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Ein Schlossturm.
Ein Rundweg läuft unter einem Turmfenster her.
Melisande
am Fenster, während sie sich ihr offenes Haar kämmt.
Mein langes Haar sinkt nieder bis zur Schwelle des Turms; mein Haar erwartet dich herniederwallend am Turm, bis die Sonne versank, den ganzen langen Tag. Sankt Daniel, Sankt Michael, Sankt Michael und Sankt Raphael, ich bin Sonntags geboren um die Mitte des Tags.
Pelleas erscheint auf dem Rundweg.
Hollah! hollah! ho!
Melisande
Wer ist da?
Pelleas
Ich, ich und ich! ... Was tust du dort an deinem Fenster und singst wie ein fremdes Singvögelein?
Melisande
Ich kämme mein langes Haar für die Nacht ...
Pelleas
Dein Haar sinkt dort die Mauer hinab? Und ich dacht, du hättest Licht in deinem Zimmer ...
Melisande
Öffnen mußt ich das Fenster; es ist zu heiß hier im Turm .. und die Nacht ist so schön ...
Pelleas
Nicht zu zählen sind heute die Sterne ; ich sah noch nie so reich den Himmel besternt; doch noch schwebet der Mond überm Meer ... Oh, bleibe nicht im Schatten, Melisande, o beuge dich vor, daß ich sehe dein flutendes Haar.
Melisande
Sehr häßlich bin ich so ...
Pelleas
Oh, oh! Melisande, oh, Melisande! oh wie schön bist du so! Neige dich! Neige dich! Gönne mir, daß ich dir nahen darf ...
Melisande
Ich komme dir so nah, als ich nur kann ... weiter neigen kann ich mich nicht ...
Pelleas
Und höher kann ich nicht hinauf ... reiche mir zum Abschied deine Hand, bevor ich dich verlasse und fortgehen muß.
Melisande
Nein, nein, nein ...
Pelleas
Doch, doch, ich muß, ich scheide morgen früh ... gib mir deine Hand, die Hand, daß ich an die Lippen sie presse ...
Melisande
Nimmer reich ich sie dir, verlässest du mich ...
Pelleas
Laß mich, hör mein Flehen ...
Melisande
Und du gehst alsdann nicht?
Pelleas
Nicht sogleich, nicht sogleich ...
Melisande
Siehst du nicht die Rose dort im Dunkel ..
Pelleas
Wo denn? Ragend über die Mauer gewahr ich nur der Weide Gezweig.
Melisande
Mehr dort, zum Garten blick hinab; sieh dort auf dunklem Rasen ...
Pelleas
Das ist doch keine Rose ... ich will gleich darnach sehen, erst aber deine Hand reich mir; erst deine Hand ...
Melisande
Da nimm, nimm sie ... nicht vermag ich mich tiefer zu neigen.
Pelleas
Dein zierliches Händchen ist den Lippen zu fern!
Melisande
Nicht vermag ich mich tiefer zu neigen ... sonst fall ich am Ende herab ... Oh, oh! fluten sieh mein Haar den Turm entlang. Wie sie sich so hinausneigt, quillt ihr ganzes Haar plötzlich auseinander und überflutet Pelleas.
Pelleas
Oh! oh! Was ist denn das? Wie zu mir herniedersinkt dein Wellenhaar! ... Deines Haares Geranke, Melisande, deines Haares Geranke umkleidet den Turm! – Und nun halt ich es fest und ich netz es mit Küssen ... es umschlingt mir den Arm, es umringelt Haupt mir und Haar ... Fest hält die Hand bis zum Morgen dein Haar!
Melisande
Laß es los, laß es los! ... sonst fall ich wirklich herab!
Pelleas
Nein, nein, nein! ... hab ich nie doch solch Haar wie das deine gesehn. Melisande! ... sieh, sieh nur, so weither kommt dies Haar und hüllt mich doch bis zu meinem Herzen ein ; ... ja, es reicht mir noch herab zu den Knien! ... Weich ist dein Haar, weich, als flösse vom Himmel es herab! ... Durch des Haares Geflecht nicht seh den Himmel ich. O sieh, o sieh, nicht mehr bändigen die Hände dein Haar ; wie es sich schlängelt bis zu den Zweigen der Weide ... es lebt mir in der Hand wie Singvögelein, die mich lieben weit stärker wohl als du! ...
Melisande
Laß es los, laß es los ... es könnte jemand nahn ...
Pelleas
Nein, nein, nein; nimmermehr geb ich dich frei diese Nacht ... du bist meine Gefangne diese Nacht; die ganze Nacht, die ganze Nacht! ...
Melisande
Pelleas! Pelleas! ...
Pelleas
Sieh, ich knüpfe dein Haar ans Weidengezweig ... nun entrinnst du mir nicht, nein, nie entrinnst du mir ... O sieh doch, ja, sieh nur, ich küsse dir das Haar ... wie schwindet mein Leid im Gewirre deines Haars .. Hörest du, wie dein Haar ich küsse immerfort? ... Wie Küsse auf sich schwingen zu dir? Dich küsse ich mit jedem der Haare ... O sieh, o sieh, ich öffne meine Hand, doch unaufhörlich gefesselt, so halt ich, Holde, dich ... Tauben kommen aus dem Turm und fliegen im Dunkel um sie herum.
Melisande
Oh! oh! du tust mir weh! ... Was ist das, Pelleas?... Sage, was fliegt da um mich her?
Pelleas
Es flatterten ängstliche Tauben aus dem Turm ... aufgescheucht hab ich sie ; sie sind verflogen.
Melisande
Das sind meine Tauben, Pelleas. Trennen wir uns, laß mich los; nie kehren sonst sie zurück! ...
Pelleas
Warum nicht kehren sie zurück?
Melisande
Weil sie sich verirrten tief in der Nacht ... laß mich los, laß nur den Kopf mich wieder heben. Ich höre jemand nahn ... lass mich los! Golo ist's ... mein Gatte muss es sein! ... ja, er hat uns gehört!
Pelleas
Geduld! Geduld! daß dein Haar ich löse vom Baume, es verwickelte sich im Dunkel der Nacht ... Geduld! Geduld Welche Nacht! Golo tritt durch den Rundweg auf.
Golo
Ihr zwei, was treibt ihr da?
Pelleas
Was wir hier beide tun? Ich ..
Golo
Ihr seid doch rechte Kinder ... Melisande, beuge dich nicht so vornüber aus dem Fenster, du fällst hinab ... Wisset ihr denn nicht: es ist spät. Es ist tief in der Nacht. Welch müßiges Spiel treibt ihr in der Nacht? ... Oh welche Kinderein! mit nervösem Lachen Kinderein ... Kinderein! Mit Pelleas ab.
In den Gewölben unter dem Schlosse.
Golo und Pelleas treten auf.
Golo
Sei behutsam; nicht nach dort, komm hierher. Warst du noch nie in diesem unterirdischen Raum?
Pelleas
Doch, einmal, seiner Zeit ... es ist schon lange her ...
Golo
Wohlan, hier ist die Zisterne, von der ich dir ... Wehet nicht von dort der Hauch des Todes? Komm mit bis zum Ende jenes Felsens, der überhängt, dann blick hinab ; wie dein Antlitz umströmet die Verwesung. Beug dich vor, ohne Furcht ... fest halt ich dich, reiche mir ... nein, nein, nicht die Hand, daß sie nicht mir entgleit ... den Arm. Gewahrst du den Abgrund, Pelleas? beunruhigt Pelleas?
Pelleas
Ja, ich blicke hinab bis auf die Tiefe! Wie huschet ein Licht so darüber hin? Du ... Er richtet sich auf, dreht sich um und sieht Golo an.
Golo
Ja, es ist die Leuchte ... Sieh her, ich schwenkte sie, um ... zu beleuchten den Fels ...
Pelleas
Mir stockt das Herz ... Hinweg!
Golo
Ja, hinweg! Beide schweigend ab.
Eine Terrasse am Eingang der Gewölbe. Golo und Pelleas treten auf.
Pelleas
Ah, hier atme ich auf! ... Fast schon überkam mich ein Schwindel bei dem Anblick der riesigen Grotte; Fast stürzt ich in die Tiefe hinab. Gleich einem bleiernen Tau wehet dort eine feuchte, schwere Luft ; wie ein vergifteter Teig umhüllt dich ein undurchdringlich Dunkel. Ich atme neu die frische Brise des Meers ... Welch erquickender Wind, so frisch wie ein Blumenkelch, der im Frühling entquoll aus grünender Blätter Umhüllung. Sieh! Soeben begoß man der Terrasse Blumenflor, ein Gemisch von feuchten Rosen und würzigem Grün steigt zu uns empor. Nicht mehr fern ist die Mittagszeit, denn die Blumen deckt mit Schatten schon der Turm ... ja, es ist zwölf, ich vernehme die Glocken; lustige Kinder eilen, sich zu baden, nieder zum Strand ... Oh, die Mutter sieh dort mit Melisanden hinter dem Fenster in dem Turm.
Golo
Schatten wohl suchten sie dort vor der heißen Sonne. Und betreffend Melisanden: alles weiß ich, was gestern sich zutrug und was von euch geredet ward. Auch weiß ich wohl, Kindereien sind das ; doch wünsche ich nicht, daß sich das wiederhole. Sie ist so sehr empfindsam. Um so mehr muß man sie schonen, als wahrscheinlich in unferner Zeit sie Mutter wird: du verstehst, die geringste Aufregung droht ihr Gefahr Auch ist es nicht das erste Mal, daß ich bemerke zwischen euch der Beziehungen trauliches Band ... Du bist ja reifer an Jahren, laß mein Wort eine Warnung dir sein ... Meide sie auch, soviel eben möglich; doch ohne daß es Absicht scheint, daß es Absicht scheint ... Beide ab.
Vor dem Schlosse.
Golo und Der kleine Yniold treten auf.
Golo mit geheuchelter großer Ruhe
Komm, wir setzen beide uns hierher, Yniold ; setz dich auf mein Knie; von hier überschaun wir alles, was im Wald geschieht. Ich vermisse dich so sehr seit einiger Zeit; weichst du wohl gar vor mir aus ... die kleine Mutter hast du wohl lieber? Sieh! Genau über uns im Turmzimmer da oben wohnt die kleine Mutter. Sie verrichtet wohl im Augenblick ihren Abendgottesdienst ... Sage doch, Yniold, zu ihr kommt wohl recht oft dein Onkel Pelleas? Hab ich recht?
Yniold
Ja, ja, und stets, lieber Vater, sobald du nicht zu Haus.
Golo
So! – Sieh, wie dort jemand mit einer Leuchte vorüber: geht! – Doch scheint es, lieben sie sich nicht sehr ... Schon manchmal haben sich beide gezankt ... nicht? ist es wahr?
Yniold
Ja, ja, so ist's!
Golo
Ja? So so! Und weswegen geraten sie nur in Streit?
Yniold
Ach, wohl wegen der Türe.
Golo
Wieso? Warum wegen der Türe? Sag, wie ist es denn damit?
Yniold
Nun du weißt: weil die Tür nicht immer offen.
Golo
Wer will denn nicht, daß sie offen bleibe? Worüber geraten sie in Streit?
Yniold
Ich weiß es nicht, lieber Vater, doch wohl wegen der Beleuchtung.
Golo
Sprach ich jetzt doch nicht wegen der Beleuchtung; hören will ich von der Türe. Augenblicklich nimm die Hand aus dein Munde ... Nun, nun ...
Yniold
Lieber Vater! lieber Vater! Ich tu's wirklich nicht mehr ... er weint.
Golo
Nun, nun; warum brichst du in Tränen aus? Was ist denn passiert?
Yniold
Oh! oh! Lieber Vater, du tatest mir weh!
Golo
Ich tat dir weh! Wo tat ich dir weh? Ich wollte es nicht ...
Yniold
Da hier .. und hier tut mein Ärmchen weh ...
Golo
Ich wollt es ja nicht; hör auf, weine nicht mehr; du erhältst auch morgen ein schönes Geschenk.
Yniold
Was, lieber Vater?
Golo
Einen Köcher mit Pfeilen. Doch nun sag mir auch, was ist mit der Türe?
Yniold
Mit großen Pfeilen?
Golo
Ja, mit riesigen Pfeilen. – Doch warum nur wollen sie nicht, daß die Türe unverschlossen? – Merk auf, gib mir endlich Bescheid. – Nein, nein, weine nicht von neuem wieder los; ich bin dir ja nicht bös. Wovon sprechen sie, wenn sie sind zusammen?
Yniold
Meine Mutter mit meinem Onkel?
Golo
Ja, wovon sprechen sie?
Yniold
Von mir, nur stets von mir.
Golo
Und was sagen sie von dir?
Yniold
Sie sagen, ich würde einst sehr groß.
Golo
Ha! vergiftet ist mein Leben! ... Fürwahr, ich bin ein armer Blinder, der mühsam seinen Schatz im tiefen Weltmeer sucht! ... Ich bin der Neugeborene, ausgesetzt im weiten Wald und ihr ... Aber nein, Yniold, ich war zerstreut, doch jetzt rede recht verständig zu mir. Sprechen Pelleas und klein Mütterchen denn nie von mir, wenn ich mal nicht zu Hause bin?
Yniold
Doch, doch, lieber Vater.
Golo
Gut! und was sagen sie von mir?
Yniold
Sie sagen, ich würde einst grade so groß wie du.
Golo
Und sind sie nicht allein?
Yniold
Nein, nein! denn ich bin bei ihnen.
Golo
Sagten sie niemals: Geh, spiele anderswo?
Yniold
Nein, lieber Vater, geh ich fort, geraten sie in Angst.
Golo
Wie, in Angst? Woran erkennst du die Angst?
Yniold
Wird's dunkel, so weinen sie immerfort.
Golo
Ah so!
Yniold
Und da weine ich denn auch ...
Golo
Ja, ja!
Yniold
Wie sie bleich ist, lieber Vater!
Golo
Ha! ha! Welche Prüfung, o Gott, welche Prüfung! ...
Yniold
Was, lieber Vater?
Golo
Nichts, nichts, liebes Kind, eben sah ich im Walde einen Wolf. – Manchmal küssen sie sich wohl? Nicht?
Yniold
Ob sie sich küßten, lieber Vater? Nein, nein ... oh, doch, doch, einmal ... grade regnet' es sehr ...
Golo
Und da küßten sie sich? Aber wie, sag wie, sag, wie küßten sie sich?
Yniold
Ei nun so, lieber Vater, grade so! Er küßt ihn auf den Mund, lachend. Wie dein Bart sticht, lieber Vater! ... er ist stachlich und er sticht mich! Und wie der Bart doch so grau wird, lieber Vater, und deine Haare auch, ganz grau, ganz grau ... Das Fenster, unter dem sie sitzen, wird erhellt, der Lichtschein fällt auf beide. Oh, oh, jetzt hat klein Mütterlein Licht angezündet, es ist hell, lieber Vater, es ist hell! ...
Golo
Ja, es wird ganz hell um uns.
Yniold
Komm, gehen wir hin, lieber Vater, komm, gehen wir hin ...
Golo
Wohin willst du gehen?
Yniold
Ich will ins Licht, lieber Vater.
Golo
Nein, nein, liebes Kind, ein Weilchen bleib mit mir im Schatten ... Weiß man doch nicht ... man kann ja noch nicht wissen .. Ich glaub, Pelleas ist verrückt!
Yniold
Nein, lieber Vater, das ist er nicht, doch er ist sehr gut.
Golo
Willst du Mütterchen nicht mal sehn?
Yniold
Ja, gern möcht ich sie sehn!
Golo
Mach kein Geräusch, ich hebe dich sacht hinauf bis zum Fenster, es ist zu hoch für mich selber, so groß ich auch bin ... Er hebt das Kind in die Höhe. Aber bleib auch mäuschenstill, weil Mütterlein, merket sie dich, erschrickt . Siehst du sie? Ist sie in ihrem Zimmer?
Yniold
Ja! Oh! es ist hell!
Golo
Ist allein sie?
Yniold
Ja! Nein, nein! Mein Onkel Pelleas ist noch bei ihr.
Golo
Er ...
Yniold
O weh! lieber Vater, faß mich nicht so an!
Golo
Es ist nichts, sei still! ich tu dir nicht mehr weh; erzähle; was siehst du, Yniold! ... Ich trat nur fehl; sage mir leis, was du siehst!
Yniold
Jetzt tun sie nichts, lieber Vater.
Golo
Sind sie noch beieinander!
Yniold
Nein, lieber Vater.
Golo
Und ... und das Bett? Sind sie wohl am Bett?
Yniold
Das Bett, lieber Vater? Das Bett kann ich nicht sehn.
Golo
Gib acht, sprich doch leiser! keuchend. Sind sie am Sprechen?
Yniold
Nein, lieber Vater, nein, sie sprechen nicht.
Golo
Was tun sie denn?
Yniold
Beide starren in die Flamme.
Golo
Sie und er?
Yniold
Ja, lieber Vater.
Golo
Und sie sagen nichts?
Yniold
Nein, lieber Vater; ihre Augen bleiben starr.
Golo
Und rücken beide nicht zueinander?
Yniold
Nein, lieber Vater, die Augen schließen sie nicht ... Mir wird angst und bange!
Golo
Sag, was fürchtest du nur? Was siehst du? Sprich weiter!
Yniold
Lieber Vater, laß mich doch hinunter
Golo
Was siehst du?
Yniold
Oh, gleich schreie ich, lieber Vater! Laß mich doch hinunter, laß mich doch hinunter!
Golo
Komm, wir wollen sehen, was geschehen ist. Beide ab.