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Die Gesetze

Hunger und Armut machen die Menschen
betriebsam, die Gesetze machen sie gut.

Freiheit, Zwang, Gesetz

Da die Menschen entweder aus Notwendigkeit oder aus Wahl handeln und man dort größere Tugend sieht, wo der freien Wahl weniger Raum bleibt, so ist zu erwägen, ob es nicht besser wäre, zur Erbauung der Städte unfruchtbare Plätze auszusuchen, damit die Menschen zur Arbeit gezwungen wären und, dem Müßiggang weniger ergeben, einiger lebten, weil sie wegen der Armut der Gegend weniger Ursache zu Zwistigkeiten haben würden: wie es in Ragusa und vielen anderen an ähnlichen Orten erbauten Städten der Fall war. Dies wäre nun ohne Zweifel die weiseste und nützlichste Maßregel, wenn die Menschen sich damit begnügten, von dem Ihrigen zu leben, und nicht stets danach strebten, anderen zu befehlen. Da aber die Natur des Menschen so beschaffen ist und man sich nur durch Macht sichern kann, so ist es notwendig, so ödes Land zu meiden und sich an den fruchtbarsten Stellen niederzulassen, wo die Ergiebigkeit des Bodens die Vermehrung der Bewohner begünstigt und sie so in den Stand setzt, sich sowohl gegen Angriffe zu verteidigen wie auch jeden zu überwinden, der sich ihrer Ausbreitung widersetzen würde. Was den Müßiggang betrifft, den eine günstige Lage zur Folge haben könnte, so muß man sorgen, daß die Gesetze dazu zwingen, wozu die Lage nicht nötigt.

Die Menschen tun niemals etwas Gutes, wenn sie nicht dazu gezwungen sind; vielmehr gerät alles in Verwirrung und Unordnung, sobald ihnen freie Wahl bleibt und sie sich gehen lassen können. Man sagt daher, Hunger und Armut machten die Menschen betriebsam, die Gesetze machten sie gut. Wo von selbst ohne Gesetz gut gehandelt wird, ist das Gesetz nicht nötig; wenn aber diese gute Gewohnheit aufhört, dann ist sogleich das Gesetz notwendig.

Die gesetzgebende Gewalt

Die Mehrzahl der Menschen stimmt einem Gesetze, das eine neue Ordnung der Dinge betrifft, nie bei, wenn ihr die Notwendigkeit dazu nicht vor Augen liegt.

Es hängt alles davon ab, ob der Gesetzgeber durch seine eigene Kraft wirken kann oder auf den guten Willen anderer bauen muß, das heißt, ob er, um seine Absicht durchzuführen, bitten muß oder Zwang ausüben kann. Im ersten Falle ist er in einer üblen Lage und bringt nichts zustande; wenn er hingegen unabhängig ist und Gewalt anwenden kann, so läuft er selten Gefahr, und seine Absichten dringen meistens durch. Hieraus erklärt sich, daß alle bewaffneten Propheten siegten und alle unbewaffneten zugrunde gingen. Außer dem Gesagten ist noch zu erwägen, daß die Menschen von Natur unbeständig sind und daß es leicht ist, sie zu etwas zu überreden, aber schwer, sie in einem bestimmten Glauben zu erhalten. Der Gesetzgeber muß deshalb dafür sorgen, daß er sie jederzeit zum Glauben zwingen kann, wenn sie freiwillig nicht mehr glauben wollen.

Will man einem Staate eine neue Verfassung geben und soll diese angenommen und zur Zufriedenheit eines jeden erhalten werden, so ist man genötigt, wenigstens dem Scheine nach die alten Formen beizubehalten, damit das Volk glaube, seine alte Ordnung sei nicht wesentlich verändert, wenn auch in Wirklichkeit die neuen Institutionen den früheren ganz fremd sind. Denn die Masse der Menschen läßt sich ebensogut mit dem Scheine abspeisen wie mit der Wirklichkeit; ja häufig wird sie mehr durch den Schein der Dinge bewegt als durch die Dinge selbst ...

Dasselbe hat man immer zu beobachten, wenn man einem Staate eine uralte Regierungsform nehmen und dafür eine freie Verfassung geben will. Da alles Neue die Gemüter der Menschen erschüttert, so muß man sich bemühen, den Veränderungen soviel wie möglich vom Alten zu lassen, und wenn die Zahl, Machtvollkommenheit und Amtsdauer der Regierungsmitglieder geändert wird, wenigstens die Titel beibehalten. Diese Regel gilt sowohl bei der Umänderung eines Königreiches in eine Republik wie auch bei der Umänderung einer Republik in ein Königreich. Wer aber eine unumschränkte Monarchie, die von den Schriftstellern Tyrannei genannt wird, errichten will, muß alles Bestehende umstürzen und Neues an seine Stelle setzen.

Hat man ein Volk unterworfen, das die Freiheit liebt und nach eigenen Gesetzen zu leben gewohnt ist, so gibt es drei Mittel, es zu behaupten. Das erste ist, den eroberten Staat zu zerstören, das zweite, daß der Eroberer seinen Wohnsitz darin aufschlägt, das dritte, daß er dem unterworfenen Volke seine Gesetze läßt, ihm aber eine Abgabe auferlegt und nur eine kleine Anzahl Bürger mit der Verwaltung der Geschäfte beauftragt, die ihm zugleich das Volk befreundet erhalten soll ... Anders hingegen verhält es sich mit den Bewohnern von Städten und Provinzen, die an die Beherrschung durch einen Fürsten gewöhnt sind. Ist ihr Regent und sein Stamm ausgerottet, so vereinigen sich solche Menschen nicht leicht wieder, um einen neuen aus ihrer Mitte zu erwählen, und die Gewohnheit des Gehorsams hat sie unfähig gemacht, eine freie Verfassung einzuführen und ihr gemäß zu leben. Sie greifen daher nicht so schnell zu den Waffen, und der Eroberer kann sie leichter gewinnen und sich ihrer versichern. Bei freien Völkern aber lebt ein hell lodernder Haß und glühende Rachgier gegen den Unterdrücker; die Erinnerung an die Freiheit läßt sie nicht ruhen und kann sie nicht ruhen lassen. Das Sicherste für ihren Besieger ist daher, sie entweder zu vertilgen oder bei ihnen seine Residenz aufzuschlagen.

Republik oder Monarchie?

Was die Klugheit und Beständigkeit anbelangt, so sage ich, daß ein Volk klüger und beständiger ist und ein richtigeres Urteil hat als ein Fürst. Nicht ohne Grund vergleicht man die Stimme des Volkes mit der Stimme Gottes. Die öffentliche Meinung prophezeit so wunderbar richtig, was geschehen wird, daß es den Anschein hat, als sähe sie kraft einer verborgenen Eigenschaft das Wohl und Wehe des Volkes voraus ... Lange haben die monarchischen Staaten gedauert, lange die republikanischen, und beide mußten durch Gesetze geregelt werden. Denn ein Fürst, der tun kann, was er will, wird unvernünftig herrschen; ein Volk, das tun kann, was es will, wird auch nicht weise regieren. Betrachtet man beide in gesetzlosem Zustand, so wird man beim Volke weniger, kleinere und leichter zu bessernde Fehler finden als beim Fürsten. Zu einem zügellosen, aufrührerischen Volke kann ein wohlmeinender Mann sprechen und es leicht wieder auf den rechten Weg führen; zu einem schlechten Fürsten kann niemand reden, gegen ihn gibt es kein anderes Mittel als das Eisen. Hieraus läßt sich schließen, welches von beiden das größere Übel ist.

Freie Rechtsprechung

Es erweist sich an vielen Beispielen, wie verabscheuungswürdig in einer Republik und in jedem anderen Staate die Verleumdungen sind und daß man zu ihrer Unterdrückung kein Mittel scheuen darf. Zu ihrer Verhütung aber gibt es kein besseres Mittel, als die Anklagen zu gestatten, die freien Staaten ebensoviel nützen, wie ihnen die Verleumdungen schaden. Zwischen beiden ist der große Unterschied, daß die Verleumdungen nicht durch Zeugnis bewiesen zu werden brauchen und so ein jeder von jedem verleumdet werden kann. Nicht aber kann ein jeder angeklagt werden, da bei einer Anklage vollgültige Zeugen und Tatsachen die Wahrheit der Anklage beweisen müssen. Man klagt vor dem Magistrat, vor dem Volke, vor dem Rate an; man verleumdet auf den Straßen und in den Häusern.

Die Verleumdung ist da am häufigsten, wo die Anklage seltener vorkommt und wo am wenigsten für ihre Annahme gesorgt ist. Der Gesetzgeber einer Republik muß daher Anordnungen treffen, daß einerseits jeder Bürger ohne Furcht und Scheu angeklagt werden kann und daß anderseits die Verleumder streng bestraft werden. Diese können sich dann über ihre Bestrafung nicht beschweren, da ihnen der Weg offen stand, gegen den eine Klage zu erheben, den sie in den Häusern verleumdet haben. Wo in dieser Hinsicht nicht klare Bestimmungen getroffen sind, entstehen immer große Mißhelligkeiten, denn die Verleumdungen erbittern, aber strafen nicht, und die Menschen verfolgen in ihrer Erbitterung viel eher ihre Verleumder mit Haß, als daß sie sich scheuen auszuführen, was man ihnen nachsagt.


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