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Im Wald.
Melisande am Rand einer Quelle. – Golo tritt auf.
Golo
Da verlor ich gar den Weg aus diesem Gehölz! Mein Gott, wohin mich des Wildes Spur gelockt. Und doch wähnt ich: getroffen hätt ich's auf den Tod; hier gewahr ich Spuren von Blut und auch hier kam's mir aus dem Gesicht, wobei ich gar selber den Weg verloren. Meine Hunde finden mich nicht mehr. – Wär ich doch erst wieder daheim. Wer weinet hier ... Ohe! Was seh ich dort am Quellenrand? Er hustet. Ein verlassenes Mägdelein weint am Quellenrand? Sie höret nicht auf mich, nicht unterscheid ich ihr Antlitz! Er kommt näher und berührt Melisande an der Schulter. Warum so verweint?
Melisande erzittert, steht auf und will entfliehn.
Seid ohne Furcht, Euer Bangen ist grundlos. Was ist Euch geschehen, allein, hier im Walde?
Melisande
Berühret mich nicht! Berühret mich nicht!
Golo
Seid ohne Furcht ... denn ich krümme Euch kein Haar ... Oh! wie Ihr doch schön seid!
Melisande
Berühret mich nicht! Berühret mich nicht, sonst spring ich in den Quell!
Golo
Ich rühr Euch ja nicht an ... seht her, angelehnt bleibe ich an den Baumstamm. Seid ohne Furcht. Hat jemand ein Leid Euch getan?
Melisande
Ach ja! ja! ja! Sie seufzt tief auf.
Golo
Wer war es, der Euch so Übles tat?
Melisande
Alle! Alle!
Golo
Was geschah Euch für Leid?
Melisande
Ich will es Euch nicht sagen! Ich kann es Euch nicht sagen!
Golo
Nun, nun ... was weinet Ihr so sehr? Wo kommt Ihr her?
Melisande
Ich mußte entfliehen ... entfliehen ... entfliehen ...
Golo
Doch von welchem Ort seid Ihr entflohen?
Melisande
Ich bin verloren! .. verloren! Oh! oh! hier oder dort! Ich stamme nicht von hier! Auch wuchs ich dort nicht auf ...
Golo
Wo seid Ihr her? Wo seid Ihr geboren?
Melisande
Oh! oh! weit von hier ... weit ... weit ...
Golo
Was glänzt dort so hell im Wassergrund?
Melisande
Wo denn? Ah! Es ist die Krone, die er mir gab. Sie sank beim Weinen hinab.
Golo
Eine Krone? Von wem empfingt Ihr sie denn, die goldne Krone? Ich werd aus dem Wasser sie holen.
Melisande
Nein, nein, ich will sie nicht! ... ich will sie nicht! ... Weit lieber den Tod ... den Tod auf der Stelle!
Golo
Schaffen kann ich Euch die Krone sonder Müh, da das Wasser nicht tief ist.
Melisande
Ich will sie nicht! Wenn die Krone Ihr bringt, spring sofort ich ins Wasser! ...
Golo
Gut, gut, lassen werd ich sie da. Doch schafft ich Euch unschwer die Krone wieder her. Wie es scheint, ist sie prächtig. Ist es lange her, seitdem Ihr entflohen?
Melisande
Ja, ja ... Wer seid denn Ihr?
Golo
Ich heiße Golo, der Fürst, Enkel des Königs Arkel vom Reich Allemonde ...
Melisande
Ach, wie ist doch Euer Haar schon ergraut!
Golo
Ja, hier und da, zumal an den Schläfen ...
Melisande
Und nun erst der Bart ... Was starret Ihr mir so ins Gesicht?
Golo
Eure Augen seh ich. Macht Ihr die Augen niemals zu?
Melisande
Doch, doch, schlummernd schließe ich sie ...
Golo
Warum betrachtet Ihr mich so mit Staunen?
Melisande
Ein Riese seid Ihr wohl?
Golo
Ich bin ein Mensch nur, wie alle andern ...
Melisande
Warum kamt Ihr her zu dem Quell?
Golo
Wüßt ich, wie das geschehen! Jagend pürschte ich im Wald: da trieb ich einen Eber auf, verfehlte die Richtung dabei. – Ihr scheint jung an Jahren. Wie alt seid Ihr wohl?
Melisande
Wie wird plötzlich mir so kalt ...
Golo
Wollt Ihr denn nicht mit mir gehn?
Melisande
Nein, nein, ich bleibe hier.
Golo
Ihr könnt doch nicht ganz allein im Walde verbleiben, nimmermehr könnt Ihr bleiben hier während der Nacht. Wie nennt Ihr Euch denn?
Melisande
Melisande.
Golo
Ihr könnt hier nicht bleiben in der Nacht. Melisande! So gehet mit mir ...
Melisande
Ich bleibe hier.
Golo
Euch packt die Furcht, so verlassen, unheimlich ist es zuweilen im Wald ... die ganze Nacht ... so verlassen ... Das ist ja nicht möglich, Melisande, so kommt und reicht mir die Hand.
Melisande
Oh! berühret mich nicht!
Golo
Was schreit Ihr nur ... Euch berühren werd ich nicht. Aber gehet mit mir. – Schon kalt ist diese Nacht und sehr finster. So gehet doch mit mir ...
Melisande
Wohin geht Ihr?
Golo
Weiß ich es selbst ... Ich verlor meinen Weg ...
Beide ab.
Ein Saal im Schlosse. – Arkel und Genoveva.
Genoveva
Höret denn, was er schreibt seinem Bruder Pelleas »Ich fand sie eines Abends in Tränen am Rand einer Quelle im tiefen Wald, in dem ich mich verirrt. Nicht erfuhr ich ihr Alter, noch wer sie ist, noch woher sie kam: sie darnach zu fragen, wagt ich nicht; die Seele scheint ihr vor Grauen und Schrecken erschüttert, und wenn man sie nun fragt, was ihr Schlimmes widerfuhr: wie ein Kind beginnt sie dann, Tränen vergießend, zu schluchzen, so rührend, so tief, daß man zagt. Es ist schon. sechs Monde her, seit mit ihr ich vermählt, und doch weiß ich nichts weiter von ihr, als damals im Walde. Jedoch inzwischen, mein Pelleas, der mir mehr gilt als mein Bruder, obschon wir beide nicht vom gleichen Vater stammen, für meine Rückkehr mach alles bereit ... Ich weiß es voraus, daß die Mutter mir sicher verzeiht. Doch mir bangt vor Arkel, obwohl er gütig ist. Ist dagegen König Arkel bereit, daß die Fremde er ehrt wie seine Tochter, so zünde drei Tage, da dies du gelesen, im Dunkel das Licht an, im Giebel des Turmes, der blickt auf die See. Sehen werde ich das Licht von der Brücke unseres Schiffes, wo nicht, lenk ich den Kiel ins entfernteste Land ...« Was meinet Ihr?
Arkel
Ich meine nichts. Das alles scheinet uns gar seltsam, denn von dem allen, was geschieht, sehen wir nur den äußeren Schein, ja sogar am eignen Schicksal ... Wär mein Sohn doch immer treu meinem Rate gefolgt. Glücklich gedacht ich zu machen ihn, wenn er der Prinzessin Ursula Liebe gewänne . Nicht durfte vereinsamt er sein, da, seit ihm die Gattin verschied, der Kummer lastete auf ihm, auch sollte diese Ehe begegnen langwierigen Kriegen und uraltem Hasse ... Mein Sohn hat es nicht so gewollt. Mag es gehen, wie er es verlangt: niemals mit ruchloser Hand griff dem Schicksal ich in die Speichen; besser kannt er als ich sein Geschick. Doch vielleicht am Ende gerät noch dieses alles zum Guten.
Genoveva
Er war ja sonst besonnen und klug, so ernst, so entschlossen ... Seit er die Gattin verlor, hat ganz er dem Sohne sich geweiht, dem kleinen Yniold. Nicht mehr denkt er an ihn ... Wie wird das werden? Pelleas tritt auf.
Arkel
Wer trat soeben herein?
Genoveva
's ist Pelleas. Er hat geweint.
Arkel
Sei gegrüßt, Pelleas! Schreite näher her, daß ich dich sehen mag in dem Hellen.
Pelleas
Mein König! Ich empfing zu gleicher Zeit mit dem Briefe meines Bruders ein anderes Schreiben; von dem Sterbebett schreibt Marcellus, mein Freund er möchte mich noch einmal sehen. Er ahnt die düstern Stunden voraus, da der Tod ihn ereilt ... wenn ich will, kann ich lebend den teuersten Freund noch treffen an, doch ist keine Stunde zu verlieren.
Arkel
Dennoch wär es gut, du bliebest vorläufig hier, wissen. wir doch nicht, was uns deines Bruders Zurückkunft bedeutet. Liegt nicht außerdem dein Vater schwer erkrankt im oberen. Saal, mehr des Trostes bedürftig wohl als dein Freund ... Kannst du füglich wählen zwischen Vater und Freund? Ab.
Genoveva
Sorge, mein Sohn, daß die Lampe leuchte hell auf die See.
Beide nach verschiedenen Seiten ab.
Vor dem Schlosse.
Genoveva und Melisande treten auf.
Melisande
Dunkel ist es ringsum im Saal. Und wie sonderbar, welch düstre Wälder umgeben das Schloss!
Genoveva
Ja; hat es mich ja auch verwundert, als einst ich hierhergelangt, alle Welt gerät darob in Staunen. Es gibt finstere Stellen hier, die keine Sonne durchdringt. Du wirst dich schon, gewöhnen ... Wie lang ist es her, ja, wie lange doch ... Fast an die vierzig langen Jahre lebe ich hier. Wirf auf jene Seite den Blick, wie dort strahlend aufleuchtet das Meer.
Melisande
Geräusch von Schritten dringet herauf!
Genoveva
Ja, sicher sucht jemand uns auf ... Ha! 's ist Pelleas . Noch müde scheint er von der Nacht, da er so lang Euer Nahen erspäht ...
Melisande
Er scheint uns nicht zu sehen.
Genoveva
Wohl hat er uns gesehen, doch er bedenkt sich noch, zu kommen. Pelleas! Pelleas! Ei, bist du's?
Pelleas
Ja! ... Grade komm ich vom Strande herauf ...
Genoveva
... so wie wir, um das Dunkel zu fliehen! Auch ist es etwas heller hier als dort; wie ist das Meer doch heut so düster!
Pelleas
Sicher gibt es ein Gewitter diese Nacht, wie es seit einiger Zeit gewittert jegliche Nacht, trotzdem das Meer noch immer wie ein Spiegel glatt! Man stäche in See, wenn man nicht wüßt: Keiner kommt heute zurück.
Stimmen hinter der Bühne »Hiß hohe, hiß hohe.«
Melisande
Aus dem Hafen kommt's hervor ...
Pelleas
Ich glaube, es ist ein großer Segler ... hoch am Maste sind die Lichter, gleich erkennen wir das Schiff, sobald es vom Hafen das offene Meer gewinnt.
Genoveva
Fraglich scheint mir, daß wir es sehen, noch liegt auf der See eine dichte Nebelschicht.
Pelleas
Mich bedünkt es, daß langsam der Nebel sich erhebt.
Melisande
Dort gewahr ich jetzt ganz unbeweglich ein Licht, das bisher ich nicht sah. –
Pelleas
's ist ein Leuchtturm ; andre gibt es noch, doch können wir jetzt sie noch nicht sehen.
Melisande
Schon erscheint das Schiff in der Lichtung ... gleitend schwebt es dahin.
Pelleas
Es enteilt mit vollen Segeln ...
Melisande
Es ist das Schiff, das mich hierhergeführt. Es hat so breite Segel ... Ich erkenn es an seinen Segeln.
Pelleas
Sicher droht ihm schlimme Fahrt für die Nacht.
Melisande
Führ es doch nicht fort diese Nacht ... Schon gewahrt man es nicht mehr. Wenn es gar Schiffbruch litte.
Pelleas
Schnell beginnt es zu dunkeln.
Genoveva
Es ist Zeit, daß wir gehn. Pelleas, zeige den Heimweg Melisanden. Ich geh noch einen Augenblick zum kleinen Yniold. Ab.
Pelleas
Schon ist ganz verlassen das Meer.
Melisande
Noch andre Lichter seh ich.
Pelleas
Es sind die anderen Türme. Hört Ihr rauschen das Meer? Schon erwacht die Brise. Schreiten hier wir hinab. Reichet freundlich mir Eure Hand.
Melisande
Ei seht ... die Hände hab ich voll Blumen doch ...
Pelleas
Stützen will ich Euch mit dem Arm, ziemlich steil ist dieser Weg, dunkel wird es und dunkler ... Ich reise morgen vielleicht ...
Melisande
Oh! ... Warum reiset Ihr? Sie gehen ab.