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Politische Tugend und politische Notwendigkeit

Republiken und Herrscher müssen sich den Anschein geben, als täten sie aus Großmut, wozu sie die Notwendigkeit zwingt.

Die Tugend des Herrschers

Jedermann wird zustimmen, daß es lobenswert sei, wenn ein Fürst nur gute Eigenschaften besäße. Da nun dies die mangelhafte Beschaffenheit der menschlichen Natur nicht zuläßt, so muß der Fürst klug genug sein, die Schande derjenigen Laster zu vermeiden, die ihm die Krone rauben würden, und sich vor den anderen zu hüten, soweit es ihm möglich ist. Kann er das aber nicht, so darf er sich hierin bei einiger Vorsicht gehen lassen. Er sei auch unbekümmert um die Schande derjenigen Laster, ohne die er seine Herrschaft schwer aufrecht erhalten könnte. Bei genauer Untersuchung erweist sich nämlich, daß manches, was als Tugend erscheint, einen Herrscher stürzen würde und manches andere, was als Laster erscheint, ihn erhebt und sichert.

 

Ein weiser Gesetzgeber einer Republik, der die Absicht hat, nicht sich, sondern dem Gemeinwohl, nicht seiner eigenen Nachkommenschaft, sondern dem gemeinschaftlichen Vaterlande zu dienen, muß sich bestreben, die Gewalt allein zu haben, und niemals wird der klare Verstand einen Mann wegen einer außerordentlichen Handlung tadeln, die er zur Gründung eines Reiches oder zur Konstituierung einer Republik ausgeführt hat. Wenn ihn die Tat anklagt, so muß ihn der Erfolg entschuldigen; ... denn wer gewalttätig ist, um zu zerstören, nicht wer es ist, um aufzubauen, verdient Tadel.

 

Ich glaube, es hängt alles davon ab, ob man die Grausamkeit gut oder übel anwendet. Gut angewandt ist die Grausamkeit – wenn es erlaubt ist, von der guten Anwendung eines Lasters zu reden –, die nur ein einziges Mal, und zwar um der eigenen Sicherheit willen, verübt wird und die auch zugleich den Untertanen zum Nutzen gereicht. Übel angewandt dagegen sind Grausamkeiten, die, obgleich anfangs in geringer Zahl, mit der Zeit eher anwachsen als aufhören. Wer auf die erstgenannte Weise handelt, mag durch die Hilfe Gottes und der Menschen seinen Thron erhalten. Mit der zweiten kann man sich nicht behaupten.

Es ist hierbei zu bemerken, daß beim Ergreifen einer Regierung der Herrscher alle Grausamkeiten erwägen muß, die er zu verüben genötigt ist. Diese muß er dann auf einmal begehen, damit er sie nicht täglich erneuern muß, sondern die Menschen beruhigen und durch Wohltaten gewinnen kann. Wer anders handelt, sei es aus Furchtsamkeit oder falscher Ansicht, ist immer genötigt, das Messer in der Hand zu halten, und kann sich nie auf die Untertanen verlassen, da sie wegen der immerwährenden, stets neuen Unbilden kein Zutrauen zu ihm fassen können. Deshalb müssen die grausamen Handlungen alle zugleich vollzogen werden, damit sie, weniger ausgekostet, weniger verletzen. Die Wohltaten dagegen müssen nach und nach erwiesen werden, damit man sie desto besser würdige.

 

Die Handlungen aller Menschen, besonders aber der Fürsten, die keinen Richter über sich haben, werden nach dem Erfolge beurteilt. Deshalb soll der Fürst um nichts anderes besorgt sein als darum, sich und seine Herrschaft zu behaupten; die Mittel, die er hierzu erfolgreich anwendet, werden von jedermann für ehrenvoll gehalten und gelobt werden. Denn der Pöbel läßt sich immer vom Scheine blenden und urteilt nur nach dem Ausgang der Sache. Auf der Welt aber gibt es fast nichts als Pöbel, und die wenigen Urteilsfähigen gelangen dann erst zur Geltung, wenn die Menge verwirrt und ohne Führung ist.

 

Wenn es auch manchmal nötig ist, Tatsachen durch Worte zu verschleiern, so muß dies doch in einer Weise geschehen, daß es nicht entdeckt wird; und kommt es dennoch heraus, so muß eine Beschönigung der Beweggründe sofort bei der Hand sein.

Geliebt oder gefürchtet?

Es fragt sich, was besser sei, geliebt oder gefürchtet zu werden. Ich antworte: Beides vereint wäre das Wünschenswerteste; da es aber schwer ist, beides zu vereinigen, und deshalb eine Wahl getroffen werden muß, so ist es viel sicherer, gefürchtet als geliebt zu sein ... Die Menschen scheuen sich weniger, einen geliebten Fürsten zu beleidigen als einen gefürchteten. Denn die Liebe wird durch das Band der Pflicht erhalten, und weil die Menschen schlecht sind, zerreißen sie dieses Band bei jeder Aussicht auf eigenen Vorteil. Die Furcht dagegen wird durch die drohende Strafe erhalten, der die Menschen immer eingedenk sind ... Da die Menschen nach eigenem Gutdünken heben, ihre Furcht aber von dem Willen des Fürsten abhängt, so wird sich dieser, wenn er weise ist, auf das verlassen, worüber er verfügt, und nicht auf das, worüber andere verfügen.

Ein politisches Vorbild

Der Mensch geht gern auf Wegen, die andere bahnten, und seine Handlungen sind Nachahmungen. Selten aber ist es ihm möglich, diese Bahn ganz einzuhalten oder die Größe des Vorbildes zu erreichen. Ein kluger Mann soll daher stets die von großen Männern gebahnten Wege einschlagen und die erhabensten Vorbilder wählen, damit, wenn er ihre Größe auch nicht erreicht, sein Streben doch einen Glanz von ihnen annimmt. Wie ein geschickter Schütze soll er handeln, der bei einem fernen Ziel höher anlegt, nicht damit sein Pfeil zu dieser Höhe getrieben werde, sondern durch den hohen Flug das Ziel desto sicherer treffe.

Wenn ich die Handlungen des Herzogs [Cesare Borgia, Herzog von Valentinois] im ganzen erwäge, so weiß ich ihm nichts vorzuwerfen. Im Gegenteil: Ich stelle ihn allen denen als Vorbild hin, die, durch fremde Waffen und Glück begünstigt, zur Macht emporgestiegen sind. Denn mit seinem hohen Sinne und seinen großen Absichten konnte er nicht anders handeln; und seinen Plänen widersetzten sich allein seine Krankheit und das kurze Leben Alexanders. Ein Usurpator, der sich seiner Freunde wie der Feinde versichern, durch List und Gewalt siegen, die Liebe und Furcht des Volkes, den Gehorsam und die Ehrfurcht der Soldaten erlangen will, der die, die ihm schaden wollen, vernichten, die alte Verfassung durch eine neue ersetzen, würdevoll und streng, dabei großmütig und freigebig sein, ein unzuverlässiges Heer abschaffen und ein ergebenes errichten und sich die Freundschaft anderer Regenten erhalten will, so daß sie sich ihm gern gefällig zeigen und ihn ungern beleidigen – ein solcher Mann findet kein besseres Vorbild als den Herzog.

Die Süßigkeit der Freiheit

Daß die Zeit die Sehnsucht nach Freiheit nicht auszulöschen vermag, ist gewiß. Denn häufig ist in einer Stadt von solchen die Freiheit wieder errungen worden, die sie niemals selbst genossen hatten, sondern allein nach dem, was ihnen ihre Väter davon erzählt hatten, liebten und die wieder errungene mit größter Beharrlichkeit und Gefahr behaupteten. Und sollten nie die Väter daran erinnert haben, so erinnern die öffentlichen Paläste, die Säle der Magistrate, jede Spur freier Einrichtungen daran, deren ursprüngliche Bestimmung zu erfahren die Bürger begreiflicherweise höchst begierig sind. Was wollt ihr tun, was die Süßigkeit der Freiheit aufwöge, was den Menschen die Sehnsucht nach dem jetzigen Zustande nähme? Mögt ihr ganz Toskana diesem Reich unterwerfen, mögt ihr täglich triumphierend über unsere Feinde in diese Stadt zurückkehren, so wird doch all dieser Ruhm nicht ihr gehören, sondern euch, und die Bürger werden keine Untertanen erwerben, sondern Mitknechte, durch die sie ihre eigene Knechtschaft erschwert sehen. Und wenn eure Sitten fromm wären, eure Regierung gütig, eure Urteile gerecht, – es würde nicht hinreichen, euch Liebe zu erwerben. Täuschen würdet ihr euch, wenn ihr es glaubtet; denn wer an Unabhängigkeit gewöhnt ist, den drückt jede Kette, den zwängt jedes Band.

 

Nichts erschwerte den Römern die Überwindung der Nachbarvölker und zum Teil auch der entfernteren Länder so sehr wie die Liebe zur Freiheit, die diese Völker so hartnäckig verteidigten, daß sie nur durch eine außergewöhnliche Tapferkeit unterjocht werden konnten. Viele Beispiele zeigen uns, welchen Gefahren sie sich aussetzten, um ihre Unabhängigkeit zu erhalten oder wieder zu erringen, welche Rache sie an den Räubern ihrer Freiheit nahmen ... Man erkennt leicht, woraus bei den Völkern die Liebe zur Freiheit entspringt. Die Erfahrung zeigt, daß Staaten niemals an Gebiet und Reichtum gewonnen haben, nachdem sie ihre Freiheit verloren hatten.

Persönliche Moral und politische Notwendigkeit

Jeder begreift, wie lobenswert es für einen Fürsten ist, wenn er sein Wort hält und stets rechtschaffen und ohne Hinterlist handelt. Gleichwohl zeigt die Erfahrung unserer Zeit, daß nur die Fürsten große Taten vollbrachten, die es mit ihrem gegebenen Wort nicht genau nahmen, sondern durch Hinterlist die Menschen zu täuschen wußten. Diese Fürsten haben am Ende die überwunden, die auf die Ehrlichkeit jener vertrauten.

Man muß daher wissen, daß es zwei Arten von Kampf gibt: durch Gesetze und durch Gewalt. Die erste ist dem Menschen eigen, die andere dem Tiere. Da jedoch die erste häufig nicht hinreicht, so muß man zur zweiten seine Zuflucht nehmen. Es ist daher für einen Fürsten notwendig, daß er nicht nur wie ein Mensch, sondern auch wie ein Tier zu kämpfen verstehe ... Wenn der Fürst die Rolle des Tieres gut spielen will, so soll er sich den Fuchs und den Löwen zum Vorbild wählen. Da nun der Löwe den Schlingen nicht entgeht und ein Fuchs sich nicht gegen Wölfe zu wehren vermag, muß man Fuchs sein, um die Schlingen zu erkennen, und Löwe, um die Wölfe abzuschrecken. Wer sich allein auf die Rolle des Löwen beschränkt, versteht seine Sache schlecht.

Ein kluger Herrscher kann also weder noch soll er sein Wort halten, wenn ihm dies Nachteil bringt oder wenn die Gründe nicht mehr bestehen, die ihn zu diesem Versprechen bewogen hatten.

Wären die Menschen alle gut, so würde dieser Grundsatz nicht richtig sein. Da sie aber böse sind und dir das Wort nicht halten würden, so brauchst auch du das deinige nicht zu halten. Niemals aber wird es einem Fürsten an Vorwänden fehlen, den Wortbruch zu beschönigen ... Ein Fürst muß mitleidig, treu, menschlich, gottesfürchtig und rechtschaffen scheinen und es sein, aber in seinem Inneren dennoch stets darauf vorbereitet sein, zum Gegenteil überzugehen, wenn die Notwendigkeit es fordert. Es ist grundsätzlich festzustellen, daß ein Fürst, besonders wenn seine Macht noch jung ist, nicht alles beobachten kann, was ein tugendhafter Mensch tun müßte. Um seine Macht aufrecht zu erhalten, ist er häufig genötigt, der Treue, der Nächstenliebe, der Menschlichkeit und der Ehrfurcht zuwider zu handeln. Seine Gesinnung muß daher bereit sein, sich zu drehen, wie der Wind weht und das unstete Glück befiehlt. Er soll vom Guten nicht ohne Zwang abweichen, aber auch kaltblütig das Böse tun, wenn es die Notwendigkeit gebietet.

 

Wer sich der Alleinherrschaft bemächtigt und den Brutus nicht tötet, und wer einen Staat frei macht und die Söhne des Brutus nicht hinrichten läßt, erhält sich nur kurze Zeit.

 

Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen, treiben den Herrscher dazu, sein Wort zu halten.

 

Die grausamen Mittel der Politik widersprechen nicht nur den Lehren des Christentums, auch die Menschheit schaudert davor zurück. Wer ein Mensch ist, soll sie fliehen und lieber im Dunkel des Bürgerstandes leben, als die Krone tragen zum Verderben so vieler ihm gleich geschaffener Wesen. Gleichwohl muß der, der den Weg zum Guten nicht gehen, sich aber auf dem Thron erhalten will, zu diesem Übel schreiten. Allein die Menschen wählen einen gewissen Mittelweg, das Schädlichste von allem, denn sie verstehen weder ganz gut noch ganz böse zu sein.

Die bildende Macht der Notwendigkeit

Wir haben schon an anderer Stelle gesagt, wie nützlich die Notwendigkeit den menschlichen Handlungen sei, zu welchem Ruhme sie geführt habe und daß man in den Werken einiger Philosophen über den menschlichen Geist die Erklärung finde, der Mensch würde durch seine Hände und durch seine Zunge, diese zwei edelsten Werkzeuge zu seiner Verherrlichung, nichts so Vollkommenes hervorgebracht noch in seinen Werken eine solche Vollkommenheit erreicht haben, wenn er nicht durch die Not angetrieben worden wäre.


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