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2. Kapitel

Frühling im Lande! Maienzeit! Mit geschäftiger Hand hatte der junge Lenz überallhin seine Blüten zerstreut, so daß jedes Plätzchen, das dem Kuß der Sonne zugänglich war, grün und bunt geschmückt erschien, selbst die Böschung der hohen Wälle, an denen die Eisenbahn hinfuhr.

Schon seit einigen Minuten hielt der Zug auf einer der größeren Stationen zwischen Halle und Dresden, doch hatte das Glockenzeichen bereits die Passagiere zum Einsteigen aufgefordert und alle beeilten sich, ihre Plätze einzunehmen. Auch ein junger Mann, der sich beim Einnehmen einer Erfrischung etwas verspätet zu haben schien, strebte hastig seinem Coupé zu. Eine stattliche, vornehme Erscheinung war es; in Gang und Haltung lag etwas, das auf einen Offizier in Zivil schließen ließ, die Züge des schönen Gesichts waren männlich charaktervoll und einnehmend. Schon hatte er seinen Wagen erreicht und wollte sich hinaufschwingen, als sein Blick auf ein junges Mädchen fiel, das, ein Gefäß mit irgend einer Erfrischung in der Hand, ganz außer Atem vor dem Coupé stehen geblieben war, wie jemand, der vor Erschöpfung nicht weiter kann. Mit höflich auffordernder Bewegung hielt der Reisende die Coupéthür geöffnet, um die Dame zuerst einsteigen zu lassen, diese aber rührte sich nicht. »Schnell, schnell, mein Fräulein,« drängte der junge Mann, »es hat bereits geläutet.« – » Oh mon Dieu, que faire? Je n'en puis plus!« jammerte die Fremde. »Ist dies Ihr Zug?« fragte jetzt der Herr in französischer Sprache. » Certainement, monsieur,« rief die Angeredete, » mais ce n'est pas – – –« »Nun, gleichviel,« rief der Herr entschieden, »wenn Sie mit wollen, müssen Sie unverzüglich einsteigen; da, – es läutet zum zweiten Male; Sie erklären mir unterwegs alles, jetzt aber, bitte!« Mit sanfter Gewalt, ohne weitere Worte half er der nicht länger widerstrebenden Dame ins Coupé und nahm ihr gegenüber Platz. Es war die höchste Zeit zum Einsteigen gewesen, denn unmittelbar darauf setzte der Zug sich in Bewegung.

Während derselbe fast lautlos durch die blühende Flur dahinrollte, fand der Reisende Zeit, seine so gewaltsam eroberte Gefährtin näher zu betrachten. Zunächst fiel ihm ihre fast klösterlich einfache, etwas fremdartige Kleidung auf, die dem natürlichen Wunsche junger Mädchen, zu gefallen, so gar keine Zugeständnisse machte. Nichts war von kokettem Ausputz, nichts von lachenden Farben zu sehen; braun das Gewand, grau die Reisehülle, schwarz die Kapuze, die trotz des herrlichen Maiwetters das Gesicht der jungen Reisenden dicht umrahmte. Aber dieses Gesicht – der Reisende gestand sich, nie etwas so reizvolles, so frühlingsfrisches gesehen zu haben. Ein dunkles, leuchtendes, von langen schwarzen Wimpern beschattetes Augenpaar, eine weiße Stirn, die einige widerspenstige, aus der Kappe hervorquellende Löckchen neckisch umspielten, rosige, noch kindlich gerundete Wangen, der ganze Ausdruck der feinen, regelmäßigen und doch pikanten Züge so eigenartig fesselnd, – es war ein Bild, von dem der Reisende seine Blicke gar nicht abwenden konnte. Zufällig waren die beiden allein im Coupé. Der Herr, der ein auffallendes Anstarren zu vermeiden wußte, obgleich er sein Gegenüber nicht aus den Augen verlor, merkte, daß dieses seine Anrede wünschte und erwartete, wahrscheinlich um das sonderbare Benehmen vor dem Einsteigen zu erklären, und er zögerte nicht, diesem Wunsche entgegenzukommen.

»Ich verfuhr vorhin etwas eigenmächtig, mein Fräulein,« begann er in französischer Sprache, »aber was war zu thun? Die Notwendigkeit verlangte es, da Sie doch mit diesem Zuge mitkommen wollten. Zürnen Sie mir deshalb?« »O wie sollte ich,« protestierte das Mädchen eifrig, »ich muß Ihnen ja dankbar sein, mein Herr, so dankbar, denn ohne Sie wäre ich zurückgeblieben und viel später nach N. gekommen, als meine arme Pate, die schon jetzt um mich in großer Angst sein wird.« – »Nach N.? Reisen Sie dorthin?« fragte der Reisende ganz erregt. » Mais oui monsieur.« »O, dann haben wir ja das gleiche Reiseziel, – auch ich gehe dorthin. Wie glücklich fügt sich das! Ich werde Sie Ihrer Frau Patin dort zuführen können und Sie dann vielleicht – in der Stadt wiedersehen. Sie bleiben doch in N.?«

Ein Schatten flog über das Kindergesicht. »Ja, ich bleibe da,« sagte sie und der Reisende glaubte einen leisen Seufzer zu hören, »aber sehen – werden Sie mich wohl nicht mehr.« Dann schnell ablenkend fügte sie hinzu: »Ich bin Ihnen noch meine Erklärung schuldig, warum ich vorhin so sonderbar war. Meine Patin – die Eltern hatten sie mir zur Reisebegleiterin mitgegeben – ist schon alt und ein wenig dick und schwerfällig,« – hier verzog sich der kleine Mund zum Lächeln und in beiden Wangen wurden Grübchen sichtbar; »so mußte ich, da sie immer an Durst litt, an jeder größeren Station aussteigen und Erfrischungen für sie besorgen. Und nun denken Sie, mein Herr, dort bei der letzten konnte ich das Coupé durchaus und durchaus nicht wiederfinden, – wohl zehn Mal lief ich die Reihe auf und ab, aber alle Wagen sahen gleich aus und die Patin schaute nicht heraus. Und wie es dann plötzlich läutete, fuhr mir der Schreck so in alle Glieder, daß ich wahrhaftig nicht weiter konnte. Ganz kopflos war ich vor Angst, und ich wäre sicher zurückgeblieben, wenn Sie sich meiner nicht angenommen hätten. O mein Gott, wie wäre das geworden, – ich allein auf dem Perron, ohne Deutsch zu verstehen, – und die arme Patin genötigt, ohne mich in N. anzukommen, – schrecklich!« –

»Ich schätze mich glücklich, Sie in Sicherheit gebracht zu haben,« sagte der Reisende lächelnd, »und,« fügte er leiser hinzu, »noch glücklicher, die Fahrt in Ihrer Gesellschaft machen zu dürfen. Aber warum haben Sie mir jede Hoffnung abgesprochen, Sie in N. wiederzusehen? Ich bleibe mehrere Wochen dort und die Stadt ist nicht so groß, daß man sich nicht in Gesellschaft, auf der Straße, bei Spaziergängen und dergleichen dann und wann treffen sollte?« – »Ich werde aber weder in Gesellschaften noch auf den Straßen zu treffen sein,« sagte das Mädchen mit gedrückter Stimme, »da, wo ich hingehe und bleiben werde, mein Herr, geht man nicht aus.« »Ei,« scherzte der junge Mann, »das klingt ja, als wenn Sie direkt ins Kloster gingen.« – »Und so ist es auch, – wirklich ins Kloster – zu den frommen Schwestern von St. Borromäus.« »Ah, ich verstehe, Sie sollen dort in Pension kommen, um Ihre Bildung zu vervollständigen, – ist's nicht so?« »Nein, nicht so, mein Herr; ich selbst soll eine fromme Schwester werden, eine Himmelsbraut, wie man es nennt. Begreifen Sie nun, daß die Welt da draußen« – sie warf einen Blick durchs Fenster auf die sonnige Frühlingslandschaft – »für Constance Meunier keine Bedeutung mehr hat, noch haben darf?«

Der junge Mann war bei ihrer Eröffnung wie entsetzt aufgesprungen. »Eine Himmelsbraut, Sie?« rief er außer sich, »unmöglich! Solch' blühende Jugend, soviel Anmut und Liebenswürdigkeit soll zwischen Klostermauern vergraben werden? O Sie scherzen, Fräulein, es kann ja nicht sein. Sagen Sie, daß es nur Scherz war!«

Das Mädchen schüttelte traurig das Haupt. Schon vorher hatte es, wohl von dem warmen Strahl der Frühlingssonne belästigt, die Kappe gelüftet, jetzt nahm es dieselbe ganz ab, und zwei schwere braune Flechten fielen entfesselt an Brust und Nacken nieder. Dem jungen Manne ging es wie ein schneidendes Wehe durch die Seele. Das Bild, daß sich seinem Auge darbot, war so wunderhold, so unvereinbar mit Weltentsagung und Klosterabgeschiedenheit, daß der Gedanke ihm unerträglich schien. »Also wirklich, wirklich?« rief er. »Aber es kann Ihre eigne Wahl nicht sein, oder Sie wissen nicht, was das heißt. – – O sagen Sie mir, wer, wer hat den Frevel, nein das Verbrechen begangen, Ihre jugendliche Unerfahrenheit so zu mißbrauchen, Sie zu einem solchen Entschlusse zu überreden?«

Erschrocken, mit weitgeöffneten Augen sah Constanze dem Sprecher ins Gesicht. Das Verständnis seiner Rede schien ihr erst nach und nach aufzudämmern und gleichzeitig ganz neue, bisher unbekannte Vorstellungen in ihr wachzurufen. »Überredet?« sagte sie halb zu sich selbst, »aber das war ja gar nicht nötig; so lange ich denken kann, wußte ich es ja nicht anders, als daß ich für das Kloster bestimmt bin. Seit langer, langer Zeit ist es in unserer Familie Brauch, daß immer die jüngste Tochter den Schleier nimmt, – und ich bin die jüngste. So hat denn mein guter Vater, der Großhändler Meunier in Courtrai, bei Zeiten mit dem Mutterhause in Prag alles abgemacht und es ist bestimmt worden, daß ich nach beendigter Schulzeit nach N. kommen solle, um eine Lehrschwester zu werden. Jetzt bin ich mit der Patin dahin unterwegs, sie soll mich der Oberin übergeben und dann zurückfahren.«

»Und gehen Sie gern in diesen Kerker?« fragte der junge Mann förmlich gereizt. Constanze antwortete nicht sogleich; sie sah durchs Fenster auf die sonnenbeglänzten Fluren, den dunklen Waldessaum, den schilfumgrenzten Weiher, sah nach den Gruppen lustwandelnder Menschen und spielender Kinder und ihr Gesicht bekam einen traurig sinnenden Ausdruck. »Gern?« erwiderte sie endlich zögernd, »ich habe darüber nie nachgedacht. Der Abschied von den Eltern wurde mir sehr, sehr schwer, denn ich liebe sie von ganzem Herzen und sie lieben mich auch zärtlich, aber ich ging von ihnen und sie ließen mich ziehen in dem Bewußtsein, daß es eben nicht anders sein konnte. O mein Herr, warum fragen Sie mich solche Dinge? Habe ich mich selbst doch nicht danach gefragt und war ich doch immer bei dem Gedanken an meine Bestimmung ruhig und zufrieden bis heut – –«

»Bis heut?« rief der Fremde eifrig; »also Sie sind es nicht mehr? Die willenlose Ergebung, mit der Sie den Weg ins Kloster antraten, ist Ihnen abhanden gekommen? Seien Sie offen, Fräulein, vertrauen Sie mir, – ist es mit Ihnen anders geworden? Der Schritt, den Sie thun wollen, ist ein schwerer, unwiderruflicher, einer, den man nicht blindlings und gedankenlos, aus bloßem Gehorsam gegen die Eltern thun darf. So denken Sie denn, daß Sie sich selbst über Ihre Empfindungen Rechenschaft geben, indem Sie mir ein treues Bild davon geben. Ich beschwöre Sie, sagen Sie mir alles!«

»Ich hatte bis heut noch so wenig von der Welt gesehen,« sagte Constanze nachdenklich, »das Haus des Vaters, der Garten, der Weg zur Schule und Kirche, das war ziemlich alles; auch Menschen bekam ich wenig zu Gesicht, außer den Personen meiner Umgebung, den Mitschülerinnen, dem Priester und der Gemeinde in der Kirche. Ich durfte keinen Umgang mit Mädchen meines Alters haben, weil ich als künftige Nonne keine weltlichen Beziehungen anknüpfen sollte. So wußte ich gar nicht, wie schön die Welt ist, wie glücklich die Menschen sein müssen,« – sie sah wieder hinaus – »die in Freiheit leben und gehen dürfen, wohin sie wollen, – aber das sind sündhafte Gedanken und ich werde die heilige Jungfrau anflehen, daß sie mir helfen möge, sie zu unterdrücken und Ruhe und Ergebung wiederzuerlangen.«

»Nein, nicht so,« rief der junge Mann, »der Himmel verlangt diese Ergebung nicht, noch billigt er sie. So gut wie andere haben Sie ein Recht an Glück und Freiheit, ja vielleicht mehr als andere mit Ihrer Lebensfrische und Jugendschöne; und wenn der erste Schritt in die Welt den schlummernden Freiheitsdrang, die nie gekannte Sehnsucht nach Lebensgenuß und Menschenverkehr in Ihnen erweckt hat, so ist dies ein berechtigtes, natürliches Gefühl und keine Sünde. Schwere Sünde, unverzeihliche Schuld wäre es dagegen, mit solchen Regungen ins Kloster zu gehen. Laden Sie sie nicht auf sich, Fräulein, – thun Sie es nicht, ich beschwöre Sie, – Sie würden Ihr zeitliches und ewiges Heil dahingeben. Noch haben Sie Zeit, sich zu retten. Ein längeres oder kürzeres Noviziat liegt zwischen jetzt und dem wirklichen Eintritt ins Kloster, – benützen Sie diese Zeit, um Ihre Eltern zur Zurücknahme der Verfügung zu bestimmen. Sie sagen, daß dieselben Sie zärtlich lieben, so werden sie Sie nicht unglücklich machen.«

»Ach, mein Herr,« sagte Constanze, »Sie wissen nicht, wie fest die Eltern an dem Familienbrauch hängen. Es heißt von Alters her, daß ein Abweichen davon Tod und Unglück über die Familie, die ihn mißachtet, heraufbeschwört, – sollte ich die meinige in solche Gefahr bringen? Auch würde kein Bitten und kein Flehen den Vater bewegen, in etwas so Unerhörtes zu willigen. Und selbst wenn ich es versuchen wollte, – wie wäre es möglich, an die Eltern zu schreiben? Jeder Brief, den ich absende oder empfange, wird von der Frau Oberin gelesen, – nein, mein Herr, da giebt es kein Zurück, ich muß meiner Bestimmung folgen.«

»Und wer sagt Ihnen, daß dies Ihre Bestimmung ist? Beim ewigen Gott, sie ist es nicht, und ich wäre selbst ein Verbrecher, wenn ich jetzt, da ich von der Sache Kenntnis habe, duldete, daß ein Wesen wie Sie so einem Wahn hingeopfert würde. Betrachten Sie es als eine Fügung des Himmels, daß er Sie von Ihrer Patin trennte und mit mir zusammenführte; glauben Sie, er will nicht, daß Sie ins Verderben gehen. Meine Reise gilt einem Besuch bei Mutter und Schwestern; gestatten Sie mir, daß ich diese Lieben für Ihre Sache gewinne, sie werden einem solchen Rettungswerke ihre Teilnahme nicht versagen und Ihnen zur Freiheit verhelfen, sei es auch gegen den Willen der Eltern. Aber Sie wissen noch gar nichts von mir, ich bin Ihnen vollständig fremd, – es ist nötig, daß ich Sie mit dem Wesentlichsten über meine Person bekannt mache, damit Sie doch wissen, wer einen solchen Eingriff in Ihr Leben wagt.

Mein Name ist Adalbert Freiherr von Rechnitz. Ursprünglich Offizier, mußte ich bei dem Tode meines Vaters, der Major war, aus der Armee austreten, weil die Carriere keine Aussicht bot, Mutter und Schwestern so wirksam zu unterstützen, wie es bei der unzulänglichen Witwenpension notwendig war. Ein Regimentskamerad, dem ich einmal sehr gefällig gewesen, vergalt mir dadurch, daß er mir eine Volontärstelle in einem großen Handlungshause zu Rotterdam, mit dessen Chef er nahe verwandt war, verschaffte. Es gelang mir, mit der nötigen Geschäftserfahrung auch das Vertrauen des Herrn in kurzer Zeit zu erlangen, ich rückte bald zu einer besoldeten Stellung auf, konnte schon nach einem Jahre die Meinigen, wenn auch in geringem Maße, unterstützen und nach Ablauf des zweiten dies schon wirksamer thun. Jetzt ist mir die Leitung des Geschäftshauses in Sumatra, wo die Firma auf eignen Plantagen ihren Bedarf produziert, übertragen worden, ein ganz selbständiger Vertrauensposten, und ich bin auf dem Wege nach der Heimat, um die Meinen vor der Abreise noch einmal zu sehen und alle Zukunftspläne zu besprechen.

Da haben Sie mein kleines Lebensbild, Fräulein, und nun beschwöre ich Sie: Kommen Sie mit mir zu den Meinigen! Glauben Sie mir, daß ich es wohl meine, daß ich Sie nur vor dem Verderben schützen will. Noch kurze Zeit, so sind wir am Ziel, Mutter und Schwestern werden mich am Bahnhof erwarten, – darf ich Sie ihrem Schutze übergeben, ehe die Patin Sie aufgefunden?«

Mit ausgestreckter Hand und dringend fragendem Blick stand der schöne Mann vor dem Mädchen, in dessen Miene sich ein heftiger Seelenkampf spiegelte. Schon glaubte der Baron, ihren Widerstand besiegt zu haben, als sie plötzlich, das Haupt und die thränenschimmernden Augen zu ihm erhebend, mit weicher Stimme begann: »Sie sollten mich nicht so in Versuchung führen, Herr, – ich weiß ja jetzt, daß die Welt schön ist und die Freiheit köstlich, ich weiß auch, daß ich im Kloster unglücklich sein werde und keinen Frieden haben, – aber ich muß doch hin. Denken Sie denn ich könnte draußen froh sein ohne den Segen der Eltern? Und dann die Patin, – sie hat sich jetzt schon genug um mich geängstigt, – wie würde sie verzweifelt sein, wenn sie mich auch in N. nicht fände! Ich glaube, sie würde lieber sterben, als mit dem Geständnis vor meine Eltern treten, daß sie mich verloren. Nein, Herr Baron,« fügte sie schluchzend hinzu, »ich danke Ihnen tausendmal für Ihre Teilnahme, ich werde nie vergessen, wie gütig Sie gegen mich waren, – aber ich muß gehen, wohin die Eltern mich gesandt.«

Eine Weile saßen beide schweigend, Constanze in traurige Gedanken versunken, der Baron mit unmutig gerunzelter Stirn; da begann dieser wieder: »Nun wohl, beruhigen Sie Ihr Gewissen und gehen Sie ins Kloster, aber nicht für immer. Der Beruf einer Nonne erfordert völlige Entsagung, völlige Gleichgiltigkeit gegen die Freuden der Welt. Beides ist Ihnen in wenigen Stunden verloren gegangen; wie wollen Sie eine unabsehbare Reihe von Jahren, langen, eintönigen Jahren, ertragen, ohne Schaden an Ihrer Seele zu nehmen? Sie sind in keiner Weise für solchen Beruf geeignet, Ihr Leben ist also, wenn Sie ihn dennoch ergreifen, ein verfehltes, elendes. Sie dazu zu verurteilen, hat aber niemand ein Recht, hören Sie, niemand, auch die Eltern nicht, und sie können es auch nicht beabsichtigen. Als sie die Tochter für das Kloster bestimmten, glaubten sie, sie ginge mit Freuden hin; ein Opfer wollten sie Ihnen nicht auferlegen; wenn sie aber nun erfahren, daß Sie dadurch unglücklich werden, bestehen sie sicher nicht auf ihrem Verlangen. Also schreiben Sie bald nach Hause, schildern Sie den Eltern Ihre veränderten Gesinnungen, bitten Sie sie so dringend Sie können, um ihrer Liebe willen Sie zurückzurufen, – Sie werden schon die rechten Worte finden, – und ich werde sorgen, daß meine Schwester Anna Zutritt zu Ihnen findet, um Ihren Brief in Empfang zu nehmen. Die Antwort erbitten Sie unter der Adresse meiner Mutter, Freiin von Rechnitz. Wollen Sie das thun?«

»Ich will es,« antwortete Constanze mit trübem Lächeln, »aber es ist vergebens, – meine Eltern sind unbeugsam, wenigstens der Vater giebt auf keinen Fall nach.« »Nun denn, wenn es so kommt, so müssen Sie gegen seinen Willen Ihr Anrecht an das Leben verteidigen. Sie müssen, es ist Ihre Pflicht, denn wenn Sie sich unwiderruflich binden und unglücklich machen, um dem Willen des Vaters zu folgen, so laden Sie seiner Seele einen Vorwurf auf, der früher oder später schwer auf ihm lasten wird. Ins Kloster können Sie immer noch gehen, wenn Sie den Beruf dazu fühlen; die Schritte also, die Sie thun, um sich ihm für jetzt zu entziehen, sind nicht unwiderruflich. Das Gelübde aber ist es, das Sie für immer hinter diese Mauern bannt, also dürfen Sie nicht abwarten, bis man es Ihnen abnimmt, sondern müssen vorher entfliehen.«

Erschrocken faltete Constanze die Hände. »Ich würde nie den Mut haben,« sagte sie. »Noch nie habe ich meinen guten Eltern mit dem kleinsten Wort widersprochen, nie eine eigne Meinung gehabt, und sollte ihnen so Trotz bieten? Und doch fühle ich, daß Sie Recht haben. Ich kann nicht mehr im Kloster glücklich sein, – ich bin eine andere geworden, aus dem Schlaf erwacht, – wie ein gefangener Vogel werde ich vor Sehnsucht und Bangigkeit sterben, und wenn dann mein Vater hört, wie es gekommen, dann wird er vor Gram und Reue sich selbst verwünschen. Er wird immer an sein Kind denken müssen, das ihn gebeten, es an sein Herz zurückzunehmen, und das er von sich gestoßen. Vor solchem ›Zu spät!‹ müßte ich ihn bewahren, aber wie kann ich denn den Mut finden – –«

»O, Sie sollen gar nicht handeln, nur erlauben, daß für Sie gehandelt wird, sollen das Befreiungswerk nur nicht hindern, sondern durch Bereitwilligkeit unterstützen. Wollen Sie das? Hier meine Hand, schlagen Sie ein!«

Er hielt ihr die Rechte entgegen. Noch einen Augenblick zögerte sie und erhob die Augen wie betend und Rat erflehend zum Himmel, dann aber legte sie entschlossen ihre kleine Hand in die des Barons. »Ich glaube, es ist das Rechte, und wenn es anders ist, so wird Gott dem armen, irrenden Kinde verzeihen.« Ein heller Freudenschimmer flog über das Gesicht des jungen Mannes, als er die kleine Hand fest umschloß und an seine Lippen führte. In diesem Augenblicke fuhr der Zug in den Bahnhof von N. ein.

»Auf Wiedersehen!« rief der Baron seiner Reisegefährtin zu, die sich mit Gruß und Dank, aber hastig von ihm verabschiedete, um ihrer ratlos auf dem Perron stehenden Patin zuzueilen. Während die korpulente Dame noch unter lebhaften Gestikulationen von der ausgestandenen Angst erzählte und ihrer Freude über das Wiederfinden Ausdruck gab, sah Constanze den Baron in Begleitung einer alten, würdigen Dame und zweier jungen Mädchen herankommen. Man sah es an den verklärten Gesichtern aller, daß ihre Herzen noch ganz von der Wonne des Wiedersehens erfüllt waren, aber doch hatte der Heimgekehrte, während er die Geliebten, Langentbehrten in die Arme schloß, seine Reisegefährtin nicht vergessen und eilte nun herbei, um den unerfahrenen Frauen behilflich zu sein. Es erfolgte eine gegenseitige Vorstellung, dann sorgte der Baron für das Gepäck der Fremden, sowie für einen Wagen und kehrte erst, nachdem dies geschehen, zu seinen Damen zurück. »Auf Wiedersehen!« hatte er Constanze zugerufen, als der Zug in N. einfuhr; »auf Wiedersehen!« flüsterte er wieder, als er die Thür ihrer Droschke schloß; und schüchtern und heimlich schob sich für einen kurzen Moment ihre Hand in die seine, während auch sie ihm leise zurief: »Auf Wiedersehen!«


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