest Licht in deinem Zimmer ...

Melisande

Öffnen mußt ich das Fenster; es ist zu heiß hier im Turm .. und die Nacht ist so schön ...

Pelleas

Nicht zu zählen sind heute die Sterne ; ich sah noch nie so reich den Himmel besternt; doch noch schwebet der Mond überm Meer ... Oh, bleibe nicht im Schatten, Melisande, o beuge dich vor, daß ich sehe dein flutendes Haar.

Melisande

Sehr häßlich bin ich so ...

Pelleas

Oh, oh! Melisande, oh, Melisande! oh wie schön bist du so! Neige dich! Neige dich! Gönne mir, daß ich dir nahen darf ...

Melisande

Ich komme dir so nah, als ich nur kann ... weiter neigen kann ich mich nicht ...

Pelleas

Und höher kann ich nicht hinauf ... reiche mir zum Abschied deine Hand, bevor ich dich verlasse und fortgehen muß.

Melisande

Nein, nein, nein ...

Pelleas

Doch, doch, ich muß, ich scheide morgen früh ... gib mir deine Hand, die Hand, daß ich an die Lippen sie presse ...

Melisande

Nimmer reich ich sie dir, verlässest du mich ...

Pelleas

Laß mich, hör mein Flehen ...

Melisande

Und du gehst alsdann nicht?

Pelleas

Nicht sogleich, nicht sogleich ...

Melisande

Siehst du nicht die Rose dort im Dunkel ..

Pelleas

Wo denn? Ragend über die Mauer gewahr ich nur der Weide Gezweig.

Melisande

Mehr dort, zum Garten blick hinab; sieh dort auf dunklem Rasen ...

Pelleas

Das ist doch keine Rose ... ich will gleich darnach sehen, erst aber deine Hand reich mir; erst deine Hand ...

Melisande

Da nimm, nimm sie ... nicht vermag ich mich tiefer zu neigen.

Pelleas

Dein zierliches Händchen ist den Lippen zu fern!

Melisande

Nicht vermag ich mich tiefer zu neigen ... sonst fall ich am Ende herab ... Oh, oh! fluten sieh mein Haar den Turm entlang. Wie sie sich so hinausneigt, quillt ihr ganzes Haar plötzlich auseinander und überflutet Pelleas.

Pelleas

Oh! oh! Was ist denn das? Wie zu mir herniedersinkt dein Wellenhaar! ... Deines Haares Geranke, Melisande, deines Haares Geranke umkleidet den Turm! – Und nun halt ich es fest und ich netz es mit Küssen ... es umschlingt mir den Arm, es umringelt Haupt mir und Haar ... Fest hält die Hand bis zum Morgen dein Haar!

Melisande

Laß es los, laß es los! ... sonst fall ich wirklich herab!

Pelleas

Nein, nein, nein! ... hab ich nie doch solch Haar wie das deine gesehn. Melisande! ... sieh, sieh nur, so weither kommt dies Haar und hüllt mich doch bis zu meinem Herzen ein ; ... ja, es reicht mir noch herab zu den Knien! ... Weich ist dein Haar, weich, als flösse vom Himmel es herab! ... Durch des Haares Geflecht nicht seh den Himmel ich. O sieh, o sieh, nicht mehr bändigen die Hände dein Haar ; wie es sich schlängelt bis zu den Zweigen der Weide ... es lebt mir in der Hand wie Singvögelein, die mich lieben weit stärker wohl als du! ...

Melisande

Laß es los, laß es los ... es könnte jemand nahn ...

Pelleas

Nein, nein, nein; nimmermehr geb ich dich frei diese Nacht ... du bist meine Gefangne diese Nacht; die ganze Nacht, die ganze Nacht! ...

Melisande

Pelleas! Pelleas! ...

Pelleas

Sieh, ich knüpfe dein Haar ans Weidengezweig ... nun entrinnst du mir nicht, nein, nie entrinnst du mir ... O sieh doch, ja, sieh nur, ich küsse dir das Haar ... wie schwindet mein Leid im Gewirre deines Haars .. Hörest du, wie dein Haar ich küsse immerfort? ... Wie Küsse auf sich schwingen zu dir? Dich küsse ich mit jedem der Haare ... O sieh, o sieh, ich öffne meine Hand, doch unaufhörlich gefesselt, so halt ich, Holde, dich ... Tauben kommen aus dem Turm und fliegen im Dunkel um sie herum.

Melisande

Oh! oh! du tust mir weh! ... Was ist das, Pelleas?... Sage, was fliegt da um mich her?

Pelleas

Es flatterten ängstliche Tauben aus dem Turm ... aufgescheucht hab ich sie ; sie sind verflogen.

Melisande

Das sind meine Tauben, Pelleas. Trennen wir uns, laß mich los; nie kehren sonst sie zurück! ...

Pelleas

Warum nicht kehren sie zurück?

Melisande

Weil sie sich verirrten tief in der Nacht ... laß mich los, laß nur den Kopf mich wieder heben. Ich höre jemand nahn ... lass mich los! Golo ist's ... mein Gatte muss es sein! ... ja, er hat uns gehört!

Pelleas

Geduld! Geduld! daß dein Haar ich löse vom Baume, es verwickelte sich im Dunkel der Nacht ... Geduld! Geduld Welche Nacht! Golo tritt durch den Rundweg auf.

Golo

Ihr zwei, was treibt ihr da?

Pelleas

Was wir hier beide tun? Ich ..

Golo

Ihr seid doch rechte Kinder ... Melisande, beuge dich nicht so vornüber aus dem Fenster, du fällst hinab ... Wisset ihr denn nicht: es ist spät. Es ist tief in der Nacht. Welch müßiges Spiel treibt ihr in der Nacht? ... Oh welche Kinderein! mit nervösem Lachen Kinderein ... Kinderein! Mit Pelleas ab.

Zweiter Auftritt

In den Gewölben unter dem Schlosse.
Golo und Pelleas treten auf.

Golo

Sei behutsam; nicht nach dort, komm hierher. Warst du noch nie in diesem unterirdischen Raum?

Pelleas

Doch, einmal, seiner Zeit ... es ist schon lange her ...

Golo

Wohlan, hier ist die Zisterne, von der ich dir ... Wehet nicht von dort der Hauch des Todes? Komm mit bis zum Ende jenes Felsens, der überhängt, dann blick hinab ; wie dein Antlitz umströmet die Verwesung. Beug dich vor, ohne Furcht ... fest halt ich dich, reiche mir ... nein, nein, nicht die Hand, daß sie nicht mir entgleit ... den Arm. Gewahrst du den Abgrund, Pelleas? beunruhigt Pelleas?

Pelleas

Ja, ich blicke hinab bis auf die Tiefe! Wie huschet ein Licht so darüber hin? Du ... Er richtet sich auf, dreht sich um und sieht Golo an.

Golo

Ja, es ist die Leuchte ... Sieh her, ich schwenkte sie, um ... zu beleuchten den Fels ...

Pelleas

Mir stockt das Herz ... Hinweg!

Golo

Ja, hinweg! Beide schweigend ab.

Dritter Auftritt

Eine Terrasse am Eingang der Gewölbe. Golo und Pelleas treten auf.

Pelleas

Ah, hier atme ich auf! ... Fast schon überkam mich ein Schwindel bei dem Anblick der riesigen Grotte; Fast stürzt ich in die Tiefe hinab. Gleich einem bleiernen Tau wehet dort eine feuchte, schwere Luft ; wie ein vergifteter Teig umhüllt dich ein undurchdringlich Dunkel. Ich atme neu die frische Brise des Meers ... Welch erquickender Wind, so frisch wie ein Blumenkelch, der im Frühling entquoll aus grünender Blätter Umhüllung. Sieh! Soeben begoß man der Terrasse Blumenflor, ein Gemisch von feuchten Rosen und würzigem Grün steigt zu uns empor. Nicht mehr fern ist die Mittagszeit, denn die Blumen deckt mit Schatten schon der Turm ... ja, es ist zwölf, ich vernehme die Glocken; lustige Kinder eilen, sich zu baden, nieder zum Strand ... Oh, die Mutter sieh dort mit Melisanden hinter dem Fenster in dem Turm.

Golo

Schatten wohl suchten sie dort vor der heißen Sonne. Und betreffend Melisanden: alles weiß ich, was gestern sich zutrug und was von euch geredet ward. Auch weiß ich wohl, Kindereien sind das ; doch wünsche ich nicht, daß sich das wiederhole. Sie ist so sehr empfindsam. Um so mehr muß man sie schonen, als wahrscheinlich in unferner Zeit sie Mutter wird: du verstehst, die geringste Aufregung droht ihr Gefahr Auch ist es nicht das erste Mal, daß ich bemerke zwischen euch der Beziehungen trauliches Band ... Du bist ja reifer an Jahren, laß mein Wort eine Warnung dir sein ... Meide sie auch, soviel eben möglich; doch ohne daß es Absicht scheint, daß es Absicht scheint ... Beide ab.

Vierter Auftritt

Vor dem Schlosse.
Golo und Der kleine Yniold treten auf.

Golo mit geheuchelter großer Ruhe

Komm, wir setzen beide uns hierher, Yniold ; setz dich auf mein Knie; von hier überschaun wir alles, was im Wald geschieht. Ich vermisse dich so sehr seit einiger Zeit; weichst du wohl gar vor mir aus ... die kleine Mutter hast du wohl lieber? Sieh! Genau über uns im Turmzimmer da oben wohnt die kleine Mutter. Sie verrichtet wohl im Augenblick ihren Abendgottesdienst ... Sage doch, Yniold, zu ihr kommt wohl recht oft dein Onkel Pelleas? Hab ich recht?

Yniold

Ja, ja, und stets, lieber Vater, sobald du nicht zu Haus.

Golo

So! – Sieh, wie dort jemand mit einer Leuchte vorüber: geht! – Doch scheint es, lieben sie sich nicht sehr ... Schon manchmal haben sich beide gezankt ... nicht? ist es wahr?

Yniold

Ja, ja, so ist's!

Golo

Ja? So so! Und weswegen geraten sie nur in Streit?

Yniold

Ach, wohl wegen der Türe.

Golo

Wieso? Warum wegen der Türe? Sag, wie ist es denn damit?

Yniold

Nun du weißt: weil die Tür nicht immer offen.

Golo

Wer will denn nicht, daß sie offen bleibe? Worüber geraten sie in Streit?

Yniold

Ich weiß es nicht, lieber Vater, doch wohl wegen der Beleuchtung.

Golo

Sprach ich jetzt doch nicht wegen der Beleuchtung; hören will ich von der Türe. Augenblicklich nimm die Hand aus dein Munde ... Nun, nun ...

Yniold

Lieber Vater! lieber Vater! Ich tu's wirklich nicht mehr ... er weint.

Golo

Nun, nun; warum brichst du in Tränen aus? Was ist denn passiert?

Yniold

Oh! oh! Lieber Vater, du tatest mir weh!

Golo

Ich tat dir weh! Wo tat ich dir weh? Ich wollte es nicht ...

Yniold

Da hier .. und hier tut mein Ärmchen weh ...

Golo

Ich wollt es ja nicht; hör auf, weine nicht mehr; du erhältst auch morgen ein schönes Geschenk.

Yniold

Was, lieber Vater?

Golo

Einen Köcher mit Pfeilen. Doch nun sag mir auch, was ist mit der Türe?

Yniold

Mit großen Pfeilen?

Golo

Ja, mit riesigen Pfeilen. – Doch warum nur wollen sie nicht, daß die Türe unverschlossen? – Merk auf, gib mir endlich Bescheid. – Nein, nein, weine nicht von neuem wieder los; ich bin dir ja nicht bös. Wovon sprechen sie, wenn sie sind zusammen?

Yniold

Meine Mutter mit meinem Onkel?

Golo

Ja, wovon sprechen sie?

Yniold

Von mir, nur stets von mir.

Golo

Und was sagen sie von dir?

Yniold

Sie sagen, ich würde einst sehr groß.

Golo

Ha! vergiftet ist mein Leben! ... Fürwahr, ich bin ein armer Blinder, der mühsam seinen Schatz im tiefen Weltmeer sucht! ... Ich bin der Neugeborene, ausgesetzt im weiten Wald und ihr ... Aber nein, Yniold, ich war zerstreut, doch jetzt rede recht verständig zu mir. Sprechen Pelleas und klein Mütterchen denn nie von mir, wenn ich mal nicht zu Hause bin?

Yniold

Doch, doch, lieber Vater.

Golo

Gut! und was sagen sie von mir?

Yniold

Sie sagen, ich würde einst grade so groß wie du.

Golo

Und sind sie nicht allein?

Yniold

Nein, nein! denn ich bin bei ihnen.

Golo

Sagten sie niemals: Geh, spiele anderswo?

Yniold

Nein, lieber Vater, geh ich fort, geraten sie in Angst.

Golo

Wie, in Angst? Woran erkennst du die Angst?

Yniold

Wird's dunkel, so weinen sie immerfort.

Golo

Ah so!

Yniold

Und da weine ich denn auch ...

Golo

Ja, ja!

Yniold

Wie sie bleich ist, lieber Vater!

Golo

Ha! ha! Welche Prüfung, o Gott, welche Prüfung! ...

Yniold

Was, lieber Vater?

Golo

Nichts, nichts, liebes Kind, eben sah ich im Walde einen Wolf. – Manchmal küssen sie sich wohl? Nicht?

Yniold

Ob sie sich küßten, lieber Vater? Nein, nein ... oh, doch, doch, einmal ... grade regnet' es sehr ...

Golo

Und da küßten sie sich? Aber wie, sag wie, sag, wie küßten sie sich?

Yniold

Ei nun so, lieber Vater, grade so! Er küßt ihn auf den Mund, lachend. Wie dein Bart sticht, lieber Vater! ... er ist stachlich und er sticht mich! Und wie der Bart doch so grau wird, lieber Vater, und deine Haare auch, ganz grau, ganz grau ... Das Fenster, unter dem sie sitzen, wird erhellt, der Lichtschein fällt auf beide. Oh, oh, jetzt hat klein Mütterlein Licht angezündet, es ist hell, lieber Vater, es ist hell! ...

Golo

Ja, es wird ganz hell um uns.

Yniold

Komm, gehen wir hin, lieber Vater, komm, gehen wir hin ...

Golo

Wohin willst du gehen?

Yniold

Ich will ins Licht, lieber Vater.

Golo

Nein, nein, liebes Kind, ein Weilchen bleib mit mir im Schatten ... Weiß man doch nicht ... man kann ja noch nicht wissen .. Ich glaub, Pelleas ist verrückt!

Yniold

Nein, lieber Vater, das ist er nicht, doch er ist sehr gut.

Golo

Willst du Mütterchen nicht mal sehn?

Yniold

Ja, gern möcht ich sie sehn!

Golo

Mach kein Geräusch, ich hebe dich sacht hinauf bis zum Fenster, es ist zu hoch für mich selber, so groß ich auch bin ... Er hebt das Kind in die Höhe. Aber bleib auch mäuschenstill, weil Mütterlein, merket sie dich, erschrickt . Siehst du sie? Ist sie in ihrem Zimmer?

Yniold

Ja! Oh! es ist hell!

Golo

Ist allein sie?

Yniold

Ja! Nein, nein! Mein Onkel Pelleas ist noch bei ihr.

Golo

Er ...

Yniold

O weh! lieber Vater, faß mich nicht so an!

Golo

Es ist nichts, sei still! ich tu dir nicht mehr weh; erzähle; was siehst du, Yniold! ... Ich trat nur fehl; sage mir leis, was du siehst!

Yniold

Jetzt tun sie nichts, lieber Vater.

Golo

Sind sie noch beieinander!

Yniold

Nein, lieber Vater.

Golo

Und ... und das Bett? Sind sie wohl am Bett?

Yniold

Das Bett, lieber Vater? Das Bett kann ich nicht sehn.

Golo

Gib acht, sprich doch leiser! keuchend. Sind sie am Sprechen?

Yniold

Nein, lieber Vater, nein, sie sprechen nicht.

Golo

Was tun sie denn?

Yniold

Beide starren in die Flamme.

Golo

Sie und er?

Yniold

Ja, lieber Vater.

Golo

Und sie sagen nichts?

Yniold

Nein, lieber Vater; ihre Augen bleiben starr.

Golo

Und rücken beide nicht zueinander?

Yniold

Nein, lieber Vater, die Augen schließen sie nicht ... Mir wird angst und bange!

Golo

Sag, was fürchtest du nur? Was siehst du? Sprich weiter!

Yniold

Lieber Vater, laß mich doch hinunter

Golo

Was siehst du?

Yniold

Oh, gleich schreie ich, lieber Vater! Laß mich doch hinunter, laß mich doch hinunter!

Golo

Komm, wir wollen sehen, was geschehen ist. Beide ab.


 << zurück weiter >>