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3. Verfälschungen der metaphysischen Erotik

Ich habe bisher nur von den Gefühlen des Mannes gesprochen; und nun wären noch zwei Fragen zu beantworten. Erstens: Wie sich denn die Frauen selbst in der erhabenen Stellung gefühlt haben, die ihnen vom Manne angewiesen worden ist; dann aber die wichtigere: ob nicht auch die Frauen dieser Zeit in ihrem Liebesempfinden etwas aufzuweisen haben, das ungefähr der Vergöttlichung entspricht. Das erste erledigt sich kurz. Es ist den Damen selbstverständlich nicht unangenehm gewesen, von ihren Anbetern gepriesen und erhöht zu werden. Aus einem Gedichte der begabten provenzalischen Gräfin Beatriz von Die, das echte Trauer wegen der Untreue des Freundes verrät, wird deutlich, daß diese Frau – und zweifellos viele andere mit ihr – für bare Münze genommen hat, was verzückte Sänger über sie verkündeten. Wieder einmal hat die Frau die Stellung akzeptiert, die ihr vom Manne zugeteilt worden ist, diesmal nicht als Dienerin, sondern als vollkommenes, gottähnliches Wesen, sie ist bereit, sich selbst als Ideal zu empfinden. Gräfin Beatriz legt sich die Eigenschaften, die ihr von den Sängern angedichtet worden sind, wie feststehende Tatsachen selber bei:

Ich möchte schweigen und doch muß ich singen,
Denn mein Geliebter schafft mir bittres Leid
Und ist doch meine ganze Seligkeit.
Nicht meiner Huld und Sälde will's gelingen,
Daß ich ihn halte – Schönheit und Verstand,
Mein hoher Wert – ich kann ihn nicht bezwingen.
Es ist, als wär' mir alles dies entwandt.

Interessanter als dieser psychologische Mißgriff der besungenen Damen ist aber die Frage, ob das weibliche Liebesgefühl nicht etwa eine Anbetung des Mannes hervorgebracht hat. Die Antwort lautet kurz und klar: Nein. Es gibt nicht einmal Ansätze zu einer Parallelerscheinung, weder in der besprochenen Zeit noch früher oder später. Die tiefe und tragische Zerrissenheit, die das Mittelalter in die Menschenseele gebracht hat und als dessen eines Ergebnis wir die seelische Frauenliebe kennen gelernt haben, ist an den Frauen spurlos vorübergegangen.

Man könnte daran denken, daß die Jesusliebe, die von Nonnen des Mittelalters und späterer Zeiten verbürgt ist, eine Art Anbetung des Mannes darstellt; wenn wir aber die berühmten und die mehr im Schatten gebliebenen frommen Frauen und Asketinnen betrachten – was sogleich geschehen wird –, so finden wir nichts eigentlich Seelisches, sondern nur versteckte und meist krankhafte, bis zur offenkundigen Hysterie entartete Sinnlichkeit. Die Zeit der Zerrissenheit und der metaphysischen Liebe ist an den Frauen vorbeigegangen, ohne sie innerlich zu berühren, und schon jetzt muß uns wahrscheinlich werden – was später außer allen Zweifel gesetzt werden soll –, daß das Liebesleben der Frau im strikten Gegensatz zu dem des Mannes keine Entwicklung und daher auch keine Geschichte hat. Es ist Natur und in seiner Art vollkommen, heute wie am ersten Tag.

Wenn wir uns nun zu den »Mystikerinnen« wenden, so finden wir bei ihnen eine Art Nachahmung oder Vorspiegelung von metaphysischer Erotik, die ziemlich leicht zu durchschauen ist und die auch der Laie in ihrer pathologischen Bedingtheit erkennt. Kein reiner, sondern ein unreiner Geist erfüllt diese Frauen; sie sind pervertiert sinnlich und glauben seelisch Liebende zu sein. Ganz im Gegensatze zu dem Streben mancher Männer, die ihre Liebe in den Himmel heben, um sie rein zu bewahren, und mit ihrem religiösen Gefühl in Eins bilden, dienen der Sexualität dieser Frauen, der eine natürliche Befriedigung (meistens mit eigenem Willen) versagt wird, alle Gestalten und Symbole der Religion als Ableitung und Folie. Die minnende Seele, die sich ins Brautgemach begibt, um mit dem himmlischen Bräutigam im Bettlein zu schwelgen – das ist die durchsichtige Hülle dieser mit religiösen Vorstellungen verschleierten Begier. Frauen haben ähnliche Situationen auch in Bildern dargestellt, die an sinnlicher Leidenschaft nichts zu wünschen übrig lassen, sogar der aus der Tristansage bekannte Liebestrank fehlt nicht.

Das Material ist reich und auch schon teilweise im vorangehenden berührt worden. Von den unzähligen Nonnen zu reden, die in alter und neuer Zeit Jesus als Gemahl im Kämmerlein ihrer Seele empfangen und dies mit mehr oder weniger glühenden Worten geschildert haben, wäre Überfluß. In der Zeit der großen mystischen Begeisterung (12. und 13. Jahrhundert) geht diese krankhaft entartete Gottesliebe wie eine dunkle Begleiterscheinung neben der echten Mystik einher. Ganze Nonnenklöster wurden von hysterischen Epidemien ergriffen, die Frauen wanden sich in Krämpfen, kasteiten sich gegenseitig, sangen Tag und Nacht und hatten Visionen aller Art, was natürlich alles auf die Liebe Gottes, beziehungsweise die Versuchungen des Teufels geschoben wurde. Unter die bemerkenswerteren Erscheinungen jener Zeit, deren Kunde bis zu uns gedrungen ist, gehört Christine Ebner, die Verfasserin des Buches »Von der Gnaden Überlast«; sie marterte sich seit ihrem zwölften Jahr, empfing zur Zeit der Geschlechtsreife die Umarmung Christi und wähnte sich von ihm schwanger, was sie alles sehr ausführlich beschreibt.

Die berühmtesten Heilandsbräute sind romanischer Rasse, alle Schulbeispiele für Hysterie und schon längst von den Psychiatern mit Beschlag belegt worden. Die Jesusliebe Katharinas von Siena(1347-1380), einer klugen Politikerin, die mit leitenden Staatsmännern im Briefwechsel gestanden hat, charakterisiert sich in Stellen wie der folgenden: »Ich will also, daß ihr euch einschließet in die geöffnete Seite des Sohnes Gottes, die eine offene Flasche ist, von Duft so erfüllt, daß die sündigen Dinge wohlriechend werden. Dort ruht die Braut auf dem Bette des Feuers und des Blutes. Dort wird sichtbar und geoffenbart das Geheimnis des Herzens des Sohnes Gottes. O überfließende Schale, die du tränkest und berauschest jedes liebeerfüllte Verlangen!« – »Ich möchte den Leib meines Herrn! – Und sieh, es erscheint ihr herrlicher Bräutigam, öffnet seine Seite und sagt zu ihr: Nun trink so viel Blut, als du selber willst.« – Aus solchen unklaren Bildern und halbfertigen Gefühlen – Dinge, die oft mit Unrecht »mystisch« genannt werden, aber in Wahrheit nur chaotisch sind, und Anschauungen mit bildlosen Gefühlen und unreinen Trieben durcheinandermengen – spürt man den sexuellen Grundton und die geradezu blutrünstige Phantasie deutlich heraus. Sehr irdisch und pervers liest sich folgender Bericht, der für eine junge Heilige immerhin stark ist: Katharina besuchte einen zum Tode verurteilten Jüngling im Kerker; er hoffte Rettung von ihr und lehnte sein Haupt an ihre Brust. »Da fühlte ich eine tiefe Freude und einen Geruch seines Blutes, und es war nicht ohne einen Geruch des meinigen, das ich für den süßen Bräutigam Jesus zu vergießen wünschte.« Dann erzählt sie ein Gespräch mit dem Delinquenten, das zwar sehr fromm aussieht, das man aber besser anders deutet, schließlich legt sie sogar ihr Haupt auf den Block, ehe er daran kommt. Und sie empfängt ihn mit den Worten: »Zur Hochzeit, mein süßer Bruder!« Er stirbt mit ihrem Namen auf den Lippen und sie weiß sich nun nicht zu fassen vor Begeisterung, Christus mit blutenden Wunden erscheint ihr, »und wie der Jüngling dahingeschieden war, ruhte meine Seele in so großen Freuden aus und in solchem Dufte des Bluts, daß ich mich nicht entschließen konnte, das Blut wegzuwaschen, das von ihm auf mein Gewand gekommen war«. – Man muß aber doch immer wieder hervorheben, daß solche Naivitäten in der primitiven Psychologie der Zeit begründet sind. Gelehrte Männer haben Erstaunliches geleistet – wie hätte ein Mädchen, das nicht einmal schreiben konnte, mit ihrem durch Hysterie verwirrten Verstand zwischen dem mitleidigen Wohlgefallen an einem sterbenden Jüngling und der Liebe zum Blut Christi (das sie sich doch natürlich als eine duftende und berauschende Flüssigkeit vorgestellt hat) scheiden sollen?

Den größten Ruhm, schon durch ihre oftmalige Darstellung in der bildenden Kunst, genießt die heilige Therese ( Teresia de Jesus), eine spanische Nonne (1515-1582). Sie hat in der Jugend schwere Krankheiten durchgemacht und ist einmal schon für tot angesehen worden. »Bevor ich eine Empfindung von der Gegenwart Gottes hatte,« erzählt sie, »hatte ich sehr anhaltend eine zärtliche Empfindung gefühlt, welche man, wie mich bedünkt, teilweise selber hervorzubringen imstande ist (!), ein Vergnügen, das weder ganz sinnlich noch ganz geistig ist, aber durchaus von Gott gegeben.« – In ihrer Lebensgeschichte beschreibt sie vier Stufen des Gebetes, die immer näher zu Gott führen. »Alles bleibt hinter der Wonne zurück, welche der Herr in dieser ihrer Verbannung eine Seele genießen läßt.« – »Die Freude ist so groß, daß es zuweilen nur an einem Pünktlein zu fehlen scheint, um die Seele aus dem Leib völlig abscheiden zu lassen.« – »Wenn die Seele auf diese Art Gott sucht, empfindet sie unter höchsten Liebeswonnen, wie sie fast gänzlich die Kraft verliert und eine Art Ohnmacht über sie kommt, so daß ihr der Atem und alle körperlichen Kräfte dergestalt ausgehen, daß sie die Hand nur unter heftigen Schmerzen bewegen kann.« – Die Wonnen werden sehr ausführlich und ganz sinnlich geschildert, hysterische Zustände, wie Schmerzkrämpfe und Halluzinationen werden als religiöse Phänomene hingestellt, Ohnmachtsanfälle gelten ihr als Vereinigungen mit Gott. »Es ist ein Jammer, was man mit Beichtvätern auszustehen hat, die sich hierauf nicht verstehen!« – seufzt sie einmal.

Therese erzählt ihr Leben mit der bekannten breiten Selbstgefälligkeit der Hysterikerinnen. Häufig hat sie Visionen der Gestalt Jesu, an der ihr besonders die schönen Hände auffallen. Er stellt sich neben sie und spricht: »›Du siehst mich hier, meine Tochter, ich bin es, zeige deine Hände.‹ – Es kam mir vor, als nehme er dieselben und lege sie in seine Seite. Er spricht: ›Schau meine Wunde, du bist von mir nicht getrennt. überstehe das kurze Leben‹« usf. – Einmal erscheint ihr ein Engel, von dem sie folgendes zu berichten weiß: »Er war nicht groß, sondern klein, sehr schön, sein Angesicht so feurig, daß es schien, als gehörte er zu den erhabensten Engeln, welche, wie es scheint, ganz glühen; ... in seiner Hand erblickte ich einen langen Wurfspieß von Gold und an der Spitze ward eine kleine Flamme sichtbar. Es schien, als ob er mir den Pfeil mehrmals durch das Herz stieße; derselbe drang bis ins Innerste, das er beim Herausziehen gleichsam mit sich nahm, er ließ mich alsdann in großer Liebe Gottes ganz entzündet. Der Schmerz war so heftig, daß ich Seufzer ausstoßen mußte. Die Süßigkeit, welche dieser überaus große Schmerz erzeugt, ist so überschwenglich, daß man nicht wünschen kann, denselben los zu sein, und die Seele sich mit nichts Geringerem als Gott begnügt. Es ist kein leiblicher, sondern ein geistiger Schmerz, obwohl der Leib davon vielfach ergriffen wird, und zwar zuweilen sehr stark. Die kosende Begegnung zwischen Gott und der Seele ist so süß, daß ich zu seiner Güte flehe, er möge sie denjenigen kosten lassen, der da denken könnte, ich lüge.«

Vielleicht hat niemals eine Hysterikerin ihre Zustände so gut dargestellt; die Kunst, jeden Gedanken, jedes Gefühl und jede Körperempfindung in Wollust zu tauchen, ist von Therese auf den Gipfel des Raffinements geführt worden. Dazu stimmt sehr gut, daß sie (in einem Brief an den Pater Rodrigue Alvarez) behauptet, sexuelle Gefühle seien ihr überhaupt unbekannt und sie wisse nichts von ihrem Körper. –

Es geht uns hier nichts an, wie weit diese und viele andere ähnlich fühlende Frauen als pathologisch zu bezeichnen sein mögen; bei ihnen allen ist ein unklares weibliches Hingebungsbedürfnis vorhanden, das auf einen jenseitigen Gegenstand bezogen wird, sei es nun, weil sich kein geeigneter diesseitiger findet, oder weil der Trieb von Anfang an abnorm gewesen ist. Immer bleibt es bei inhaltloser schwärmerischer Verliebtheit und verzückten Zuständen. Sie alle brennen in Jesusliebe, sehen die süßen Wunden des Heilands usf.; niemals ist auch nur eine Spur von Produktivität des Gefühls zu entdecken. Während die Himmelskönigin eine freie Schöpfung von seelisch liebenden Sängern und Mönchen gewesen ist – die wenigen Verirrungen kommen nicht in Betracht –, trifft man bei allen den Frauen – und es sind sehr begabte darunter – nichts, was sich dem an die Seite stellen ließe. Sie ahmen die metaphysische Erotik nach und verfälschen sie, an Stelle der seelischen vergöttlichenden Liebe herrscht der sinnliche Trieb, der anmaßend über die Erde hinausgreifen möchte und doch nur verirrte Brunst ist und nichts Positives hervorzubringen vermag.

Nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zur Abgrenzung meines Themas habe ich diese Erscheinungen herangezogen, denn nicht selten werden sie mit wahrer Mystik und Gottesliebe vermengt. Nennt doch ein Geist wie Schopenhauer diese »Heiligen« in einem Atem mit deutschen Mystikern und indischen Philosophen, ihm ist Frau von Guyon »eine schöne und große Seele, deren Andenken mich stets mit Ehrfurcht erfüllt!« – Und es ist doch außer allem Zweifel, daß nicht der eingebildete Gegenstand der Liebe entscheidet, sondern das Gefühl des Liebenden: Der Sexualist kann Gott und der Jungfrau mit dem Brand der Sinne nahen, dem Liebenden wird die Frau des Alltags göttlich. –

Auch bei einigen echten Mystikern und metaphysischen Erotikern finden sich stark geschlechtliche Elemente. Oft genug bemächtigt sich die gehemmte Sexualität des ganzen Wesens und wird als höchster Affekt religiös gedeutet. Der geschlechtlich Erregte schiebt seinem Zustand Bilder aus der religiösen Welt unter. Bernhard von Clairvaux, Jacopone da Todi, Novalis haben in diesen Vermengungen Absonderliches geleistet. Dem Novalis ist das irdische Blut »himmlisches Blut« geworden, die Wollust des Menschen ist Wollust der Welt, und weil die Welt ein Leib ist, bedarf die Wollust keiner Zweiheit mehr, sondern die kosmisch gewordene Sexualität herrscht über Menschheit, Gott, Christus und Universum. Der Hymnus »Wenige wissen das Geheimnis der Liebe« ist die Verewigung der Wollust. Und wenn der Liebestod die Verewigung der Liebe bedeutet, die sich auf Erden nicht genug tun kann, so ist hier sein Gegenstück im letzten Sinn Orientalismus.

Einst ist alles Leib,
Ein Leib.
In himmlischem Blute
Schwimmt das selige Paar.

Nur ein ganz genialer Dichter konnte diesen dem europäischen Menschen innerlich fremden Gefühlen eine neue Bildersprache finden. Dem Novalis hat die Sinnlichkeit der Erde nicht genügt, vom Menschen gelöste Wollust, sozusagen Wollust an sich, das ist sein Traum und seine Religion gewesen – die größte Schöpfung, welche die ins Kosmische gesteigerte Sexualität jemals hervorgebracht hat. –

Es wird nun ganz klar geworden sein, daß das erotische Leben des Menschen zwei Wurzeln hat, die einander von Anbeginn an fremd sind: den Geschlechtstrieb und die persönliche Liebe. Gerade in der Liebe zu etwas Überirdischem, die so schwer zu fassen und zu verstehen ist und in der so verschiedenes durcheinanderläuft, wo die reine Gottesliebe des Pater profundus und des heiligen Franz mit Erzeugnissen des mißleiteten Geschlechtssinnes zusammenzutreffen scheint: gerade hier muß der innere Gegensatz beider Grundphänomene einleuchten, hier können wir aber auch verstehen, daß sie immer wieder in der Wirklichkeit und von Theoretikern vermengt worden sind.


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