Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Religion

Gleichwie die Beobachtung des göttlichen Kultus Ursache der Größe der Staaten ist, so ist auch dessen Entweihung Ursache ihres Verfalls.

Die politische Bedeutung der Religion

Die Staaten, die sich vor dem Niedergang schützen wollen, müssen vor allem die Zeremonieen der Religion rein und in Ehrfurcht erhalten. Es gibt kein sichereres Zeichen des Verfalls eines Landes, als den göttlichen Kultus mißachtet zu sehen. Ob dies irgendwo der Fall sei, erkennt man leicht, wenn man sich klargemacht hat, worauf an diesem Orte die Religion gegründet ist. Eine jede Religion hat nämlich ihre eigenen Grundlagen, die gleichsam ihr Lebensprinzip ausmachen. Die heidnische Religion beruhte auf den Antworten der Orakel und auf den Orden der Auguren und der Haruspizes; alle anderen Zeremonieen, Opfer und heiligen Gebräuche hingen davon ab. Man glaubte leicht, daß der Gott, der künftiges Unglück oder Glück voraussagen konnte, es den Menschen auch zuteil werden lassen könnte. Hieraus entstanden die Tempel, hieraus die Opfer, die Buß- und Dankfeste und alle anderen Zeremonieen zur Verehrung der Götter. Das Orakel von Delphi, der Tempel des Jupiter Ammon und andere berühmte Orakel erhielten lange die Welt in Staunen und Frömmigkeit. Als sie aber in der Folge anfingen, nach dem Willen der Mächtigen zu sprechen, und der Betrug entdeckt wurde, wurden die Menschen ungläubig und zur Störung jeder guten Ordnung geneigt.

Die Staatsoberhäupter dürfen daher nicht an den Grundpfeilern ihrer Religion rütteln lassen; es wird ihnen dann ein leichtes sein, ihren Staat religiös und folglich gut und einig zu erhalten. Sie müssen alles, was der Religion zum Vorteil gereicht (wenn sie es auch für unwahr halten), unterstützen und seine Bedeutung vergrößern; um so mehr aber müssen sie das tun, je weiser und aufgeklärter sie sind, je klarer sie die Natur der Dinge durchschauen. Dadurch, daß diese Regel von den klugen Männern beobachtet wurde, entstand der Glaube an die Wunder, die, obgleich unwahr, in allen Religionen gefeiert werden, weil ihre Bedeutung, aus welcher Quelle sie auch fließen mögen, von den Klugen vergrößert wird und ihnen dann das Ansehen, das diese genießen, bei einem jeden Glauben verschafft ...

Wäre von den Häuptern der christlichen Kirche unsere Religion erhalten worden, wie sie der Stifter gab, so würden die christlichen Staaten und Länder viel glücklicher und einiger sein als jetzt. Allein, woraus ließe sich mit größerer Sicherheit auf ihren Verfall schließen als aus der Tatsache, daß die Völker, die der römischen Kirche, dem Haupte unserer Religion, am nächsten stehen, am wenigsten Religion haben? Wer daher die Fundamente des Christentums kennt und sieht, wie die jetzige Religionsübung davon abweicht, wird die Überzeugung gewinnen, daß sein Untergang oder ein Strafgericht nahe sei. Ungefähr im Jahr 1515 geschrieben.

Da aber einige der Meinung sind, der günstige Stand der italienischen Angelegenheiten hänge von der römischen Kirche ab, so will ich gegen diese Meinung meine Gründe anführen, worunter zwei sehr triftige sind, die meines Erachtens nicht widerlegt werden können. Erstens verlor dieses Land durch das schlechte Beispiel des römischen Hofes alle Gottesfurcht und alle Religion, was unzählige Übelstände und endlose Störungen der Ordnung zur Folge hat, weil ebenso, wie sich dort, wo Religion ist, alles Gute voraussetzen läßt, da, wo sie fehlt, das Gegenteil anzunehmen ist. Wir Italiener verdanken also der Kirche und den Priestern erstens, daß wir ohne Religion und böse sind; wir haben ihnen aber zweitens noch etwas viel Einschneidenderes, was die Ursache unseres Verfalls ist, zu verdanken: die Kirche hat unser Volk zersplittert gehalten und tut es noch. Niemals war ein Volk einig und glücklich, wenn nicht das ganze Land zu einer Republik vereinigt war oder einem Fürsten gehorchte, wie zum Beispiel Frankreich oder Spanien. Die Ursache, daß Italien sich nicht in derselben Lage befindet und nicht auch eine einheitliche Republik ist oder von einem Fürsten regiert wird, ist einzig die Kirche, weil sie hier ihren Sitz aufschlug und eine weltliche Herrschaft hatte, aber nicht mächtig genug war noch Verdienst genug besaß, den Rest Italiens zu erobern und sich zu dessen Herrscherin zu machen. Auf der anderen Seite war sie nicht so schwach, daß sie nicht aus Furcht, die Herrschaft über die weltlichen Dinge zu verlieren, eine Macht hätte herbeirufen können, die sie gegen den Staat, der in Italien zu mächtig geworden war, verteidige. Man hat dies hinreichend durch die Erfahrung bestätigt gesehen, als sie in früheren Zeiten durch Karl den Großen die Langobarden, die fast schon Könige von ganz Italien waren, vertrieb und als sie in unseren Tagen mit Frankreichs Hilfe die Macht der Venezianer brach, später aber die Franzosen mit Hilfe der Schweizer verjagte. Da also die Kirche nicht imstande war, Italien zu erobern, und nicht erlaubte, daß es von einem anderen erobert würde, so war sie die Ursache, daß es nicht unter ein Haupt kommen konnte, sondern unter vielen Fürsten und Herren blieb. Dies führte eine so große Schwäche herbei, daß Italien dahin gebracht wurde, daß es nicht allein die Beute mächtiger Barbaren, sondern eines jeden werden kann, der es angreift. Der Kirche haben wir Italiener dies zu verdanken und niemand anderem.

Religion und Zucht

Liest man die römische Geschichte aufmerksam, so wird man sehen, wieviel die Religion dazu beitrug, die Heere in Gehorsam, das Volk in Einigkeit, die Menschen gut zu erhalten und die Bösen zu beschämen. Wenn man demnach zu entscheiden hätte, welchem Fürsten Rom mehr zu verdanken habe, Romulus oder Numa, so glaube ich fast, daß eher Numa die erste Stelle erhalten würde. Denn wo Religion ist, ist das Volk leicht zu bewaffnen, wo aber Waffen sind und keine Religion, läßt sich diese nur schwer einführen. Romulus hatte zur Einsetzung des Senates und zu den anderen bürgerlichen und militärischen Einrichtungen die Macht der Götter nicht nötig; wohl aber war sie Numa nötig, der Unterredungen mit einer Nymphe zu haben vorgab, die ihn belehre, was er dem Volk raten solle. Dies geschah aus keinem anderen Grunde als dem, daß er der Stadt neue und ungewöhnliche Einrichtungen geben wollte und befürchtete, seine eigene Macht möge dazu nicht hinreichend sein. Wirklich gab auch niemals ein Mann, ohne zur Gottheit seine Zuflucht zu nehmen, einem Volke außergewöhnliche Gesetze, da sie sonst nicht angenommen worden wären; denn es gibt vieles Gute und in seinen Folgen Wohltätige, das ein weiser Mann erkennt, dessen Vorteile aber nicht so in die Augen springen, daß er andere ohne weiteres davon überzeugen könnte. Kluge Männer nehmen daher zur Gottheit ihre Zuflucht, um diese Schwierigkeit zu beheben.

Religion und Freiheitssinn

Daß im Altertum die Völker die Freiheit mehr liebten als jetzt, scheint mir die gleiche Ursache zu haben wie die Erscheinung, daß heute die Menschen weniger kraftvoll sind als damals; ich meine die Verschiedenheit unserer Erziehung von der ehemaligen, die in dem Unterschied zwischen unserer Religion und der der Vorzeit ihren Grund hat. Da uns nämlich unsere Religion die Wahrheit und den echten Weg des Heils lehrt, so läßt sie uns die weltlichen Ehren weniger schätzen, während die Heiden diese für das höchste Gut hielten und deshalb in ihren Handlungen mehr Kraft und Kühnheit zeigten... Unsere Religion hat mehr die demütigen und beschaulichen Menschen erhoben als die tatkräftigen. Ihr gelten Demut, Selbstverleugnung und Geringschätzung der weltlichen Dinge als das Erstrebenswerteste; jene andere dagegen verherrlichte Geistesgröße, Körperstärke und die übrigen Eigenschaften, die im Menschen die höchste Kraft und Tapferkeit erzeugen. Verlangt unsere Religion, daß du stark seiest, so wünscht sie dich eher geschickt zum Dulden als zu kraftvoller Tat. Diese Denkungsart, scheint es, hat das Menschengeschlecht schwach gemacht und den Bösewichtern ausgeliefert, die nun sicher ihr Unwesen treiben können, da sie sehen, daß die meisten Menschen, um ins Paradies einzugehen, mehr darauf bedacht sind, Unterdrückung zu dulden als zu rächen. Danach sollte man glauben, die Erde sei weibisch geworden und der Himmel habe keine Blitze mehr, aber in Wirklichkeit tragen an dieser Verweichlichung nur die nichtswürdigen Ausleger die Schuld, die unsere Religion dem Müßiggang gemäß gedeutet haben, nicht aber im Sinne der Tapferkeit. Würden sie erwägen, daß sie die Erhöhung und Verteidigung des Vaterlandes erlaubt, so würden sie wohl begreifen, daß sie will, daß wir es lieben und ehren und uns zu Männern heranbilden, die es zu verteidigen imstande sind.

Die Meinung, daß Gott für uns streitet, wenn wir müßig auf unseren Knieen liegen, hat viele Throne und Staaten gestürzt... Niemand zeige sich so arm an Verstand, daß er bei seines Hauses Einsturz glaube, Gott werde ihn retten ohne andere Stütze. Denn unter seinen Trümmern wird es ihn begraben.


 << zurück weiter >>