Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Der Widerstreit zwischen Geschlechtlichkeit und Liebe: Der Liebessucher und der Liebesknecht

Es leuchtet von vornherein ein, daß die Ausgleichung der beiden Faktoren Geschlechtstrieb und Liebe nicht immer ohne weiteres erfolgen wird – die völlige und wahrhafte Einheit ist in der Tat etwas ganz Ungewöhnliches, vielleicht etwas Utopisches. Habe ich im vorangegangenen die Verschmelzung beider zur höchsten Form der Erotik besprochen, so sollen nun einige für die psychologische Wirklichkeit sehr bedeutungsvolle Erscheinungen geklärt werden, die auf der mißlungenen Vereinigung von Geschlechtlichkeit und Liebe beruhen und die meiner Überzeugung nach noch niemals richtig gedeutet worden sind. Ich meine die Perversionen, die an und für sich durchaus nicht pathologisch sind, wenn sie auch meistens erst in ihrer pathologischen Entartung beachtet und beschrieben werden.

Die Grundform des sogenannten Sadismus ist bei einem erotischen Typus zu finden, den ich Liebessucher nenne. Er ist dadurch charakterisiert, daß er die unstillbare Sehnsucht nach rein seelischer Liebe im Herzen trägt, daß er diese Liebe sein Leben lang von Frau zu Frau sucht, sie aber vermöge seiner niedrigen Anlage niemals finden kann und immer wieder in die Sexualität verfällt. So tastet er – oft nur unklar bewußt – nach einer Phantasiegestalt und haßt jede einzelne von den Frauen der Wirklichkeit, die ihm wie ihrem Schicksal zufallen, denn von jeder ist er um das, was er bei ihr gesucht hat, betrogen worden. Als richtiger Illusionist weiß er von den Frauen der Wirklichkeit nichts, hofft immer wieder, die Wahre zu finden, und wird immer wieder enttäuscht. Jeder Frau, die er erobert hat, mißt er die Schuld seiner eigenen Halbheit bei, er verachtet sie oder er rächt sich an ihr, straft sie und mißhandelt sie: wir erkennen den wahren Don Juan und seine krankhafte Karikatur, den Sadisten. Auch der roheste unter ihnen, dessen Praktiken im höchsten Grade abstoßen, läßt sich noch auf dieses psychologische Schema bringen: der von Frau zu Frau die Liebe sucht und nie etwas anderes finden kann als die Sexualität, wofür er sich rächt. Ja, es gibt gar nicht wenige Männer, die nur einer einzigen Frau gegenüber sadistisch fühlen – es ist die, an der sie die große Enttäuschung über sich selbst erlebt haben. – Zweifellos haben manche Menschen die seelischen Wurzeln ihrer Perversion nahezu eingebüßt und bleiben ganz in körperlichen Handlungen befangen. Dies ist nicht weiter merkwürdig, weil ja dasselbe bei allem Menschlichen immer wieder beobachtet werden kann. Aber der dumpfe Trieb, an den Frauen Rache zu nehmen (er weiß vielleicht nicht mehr wofür), lebt auch im pathologischen Sadisten.

Dies eine ist dem Liebessucher mit dem Frauenanbeter gemein, daß sie beide über die Frauen der Wirklichkeit hinaus etwas Höheres suchen; der Anbeter aber besitzt die reine Liebe in der Distanzierung von der Frau, der Abstand zu ihr ist ihm niemals groß genug und er wird daher niemals enttäuscht. Der Liebessucher reißt jede Frau an sich, von der unablässigen Illusion geblendet, diese, nur diese müsse die Wahre sein. Und er erkennt immer wieder, daß er doch nur brünstig sein kann, jede Frau zerstört seinen Traum von neuem und an jeder rächt er sich dadurch, daß er sie (als Don Juan) verachtet und der Schande preisgibt, als Sadist mißhandelt. Und doch verliert er die Illusion niemals endgültig, denn er will seine Sehnsucht extensiv befriedigen, und so schwindet ihm, der auch der Selbsterkenntnis unfähig ist, die Hoffnung niemals ganz, endlich doch noch der Einen zu begegnen.

Ganz ähnlich verhält sich der Mann, den wir in Sordel vertreten gefunden haben, der eine Frau wirklich seelisch liebt, alle anderen aber nur sexuell auf sich wirken läßt.

Die Tragik Don Juans liegt darin, daß er in der niedrigen erotischen Sphäre, die er unumschränkt beherrscht, nicht leben kann und ein Reich gewinnen will, das ihm verschlossen bleibt. Durch die Menge der Frauen glaubt er zum Höheren zu kommen – und versinkt doch immer tiefer in die eigene Sexualität, als deren sichtbare Zeichen alle die verbrauchten, weggeworfenen Frauen um ihn stehen. Er wird bösartig, grausam und fühllos, die Lust, deren Sklave er ist, ekelt ihn an –

So tauml' ich von Begierde zu Genuß
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

Er ist unersättlich, aber nicht wie der primitive Genußmensch, weil ihm der Genuß eigentliches Lebenselement wäre, sondern weil er immer wieder den Genuß mit der Liebe verwechselt. Er kennt nur »die Weiber« und sündigt so an der Persönlichkeit; die Liebe, die aus ihr keimt, bleibt ihm verschlossen.

Die Ansicht, die im Don Juan einen glücklichen Frauenjäger sieht, ist nicht des Kritisierens wert; der berühmte Casanova z. B. hat mit dem Don Juan nichts gemein. Er ist ein fröhlicher Genießer ohne alle seelischen Komplikationen und alle Tragik, der das Leben nimmt wie es kommt. Er kennt die Frauen der Wirklichkeit und befaßt sich nicht damit, hinter Phantomen herzujagen. Im Alter schlürft er lüstern den Nachgeschmack und schreibt möglichst ausführliche Erinnerungen nieder. (Der Don Juan empfindet solch einen Widerwillen vor allen Frauen, die er besessen hat, daß er kaum mehr von ihnen weiß und sicherlich die Erinnerung nicht heraufbeschwören wird.) Casanova ist ein völlig unmetaphysischer und unproblematischer Mensch gewesen, ein richtiger eleganter Romane, der es verstanden hat, jedem Augenblick seinen Genuß auszupressen. Dies ist als Lebensweisheit in der Einleitung zu seinen Denkwürdigkeiten deutlich ausgesprochen: »Die sinnlichen Freuden zu genießen war immer meine Hauptaufgabe; ich habe nie eine wichtigere gekannt.« Er ist kein Wüstling, der nur auf den eigenen Genuß ausgeht und für das Fühlen seines Partners gleichgültig bleibt, sondern voll liebenswürdiger Rücksicht. »Ich habe immer die Schwachheit gehabt, die vier Fünfteile meines eigenen Genusses in dem zu finden, welchen ich dem reizenden Wesen verschaffte, das mir sie gewährte.« – Casanova, der sonderbarerweise in so hohen erotischen Ehren steht, ist nichts als ein durchschnittlicher, sehr erfolgreicher Lebemann und für unseren Gegenstand von keiner Bedeutung. – Aber auch der größere und wildere Vicomte de Valmont (der Held des berühmten Romanes von Choderlos de Laclos) ist mit all seiner Kunst und all seinem Geist und seinen perversen Prinzipien kein Liebessucher und kein Don Juan, sondern ein Geck und Sportsmann der Liebe, der die Frauen verführt, um mit seinen Erfolgen zu prahlen. Er ist übrigens nur ein Beispiel aus der verlangweilten höheren Gesellschaft des ancien régime und durchaus kein Unikum.

Einsichtsvollere Beurteiler glauben das Wesen Don Juans darin zu finden, daß er ein Herrscher und Zerstörer sei, eine Verbrechernatur mit satanischen Gelüsten, die es auf die Unterjochung der Frauen, auf ihre gesellschaftliche und moralische Vernichtung abgesehen habe. Nur der Sieg, nicht der Genuß soll seine Leidenschaft sein. Ich will diese Deutung nicht ganz abweisen, aber sie trifft doch zu sehr das Äußere, Scheinbare, nicht das Wesen. Warum handelt er so? Ist es wirklich das sozusagen formal böse Gelüste, den Frauen zu schaden? Eine solche Handlungsweise kann ja einmal vorkommen (der Vicomte de Valmont ist darauf angelegt), aber als Hauptmotiv eines Lebens genügt sie nicht – und vor allem ist ihre Mesquinität das Gegenteil des großen und dämonischen Menschen, der ja Don Juan doch sein soll. Wäre er zudem Eroberer im höchsten Sinn, dann würde er sich asketisch und stolz mit dem bloßen Bewußtsein des Besitzes begnügen. Aber sein ganzes Eroberertum ist falsch: die Frauen, mit denen er zu schaffen hat, interessieren ihn gar nicht. Sie sind ihm zwar nötig wie »die Luft, die er atmet«, aber was er bei ihnen sucht, können sie ihm nicht geben. In dem Augenblick, da er enttäuscht worden ist, wendet er sich angeekelt und ohne Herrschgelüste (das ja Teilnahme voraussetzen würde) ab, alle Frauen sind nur dazu da, um in ihm selbst etwas lebendig werden zu lassen. Aber es wird nichts lebendig, die Liebe von oben hat an ihm nicht teilgenommen, er kann nicht erlöst werden, die Hölle schlingt ihn ein. Vielleicht wäre er erlöst, wenn sich ihm eine versagte – dann würde er aufhören, Liebessucher zu sein und wäre Anbeter geworden, denn an die eine müßte er doch wahrhaftig glauben können; aber es ist sein Verhängnis, daß er keinen Widerstand findet, daß ihm die Frauen ausnahmslos und ohne Kampf zufallen.

So kann denn auch der Liebessucher – obgleich im beschränkteren Sinn – als ein metaphysischer Erotiker gelten, weil er das, was ihm beschieden ist – die Sexualität –, nicht erträgt und nach etwas Höherem langt. Aber dies ist nur seine persönliche Grenze, keine Grenze der Menschheit, und er hat sie mit dem Liebesknecht gemein, der wie er Sexualist ist und ein Liebender sein möchte. Der Liebesknecht ahmt die Stellung des Frauenanbeters nach, sinkt aber in diesem Verhältnis unfehlbar in die sexuelle Sphäre. Was die Psychiater seit Krafft-Ebing als Masochismus bezeichnen, ist die pathologische Entartung dieser Gefühlsweise, die außerordentlich verbreitet ist und verschiedene Formen annimmt, mir aber nicht eigentlich krankhaft erscheint. Krankhaft ist es freilich, wenn sich jemand von Dirnen beschimpfen, fesseln und peitschen läßt, aber als halbwegs normal kann man doch noch verstehen, wenn einer von einer stolz abweisenden Frau erregt wird, die gleich einer Königin daherschreitet, ohne den scheuen Anbeter zu beachten; und wenn er vor ihr niederknien und ihre Füße küssen möchte, die ihn zum Lohn treten. »Etre aux genoux d'une maîtresse impérieuse, obéir à ses ordres, avoir des pardons à lui demander, étaient pour moi de très douces jouissances.« (Rousseau, Les confession.) Normal ist wohl auch das knabenhafte Glück, einer verehrten stolzen Frau zu dienen – »Pagismus« nennt es Krafft-Ebing –, das Dostojewski in der Novelle »Ein junger Held« schön geschildert hat und das uns bei manchem Troubadour und Minnesänger (Ulrich von Liechtenstein!) begegnet. Die Grade dieses Gefühles sind unendlich zahlreich, aber der Kern liegt immer darin, daß der Mann das unabweisbare Bedürfnis fühlt, die geliebte Frau anzubeten, sich jedoch nicht in der Region der seelischen Liebe erhalten kann, sondern den unmittelbaren körperlichen (also sexuellen) Kontakt erstrebt, und gedemütigt, verhöhnt, mißhandelt werden will. Seine Stellung, die rein seelische Liebe vortäuscht, kann nicht anders als sexuell sein – die Vermengung von Liebe und Geschlechtlichkeit zusammen mit deren Unvermögen, eine wirkliche Synthese herzustellen, die Verwirrung von Wert und Lust ist in ihrer klarsten Form gegeben, viel klarer als bei dem (seltenen) Liebessucher. Es ist ganz gleichgültig, welches die äußeren Modalitäten sind, die von dem einzelnen bevorzugt werden (meistens symbolische Akte, die seine eigene Niedrigkeit und die Erhabenheit und Macht der Herrin andeuten). Auf das Seelische allein kommt es an, das ihn zu diesen sonderbaren Handlungen treibt, und da finden wir einmal das, was für den Frauenanbeter so charakteristisch ist: die Stellung des Sklaven vor der Herrin, dann aber den Zwang, diese seelisch gedachte Situation sexuell auszukosten. Der Masochist oder, wie wir ihn lieber nennen wollen, der Liebesknecht, ist Sexualist, kann der Frau aber nicht normal männlich, instinktiv und naiv gegenübertreten, sondern braucht die Pose des seelischen Anbeters, damit er Genüge finde. Man könnte versucht sein zu glauben, daß der heimliche Wunsch in ihm lebt, seine Unfähigkeit zur reinen Liebe dadurch zu sühnen, daß er gequält und erniedrigt werden will. So ist der Liebesknecht menschlich ein höherer Typus als der Liebessucher: alles was er durch seine krankhafte Anlage verfehlt hat, fällt wieder auf ihn zurück, er nimmt seine Schuld auf sich, während der Liebessucher für die eigene Mangelhaftigkeit an seinen Opfern Rache nimmt. Er ist seinem Wesen nach polygam, während der Liebesknecht meistens monogam veranlagt ist (und also bei den Frauen wenig Glück hat). Sie beide erstreben eine Verbindung von sinnlicher und seelischer Erotik – aber die Verbindung ist mißlungen.

Was alles die Autoren von widerlichen und schrecklichen Äußerungen dieser Perversionen berichten, würde sich bei näherem Eingehen – worauf ich aber verzichte – ganz von selbst unserem Schema fügen. Kommt es doch bei psychologischen Untersuchungen nur darauf an, aus der ungeheuren Menge der Erscheinungen die Grundtypen zu erschauen und richtig zu fixieren. Die Fülle der Einzelheiten ordnet sich von selbst ein, sie aufzuzählen und zu beschreiben ist unnötig und nicht Gegenstand der Erkenntnis.

Auch der sogenannte »Fetischist« – der sich vor gleichgültigen Gegenständen, welche der Geliebten oder irgendeiner Frau gehört haben oder nur gehören können, erregt – ist eine Abart des Liebesknechtes. Klassisch hierfür ist wohl der Ritter des Mittelalters, der ein Tuch oder einen Handschuh – etwa auch ein Hemd – seiner Dame am Herzen trägt und sich so gefeit glaubt. Hier sehen wir schon, wie die seelische Liebe nach Körperlichkeiten tastet, um einen irdischen Halt zu gewinnen; nicht jeder ist ja ein Dante, nicht jeder vermag seine Seele rein zu halten vor den Verlockungen des Irdischen. Doch auch der dem Zeitungsleser bekannte Zopfabschneider, der Strumpfbandsammler und ähnliche Helden brauchen eine Reliquie, einen Fetisch, den sie scheinbar verehren, in Wirklichkeit aber als sexuellen Reiz empfinden. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Kult, den manche Männer, besonders Künstler – aber auch Geisteskranke – mit weiblichen Bildern und Statuen treiben (speziell mit Köpfen). Hier ist das Grundgefühl der Schönheitsliebe, das wir als einen wesentlichen Faktor der rein seelischen Erotik kennen gelernt haben, in den Dienst der Sexualität gestellt. Die gesuchte Illusion seelischer Anbetung wird erleichtert und vor der eigenen Einsicht verhüllt, weil ein gemalter Frauenkopf auf den normal Empfindenden nicht sexuell wirkt, sondern in der Tat reine Gefühle auslöst. –

Ich habe es nicht vermeiden wollen, auch diesen Gegenstand kurz zu berühren (wenn auch nicht zu erschöpfen), da meine Theorie von den beiden Wurzeln der Erotik eine neue und wie ich glaube einleuchtende Deutung der Perversionen ergibt; ja man darf sagen, daß aus ihr die Existenz von Perversionen mit Notwendigkeit geschlossen werden kann, daß es so etwas geben muß, weil ja offenbar die Ausgleichung von Sinnlichkeit und Liebe nicht immer harmonisch erfolgen wird. So liefert dieses Kapitel die Ergänzung zu dem vorigen, wo die Vollendung der modernen Liebe beschrieben worden ist. Der Liebessucher und der Liebesknecht sind Phänomene der zerspaltenen Erotik, die ihre Einheit nicht finden kann; sie kommen daher weder in alten Zeiten, noch auch eigentlich und echt bei den Frauen vor. Geht man daraufhin eines der bekannten Bücher durch, so wird man diese Perversionen bei Frauen niemals wirklich vertreten finden, was es da gibt, ist Hysterie (d. h. Mangel an innerer Einheit) in den verschiedensten Formen; die Unterwürfigkeit dem Manne gegenüber ist ja der Frau oft natürlich und kann nicht als Perversion gedeutet werden. Wieder erkennen wir, daß die Erotik der Frau einheitlicher und naturhafter organisiert ist als die des ewig tastenden und ewig irrenden Mannes.

 

4. Die Rache der Geschlechtlichkeit: Das Dämonische und das Obszöne

Zum Schluß will ich noch eine Gruppe aus den Phänomenen der zerspaltenen Erotik klären, die in der Gegenwart eine nicht ganz geringe, wenn auch gern übersehene Rolle spielen und mit den eben besprochenen insofern verwandt sind, als auch sie auf einem Zwiespalt von Sinnlichkeit und Liebe beruhen. Solange die Sexualität als ein Selbstverständliches und Natürliches empfunden wird, das normalerweise gar nicht als etwas Gesondertes zum Bewußtsein kommt, ist die Gefühlssphäre, die man als dämonisch-sexuell und als obszön bezeichnen kann, nicht vorhanden. Erst wenn der Sinnlichkeit etwas anderes und Höheres feindlich gegenübertritt, wird das natürliche Sein und vor allem das natürliche Geschlechtsempfinden von dem nunmehr einzig anerkannten Seelisch-Göttlichen aus als niedrig und widergöttlich, als teuflisch stigmatisiert. Je göttlicher Gott wurde, desto schrecklicher wurde der Teufel, je höher die Seele stieg, desto tiefer sank der Leib. Diese Weltanschauung des reinen Spiritualismus spricht sich etwa in den folgenden Worten Bernhards von Clairvaux aus: »O Seele, besiegelt mit dem Bilde Gottes, geziert mit seinem Gleichnis, vermählt dem Glauben, ausgestattet mit seinem Geist, erlöst mit seinem Blut, zugezählt den Engeln, begabt mit der Vernunft – was hast du mit dem Fleische gemein, für welches du all dies leiden sollst! ... Und doch ist das Fleisch deine liebste Gesellschaft!« – Der Mensch des späteren Mittelalters und besonders der völlig unter dem Gegensatz asketisch – geschlechtlich stehende Kleriker fürchtete den Teufel mehr als er Gott liebte und empfand die Versuchungen der Sinnlichkeit, die seiner erregten, wundergläubigen und niemals befriedigten Phantasie nahten, als vom Teufel geschickt, als dämonisch. Die Naivität der Sinnlichkeit war für immer dahin: da alles Gute göttlich und überirdisch sein mußte, wurde die Natur und ihre Triebe verteufelt, die Sinnlichkeit als fornicatio, als Unzucht gebrandmarkt. Der Mensch war endgültig in zwei Teile zerrissen. Hierzu die prinzipielle Darstellung des Dämonischen in »Grenzen der Seele«.

Aber der Teufel ist nicht nur gefürchtet, sondern auch angebetet worden. Vom 10. Jahrhundert an tritt dem Dienst Gottes ein Satanskult zur Seite, der seinen Höhepunkt im 14. Jahrhundert erreicht hat (und über dessen Einzelheiten noch wenig Klarheit herrscht). Je höher die Angst vor Irrglauben und Hexerei stieg, desto mehr Menschen warfen sich, am Heile verzweifelnd, dem Teufel zu Füßen, dem sie ja doch nicht entgehen konnten – ein einziger böser Gedanke reichte hin, sie zu verderben! – und hofften, daß er sie wenigstens vor dem Scheiterhaufen retten und ihnen die Freuden der Erde gönnen werde. Satan versprach den Seinigen unendliche Wollust, er wurde der Erlöser der von der Geistlichkeit Verfolgten. Sein Dienst soll in einer unflätigen Parodierung der Messe bestanden haben, nach Michelet war der Körper einer Teufelsdienerin der Altar, auf dem eine Kröte anstatt der Hostie geweiht und verzehrt wurde. Der Adept mußte Jesus feierlich abschwören und dem Satan (oder wenigstens seinem Bilde) den Huldigungskuß darbringen (den Goethe in den Paralipomenen zum Faust nicht vergessen hat).

Askese und Zügellosigkeit gehören immer zusammen; sie schlagen ineinander um und zerfleischen ihr Opfer. »Die Versuchung« – das ist das Grundmotiv dieser Disposition. Um neue Seelen zu gewinnen, sandte der Teufel seine Diener aus: Mönchen wurde von Dämonen in Gestalt einer üppigen Frau, dem Succubus, willfahrt, Nonnen pflegte der Teufel selbst oder eine seiner Kreaturen als eleganter Kavalier, als Incubus, heimzusuchen. Hierbei haben wohl Traumerlebnisse überreizter Menschen eine große Rolle gespielt, viele hysterische Frauen glaubten die Umarmung des Teufels zu spüren, ja sie wurden sogar von ihm schwanger; in den Akten der Hexentribunale finden sich Berichte von Kindern aus solchem Umgang. Die sechsundfünfzigjährige Angela von Labarethe, die im Jahre 1275 zu Toulouse als eine der ersten Hexen verbrannt worden ist, gestand, daß sie allnächtlich mit dem Satan Verkehr pflegte und ein Ungeheuer mit Wolfskopf und Schlangenschwanz geboren hatte, zu dessen Ernährung sie in jeder Nacht kleine Kinder stahl. Andere erzählten ähnliches. Alle diese Frauen sind selbst von der Wahrheit ihrer Phantasien überzeugt gewesen, und als sich erst der Glaube an die Teufelsbuhlen, die Hexen, festgesetzt hatte (im 13. Jahrhundert), fand ihre Hysterie die selbstverständliche Sühne auf dem Scheiterhaufen.

Die Furcht vor den Hexen gehört dem späten Mittelalter an und ist zugleich mit der Liebe zur Madonna da. Wie es in den ersten Jahrhunderten noch keine eigentliche Himmelsfrau gegeben hatte, so glaubte man auch noch nicht an Hexen. Unter Karl dem Großen wurde jeder mit dem Tode bedroht, der Hexerei für möglich hielt. – Der Mann ist immer geneigt gewesen, in der Frau ein übermenschliches oder ein untermenschliches Wesen zu erblicken, und gar der dualistische Mann des Mittelalters: er hat die angebetete und geliebte Frau des Himmels geschaffen, die zwischen Gott und den Menschen steht, und als Gegenstück zu ihr die Hexe, die verachtete und gefürchtete Verleiterin zur sündhaften Lust, ein Wesen zwischen Mensch und Teufel, des letzteren Buhle und Schülerin in aller Unzucht. Wie der Mann zwischen seelischer Liebe und sinnlicher Lust keine Vermittlung kannte, so hat er auch zwei Frauen gebraucht, damit sie ihm seine beiden Wunschrichtungen verkörperten; Liebe und Sinneslust konnten nichts miteinander gemein haben, und als erst in der seelischen Frauenliebe der höchste Wert festgestellt war, mußte die an sich indifferente Lust niedrig, sündhaft, teuflisch sein. – Die Frauen haben sich auch dieser Konsequenz des männlichen Fühlens ohne Widerstreben gefügt.

Maria und der Teufel sind immer mehr die eigentlichen feindlichen Mächte geworden (vgl. S. 146); das 13. Jahrhundert, die klassische Zeit der Frauenanbetung, ist auch der Höhepunkt der Teufels- und Hexenfurcht. Die Dominikaner, die am meisten zur Ausbreitung des kirchlichen Marienkultes beigetragen haben, sind bald nach Einführung der Ketzerinquisition auch gegen die Feindinnen Marias, gegen die Hexen, vorgegangen, die Ketzerverfolgung ist von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an langsam durch die Hexenverfolgung abgelöst worden.

Ich gehe auf alle diese hinreichend bekannten Dinge nicht weiter ein, da ja die seelische Lage klar geworden ist: dem Menschen, der sein Herz ohne Einschränkung der reinen Gottesliebe und der keuschen Frauenliebe hingegeben hat, erscheint die Sinnlichkeit als verderblich und gefährlich, aber doch unter dem unwiderstehlich lockenden Reiz des Dämonisch-Sexuellen. (Das Dämonische im weiteren Sinn ist damit nicht erschöpft.) Es ist das Teuflische des dualistisch zerspaltenen Bewußtseins auf erotischem Gebiete fixiert. Viele Menschen der Gegenwart werden dieses Gefühl nicht mehr verstehen, denn es hat eine absolut zerspaltene Erotik zur Voraussetzung.

Verwandt mit dem Dämonischen ist das Gefühl des Obszönen: es begleitet die moderne einheitliche Liebe als ihre Versuchung und ihr Schatten. In der persönlichen Liebe haben Sinnlichkeit und Seele keine gegensätzliche Betonung und keinen selbständigen Charakter mehr, die Persönlichkeit schließt, das Seelische als Grundlage nehmend, das Körperliche mit ein. Auf dieser höchsten Stufe wird nun alle Erotik, die nicht durch die persönliche Zuneigung geheiligt ist, als ungehörig empfunden. Das Nur-Sexuelle besteht weiter, tritt es aber in seiner unpersönlichen und brutalen Kraßheit feindlich gegen die persönliche Liebe, so entsteht das Gefühl des Obszönen. Das Obszöne ist also das Nur-Sexuelle, aber nicht in seiner selbstverständlichen Naturhaftigkeit, sondern in der polemischen Stellung gegen einen Wert, der ins erotische Leben versenkt worden ist, meist den Wert der Persönlichkeit. Im Obszönen liegt der Hohn und Haß gegen die persönlich gewordene Erotik. Es ist die Versuchung des Primitiveren, das nun nicht mehr einfach etwas »Früheres«, sondern etwas »Niedrigeres, Gemeineres« geworden ist, weil keine Zeit umhin kann, alles andere an ihrem eigenen Ideal zu messen. Das ästhetische Moment, das in jeder Erotik und auch in der naiven Sinnlichkeit so stark wirksam ist, die Freude an der Schönheit des menschlichen Körpers, ist hier ausgeschaltet. Denn die menschliche Gestalt wird von dieser Gefühlslage nicht rein gegenständlich in ihrer Schönheit betrachtet und empfunden, sondern nur als ein Nicht-Bekleidetes auf den sinnlichen Reiz hin angeschaut.

In dem Augenblick, da die Persönlichkeit als einziger entscheidender Faktor im erotischen Leben anerkannt ist, steht auch schon alle unpersönliche chaotische Geschlechtlichkeit schief. Als mit der symbolischen Hinrichtung des absolutistischen Genußkönigs, des Sohnes der größten Vergnügungsvirtuosen, die Rechte der Persönlichkeit proklamiert wurden, da hatte die bisherige Genußliebe – amour-goût, sagt Stendhal – den Beigeschmack des Unanständigen, des Obszönen erhalten. Denn das Obszöne ist die Kehrseite der modernen Liebe und erst durch sie möglich geworden. Sein tiefstes Wesen ist ein Negatives, ist die Tendenz, die höhere Form der Liebe zu karikieren und zu verhöhnen. Die Photographie einer nackten Frau ist nicht obszön; wird aber der Kopf verhüllt und so das persönliche Moment zugunsten des Gattungsmäßigen absichtlich und grell ausgeschaltet, so nähert es sich schon diesem Charakter. Nicht obszön ist das Bild eines nackten Mannes, dasselbe Bild im sexuell erregten Zustande wäre obszön, weil hier das Triebhaft-Sexuelle über das Seelisch-Persönliche zu siegen scheint und weil zudem die Aufmerksamkeit darauf hingelenkt ist. Wenn ein Mann wohlgefällig einer Frau beim Entkleiden zusieht, so ist das einfach sinnlich; belauscht er sie aber durchs Schlüsselloch, so kann sein Gefühl schon den spezifischen Ton des Obszönen tragen, weil die Gegenseitigkeit und Freiwilligkeit, Merkmale der persönlichen Erotik, ausgeschaltet sind. Die gleiche Handlung wird sicherlich als obszön empfunden, wenn der Mann die beobachtete und nichts ahnende Frau kennt und so die Beseitigung ihres Ich mit dem Genuß ihrer körperlichen Reize verbindet. Dasselbe Gefühl des Obszönen, vielleicht des Unheimlichen, kann sich auf einer Redoute einstellen, wo man nichts Persönliches von den Frauen sieht, sondern nur gegenständlich wirkende Körperlichkeiten. Objektiv obszön sind dementsprechend die Bilder von Rops, die Frauen in halber Entkleidung mit Gesichtsmaske zeigen (wenn sie auch natürlich von Kunstverständigen formal ästhetisch gewertet werden können). Die Vollendung des Obszönen wird aber erst erreicht, wenn der Genießende auch seine eigene Persönlichkeit auszuschalten vermag: so hat der hinter dem Schlüsselloch Spähende jeden persönlichen Kontakt mit der belauschten Frau aufgehoben. Dies wird besonders klar bei der so verbreiteten Freude an obszönen Bildern; der Beschauer ist hier gar nicht persönlich engagiert; er kann sich ergötzen, ohne irgendeine Verpflichtung auf sich zu nehmen, er ist nicht einmal zu dem Minimum von Achtung verhalten, das selbst der letzten Dirne gegenüber noch geboten wäre. Das Bild stellt keine Forderung an diesen Rest von Menschlichkeit, es ist ein Ding und bietet doch Genuß. So entsteht das Gefühl, daß ein sinnliches Vergnügen möglich ist, ohne daß doch die innerlich bejahte Stellung zur höheren Erotik aufgegeben werden müßte (die das primitiv sexuelle Verhalten einer wirklichen Frau gegenüber vielleicht unmöglich machte). Aber es ist doch eine Täuschung, denn schon in der Hingabe an die niedrige Lustquelle wird die seelische Situation preisgegeben, wird die persönlich empfundene Menschheit innerlich vernichtet. Dies ist auch der kaum jemals begriffene Grund, daß wir zweifellos die einsame Befriedigung des Geschlechtstriebes als obszön empfinden.

Den Reiz des Obszönen kann demnach nur der vollkommen empfinden, der das Prinzip der Persönlichkeit in der Erotik für sich ganz anerkannt hat, der aber auch die Möglichkeit des zerspaltenen erotischen Empfindens in sich trägt. Je höher das Liebesempfinden eines Mannes – wir werden sehen, daß alles dies nur für den Mann gilt, der die Möglichkeit dualistischen Empfindens hat – gekommen ist, desto schärfer wird er das Nur-Sexuelle, die abgesonderte Betonung des Lustmomentes – auch im Verhältnis zu der Geliebten – als etwas Ungehöriges und Peinliches empfinden, das er sich verbieten müßte, das aber doch wieder den spezifischen Reiz des Obszönen auf ihn übt. Wer sich der Sinnlichkeit unbefangen hingibt, fühlt sie nicht als obszön, nur wer sie im Bewußtsein seiner höheren Erotik von sich abwehren will, auf den wirkt sie mit ihrer ganzen perversen Verlockung zurück. Er vernichtet – wenn auch nur für kurze Zeit – das Höhere in sich und genießt die Lust des Niedrigen, des Obszönen.

Hier ist das Merkwürdige, aber doch Logische zu bemerken, daß von dem Manne, der die dritte Stufe der Erotik ganz in sich verwirklicht hat, auch die rein seelische Liebe in ihrer Halbheit peinlich, nicht ganz unähnlich dem Obszönen empfunden werden kann. Er sieht in ihr etwas Unnatürliches und Gezwungenes (was aber nicht mit der üblichen Geringschätzung der seelischen Liebe verwechselt werden darf).

Der primitive Mann kennt nur das Undifferenziert-Sexuelle, er freut sich schmunzelnd an Nuditäten, eine tizianische Venus und eine Aktphotographie gelten ihm gleich; immer wieder erneut sich das Staunen des ästhetisch empfindenden Menschen, besonders des Künstlers, daß das Kunstwerk als sinnlicher Reiz empfunden wird. Wer Formen zu fühlen vermag, wird das natürlich immer schroff verneinen, dem Unkultivierten aber gilt das Bild des weiblichen Körpers nur als die Erinnerung an etwas, das genossen werden kann. Dieses Gefühl ist aber von dem des Obszönen streng geschieden, es hat nichts Feindseliges gegen das höhere Seelenleben und nichts Dämonisches, es ist natürlich und ungespalten. Obszön kann derselbe Vorgang allerdings werden, wenn einer, der höhere, ästhetische Werte kennt, das Kunstwerk innerlich zerstört und stofflich obszön genießt. Auch hier liegt der Reiz in etwas Dämonischem, in der Vernichtung eines Wertes, und zwar nicht eines persönlichen, sondern eines ästhetischen. Wieder bewährt sich als Grundcharakter des Obszönen dieser destruktive, gegen das Höhere gewendete Zug, die chaotische Geschlechtlichkeit ist hier nicht natürlich und indifferent, sondern sie will sich rächen, daß sie nicht mehr einzig in Geltung steht, daß sie durch ein Höheres verdrängt werden soll – und so schenkt das Obszöne eine besondere Art der Lust, die Lust des Diebes, des heimlichen und unrechten Tuns. Es liegt ja eine Welt dazwischen, ob der Gymnasiast oder der Soldat, der am Sonntag ins Museum geführt wird, vor den Bildern der Renaissancemeister angenehme Erregungen findet, oder ob der reife Kunstverständige einmal alles Wertvolle in sich vernichtet und das dämonische Prinzip der obszönen Lust aufwuchern läßt.

Man kann sogar noch mehr sagen: Weil die moderne Liebe die Lust als Grundlage und Inhalt nicht zuläßt, dem Menschen aber das Bedürfnis nach Lust allzu tief eingewurzelt ist, begünstigt sie in hohem Maße das Bedürfnis, neben dem in der Liebe verkörperten Wertprinzip auch einen Ort für die Lust freizuhalten, der sich nun aber, weil die höhere Erotik von der persönlichen Liebe mit Beschlag belegt ist, nur auf einem anderen, von der persönlichen Liebe abgesonderten Gebiet entfalten kann. Das Obszöne ist also der Bereich, den sich das menschliche Lustbedürfnis schafft, weil es im Höheren nicht beständig auszuharren vermag. Und man darf sogar prophezeien, daß das Obszöne kulturell um so mehr an Macht gewinnen wird, je stärker das Prinzip der persönlichen Liebe die Gemüter beherrschen wird; denn die Lust braucht immer noch ein ungestörtes Plätzchen, wo sie ohne höhere Anforderungen ihr Genügen findet. Dies kann aber nach allem Dargelegten nur in obszöner Form geschehen, weil ja das Persönliche ganz und prinzipiell ausgeschaltet sein muß. –

Man hat oft bemerkt, daß die Geschlechtlichkeit im Altertum eine ganz andere Stellung eingenommen hat als heute. Wir staunen über die phallischen Darstellungen der Alten (die man z. B. in Pompeji sieht) und über die drastische Ausdrucksweise ihrer Schriftsteller. Mit der Wendung, daß die Alten das Natürliche »natürlich« angesehen haben, wir aber verkünstelt und durch das Christentum in eine schiefe Stellung gebracht, glauben wir, das unserem Fühlen nicht ganz Zugängliche klarer zu machen. Worin hat aber die viel berufene »Naivität« der Alten bestanden? Ist sie wirklich ein Vorzug, etwas, das sie besessen und das wir verloren haben? – Das Gegenteil ist der Fall: bei ihnen hatte sich über die natürliche sexuelle Schicht noch nicht die höhere persönlich-erotische erhoben, ihnen war die Sexualität noch kaum etwas Spezifisches, sondern nur ein Trieb unter anderen (der allerdings schon von den Griechen der platonischen Zeit in Frage gestellt und in den Mysterien verborgen worden war); aber erst in dem Augenblick, da etwas prinzipiell anderes als die eigentliche, die wahre Erotik empfunden wird, kann sich der blinde Geschlechtstrieb, die bloße Freude am Genuß, gegen die seinem Instinkt nach unrechtmäßige, weil ihm innerlich fremde Usurpation aufbäumen. Und er wird von der höheren Erotik als gefährlich und lockend, als dämonisch und obszön empfunden. Beide Gefühle haben ihre Wurzel darin, daß die Lust Herrin über den Wert werden will, das Sinnlich-Angenehme über Liebe und Persönlichkeit. Das Obszöne ist ein modernes Gefühl, zugleich mit dem modernen Grundgefühl, dem der Persönlichkeit, entstanden, und seine widerstrebende Kehrseite.

Wir haben es hier mit Gefühlen und nicht mit Gegenständen zu tun; wollte man auf sie eingehen, so wäre eine Entscheidung oft nicht zu treffen, da ja die Frage, ob etwas ästhetisch oder sinnlich wirkt, mehr vom Beschauer als vom Gegenstand abhängt. Giulio Romanos herrlicher ithyphallischer Jupiter ist vom Künstler selbst zweifellos naiv ästhetisch empfunden worden; der moderne Beschauer könnte leicht andere Gefühle unterschieben. Die Künstler des Rokoko haben den Reiz des Pikanten und Schlüpfrigen gesucht – ein Zwischenreich zwischen dem Geschlechtlich-Anziehenden und dem Obszönen, das nicht wohl eindeutig zu bestimmen ist. Der beliebte Gegenstand »die Schaukel« etwa hält sich schwebend auf dieser Grenze. Wenn das Rokoko auch noch nicht die moderne Liebe mit ihren Wertungen und damit das eigentlich Obszöne gekannt hat, so war es doch schon historisch durch die seelische Liebe hindurchgegangen und hatte längst alle geschlechtliche Naivität verloren. Die Sexualität war ihm bewußtes Genußmittel geworden. –

Es gibt noch eine eigentümliche Verführung für den reifen Mann der Gegenwart, die mit dem Reiz des Obszönen verwandt ist. Die Schönheit der Frau, die früher heilig geachtet wurde, kann als Mittel des Genusses empfunden und damit vom Reich des Wertes in das Reich der Lust hinabgezogen werden. Dies ist ein Bruch mit dem Prinzip der persönlichen Liebe, denn für sie ist die Schönheit der Frau in ihr ganzes übriges Wesen so innig verschmolzen, daß sie (so wie der Körper) nicht als etwas Abgesondertes genossen und kaum wahrgenommen werden kann. Es ist eine tiefe Perversität, deren wir uns nicht mehr recht bewußt sind, weil wir ihr zu sehr huldigen, und vielleicht die Ursünde aller höheren Erotik der Gegenwart: Die Schönheit nicht als unablösliche und notwendige äußere Form der geliebten Seele zu empfinden, sondern zur Erhöhung des Genusses zu gebrauchen. Dies ist im Grunde dasselbe, aber weil die Persönlichkeit auf dem Spiele steht, noch weit schlimmer, als wenn das Kunstwerk bloß um des sinnlichen Reizes willen, wegen der stimulierenden Elemente von Ton, Form und Farbe aufgenommen wird, und eine Äußerung der Perversität, die vielleicht die radikalste von allen und charakteristisch für unsere Zeit ist: das Wertvolle zum Mittel des Genusses zu machen, sei es Natur, Kunst, Schönheit, Erkenntnis, Güte, Religion oder die Seele des Menschen. Die gleiche Wirkung wie ihre körperliche Schönheit übt ja heute oft genug auch die Seele der Frau: sie wird als raffinierter Reiz genossen, anstatt als Geheimnis keusch verhüllt.

Ich kann nicht darauf rechnen, hier viel verstanden zu werden; aber die Tendenz, die Schönheit des Körpers oder der Seele abgesondert zu genießen, ist ein Bruch mit dem Prinzip der einheitlichen Liebe, die nicht scheidet und nichts Einzelnes sieht, sondern die Persönlichkeit der Geliebten nur als unteilbares Ganzes empfinden kann. Genuß der Schönheit setzt aber schon eine bewußte seelische Zerteilung sowohl der Frau als auch seiner selbst voraus und ist daher die Aufhebung des Einheitsprinzipes. Ästhet und Wüstling begeben sich damit auf das niedrigere Niveau der Lust und fühlen obszön in einem feineren, aber doch innerlich gleichen Sinn. – Diese Zerteilung ist nicht eingetreten, wenn Tristan in seiner Vision von Isolde sagt: Wie schön bist du! – Denn die große Liebe vermag die Schönheit der Geliebten aus der eigenen Seele heraus zu erschaffen. –

Ebenso wie das Obszöne beruht auch das Gefühl des Prüden auf einem Zwiespalt: Prüderie ist das Bewußtsein, daß das Nackte eigentlich nur anreizend, obszön, »unanständig« empfunden werden kann und daher gefürchtet und gemieden werden muß. Es ist das Verhalten geschlechtlich erregter, meistens leicht hysterischer Frauen gegen das Nur-Geschlechtliche, dessen Sphäre sie oft erstaunlich weit ausdehnen. Prüderie hat zur Voraussetzung, daß das Geschlechtliche als ein besonderer, abgegrenzter Komplex im Bewußtsein lebt, was ja für die Frauen im allgemeinen nicht zutrifft und den hysterischen Zustand innerer Zerspaltenheit vermuten läßt. So darf man festhalten, daß der Reiz des Obszönen wohl auf normale Männer, aber nur auf innerlich zwiespältige und hysterische Frauen wirkt, die darauf mit der Abwehrbewegung der Prüderie zu reagieren pflegen. Für die normal empfindende Frau existiert das Obszöne als seelische Valeur überhaupt nicht – sie wendet sich von allem Niedrig-Sexuellen unangenehm berührt ab und findet es sogar komisch. Die Ausschaltung des Persönlichen in der Erotik, dessen Reiz auch der höchst differenzierte Mann, und gerade er, noch kennt, ist den Frauen im allgemeinen immer fremd gewesen, ihnen fehlt dieser tief in der Seele begründete Zwiespalt des erotischen Fühlens, den der Mann erst im Lauf der Geschichte mühsam und nur unzulänglich überwinden muß. Wieder finden wir das einheitliche ungebrochene Fühlen der Frau bestätigt. –


 << zurück weiter >>