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Der Staat

Nicht das Wohl des einzelnen, sondern das Wohl der Gesamtheit macht die Staaten groß.

Die Arten der Verfassung

Einige Schriftsteller glauben, es gebe sechserlei Gattungen von Regierungsformen, von denen drei sehr schlimm, die drei anderen an und für sich gut seien, aber doch so leicht in Verfall gerieten, daß auch sie verderblich würden ... Denn die Monarchie arte leicht in Tyrannei aus, die Aristokratie werde zur Herrschaft weniger, und die Demokratie verwandle sich leicht in Anarchie ... Deshalb vermieden die weisen Gesetzgeber, diese Mängel erkennend, jede der drei an und für sich guten Regierungsformen und erwählten eine aus allen dreien zusammengesetzte. Diese hielten sie dann für die festeste und dauerhafteste, da Monarchie, Aristokratie und Demokratie, in einem und demselben Staate vereinigt, sich gegenseitig bewachten.

 

Es läßt sich kein dauerhafter Staat errichten, wenn er nicht ein wahres Fürstentum oder eine wahre Republik ist. Alle Regierungsformen, die zwischen diesen beiden liegen, sind mangelhaft. Die Ursache ist sehr klar. Das Fürstentum hat nur einen Weg zu seiner Auflösung, nämlich den, daß es zur Republik hinabsteigt; und ebenso hat die Republik nur einen Weg, sich aufzulösen: sie kann nur zur Monarchie hinaufsteigen. Die Staaten in der Mitte haben zwei Wege, da sie zum Fürstentum hinauf- und zur Republik hinabsteigen können; und hierin besteht ihre Unbeständigkeit.

Gesetzmäßiger Wandel der Geschichte

Die Staaten pflegen bei ihren Veränderungen von der Ordnung zur Unordnung zu kommen und dann von neuem, von der Unordnung zur Ordnung überzugehen. Es ist von der Natur den menschlichen Dingen nicht gestattet, stillzustehen. Wenn sie daher ihre höchste Vollkommenheit erreicht haben und nicht mehr steigen können, müssen sie sinken. Ebenso, wenn sie durch die Unordnung zur tiefsten Niedrigkeit herabgekommen sind, also nicht mehr sinken können, müssen sie notwendig steigen. So sinkt man stets vom Guten zum Schlechten und steigt vom Schlechten zum Guten auf. Denn die Tapferkeit gebiert Ruhe, die Ruhe Müßiggang, der Müßiggang Unordnung, die Unordnung Verfall. Ebenso entsteht aus dem Verfall Ordnung, aus der Ordnung Tapferkeit, hieraus Ruhm und Glück.

Es haben daher die Klugen beachtet, daß die Wissenschaften nach den Waffen kommen und daß in den Staaten die Feldherren vor den Philosophen entstehen. Wenn gute Waffen Siege erkämpft und die Siege Ruhe herbeigeführt haben, so kann die Kraft kriegerischer Gemüter durch keinen ehrbareren Müßiggang verdorben werden als den der Wissenschaften, und der Müßiggang kann mit keiner größeren, gefährlicheren Täuschung als dieser in die wohleingerichteten Republiken eindringen.

Die Dauer der Staaten

Mit dem Sinken und Steigen hat es folgende Bewandtnis: Die Welt war stets dieselbe. Es gab in ihr immer so viel Gutes wie Böses, allein dieses Gute und dieses Böse wechselte von Land zu Land. So wissen wir, daß die alten Weltreiche durch den Wechsel der Sitten von einem Land aufs andere übergingen.

Staaten, deren Gedeihen allein von den ausgezeichneten Eigenschaften eines Mannes abhängt, sind von kurzer Dauer. Denn jene ausgezeichneten Eigenschaften fehlen, sowie dieser Mensch stirbt ... Nicht das ist daher das Heil einer Republik oder einer Monarchie, einen Fürsten zu haben, der sie weise regiert, solange er lebt, sondern daß ein Fürst ihr solche Einrichtungen gibt, daß sie sich auch nach seinem Tode noch erhält.

 

Es gilt immer zu sorgen, daß die Verfassung des Staates von selbst fest steht. Und sie wird immer fest stehen, wenn jedermann sie aufrecht hält, wenn jeder weiß, was er zu tun hat und auf wen er zu vertrauen hat, und wenn keine Klasse der Bürger aus Furcht für ihre Sicherheit oder aus Ehrgeiz eine Umwälzung zu wünschen hat.

Innenpolitische Spannungen

Kein Studium kann den Bürgern, die Republiken lenken, förderlicher sein als das der Ursachen von Haß und Zwietracht, damit sie, durch fremde Gefahr belehrt, die Notwendigkeit erkennen, auf Einigkeit untereinander zu halten.

Die Ursache der Zwietracht in Republiken ist größtenteils Muße und Friede, die Ursache der Einigkeit Furcht und Krieg.

 

Die Furcht vor einem Machthaber läßt einen Schwachen groß werden, der Großgewordene wird gefürchtet, und den Gefürchteten versucht man wieder zu stürzen.

 

Niemand beginne eine Umwälzung in einem Staat in dem Glauben, sie dann nach Belieben anhalten oder nach Wunsch lenken zu können.

 

Den Völkern schadet viel mehr die Habsucht der eigenen Bürger als die Raubgier der Feinde. Dieser läßt sich bisweilen ein Ziel setzen, jener aber nie.

 

Das Volk strebt danach, von den Großen nicht beherrscht und unterdrückt zu werden, die Großen danach, das Volk zu beherrschen und zu unterdrücken. Diese entgegengesetzten Tendenzen bringen eine der drei Wirkungen hervor: Monarchie, Freiheit oder Anarchie.

 

Die heftige natürliche Feindschaft zwischen Volk und Adel, deren Grund darin liegt, daß dieser befehlen, jenes nicht gehorchen will, ist Ursache aller Übel, die in den Freistaaten entstehen. Aus diesen widerstrebenden Leidenschaften zieht alles andere, was die Republiken erschüttert, seine Nahrung.

 

Wenn man die Kämpfe zwischen den Edlen und dem Volke verdammt, so tadelt man, meiner Meinung nach, die erste Ursache der Erhaltung römischer Freiheit. Man beachtet dann mehr das Gelärm und Geschrei bei solchen Kämpfen als ihre guten Wirkungen und bedenkt nicht, daß in jeder Republik das Denken und Streben der Großen und des Volkes verschieden ist und daß aus ihrer Zwietracht alle Gesetze zugunsten der Freiheit hervorgehen.

Staatskunst

Regieren bedeutet nichts anderes, als die Untertanen so halten, daß sie dich nicht verletzen können oder wollen. Diesen Zweck erreichst du entweder dadurch, daß du dich ihrer vollkommen versicherst, indem du ihnen jede Möglichkeit, dir zu schaden, entziehst, oder dadurch, daß du ihnen so viel Gutes erweist, daß sie keinen Grund haben, eine Änderung ihres Zustandes zu wünschen ... Wenn man über das Schicksal mächtiger Staaten zu entscheiden hat, die an Freiheit gewöhnt sind, muß man sie entweder vertilgen oder ihnen schmeicheln, sonst ist jeder Urteilsspruch eitel. Man muß durchaus den Mittelweg vermeiden, weil er verderblich ist.

 

Kein Fürst beklage sich über die Verfehlungen seiner Untertanen; denn diese Sünden entstehen notwendig aus seiner Nachlässigkeit oder weil ähnliche Laster ihn beflecken.

Wahres Verdienst sucht man nur in schwierigen Zeiten auf; in gewöhnlichen Zeiten hingegen werden nicht die verdienstvollen Männer begünstigt, sondern die, die sich auf Reichtum und Familienverbindungen stützen können.

 

Es ist eine allgemeine und untrügliche Regel: ein Fürst, der nicht Verstand genug hat, kann nicht gut beraten werden, es sei denn, daß er sich einem sehr klugen Manne anvertraute. Von diesem könnte er allerdings gut geleitet werden; aber es würde nicht lange dauern, denn ein solcher Minister würde ihn bald um seinen Staat bringen.

Staatskunst und Geschichte

Als einst in Rom eine verheerende Pest wütete, schien den Volskern und Äquern die Zeit gekommen, Rom zu demütigen. Beide Völker brachten ein großes Heer zusammen, griffen die Latiner und Herniker an und verwüsteten ihr Land, so daß diese genötigt waren, die Sache nach Rom zu melden und um Schutz zu bitten. Die durch die Krankheit schwer bedrängten Römer antworteten, sie sollten sich entschließen, sich selbst und mit ihren eigenen Waffen zu verteidigen; denn sie, die Römer, könnten es nicht. Man erkennt hieraus die Großherzigkeit und Weisheit des Senates. Immer wollte er, in jedem Glück oder Unglück, Herr der Beschlüsse seiner Untertanen bleiben; und er schämte sich niemals, etwas seinem gewöhnlichen Verhalten oder früher gefaßten Beschlüssen Widersprechendes zu beschließen, wenn es ihm die Notwendigkeit gebot. Ich sage dies, weil der Senat ein ander Mal den genannten Völkern verboten hatte, die Waffen zu ergreifen, so daß sich ein weniger weiser Senat etwas zu vergeben geglaubt hätte, wenn er ihnen nun die Erlaubnis zur eigenen Verteidigung gab. Allein er beurteilte die Dinge immer, wie man sie beurteilen muß, und ergriff die am wenigsten nachteilige Maßregel als die beste ... Obwohl man nun glauben sollte, alle Republiken müßten so handeln, so können sich doch schwache und schlecht beratene Staaten nicht dazu entschließen, noch verstehen sie es, in einem solchen Falle aus der Not eine Tugend zu machen ... Sie ergreifen nie eine vorteilhafte Maßregel, wenn nicht gezwungen, weil sie ihre Schwäche nie zur Entscheidung kommen läßt, wenn noch irgendein Zweifel übrig ist. Und wird dieser Zweifel nicht durch eine höhere Gewalt gelöst, so schwanken sie ewig hin und her.

 

Wenn man die alten und neuen Begebenheiten betrachtet, erkennt man leicht, daß alle Städte und alle Völker von jeher dieselben Wünsche und Launen hatten. Untersucht man daher sorgfältig die Vergangenheit, so ist es ein leichtes, die zukünftigen Ereignisse vorherzusehen und dieselben Hilfsmittel anzuwenden, die von den Alten angewendet worden sind, oder, wenn sich nicht gerade solche finden, neue, der Ähnlichkeit der Vorfälle angemessene zu ersinnen. Da aber solche Betrachtungen vernachlässigt oder von denen, die sie lesen, nicht verstanden werden oder, wenn verstanden, doch denen, die regieren, unbekannt sind, so ist die Folge davon, daß jederzeit dieselben Störungen stattfinden.


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