Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Erster Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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Zweites Buch

I. Kapitel

Oh, mein hübsches Bäschen! oh, wie freute ich mich jetzt, da ich an Dich dachte, über meine große Selbstüberwindung, wie süß war mir der Gedanke, dass ich Dir ein Rendezvous aufgeopfert, dass ich in demselben Augenblicke, wo die Marquise mich bei ihrer Freundin zu sehen hoffte, das Glück genießen sollte, in Deiner Nähe zu sein. Dich zu bewundern!

Ich Unglücklicher! sie kam nicht ins Sprechzimmer!

»Ach, liebe Schwester, warum haben Sie Ihre Freundin nicht mitgebracht?«

»Ich sagte Ihnen ja, dass sie krank ist! sie hat gestern den ganzen Tag über geweint, diese Nacht kein Auge geschlossen, und heute ist das Fieber ausgebrochen.«

»Das Fieber! Sophie hat das Fieber, sie ist demnach in Gefahr!«

»Sprechen Sie nicht so laut, lieber Bruder! ich weiß nicht, ob es gefährlich ist; aber das weiß ich, dass sie leidet. Ihr Gesicht ist blass, ihre Augen roth, ihr Kopf eingenommen, ihr Athem langsam, und ihre Rede abgebrochen. Diesen Morgen ist ihr Gesicht auf einmal roth, ihre Augen lebhaft und glänzend geworden; sie hat sehr hastig und ganz leise einige Worte gesprochen, die ich nicht verstehen konnte; dann ist sie sogleich wieder in die tiefste Niedergeschlagenheit versunken.

»Nein, nein,« hat sie gesagt, »es ist nicht möglich, ich kann nicht, ich darf nicht, er wäre nicht im Stande.«

»Ich habe Thränen über ihre Wangen fließen sehen.

»Dann hat sie klagend hinzugesetzt:

»Wie ich mich getäuscht habe! ich werde sterben! der Grausame! der Undankbare!«

»Ich habe ihre Hand ergriffen, sie hat die meinige gedrückt und die Worte wieder gesagt, die sie beständig wiederholte:

»Adelheid! Adelheid! ach, wie glücklich bist Du!«

»Die Gouvernante kam herein; Sophie hat mich auf's neue beschworen, nichts zu ihr zu sagen. Indes, lieber Bruder, werde ich Sophien's Gouvernante in Kenntnis setzen müssen, denn ich fürchte für meine Freundin. Was halten Sie davon?«

»Adelheid, haben Sie ihr gesagt, dass ich hier bin?«

»Ja, aber ich habe gestern mit allem Rechte behauptet, dass sie keine Liebe mehr für Sie hat, sie hat es mir selbst gesagt.«

»Sophie hat es Ihnen gesagt?«

»Ja, mein Herr, sie hat es mir gesagt und mir aufgetragen, es Ihnen zu melden. Gestern vor dem Souper erzählte ich ihr, Sie hätten einen sehr liebenswürdigen Herrn mitgebracht; sie hat nach seinem Namen gefragt, und ich habe ihr geantwortet, er heiße Rosambert. Rosambert! hat sie voll Verwunderung wiederholt, das ist derselbe, der Ihren Bruder zur Marquise von B... geführt hat! Das ist kein anständiger junger Mann. Ihr Bruder hat ihn zu seinem Freund erwählt, ich fürchte aber, dass er Ihren Bruder ganz verderben wird. Adelheid, Ihr Bruder fängt an unordentlich zu leben!«

»Ach theuerste Freundin, glaube mir, ich habe ihm Vorwürfe gemacht; und ich habe ihm auch gesagt, dass Du ihn nicht mehr liebst.«

»Sie haben ihm gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe?«

»Ja, liebe Sophie, aber er hat mir nicht glauben wollen, und hat zu lachen angefangen und Herr von Rosambert hat auch gelacht.«

»Diese Herren haben gelacht!« hat mir Sophie in beleidigtem Tone geantwortet.

»Ihr Bruder ist wirklich sehr kühn, über meine Gefühle so zu urtheilen und dieselben in's Lächerliche zu ziehen. Adelheid, wann kommt Ihr Bruder wieder?«

»Morgen, liebe Freundin!«

»Gut! so sagen Sie ihm, dass ich wirklich Freundschaft für ihn gehabt habe, dass sie aber nicht im geringsten mehr vorhanden ist; und um ihn davon zu überzeugen, werde ich ihn in meinem Leben nie mehr sehen.«

»Sie ist fortgegangen, dann einen Augenblick später wieder gekommen und hat lachend zu mir gesagt:

»Ja, liebe Adelheid, Du hast Recht; ich liebe Deinen Bruder nicht, ich liebe ihn nicht. Vergiss nicht es ihm morgen zu sagen.«

»Sie lachte, und doch ich versichere Sie, Faublas, dass sie sogleich zu weinen anfieng.«

Während Adelheid sprach, war mein Herz von Wehmuth und Freude durchdrungen.

»Ich muss Ihnen,« fuhr meine Schwester fort, »einen sonderbaren Gedanken mittheilen, der mir in den Kopf kam, ich weiß nicht wie? ich weiß nicht warum? Als ich meine Freundin zu gleicher Zeit lachen und weinen sah, konnte ich nicht umhin zu glauben, sie möchte ein wenig närrisch sein; doch es steckt ein Geheimnis darin, das ich nicht durchschaue. Sicher hat jemand sie gekränkt. Wahrlich, lieber Bruder! ich habe sehr gefürchtet, Sie selbst möchten es sein. Warum hasst sie ihn jetzt? habe ich zu mir gesagt. Warum will sie ihn nicht mehr sehen? sollte er derjenige sein, den sie undankbar und grausam nennt? Sie sehen wohl ein, Faublas, dass ich mich nach kurzem Nachdenken von der Widersinnigkeit dieser Meinung überzeugt habe. Mein Bruder ein Undankbarer, ein Grausamer! das ist nicht möglich! und dann, welches Leid hat er meiner Freundin zugefügt?«

»Adelheid!« rief ich, »liebste Adelheid!«

»Wie, Sie weinen!« sagte meine Schwester; »sollten Sie über mich böse sein? ich versichere Sie, dass sich diese Gedanken mir unwillkürlich aufdrängten und dass ich es nicht gesagt habe, um Sie zu beleidigen.«

»Ich weiß es wohl, liebe Schwester, ich weiß es wohl; ich weine bloß wegen der Krankheit Deiner Freundin.«

»Meinen Sie, ich soll Sophiens Gouvernante davon in Kenntnis setzen?«

»Nein, Adelheid, nein, sage es ihr nicht! Deine Freundin hat das Fieber, wie Du sagst, und ich weiß ein Mittel, das sie heilen wird. Adelheid, ich werde Ihnen morgen früh Arzenei in einem sorgfältig versiegelten Papiere bringen. Sie werden das Papier niemand zeigen. Sie werden es Sophien geben, wenn Frau Münch nicht bei ihr ist. Frau Münch darf das Papier durchaus nicht sehen; Sie verstehen mich?«

»Ja wohl, seien Sie ruhig! Ach, wie will ich Ihnen danken, wenn Sie meine liebe Freundin heilen!«

»Adelheid, sagen Sie meinem hübschen Bäschen, dass ich ihr Übel zu kennen glaube, dass ich es theile, und dass ich ihr Ruhe zurückzugeben hoffe. Wollen Sie ihr dies sagen, liebe Schwester?«

»Ach ja, Wort für Wort! Sie kennen ihr Übel, Sie theilen es und wollen es heilen; lieber Bruder, ich will ihr auch sagen, dass Sie geweint haben. Aber kommen Sie gewiss morgen, bringen Sie das Mittel mit und versäumen Sie inzwischen nichts, um einen glücklichen Erfolg herbeizuführen. Lieber Bruder, gehen Sie heute noch zu den berühmtesten Ärzten in der Stadt und befragen Sie dieselben auf das genaueste. Die Krankheit ist keine gewöhnliche, ich habe nie eine ähnliche gesehen und ich fürchte, sie könnte unendlich gefährlich werden. Guter Gott! wenn Sie in der Absicht, das Übel zu heilen, es noch verschlimmern möchten, glauben Sie nicht, dass solche Unternehmungen gefährlich sind? Sie müssen das wohl bedenken und sorgen Sie dafür, dass die Kur radical sein muss. Eilen Sie für Sophie, welche leidet und sich verzehrt; für mich. die ich durch ihre Leiden so unglücklich bin; und sehen Sie, es ist auch Ihr eigenes Interesse, lieber Bruder! denn wenn meine Freundin wieder gesund ist, so wird sie Sie gewiss wieder eben so lieben wie vorher.«

Als ich nach Hause kam, beschäftigte ich mich einzig mit den Worten Adelheids und mit den Leiden Sophiens. Unglücklicherweise gab mein Vater an diesem Tage ein großes Diner.

Ich musste bei Tisch erscheinen und dann eine langweilige Trictracpartie machen, die mich bis nach Mitternacht aufhielt.

Welche Qual für einen Liebenden, der sich geliebt glaubt und seiner Geliebten schreiben will, den ganzen Abend spielen zu müssen; ich möchte diese Marter meinem grausamsten Feinde nicht wünschen.

Man kann sich denken, dass ich in dieser Nacht wenig schlief.

Am andern Morgen gieng ich in ein kleines Kabinet, das in meinem Schlafzimmer angebracht war; ich hatte dort einige wissenschaftliche Bücher, mit denen mich mein bequemer Hofmeister nicht oft langweilte.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb einen Brief, den ich sogleich zerriß, dann einen zweiten, der voll durchstrichener Stellen war und deswegen umgeändert werden musste; und ich fieng den dritten an. Er lautete, wie folgt:

»Liebes Bäschen!

Endlich ist der erwünschte Augenblick da, wo ich Ihnen frei mein Herz öffnen, von Ihrer Zärtlichkeit ein süßes Geständnis fordern und dadurch vielleicht unser beiderseitiges Glück gründen kann.

Sophie! theuere Sophie! wenn Sie wüssten, was ich vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an fühle! wie meine Gedanken sich verwirrten! wie mein Herz klopfte! seitdem ist meine Liebe mit jedem Tage gestiegen; ein verzehrendes Feuer tobt durch meine Adern. – Sophie, ich lebe nur noch durch Dich.«

Hier unterbrach mich Jasmin und meldete den Vicomte von Florville.

»Der Vicomte von Florville! ihn kenne ich nicht. Sage, ich sei nicht zu Hause!«

»Gnädiger Herr, er ist schon in Ihrem Schlafzimmer.«

»Wie, Du wagst es Jeden, der da kommt, hereinzulassen?«

»Gnädiger Herr, er ist mit Gewalt hereingedrungen.«

»Der Teufel hole den Vicomte Florville!«

Voll Angst, der Unbekannte möchte in mein Kabinet dringen und ein profanes Auge auf das Papier, das Zeugnis meiner geheimsten Wünsche richten, stürzte ich in mein Schlafzimmer. Ein Ausruf der Überraschung und Freude entfuhr mir. Dieser angebliche Vicomte war die Marquise von B...

Meine erste Bewegung war Jasmin hinauszujagen, die zweite die Thüre zu verriegeln, die dritte, den charmanten Ritter zu umarmen, die vierte – der kluge Leser hat es schon errathen.

Erstaunt über meine Lebhaftigkeit, sagte die Marquise, sobald sie ihrer Sinne wieder mächtig war:

»Sie sind in der That ein ganz sonderbarer junger Mann. Wer in aller Welt wird denn das Pferd verkehrt aufzäumen! Nur Sie sind im Stande, die Aussöhnung damit anzufangen, womit andere Leute aufhören!«

»Gut, göttliches Weib, nehmen Sie an, es sei nichts geschehen; lassen Sie uns zanken.«

»Ja, um uns wieder auszusöhnen, mein kleiner Wüstling?«

»Ach, liebstes Mamachen, Sie errathen alle meine Gedanken sogleich.«

»Aber Sie haben mich gestern nicht errathen, undankbarer Schelm.«

»Gestern war ich noch erzürnt.«

»Und worüber denn, wollen Sie mir den Grund davon angeben, konnte ich denn vermuthen, dass Sie unter der Ottomane seien? war es nicht für Sie und für mich gleich wichtig, dem Marquis die Brieftasche aus den Händen zu spielen?«

»Das ist alles wahr, liebes Herz, aber der Aerger, der Verdruss!«

»Sie, für den ich alle meine Pflichten vergesse, können vom Aerger sprechen? Ich vergesse den Anstand, ja selbst meinen guten Ruf setze ich auf's Spiel; und in welchem Tone beantworten Sie den zärtlichsten Brief! (Sie zog mein Schreiben aus der Tasche.) Hier, Undankbarer, lesen Sie Ihren Brief, lesen Sie ihn noch einmal mit kaltem Blute, wenn Sie können. Welche grausame Ironie! welch' bitterer Spott! Und dennoch verzeihe ich Ihnen! und doch komme ich Sie aufzusuchen! ich betrage mich so schwach und unvorsichtig, wie ein Mädchen von zwölf Jahren. Faublas! Faublas! der Zauber muss sehr gewaltig sein! Sie müssen mich behext haben!«

»Liebste Mama!«

»Nun, mein kleiner, allerliebster Schelm?«

»Zanken Sie mich tüchtig aus, damit mir uns wieder versöhnen können.«

»Wie, Sie wollen nicht einmal Ihr Unrecht einsehen und um Verzeihung bitten?«

»Von ganzem Herzen! oh, wie schön sind Sie, wie sehr bitte ich um Verzeihung.«

Leute von Verstand, und selbst die nicht begreifen wollen, werden wohl errathen müssen, dass wir uns jetzt auf's Neue versöhnten.

Nun kam der Augenblick der zärtlichsten Liebkosungen.

»Mein Gott, Florville! wie verführerisch sind Sie in diesem Négligé, wie der englische Frack Ihnen so hübsch passt!«

»Ich habe ihn gestern ausdrücklich machen lassen. Er ist, wenn ich nicht irre, von demselben Zeug und derselben Farbe, wie die reizende Amazone sie trug, in welcher die Liebe, die meine Niederlage wollte, Dich vor meine Augen führte. Als nunmehriger Ritter des Fräulein Duportail musste ich wohl ihre Farben annehmen.« Ich drückte sie in meine Arme.

»Und ich als treue Sklavin des Vicomte von Florville werde immer gerne seine Ketten tragen. Welch' angenehmes Wechselverhältnis, liebste Mama!«

»Mein Freund, die Liebe ist ein Kind, das sich an solchen Verwandlungen ergötzt; es hat aus Fräulein Duportail ein wildes Mädchen und aus der Marquise von B... einen leichtsinnigen Jungen gemacht. Ach! möchte der Vicomte de Florville Dir ebenso liebenswürdig erscheinen, als ich das Fräulein Duportail hübsch fand! beinahe zu hübsch, denn ich ließ sie sogar bis in mein Schlafzimmer kommen und in meinen Armen brachte sie ihr erstes Liebesopfer dar.«

»Ach, meine angebetete Mama, wie liebenswürdig scheinst Du mir, weit mehr liebenswürdig, als ich Dir mit Worten sagen kann.«

»Ach, nein!« antwortete sie, sich wohlgefällig im Spiegel betrachtend und mich zärtlich anblickend; »nicht doch. Sie sind hübscher, mein Freund, größer, schlanker. In Ihrem Gesicht liegt etwas kühnes, verwegenes.«

»Ja, liebste Freundin, und wenn man einem berühmten Physiognomen glauben darf, etwas nerviges.«

»Lassen Sie den Marquis, lieber Faublas! wir spielen ihm ohnehin schlimm genug mit; auch bin ich nicht hierher gekommen, um an ihn zu denken; also, mein Freund, sage mir ohne Schmeichelei, wie Du mich findest?«

»Hübsch, mehr als hübsch! ich könnte zwar leicht auseinandersetzen, wie ich Sie noch schöner, die Sinne berauschender finden möchte, aber weil man nun einmal, sei es als Mann oder Frau, schlechterdings angekleidet sein muss, so behaupte ich, dass sich in dem Kostüme keine hübschere Person finden lässt, als Sie.«

»Das nenne ich einmal die Sprache eines Liebhabers; immer enthusiastisch! immer übertrieben! lieber Faublas, welche Frau wäre glücklicher, als ich, wenn Du mich immer mit diesen Augen sähest.«

»Oh, geliebteste Freundin, mein ganzes Lebenlang!«

Ich hielt sie in meinen Armen, sie entwand sich mir, um einen Degen zu holen, den sie auf einem Lehnstuhl bemerkte. Sie gürtete sich ihn um und sagte:

»Ich liebe es, zuweilen auf meinem hübschen englischen Pferde in der Umgegend von Paris auszureiten; werden Sie mich wohl begleiten, Faublas? willst Du, lieber Freund, von Zeit zu Zeit mit dem Vicomte von Florville in den Wäldern umherschweifen?«

»Aber man wird uns sehen.«

»Nein, der Marquis muss oft bei Hof erscheinen.«

»Gut, liebste Freundin, an welchem Tag?«

»Lassen wir vorher die schöne Jahreszeit kommen.«

Mit diesen Worten zog sie meinen Degen, legte sich in Fechterstellung aus und sagte:

»Achtung, Chevalier, ich stoße!«

»Ich weiß nicht, ob der Vicomte furchtbar ist, aber das weiß ich, dass er hierin nicht ist, und dass ich mich mit der Marquise nicht auf diese Waffe schlage. Wagt sie es wohl, einen anderen Kampf anzunehmen?« (Sie flog in meine Arme.)

»Ach, Faublas!« sagte sie lachend, »wenn es keine blutigeren gäbe!«

»Liebe Mama, dann würde man die Helden nicht unter den Männern suchen.«

Ich setzte die Marquise außer Stand, mich zu schlagen, und befand mich wohl dabei.

Meine Freundin schenkte mir noch zwei Stunden, die wir ziemlich gut anwandten.

»Wenn ich meinem Herzen folgen wollte,« sagte sie endlich, »so bliebe ich den ganzen Tag hier; aber jetzt muss ich Justine an einem und meine übrigen Leute an anderem Orte aufsuchen.«

Wir verabschiedeten uns, ich begleitete den Vicomte höflich. Als wir schon auf der Treppe waren, bemerkte ich im Vorhofe Rosambert, der eben heraufkommen wollte. Ich sagte es der Marquise.

»Gehen wir schnell zurück,« sagte sie, »ich will mich in irgend einem Winkel Ihres Zimmers verbergen; schicken Sie den Grafen bald fort!« Mit diesen Worten sprang sie, ohne mir Zeit zum Nachdenken zu lassen, in mein Schlafzimmer und stürzte sich wie toll durch dasselbe in's Kabinet.

Rosambert trat herein.

»Guten Morgen, mein Lieber! was macht Adelheid? was macht das hübsche Bäschen?«

»Still! still! reden Sie nichts davon, mein Vater ist da!«

»Wo?«

»In diesem Kabinet.«

»In diesem Kabinet, Ihr Vater?«

»Ja!«

»Und was macht er da?«

»Er durchsucht meine Bücher.«

»Wie, Ihre Bücher? doch nein! er ist nicht im Kabinet, er kommt soeben herein; ach ja, hier ist etwas von der Marquise? warum sagen Sie es denn nicht offen, dass Sie beschäftigt sind? adieu, Faublas, auf morgen!«

Er gieng meinem Vater entgegen und grüßte ihn.

»Mein Herr, Sie haben mit Ihrem Herrn Sohn zu sprechen, ich verlasse Sie.«

Indes sah mich der Baron streng an und gieng mit großen Schritten auf und ab. Ungeduldig, zu erfahren, was sein mürrisches Schweigen mir verkündigt, fragte ich ehrerbietig, warum er mir die Ehre erweise, auf mein Zimmer zu kommen?

»Sie sollen es sogleich erfahren, mein Herr.«

Wenige Augenblicke darauf erscheint ein Diener und der Baron sagt:

»Kommt er bald?«

»Da ist er, gnädiger Herr!« und mein werter Hofmeister trat herein.

Der Baron sagte zu ihm:

»Mein Herr, habe ich Ihnen nicht die Aufsicht über die Erziehung und Aufführung meines Sohnes übergeben?«

»Allerdings, Herr Baron, und ich hatte die beste Absicht und den festen Willen, Ihrem Verlangen in Allem nachzukommen.«

»Nun denn, mein Herr, die erstere wird sehr vernachlässigt und die letztere ist sehr schlecht.«

»Ich bin nicht schuld, gnädiger Herr; Ihr Herr Sohn liebt die Studien nicht.«

»Das wäre das geringste,« unterbrach ihn der Baron; »aber warum erfahre ich nicht, was im Hause vorgeht? warum sagen Sie mir nichts von den Ausschweifungen meines Sohnes?«

»Herr Baron, was das anbelangt, was im Hause vorgeht, so kann ich nur für das stehen, was ich sehe; außer dem Hause stehe ich für nichts.

»Ihr Herr Sohn nimmt, wenn er ausgeht, gewöhnlich meine Begleitung nicht an und –« (ich bedeutete Herrn Person durch einen Blick, dass er genug gesagt habe). Der Baron entgegnete:

»Kurz und gut, mein Herr! wenn der junge Mensch sich weiter so schlecht aufführen wird, so sehe ich mich genöthigt, einen andern Hofmeister zu suchen. Jetzt bitte ich Sie, uns allein zu lassen!«

Als Herr Person sich entfernt hatte, nahm der Baron einen Lehnstuhl und gab mir ein Zeichen, mich zu setzen.

»Verzeihen Sie, mein Vater, aber ich habe ein Geschäft.«

»Ich weiß es, mein Sohn, und eben dass dieses Geschäft unterbleibt, will ich jetzt mit Ihnen sprechen.«

»Ich bitte noch einmal um Entschuldigung, mein Vater, ich muss ausgehen.«

»Nein, mein Herr, Sie werden bleiben, setzen Sie sich.«

Ich musste mich fügen, ich saß wie auf Nadeln; der Baron begann:

»Ist es wohl möglich, dass Faublas mit kaltem Blute auf Abscheulichkeiten sinnt? Ist's möglich, dass er die naive Unschuld verführen und der Tugend Netze stellen will?«

»Ich, mein Vater?«

»Ja, Sie! Ich komme aus dem Kloster, ich weiß Alles.

»Wenn mein Sohn noch zu jung, um einzusehen, dass je leichter eine Eroberung ist, um so weniger er sich etwas darauf zu gut halten darf, dass man sich hüten muss, Intrigue mit Leidenschaft zu verwechseln, dass die Liebe zum Vergnügen niemals die wahre Liebe gewesen –«

»Mein Vater, sprechen Sie doch, ich bitte, etwas leiser.«

»Wenn mein Sohn in unmäßiger Freude aber ein glückliches Abenteuer –«

»Ich bitte Sie, etwas leiser, mein Vater.«

»Entzückt über die Entdeckung eines neuen Sinnes und den Besitz einer Frau, die nicht ohne Reize ist: wenn mein Sohn in den Armen der Marquise von B...«

»Das ist zu viel, verschonen Sie mich!«

»Seinen Vater, seinen Stand, seine Pflichten vergessen hätte, so würde ich ihn beklagen, aber ich würde ihn entschuldigen, ich würde freundschaftlich rathen und zu ihm sagen: Je schöner die Marquise ist, desto verderblicher ist ihr Umgang für Dich, mein Sohn. Hüte Dich vor ihr, sie wird Dich mit ihrer sinnlosen Leidenschaft mit sich fortreißen, vergessen wirst Du, dass sie durch die Bande der Ehe an ihren allzu vertrauensseligen Gemahl gefesselt, den Du in jugendlichem Leichtsinn vor der Welt eine so lächerliche Rolle spielen lässt, oder glaubst Du, dass die Sache ewig ein Geheimnis bleiben wird, hast Du vergessen, das auch Rosambert ihr bevorzugter Liebhaber war, und dass er sich an ihr früher oder später rächen wird, dann wirst auch Du darin betheiligt sein, denn die Freundschaft, welche er Dir heuchelt, ist keine wahre, er wartet nur den günstigen Augenblick ab, um dem Marquis die Augen zu öffnen. Noch einmal warne ich Dich, hüte Dich vor diesem Weibe, sie ist Dein böser Dämon! Untersuche einmal die Aufführung dieser Frau, die Du so gewaltig liebst, etwas genauer! wie sinnlich, wie leichtsinnig ohne jede Rücksicht für die Ehre Ihres Gemahls, dessen Namen sie doch nun einmal trägt. Auf den ersten Blick nimmt Deine Gestalt sie ein; sie wählt Dich am nämlichen Abend, unter so gefährlichen Umständen, man möchte fast sagen tollkühn, denn sie setzt sich der größten Schmach aus, und diese ist das Weib eines so achtbaren Gemahls.«

»Um des Himmels willen, schonen Sie.«

»Um ihre tolle Leidenschaft zu befriedigen, setzt sie ihr eigenes Leben nebst dem Deinigen aufs Spiel. Wie lebhaft, feurig, leidenschaftlich muss Diejenige sein, die –«

»Mein Gott, welche Pein!«

»Die ihrer Vergnügungssucht ihre Ruhe, ihre Ehre und die öffentliche Achtung aufopfert.«

»Ich beschwöre Sie, mein Vater.«

»Ich wiederhole es, mein Freund! je schöner die Marquise ist, um so gefährlicher ist sie. In ihren Armen glaubst Du vielleicht, die Natur sei unerschöpflich.«

In der Verzweiflung, mich nicht erklären zu können, und fest überzeugt, dass der Baron nicht schweigen werde, entschloss ich mich das Ende dieses Verweises, den ich zu einer andern Zeit vielleicht nicht zu lang gefunden hätte, geduldig abzuwarten. Ich schlug mit dem Fuße unaufhörlich den Takt auf den Boden.

Mein Vater aber fuhr unerbittlich fort:

»Du wirst die Natur im Augenblicke der Mannbarkeit, im kritischen Zeitpunkt entnerven, wo sie, an der Entwicklung der Organe arbeitend, alle ihre Kräfte nöthig hat, um ihr Werk zu vollenden. Ich weiß, dass unmäßiger Genuss Ekel erzeigt; aber der Überdruss kommt vielleicht zu spät. Unglücklicher! in der Blüte des Alters wirst Du über die unerträgliche Last des Lebens seufzen! O, mein Freund, fürchte dieses Unglück, das gewöhnlicher ist, als man glaubt; genieße die Gegenwart, aber denke dabei an die Zukunft! benütze Deine Jugend, aber erhalte Dir die Tröstungen für das reife Alter!«

»Wenn indes,« setzte der Baron hinzu, »mein Sohn, wenig gerührt durch meine väterlichen Vorstellungen, mich unter tausend Zeichen der Ungeduld angehört, sich auf seinem Stuhle gewiegt und mich hundertmal unterbrochen hätte, so würde ich das unbeachtet gelassen haben. Mehr erschreckt wegen seiner Gefahren, als beleidigt durch seine Unart, hätte ich also weiter gesprochen. Die Marquise von B...«

Man kann sich denken, wie mir seit einer Viertelstunde zu Muth war.

Jetzt konnte ich meine lang gesteigerte Ungeduld nicht länger zurückhalten.

»Ach, mein Vater,« rief ich, »hätten Sie mir dies nicht an einem andern Tag sagen können?«

Der Baron, von Natur sehr heftig, stand wüthend auf. Ich fürchtete den ersten Ausbruch seines Zorns und flüchtete in das Kabinet, dessen Thüre ich hinter mir verschloss.

Hier fand ich die Marquise in einer sehr unangenehmen Lage; die Arme auf meinem Schreibtisch gestützt, hielt sie sich mit den Händen die Ohren zu und las schluchzend ein vor ihr liegendes Papier. Ich nahte mich meiner schönen Geliebten.

»Ach, Madame, ich bin untröstlich!«

Die Marquise sah mich mit verwirrtem Blicke an.

»Grausamer, zu welchen Fehlern hast Du mich verleitet!«

»Sprechen Sie doch leiser.«

»Aber wie hart werde ich dafür gezüchtigt!«

»Um Gotteswillen, sprechen Sie leiser –!«

»Dein abscheulicher Vater! er wagt es, ein so strenges Sittenurtheil über mich zu fällen, mit welch verächtlichem Ton er meinen Namen nannte.«

»Theuerste Freundin, Sie stürzen sich ins Verderben!«

»Aber Du bist noch hundertmal grausamer wie er. Hier sieh diesen unseligen Brief – betrachte diese treulosen Züge, meine Thränen haben sie ausgelöscht.« (Sie zeigte mir den angefangenen Brief an Sophie.)

»Faublas,« rief der Baron, »öffnen Sie diese Thüre, Sie sind nicht allein in diesem Kabinet?«

»Verzeihen Sie, mein Vater.«

»Ich höre jemand mit Ihnen sprechen. Öffnen Sie die Thüre.«

»Unmöglich, mein Vater.«

»Ich verlange es, lassen Sie mich nicht meine Leute rufen.«

Die Marquise stand plötzlich auf und sagte entschlossen: »Sagen Sie ihm, Sie hätten einen Freund bei sich, der um die Erlaubnis bittet, wegzugehen, ja!« versetzte sie verzweiflungsvoll; »so schimpflich dies für mich ist, so ist es doch besser als zu bleiben, und jetzt auf alle Fälle muss ich hinausgehen, also Muth.«

»Mein Vater, ich habe einen Freund bei mir, der um die Erlaubnis bittet wegzugehen.«

»Einen Freund?«

»Ja, mein Vater, darf er hinausgehen?«

»Warum sagten Sie mir denn nicht früher, dass jemand in diesem Kabinet ist? öffnen Sie, öffnen Sie, fürchten Sie nichts, ich bin ruhig, Ihr Freund kann hinausgehen.«

»Begleiten Sie mich,« sagte die Marquise zu mir, indem sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte.

Ich öffnete die Thüre, wir traten in das Schlafzimmer ein und giengen auf die entgegengesetzte Thüre zu, die nach der Treppe führte. Mein Vater war sehr erstaunt, dass sich der Unbekannte so ängstlich zu verbergen suchte, stellte sich uns in den Weg und sagte zu meiner unglücklichen Freundin:

»Mein Herr, ich frage nicht, wer Sie sind; aber Sie erlauben doch wenigstens, dass ich die Ehre habe Sie zu sehen.«

»Mein Vater, ich beschwöre Sie um meines Freundes willen, nicht zu verlangen –«

»Was bedeutet denn dieses Geheimnis?« unterbrach mich der Baron; »wer ist denn dieser junge Mann, der sich bei Ihnen verbirgt und sein Gesicht nicht sehen lassen will? ich will es sogleich wissen.«

»Lieber Vater, ich werde es Ihnen nachher sagen, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf.«

»Nein, nein, der Herr darf nicht gehen, bis ich weiß ...«

Die Marquise warf sich in einen Lehnstuhl, ihr Gesicht fortwährend mit den Händen bedeckend: »Mein Herr, Sie haben Rechte auf Ihren Sohn, nicht aber über mich, wie ich glaube.«

Als der Baron die helle weibliche Stimme hörte, merkte er endlich den Zusammenhang und rief: »Wie? es wäre möglich? Wie sehr bedauere ich, wie leid thut es mir, nun muss ich wohl Ihre Entschuldigungen einholen, mein Sohn, Sie müssen einsehen, dass Ihr Vater im Eifer, Sie zu Ihren Pflichten zurückzubringen, sich auf Kosten der Frau Marquise B... zu starke Ausdrücke erlaubt hat, die der Baron Faublas hiemit zurücknimmt ... Mein Sohn, führen Sie Ihren Freund weg.«

Sobald wir auf der Treppe waren, ließ die Marquise ihren Thränen freien Lauf.

»Wie grausam bin ich für meine Unbesonnenheit bestraft,« sagte sie.

Ich wollte einige Worte des Trostes sagen.

»Lassen Sie mich! lassen Sie mich! Ihr unmenschlicher Vater ist weniger grausam als Sie.«

Wir waren im Hofe. Ich befahl, schnell einen Fiaker zu holen, und bat die Marquise, bis er ankäme, in das Zimmer des Schweizers zu treten. Kaum waren wir einen Augenblick da, als ein Herr seinen Kopf zu dem halb offenen Fenster hereinsteckte und fragte, ob der Baron zu Hause sei. Die Marquise verbarg abermals ihr Gesicht in ihre Hände; ich stellte mich vor sie, um sie mit meinem Körper zu decken, allein es war zu spät. Herr Duportail, der gekommen war den Baron zu besuchen, wollte sich vorerst bei dem Schweizer erkundigen, ob Herr von Faublas zu Hause sei, und so geschah es, dass er einen Blick auf die Marquise warf.

Ich sagte schnell:

»Der Herr Baron ist in meinem Zimmer, wenn Sie sich die Mühe geben wollen hinaufzugehen, ich werde sogleich bei Ihnen sein.«

»Ja! ja!« erwiderte Herr Duportail lächelnd.

Man kam uns zu melden, dass der Wagen vor der Thüre sei. Die Marquise stieg schnell ein, ich wollte mich zu ihr setzen.

»Nein, nein, mein Herr, ich gebe es nicht zu.«

Der Schmerz, der ihr Herz sichtbar zusammenpresste, gieng auch in das meinige über. Ich ließ einige Thränen auf eine ihrer Hände fallen, die ich ergriffen hatte und die sie nicht zurückzog.

»Ach! Sie glauben sich bei Sophie!«

Ich machte noch einen Versuch in den Wagen zu steigen; sie entzog mir ihre Hand und stieß mich zurück.

»Mein Herr, wenn Sie ungeachtet der Äußerungen Ihres Vaters noch ein wenig Achtung und Rücksicht für mich haben, so bitte ich Sie abzusteigen und mich allein zu lassen.«

»Werde ich Sie denn nicht wiedersehen?«

Sie antwortete nicht, aber ihre Thränen fiengen aufs neue reichlicher zu fließen an.

»Theuerste Marquise, wann werde ich Sie wieder sehen? an welchem Orte werden Sie mir erlauben?«

»Es ist genug der Schmach! und noch dazu die Entdeckung Ihrer Untreue, Undankbarer! ich weiß nun, dass Sie mich nicht lieben. Gehen Sie auf Ihr Zimmer, der Baron erwartet Sie.«

Sie befahl dem Kutscher, zu Madame N., der Modehändlerin, zu fahren. Ich musste mich entschließen sie zu verlassen.

Auf der Treppe erwartete mich Herr Duportail:

»Mein Freund, wenn ich ein so guter Physiognom bin, als der Marquis von B..., so ist der hübsche Junge, den Sie eben begleiteten, seine schöne Ehehälfte; aber was haben Sie, warum diese verzweifelte Miene?«

Ich weiß nicht, wo sich Herr Person versteckt hatte; auf einmal stand er hinter uns und sagte selbstgefällig zu mir:

»Ich dachte mir wohl, mein Herr, dass dies übel enden würde; aber Sie achten nicht auf meine Rathschläge.«

»Ihre Rathschläge, bei Gott, das ist der leibhaftige Schulmeister des Lafontaine, ich ertrinke und er hält mir eine Strafpredigt!«

»Aber was bedeutet denn das Alles?« fragte Herr Duportail.

»Kommen Sie nur auf mein Zimmer, so werden Sie es erfahren; mein Vater hat einen Auftritt mit mir gehabt.«

Beim Eintritt fragte Herr Duportail den Baron, was es hier gäbe.

»Was es gibt?« antwortete mein Vater.

Ich unterbrach ihn:

»Sie sollen erfahren, Herr Duportail, was es gibt. Sehen Sie, Frau von B... war in diesem Kabinet; mein Vater kommt herein, setzt sich und macht mir Vorstellungen, die ohne Zweifel sehr gerecht und sehr väterlich waren; aber die Marquise hört Alles und mein Vater behandelt sie zu streng, er gibt ihr während seiner Rede die abscheulichsten Titel, beschuldigt sie der Untreue gegen ihren Gemahl, Sie können es sich gar nicht vorstellen, was ich litt! Aus Furcht, die ehrenwerte Dame bloßzustellen, wagte ich nichts zu erwidern. Mein Vater kennt die große Hochachtung, die ich vor ihm hege; ich habe sie noch nie aus den Augen gesetzt. Er sieht, dass ich leide, dass ich ungeduldig bin, dass ich nicht auf ihn höre, mein Herr, er merkt nicht, dass etwas Außerordentliches darunter verborgen ist! er fährt immer fort zu schmähen, er will nichts errathen!«

»Junger Mensch,« versetzte der Baron, »Ihre Entschuldigung liegt in Ihrer Verzweiflung; ich verzeihe dem Schmerz, der Sie zu überwältigen scheint, die Vorwürfe, die Sie mir zu machen wagen; aber je mehr Sie die Marquise zu lieben scheinen ...«

»Mein Vater ...«

»Mein Sohn, Frau von B... ist nicht mehr da; warum unterbrechen Sie mich? je mehr Sie die Marquise zu lieben scheinen, desto mehr bin ich mit Ihnen unzufrieden. Wenn Ihr Herz von dieser Leidenschaft eingenommen, wie konnten Sie das Verderben eines tugendhaften Mädchens, eines achtungswerten Kindes, wie Sophie es ist, beschließen; dann sind Sie bloß ein niedriger Verführer!«

»Mein Vater, zwischen mir und Sophie ist kein anderer Verführer als die Liebe!«

»Mein Herr, ob Sie in Frau von B... wirklich verliebt sind oder nicht, das bekümmert mich wenig; aber das ist mir nicht gleichgiltig, wenn mein Sohn meiner unwürdig ist.«

»Bester Baron,« unterbrach ihn Herr Duportail.

»Ich sage nicht zu viel, mein Freund, Sie sollen Sachen hören, worüber Sie erstaunen werden. Diesen Morgen gehe ich ins Kloster und finde Adelheid in Thränen. Meine Tochter, meine theuere Tochter, deren liebenswürdige Aufrichtigkeit Sie kennen, erzählt mir, ihre Freundin sei krank, und ihr Bruder bringe das unfehlbare Mittel, das er für Sophie versprochen, so lange nicht. Ich dringe in sie, sich zu erklären! sie gibt mir den umständlichsten Bericht von der Krankheit, die Sie errathen, die der Herr kennt, welche er verursacht hat, die zu nähren er sich gefällt, die er gerne noch vermehren möchte. Der Herr missbraucht einige Gaben der Natur, um ein allzuempfängliches Kind zu verführen, und er hat sich eine unumschränkte Herrschaft über ihren Geist erworben und bereitet allmählich ihre Unehre vor.«

»Ihre Unehre! Sophiens Unehre!«

»Ja, junger Thor, ich kenne die Leidenschaften.«

»Mein Vater, wenn Sie dieselben kennen, so werden Sie begreifen, dass Sie mein Herz zerreißen.«

»Mäßigen Sie diese beleidigende Heftigkeit, Herr Sohn.

»Ja, ich kenne die Leidenschaften; dieses Kind, welches Sie heute achten, werden Sie vielleicht morgen entehren, wenn es die Schwachheit hat, darein zu willigen.

»Ja, mein lieber Freund Duportail, das Mittel, das der junge Herr seinem hübschen Bäschen zu schicken gedenkt, wird in einem sorgfältig versiegelten Papier enthalten sein, welches aber Frau Münch nicht sehen darf. Sie verstehen mich, mein Freund? auf diese Art ist Alles vorbereitet. Die Correspondenz tritt ins Leben; die arme Sophie, deren Augen bereits verführt sind, wird es auch bald im Herzen sein. Sie hat sich durch ein schönes Gesicht, das gewöhnliche Zeichen einer schönen Seele, hintergehen lassen! bald wird sie es auch durch die nicht minder verrätherischen Reize einer künstlichen Beredsamkeit sein. Man affektiert in studierten Briefen die Sprache des Gefühles, und Sophie, von allen Seiten zugleich angegriffen, fällt dann wehrlos in die Netze, die man ihr gestellt hat, und doch ist ihr Verführer noch nicht siebenzehn Jahre alt! und in einem so zarten Alter zeigt er schon so unselige Neigungen und entwickelt die fluchwürdigen Talente jener eben so niederträchtigen als verdorbenen Menschen, die sich nicht scheuen Zwietracht und Verzweiflung in Familien zu bringen, die mit unmenschlichem Vergnügen die Seufzer der zu Fall gebrachten Schönheit hören und mit einigem Behagen die Schande und die Angst der verführten Unschuld betrachten. Dies werden die Wirkungen jener Naturgaben sein, deren Entwicklung mir so viel Freude machte, auf die ich vielleicht heimlich stolz war; so werden die großen Hoffnungen, die ich gehegt hatte, in Erfüllung gehen.«

»Glauben Sie mir, mein Vater, dass ich Sophie anbete.«

Der Baron, ohne mich anzuhören, fuhr fort zu Herrn Duportail gewendet:

»Und wissen Sie auch, durch welche Hände der Herr seine verderblichen Briefe gehen zu lassen gedenkt? wissen Sie, wem er das ehrenvolle Geschäft anvertraute, seine abscheulichen Pläne zu befördern? – der reinsten und vertrauensvollsten Tugend, der unschuldigen Adelheid, meiner geliebten Tochter, seiner Schwester.«

»Mein Vater, verurtheilen Sie mich nicht ungehört. Sie zweifeln an der Aufrichtigkeit meiner Empfindungen gegen Sophie? nun denn so verbinden Sie uns, geben Sie mir sie zur Frau.«

»Und Sie verfügen nur so schlechtweg über Sophie und über sich? Sind Sie den Eltern von Fräulein von Pontis bekannt? kennen Sie dieselben? wissen Sie, ob diese Verbindung ihnen zusagt? meinen Sie, ich wolle Sie in diesem Alter vermählen? kaum aus den Kinderjahren herausgetreten, verlangen Sie schon nach der Ehre Familienvater zu sein?«

»Ja, und ich bin überzeugt, dass es Ihnen eben so leicht wäre, in meine Heirat zu willigen, als es mir unmöglich ist, meiner Liebe zu Sophien zu entsagen.«

»Sie werden ihr dennoch entsagen, mein Herr! ich verbiete Ihnen, ohne meine Begleitung, oder meine ausdrückliche Erlaubnis in's Kloster zu gehen, und ich erkläre Ihnen, dass, wenn Sie sich künftig nicht besser aufführen, ich mich durch Schloss und Riegel Ihrer versichern werde.«

»Wenn man die jungen Leute, die sich lieben, einsperren wollte, statt sie zu verheiraten, gestehen Sie, mein Vater, dann wäre ich nicht auf der Welt und Sie wären im Gefängnis.«

Der Baron hörte meine Antwort nicht, oder wollte sie nicht hören. Er gieng fort; ich hielt Herrn Duportail, der ihm folgen wollte, zurück und bat ihn, den Vermittler zwischen meinem Vater und mir zu machen und besonders den Baron zur Zurücknahme des grausamen Befehls zu vermögen, der mir die Besuche im Kloster untersagte. Er entgegnete, dass die Maßregeln, die mein Vater treffe, ganz vernünftig seien.

»Vernünftig! so sprechen doch alle gefühllosen Leute! ihr Losungswort heißt Vernunft! mein Herr, als Sie Lodoiska anbeteten, als der ungerechte Pulawski Sie des Glücks beraubte, sie zu sehen, fanden Sie da seine Maßregeln vernünftig?«

»Aber junger Freund, bedenken Sie doch den Unterschied.«

»Es gibt hier durchaus keinen Unterschied. In Frankreich, wie in Polen, hat ein Liebender, der diesen Namen verdient, für nichts anderes Augen und Gedanken, als für das, was er liebt; das größte Unglück, das er sich denken kann, ist, von dem Gegenstande seiner Anbetung getrennt zu werden. Die Verfügungen meines Vaters scheinen Ihnen vernünftig! ich finde sie grausam und werde mein möglichstes thun, um sie zu vereiteln. Sophie wird meine Liebe erfahren; sie wird sie trotz der Verbote meines Vaters erfahren; sie wird darüber sehr erfreut sein, und ihm und Ihnen und der ganzen Welt zum Trotz werden wir uns am Ende heiraten; das erkläre ich Ihnen, mein Herr, und Sie können es dem Baron sagen.«

»Ich werde ihm nichts sagen, mein Freund! ich will weder ihren Vater reizen, noch Sie kränken. Für den Augenblick sind Sie ein wenig erhitzt, ich lasse Ihnen Zeit, die Sache reiflicher zu überlegen, und morgen sind Sie ohne Zweifel vernünftiger.«

»Vernünftig! ja vernünftig, das habe ich erwartet.«

Sobald ich allein war, sann ich auf Mittel und Wege, das Verbot des Vaters zu umgehen oder zu vereiteln. Strenger Sittenrichter, der Du meinen Ungehorsam tadelst, ich beklage Dich! wenn Dich Deine erste, oder Deine theuerste Geliebte nie zu einem Fehlschritt veranlasst hat, so hast Du sie nie sehr geliebt.

Als ich die Sache bei Licht betrachtete, fand ich meine Lage zwar peinlich, aber doch nicht verzweifelt. Rosambert, für die Leiden seines Freundes empfindlich, half mir ohne Zweifel; Jasmin war mir gänzlich ergeben und meinen kleinen Hofmeister glaubte ich schon so gut zu kennen, um überzeugt zu sein, dass sich bei ihm mit Gold Alles ausrichten lasse. Herr Duportail schien neutral bleiben zu wollen; ich hatte also bloß meinen Vater zu bekämpfen.

Und mein Vater, den seine Intrigue mit seiner Theaterprinzessin bedeutend in Anspruch nahm, gieng alle Abende aus und konnte mich demnach nicht so sehr genau beobachten.

Dies war das Resultat meiner reiflichen Überlegung, es fiel zwar nicht im Sinne des Herrn Duportail aus, allein mich band kein Versprechen, ich hatte es ihm vorausgesagt.

Indes durfte ich in den ersten Tagen dem Baron keinen Grund zum Verdruss geben; die Klugheit gebot mir, die Besuche im Kloster einige Zeit zu unterlassen; aber wie einen Brief an Sophie zu bestellen? Dieser Brief war so wichtig, so nothwendig! wer sollte ihn meinem lieblichen Bäschen bringen? ich sah keine Möglichkeit, mich aus dieser Verlegenheit zu ziehen.

Unter den Mitteln, die mir noch zu Gebote standen, hatte ich diejenigen nicht in Anschlag gebracht, die auf der Freundschaft meiner Adelheid beruhten.

Eine alte Frau bringt mir ein Billet, ich öffne es; die Unterschrift lautet: Von Faublas. Ah! meine theuere Schwester!

Ich küsse die Schrift und lese:

»Ich fürchte sehr, soeben eine Unvorsichtigkeit begangen zu haben, lieber Bruder. Ich habe dem Vater gesagt, dass Sie mir ein Mittel für meine kranke Freundin versprochen hatten; er ist zornig gewesen und hat gesagt, das sei Gift, was Sie für Sophie bereiteten. Gift! wahrlich, lieber Bruder, ich habe es nicht geglaubt, obschon der Baron selbst es behauptete.

Ich habe dies alles meiner Freundin erzählt, die das versprochene Mittel mit Ungeduld erwartet. Adelheid, sagte sie zu mir. Sie hätten vor dem Baron nichts davon reden sollen. Das Mittel von Ihrem Bruder ist vielleicht nicht ganz gut, aber wir hätten in jedem Falle sehen können, was daran ist. Seien Sie übrigens ruhig, mein Bruder, sie glaubt ebenso wenig als ich, dass Sie sie hätten vergiften wollen.

Da ich sah, dass sie ein ungeheueres Verlangen nach dem Rezept hatte, rieth ich ihr, Sie darum zu bitten. Darauf hat sie aufs neue die Worte wiederholt, die mich beleidigten: Adelheid! ach, wie glücklich bist Du! Indes bin ich überzeugt, dass sie sehr erfreut wäre, eine Nachricht von Ihnen zu erhalten. Schicken Sie mir das versprochene Mittel sogleich, ich will es ihr zustellen und ich versichere Sie, dass ich Niemandem davon sagen werde.

Geben Sie der Überbringerin des Billets drei Livres, sie hat mir gesagt, dass sie nie schwatze, wenn man ihr einen kleinen Thaler gebe.

Ihre Schwester Adelheid von Faublas.

N. S. Besuchen Sie mich doch bald!«

Entzückt springe ich auf die Alte zu. »Hier, Madame, sind sechs Franks, weil ich Ihnen Antwort mitgeben will, die ich zu erwarten bitte.«

Ich gehe in mein Kabinet und setze mich an meinen Schreibtisch.

Da liegt der unselige angefangene Brief, den ich an Sophie schreiben wollte, den unglücklicherweise die Marquise gelesen hatte, es waren noch die Spuren von den Thränen der schönen Frau deutlich zu sehen, welche dieselbe in ihrem Schmerz über meine Untreue vergossen.

Ich sah mich genöthigt, den Brief von neuem anzufangen; aber warum denn wieder anfangen? Beim Namen meiner angebeteten Sophie, welche ich nach dem strengen Ausspruch meines Vaters nicht mehr sehen sollte, füllten sich meine Augen mit Thränen. Wird Sophie wissen, dass zwei Personen geweint haben auf dasselbe Papier, wo ich die heißesten Gefühle meines Herzens aussprechen will?

Dieser Gedanke bestimmte mich; ich fange nicht auf's Neue an, sondern fahre fort:

»Sophie, ich lebe nur noch durch Dich! und dennoch trauerst Du! Du klagst mich der Undankbarkeit, der Grausamkeit an! Du glaubst, Du kannst glauben, dass es eine Frau, auch nur eine einzige Frau auf der Welt gebe, die mit Dir verglichen werden könnte! eine Frau, die man lieben könnte, wenn man Sophien kennt.

O mein angebetetes Mädchen! mit welcher Freude, welch' seligem Entzücken erfüllte mich die Nachricht von Ihrer Liebe gegen mich! aber wie groß war der Schmerz, als ich hörte, dass ein bitterer Kummer an Ihrer schönen Jugendblüte nage und Ihr Leben bedrohe. – Ihr Leben! ach, Sophie! wenn Faublas Sie verliere, er würde Ihnen bald in's Grab nachfolgen!

Meine Schwester, die mir ganz unwillkürlich die geheimsten Empfindungen Ihrer Seele entdeckt hat, kündigt mir zugleich ewige Trennung von Ihnen an. Sie sagte mir, dass Sie mich in Ihrem Leben nicht mehr sehen wollen, ach, meine Sophie, wenn dies wahr sein sollte, so würde mein Leben nicht lange dauern, es würde mir zur unerträglichen Last werden; und Sie selbst! Sie selbst! doch überlassen wir uns süßeren Vorstellungen; eine glücklichere Zukunft erwartet uns. Vergönnen Sie mir die Hoffnung, dass mein hübsches Bäschen bald meine Gattin sein wird, und dass wir beide vereinigt, nie aufhören werden, Liebende zu sein! Ich bin mit der größten Hochachtung und Liebe Ihr junger Vetter

Chevalier von Faublas.«

Als dieser Brief versiegelt war, schrieb ich einen anderen:

»Wie sehr haben Sie mich mit Ihrem Schreiben erfreut, liebe Adelheid! ich bin des Glückes, Sie zu sehen, beraubt; der Baron verbietet mir auszugehen; er hat einen Auftritt mit mir gehabt! Sie hätten ihm nichts von Sophie sagen sollen.

Übergeben Sie meinem hübschen Bäschen schnell das beiliegende Billet, das an sie adressiert ist; aber geben Sie es ihr nur, wann sie allein ist, und sagen Sie keinem Menschen etwas davon.

Adieu, liebe Schwester! Es umarmt Sie Ihr treuer Bruder

Chevalier von Faublas.«

Ich legte beide Billette in einen Umschlag und vertraute Alles der Verschwiegenheit der Alten an.

Noch am selben Abende arbeitete ich für den großen Bund, den ich zu stiften beschlossen hatte. Mein Vater war ausgegangen. Ich fragte nach Herrn Person; er war ebenfalls nicht zu Hause. Er kam erst etwas spät zurück und redete mich mit triumphierender Miene an:

»Mein Herr, Sie haben diesen Morgen Ihren Herrn Vater gehört. Er hat mir eine unumschränkte Gewalt über Sie gegeben.«

»Herr Person, Sie sehen mich darüber entzückt. Ich bin in der That zu glücklich, einen Hofmeister wie Sie zu haben, gefällig, bieder, besonders auch nachsichtig.«

»Mein Herr, ich wusste wohl, dass Sie mir einmal Gerechtigkeit widerfahren lassen würden.«

»Einen Hofmeister voll Artigkeit und Anmuth.«

»Mein Herr, Sie schmeicheln mir.«

»Einen Hofmeister, der wohl einsieht, dass ein Kind von sechzehn Jahren nicht so vernünftig sein kann, als ein Mann von fünfunddreißig.«

»Ganz gewiss, junger Mann!«

»Einen Hofmeister, der das menschliche Herz kennt.«

»Das ist sehr wahr!«

»Und der bei seinem Zögling eine süße Neigung entschuldigt, deren er sich selbst nicht erwehren kann.«

»Ich verstehe nicht recht.«

»Setzen Sie sich, Herr Person! wir haben einen sehr wichtigen Gegenstand mit einander abzuhandeln, der Ihre ganze Aufmerksamkeit verdient. Unter Ihren vielen glänzenden Eigenschaften, von denen ich noch mehrere anführen könnte, wenn ich nicht Ihre Bescheidenheit zu beleidigen fürchtete, unter so vielen Eigenschaften, ich sage es frei heraus, fehlt Ihnen, wie ich zu bemerken glaubte, eine, die man gewöhnlich für sehr wichtig hält, auf die ich aber nicht den geringsten Wert lege, nähmlich die Lehrgabe.«

»Mein Herr, aber Sie erlauben sich Äußerungen –«

»Ich sage dies nicht, um Sie zu kränken. Ich bin vollkommen überzeugt, dass es Ihnen nicht an gründlichen Kenntnissen mangelt, aber man trifft täglich Leute, die bei der größten Gelehrsamkeit das Unglück haben, Sachen, die sie ganz gut verstehen, sehr schlecht vorzutragen.

Sie sind in diesem Falle, Herr Person, und in dieser Beziehung gilt von Ihnen, was der berühmte Cardinal Retz von dem großen Condé gesagt hat: ›Sie erfüllen Ihr Verdienst nicht.‹«

»Mein Herr, diese Citation ...«

»Ist nicht vollkommen passend, ich sehe es wohl. Sie sind kein Eroberer, Sie haben keine Armee anzuführen; aber das Herz eines Jünglings zu bilden, seine Neigungen zu beobachten, um sie zu bekämpfen oder zu beschränken, wenn man ihnen nicht zuvorkommen konnte; seine linkischen Manieren zu verfeinern und seinen ungebildeten Geist zu schmücken; halten Sie dies für etwas leichtes? Nein, wahrhaftig nicht! ich glaube, Sie selbst müssen mir beistimmen.«

»Ich weiß wohl, dass mein Beruf mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist!«

»Nun gut, mein Herr, die Eltern verstehen davon nichts. Sie suchen einen Hofmeister, der alle Tugenden haben sollte; sie bezahlen einen Menschen und verlangen einen Gott! aber um auf unsere Angelegenheit zurückzukommen, ich habe auch bemerkt, Herr Person, dass Ihre große Anhänglichkeit an alles, was den Namen Faublas trägt, Sie zu weit geführt hat.«

»Ja, erklären Sie sich näher, mein Herr!«

»Die ungemeine Neigung, die Sie für die Familie im allgemeinen hegen, haben Sie auf die einzelnen Glieder derselben nicht gleich vertheilt.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sehen Sie, Sie haben für meine Schwester eine gewisse Vorliebe.

Man würde es fast Liebe nennen!

Die Schwierigkeiten, welche Sie beim Unterricht nicht überwinden können, mussten den Baron veranlassen, für Ungeschicklichkeiten zu erklären. Was ich hier sage, ist vollkommen richtig.

Wenn ich den Baron von allen diesen Umständen in Kenntnis setzen wollte, so wären Sie keine vierundzwanzig Stunden mehr in diesem Hotel. Das wäre ein großes Unglück für mich, Herr Person, und ein noch größeres für Sie. Ich weiß wohl, dass man mir gleich einen anderen Hofmeister suchen würde; aber wie ich eben sagte, es gibt keinen vollkommenen Menschen auf der Erde. Vorausgesetzt, der Neuangekommene besäße mehr Lehrgabe als Sie.

Er würde mir den ersten Tag mit Zerstreutheit Lektion geben, bei welcher ich Langweile hätte; und zum Teufel mit den Büchern, sobald ich ihn zum ersten Mal darüber gähnen gesehen hätte!

»Indes wäre mein neuer Mentor von den Schwachheiten des Menschengeschlechtes nicht frei; er hätte Fehler oder Leidenschaften, die ich bald kennen würde, weil es in meinem Interesse läge, sie auszukundschaften.

Aus demselben Grunde würde er meine Neigung mit der gleichen Aufmerksamkeit beobachten. In der ersten Woche würden wir uns beobachten wie zwei Feinde, die einander fürchten, nach acht Tagen wären wir zwei Freunde, die das gleiche Interesse haben, sich zu schonen. Indessen würden Sie, Herr Person, vielleicht keine anständige Erzieherstelle finden, wie Sie es nennen.

Ich sehe wohl ein, dass es für den Hofmeister eines Edelmanns hart wäre, Hauslehrer bei einem Bürgerlichen zu werden.

Ich kann Ihre Lage nicht ändern, aber doch bessern; statt Ihr Einkommen zu verringern, will ich es vergrößern.«

»Mein Herr, ich bin sehr erkenntlich.«

»Ich habe ja immer gesagt, dass bei Ihnen die Eigenschaften des Herzens sehr zu schätzen sind.«

»Die Eigenschaften meines Herzens, was wissen Sie davon?«

»Ja, mein lieber Hofmeister, Sie haben ein außerordentlich gutes und gefühlvolles Herz. – Sie wissen, dass ich Sophie liebe, dass ich sie anbete, mein Vater verbietet mir, sie zu sehen.«

»Aber hat Ihr Vater denn eigentlich Unrecht?«

»Wie, mein Herr, Sie fragen mich, ob er Unrecht hat! Haben Sie mich vielleicht nicht verstanden?«

»Nicht ganz.«

»Nun so will ich mich deutlich erklären.

Wenn Sie mir im Wege stehen, so sage ich dem Baron Alles, was ich von Ihnen weiß, man verabschiedet Sie und ich bekomme einen neuen Hofmeister. Wenn Sie mir aber gefällig sein wollen – Herr Person, Sie wissen, welche Summe mir der Baron zu meinen kleinen Vergnügungen zur Verfügung stellt, ich überlasse Ihnen die Hälfte.«

»Geld! mein Herr! pfui doch! halten Sie mich für einen Bedienten?«

»Ich wollte Sie nicht beleidigen, nehmen Sie es nicht übel.«

»Mein Herr, ich habe viele Freundschaft für Sie, das ist nicht Interesse. Sie lieben also sehr das Fräulein von Pontis?«

»Mehr, als ich Ihnen sagen kann!«

»Und was wollen Sie, dass ich dabei thue?«

»Ich verlange bloß, dass Sie sich eben so viele Mühe geben, um die Aufmerksamkeit des Barons abzulenken, als Sie es gekostet hätte, mich zu quälen.«

»Mein Herr, Sie haben auf Fräulein von Pontis bloß ehrliche, erlaubte Absichten?«

»Ich wäre ein Ungeheuer, wenn ich andere hätte, so wahr ich Edelmann bin, Sophie wird meine Gattin.«

»In diesem Falle sehe ich nichts unzukömmliches.«

»Gewiss, durchaus nichts!«

»Herr von Faublas, für eine so einfache Sache bieten Sie mir Geld an?«

»Ich bitte um Entschuldigung.«

»Geld! pfui doch! einige Geschenke, das geht an. Ich habe zwei Jahre bei Herrn L. zugebracht, er machte mir von Zeit zu Zeit Geschenke. Seine Kinder ihrerseits ließen es nicht fehlen, mir eine Freude zu machen, alles gieng ganz gut, ein Geschenk lässt sich annehmen.«

»Also, Herr Person, es bleibt dabei, ich kann mich auf Sie verlassen?«

»Ganz sicher.«

»So hören Sie, lieber Hofmeister; ich habe Ihnen noch etwas zu bemerken. Wenn das, was Sie für Adelheid empfinden, wirkliche Liebe ist, so glauben Sie ja nicht, dass ich sie im entferntesten billige.

Meine Liebe zu Sophie ist unschuldig und rein, wie sie selbst. Die, welche Sie für meine Schwester empfinden könnten ...? Herr Person, nehmen Sie sich in Acht! Ich bin zwar vollkommen überzeugt, dass Adelheids Tugend sie gegen alle Versuche eines Verführers schützen würde; aber schon solche Versuche wären eine Beschimpfung! ... eine Beschimpfung, für die alles Blut des Schuldigen nur eine geringe Sühnung wäre.«

»Seien Sie ruhig, mein Herr!«

»Ich bin es.«

»Verlassen Sie sich auf mich, mein Herr.«

»Ich rechne auf Sie, lieber Hofmeister.«

Person gieng aus und sagte mir nachher, er sei nach Tisch im Auftrag des Barons im Kloster gewesen.

»Im Kloster, was haben Sie dort gemacht?«

»Der Baron hat mir folgenden Auftrag gegeben: Fräulein Adelheid ausdrücklich zu verbieten, ins Sprechzimmer zu kommen, wenn Sie allein nach ihr fragen würden.«

»Sie haben Adelheid gesehen?«

»Ja, mein Herr!«

»Sie hat Ihnen nichts gesagt?«

»Bloß, dass sie über das Verbot Ihres Vaters sehr betrübt sei!«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Und Sophie? haben Sie nach ihrem Befinden gefragt?«

»Sie ist weit besser seit Mittag.«

»Und um welche Zeit waren Sie im Kloster?«

»Etwa um fünf Uhr, ungefähr vor vier Stunden.«

»Gut, sehr gut, Herr Person, ich danke Ihnen.«

Herr Person gieng mit einer selbstgefälligen Miene aus meinem Zimmer. Weit besser seit Mittag! um diese Zeit hat sie meinen Brief erhalten. Sophie! theuerste Sophie! wirst Du Dich nicht beeilen mir zu antworten? Adelheid, Du musst sehr zufrieden sein. Deine liebe Freundin ist schon geheilt! – und in der Entzückung über diese glückliche Nachricht von einer so schnellen Kur fieng ich an in die Höhe zu springen und Luftevolutionen zu machen, als die Thüre sich öffnete.

»Ich bitte um Entschuldigung, gnädiger Herr! ich hörte einen Lärm und wurde unruhig.«

»Jasmin, geh sogleich zu dem Grafen Rosambert und bitte ihn, morgen früh unfehlbar zu mir zu kommen.«

Rosambert blieb nicht aus; ich erzählte ihm von den Vorfällen des gestrigen Tages nur das, was sich auf Sophie bezog; er erinnerte mich lachend, dass er wette, es sei nicht das hübsche Bäschen gewesen, die in meinem Kabinet war. Ich wollte ausweichen; der Graf drang lebhaft in mich, so dass ich Alles gestehen musste.

»Das ist doch ein wunderbares Weib, diese Marquise von B...,« sagte er. »Niemand versteht es so gut wie sie, eine Intrigue anzuspinnen, dieselbe schnell einzuleiten und die Entwicklung rasch herbeizuführen; eine Entwicklung, der sie nicht abgeneigt ist, und die, man sollte fast glauben, für ihre Konstitution ein Bedürfnis ist.

»Niemand besitzt vollständiger die große Kunst den Liebhaber zu fesseln, eine gefährliche Nebenbuhlerin auszustechen, oder wenn dies unmöglich ist, ihr wenigstens das Gleichgewicht zu halten.

»Diese Frau weiß den Vergnügungen eine Abwechslung zu geben, so dass ein sechsmonatliches Liebesverhältnis mit ihr noch immer den Reiz der Neuheit hat. Ihr intriguanter Geist hat sich bei Hof in allen Arten ausgebildet. Im schlichten Bürgerstand geboren, wäre sie vielleicht statt einer galanten Dame eine ehrliche, gemüthliche Frau geworden. Ich wiederhole Ihnen, dass man sie nicht flatterhaft nennen kann! ich besaß sie seit sechs Wochen und hätte sie vielleicht noch drei Monate behalten; aber Ihre unselige Verkleidung hat Alles aus dem Geleise gebracht. Einen Neuling anzuleiten! einen Gecken zurechtzuweisen! ich wollte damit nicht meine Person bezeichnen; einen beinahe eifersüchtigen Gemahl zu hintergehen auf eine so lustige Art, Sie wissen ja, lieber Faublas, es war wirklich zu pikant. Hindernisse aller Art zu überwinden! diesen Verlockungen hat sie nicht widerstehen können. Ja, so bezaubernd auch Ihre Gestalt ist, so wollte ich doch wetten, dass Frau von B... sich hauptsächlich durch die Schwierigkeiten des Unternehmens hat bestimmen lassen. Vor Allem hat die Marquise sich zur Aufgabe gemacht, von dem allgemeinen Wege abzugehen. Heute zur Zerstreuung einen Geliebten anzunehmen und ihn nach acht Tagen aus Langweile wieder zu entlassen, einförmige Verbindungen abzubrechen und wieder anzuknüpfen! das ist das ewige Geschäft unserer Damen von Stand. Nur die Personen wechseln, nie der Gang der Intrigue. Man sagt und thut unaufhörlich dasselbe. Da gibt es immer eine Erklärung anzuhören, ein Geständnis zu wagen, ein Billet zu schreiben, zwei oder drei geheime Zusammenkünfte anzuordnen und endlich den Bruch einzuleiten. Dieses ewige Einerlei wird zum Sterben langweilig.

Ganz anders die Marquise! sie behält gerne den Reiter und wechselt mit der Schule. Ihr ist es nicht um die Wahl der Liebhaber, sondern um die Merkwürdigkeit der Abenteuer zu thun.

Eine Scene erscheint ihr nicht pikant, so lange sie nichts außerordentliches hat. Sie wagt Alles, um dies herbeizuführen, und gefällt sich sogar darein, den möglichen Gefahren zu trotzen und gegen die Ereignisse anzukämpfen.

Auch führt ihr Kraftgefühl hie und da zu weit, es begegnet ihr zuweilen, dass sie mit aller ihrer Geschicklichkeit den widerwärtigen Folgen einer Unvorsichtigkeit nicht ausweichen kann. In ihrem Abenteuer mit Ihnen hat sie schon zwei schreckliche Auftritte erlebt. Den ersten, als ich sie quälte, was sie wahrhaftig auch um mich verdient hatte. Den zweiten hat sie ganz gegen ihre Grundsätze gestern hier aufgesucht, und der dritte, den hat ihr der Zufall vielleicht vorbehalten.

Doch das hat nichts zu sagen! immer über kleine Kränkungen erhaben, gewohnt, unter den unangenehmsten Verhältnissen ihre Gemüthsruhe zu behaupten, wird die Marquise aus ihrem Unglück Vortheile über ihre Feinde, über ihre Nebenbuhlerin und über Sie ziehen.«

»Über ihre Nebenbuhlerin? Glauben Sie mir, lieber Rosambert, Sophie wird immer vorgezogen werden! aber was sagen Sie dazu, dass Sophie mir nicht antwortete?«

»Warten Sie doch, bis sie geschlafen hat, wissen Sie denn nicht, dass sie seit acht Tagen kein Auge geschlossen hat? Ihr Brief hat sie sanft beruhigt, gönnen Sie ihr doch ihr Glück! wissen Sie auch, was wir jetzt zu thun haben?«

»Nein, ich warte Ihren klugen Rath ab.«

»Wir müssen dem lieben Hofmeister ein Geschenk kaufen, vielleicht einen Juwel. Er hat Ihnen ja gesagt, dass ein Geschenk sich annehmen lasse.«

»Ja, wahrlich! aber wenn ich ausgehe und ein Brief von Sophie kommt?«

»Man lässt die alte Botin warten.«

»Nun ja, also schnell!«

»Nehmen Sie doch auch Ihren Hut mit.«

»Sie haben Recht,« versetzte ich zerstreut und wollte mich setzen.

Rosambert nahm mich bei der Hand:

»Zum Teufel, wo sind Sie denn? wovon träumen Sie?«

»Ich dachte an den armen Vicomte von Florville; wie betrübt muss die arme Marquise sein! Rosambert, glauben Sie, sie werde schreiben?«

»Sprechen Sie von der Marquise?«

»Ja, mein Freund; aber lachen Sie doch nicht, antworten Sie mir!«

»Nun gut, lieber Faublas, ich glaube, dass sie nicht schreiben wird.«

»Sie glauben also?«

»Das ist sehr wahrscheinlich. Die Marquise hat sich über Ihre jetzige beiderseitige Stellung bereits besonnen. Als Dame von Erfahrung sieht sie ohne Zweifel ein, dass Sie nicht umhin können sie zu besuchen; sie wird nicht zu Ihnen kommen. Sie wird Sie erwarten; seien Sie versichert, dass sie auf Sie wartet.«

Ich läutete Jasmin.

»Mein Freund, Du weißt das Hotel des Marquis von B..., Du kennst Justine; ziehe ein bürgerliches Kleid an und frage nach Justine! sage ihr, ich lasse mich erkundigen, wie sich die Frau Marquise befinde.«

Rosambert, der aus vollem Halse lachte, sagte:

»Ach ja! Sie glauben, es wäre nicht höflich, sie zu lange warten zu lassen? aber nicht wahr, Sie hofften einen Brief von Sophie?«

»Gewiss! Jasmin, wir gehen einen Augenblick aus; Du bleibst so lange da, bis wir zurückkommen. Jasmin, jetzt Verschwiegenheit, ich verlasse mich auf Dich. Der Feind verfolgt uns, er ist auf der Lauer; Achtung, mein Freund, Achtung!«

»Oh, gnädiger Herr, ich habe noch in allen Häusern mit den Kindern gegen die Eltern Partie genommen.«

»Gut, mein Freund! sei versichert, dass ich Dich belohnen werde, wenn ich einmal mit ihr verheiratet bin.«

»Verheiratet mit der Frau Marquise, gnädiger Herr?«

Rosambert lachte.

»Schnell, mein Freund, kommen Sie! Sie sind nicht bei Sinnen.«

Ich kaufte einen schönen Ring; aber als ich wieder nach Hause gehen wollte, ließ sich Rosambert nicht aus dem Laden bringen; die Juwelenhändlerin war hübsch.

Bei meiner Ankunft zu Hause übergab mir Jasmin einen Brief. Die Botin hatte sich nicht einmal setzen wollen, weil man ihr verboten hatte, eine Antwort zu erwarten.

Man urtheile aber meinen Schmerz, als ich folgende Zeilen las:

»Wenn ich nicht meinen Namen zwanzig Mal in Ihrem Brief wiederholt gelesen hätte, so würde ich nie geglaubt haben, dass er an mich gerichtet wäre.

»Wie konnte ich denken, dass einige mir ohne Zusammenhang entfahrene, von meiner Freundin zufällig aufgefassten Worte von ihrem Bruder sonderbar gedeutet werden sollten; wie konnte ich mir denken, dass mein junger Vetter, der sich mein Freund nannte, mich so schimpflich behandeln sollte!

»Wer hat Ihnen gesagt, mein Herr, dass ich Sie liebe? Adelheid! Sie weiß nichts davon! Wer hat Ihnen gesagt, dass die Worte: der Grausame, der Undankbare, ich werde ihn nie wiedersehen! sich auf Sie bezogen hätten? wer hat Ihnen gesagt, dass ich vor Kummer sterbe, weil Sie mich nicht lieben? wenn dies der Fall wäre, mein Herr, so würde es niemand missen als ich. Habe ich es Ihnen jemals gesagt, mein Herr?

»Und Sie sprechen in einem Tone, als ob Sie Ihrer Sache gewiss wären! Sie glauben, dass ich Sie liebe. Sie lieben jemand und sagen zu mir: Sie beten mich an, ich sei die einzige Frau auf der Welt, der Sie Ihr Herz und Ihr Leben weihen wollen. Sie meinen also mir eine Gnade zu erweisen, wenn Sie mich um Herz und Hand bitten? mein Herr, wenn ich je so unglücklich bin, um Mitleid einzuflößen, so werde ich wenigstens so klug sein, nicht zu lieben, oder so verständig, meine Liebe niemand wissen zu lassen; und gewiss wird der Geliebte einer andern nie der meinige sein. Jetzt sind Sie es, an den ich die Worte richte: Ich werde Sie nie wiedersehen. Meine Familie steht der Ihrigen in nichts nach, mein Herr, und Sie müssen mir Dank wissen, dass ich meine Empfindlichkeit über die Beschimpfung, die Sie sich nicht gescheut haben mir anzuthun, nicht weiter treibe.«

Dieser unglückselige Brief war nicht unterzeichnet. Der Kummer, mit dem er mich erfüllte, lässt sich leichter denken als beschreiben. Sophie liebte mich nicht! sie wollte mich nicht mehr sehen! – Ich versank in eine tiefe Niedergeschlagenheit. Wenn doch wenigstens Rosambert gekommen wäre, er hätte mich mit seinem Rath unterstützt, er würde mir einigen Trost eingesprochen haben.

Ich stand schnell auf, kleidete mich an und eilte zu der Juwelenhändlerin. Sie war nicht mehr im Comptoir, auch Rosambert war nicht mehr im Laden. Ich konnte meinen Verdruss darüber so wenig verbergen, dass sich ein Ladenfräulein meiner erbarmte. Sie sagte zu mir:

»Wenn Sie einstweilen ins Café de la Régence gehen wollen, das nur zehn Schritt von hier entfernt ist, so will ich dem Grafen, der nicht weit weg ist, sagen, dass er spätestens in einer halben Stunde zu Ihnen komme.«

Ich gieng in das Café de la Régence und erblickte lauter in das Schachspiel vertiefte Leute. Ich setzte mich anfangs an einen Tisch; allein ich war so aufgeregt, dass ich keinen Augenblick ruhig bleiben konnte und mit großen Schritten in dem stillen Zimmer auf und ab zu gehen anfieng. Bald sagte auch einer der Spieler, den Kopf aufrichtend und sich die Hände reibend, laut und mit stolzem Tone:

»Schach dem König!«

»Ihr Götter,« rief der andere, »die Dame genommen! die Partie verloren! eine prächtige Partie!

»Ja, ja, mein Herr, reiben Sie nur die Hände! Sie halten sich für einen Turenne! wissen Sie auch, wem Sie diesen schönen Zug zu danken haben?« rief er, indem er sich gegen mich wandte.

»Diesem Herrn da, ja, diesem Herrn!«

»Zum Henker mit dem Verliebten!«

Verwundert über die Heftigkeit, womit man mich anfuhr, bemerkte ich dem erzürnten Spieler, dass ich nicht begreife.

»Sie begreifen nicht! nun, so sehen Sie hieher ein ungedecktes Schach!«

»Nun ja, mein Herr, was ist mit diesem Schach?«

»Wie? was es mit diesem Schach ist? schon seit einer Stunde laufen Sie um mich herum, mein Herr. Und meine theuere Sophie da und mein hübsches Bäschen dort! ich höre diese Albernheiten und mache Fehler, wie ein Schulknabe – mein Herr, wenn man verliebt ist, kommt man nicht ins Café de la Régence.«

Ich wollte antworten, der erzürnte Schachspieler fuhr heftig fort:

»Ein ungedecktes Schach! ich soll den König schützen! keine Rettung mehr! man benützt meine Zerstreuung, an der dieser Herr schuld ist! mir widerfährt eine so elende Stümperei! einem Manne wie ich!« Seine Zornesausbrüche erreichten den höchsten Grad, er wandte sich wieder gegen mich: »Ein für allemal, mein Herr, wissen Sie, dass alle Bäschen der Welt nicht so viel wert sind, als die Dame, die man mir nimmt ... sie ist verloren! keine Rettung mehr! der Teufel hol' das Liebchen und ihren süßlichen Liebhaber!«

Diese Ausrufungen des Spielers erzürnten mich sehr; ich wollte auf ihn zugehen, stieß aber am nächsten Tisch an ein Schachbrett, das ein wenig vorstand; ich blieb mit den Knöpfen daran hängen, es fiel und die Figuren rollten nach allen Seiten auseinander!

Nun hatte ich zwei neue Gegner. Der eine sagte:

»Mein Herr, nehmen Sie sich doch in Acht, wenn Sie etwas thun!«

Der andere rief:

»Mein Herr, Sie bringen mich um die Partie!«

»Sie hätten sie verloren,« unterbrach ihn sein Gegner.

»Ich hätte sie gewonnen, mein Herr.«

»Meine Herren, was schwatzen Sie mir den Kopf voll! ich will Ihre Partie bezahlen!«

»Bezahlen! dazu sind Sie nicht reich genug.«

»Um was spielen Sie denn?«

»Um die Ehre, ja, mein Herr, um die Ehre. Ich bin ausdrücklich deswegen mit der Post hierher gereist, um mich auf die Aufforderung dieses Herrn zu stellen, dieses Herrn, der keines Gleichen zu haben glaubt! ohne Sie hätte ich ihm eine Lektion gegeben.«

»Eine Lektion! und doch sind Sie glücklich, dass die Tölpelei dieses Herrn Sie gerettet hat; auf achtzehn Züge hätte ich Ihre Dame genommen!«

»Und Sie hätten es nicht bis zum elften gebracht. Auf weniger als zehn wären Sie matt.«

»Matt! matt! ja, mein Herr, Sie sind schuld, dass man mich insultiert! Hören Sie, im Café de la Régence darf man nicht herumlaufen.«

Jetzt erhoben sich andere Spieler und riefen: »Im Café de la Régence darf man nicht schreien, nicht streiten. Was haben Sie für einen Lärm?« Es mischten sich noch andere in den Streit, und da ich der Urheber allen Unglückes war, fuhr jeder auf mich los. Ich wusste nicht mehr, was ich antworten sollte, als Rosambert hereintrat.

Er hatte viele Mühe, mich fortzubringen; wir retteten uns in's Palais Royal. Ich nahm Rosambert bei Seite und zeigte ihm Sophiens Brief.

»Und darüber sind Sie so betrübt?« sagte er, nachdem er ihn gelesen hatte.

»Sie sollten diesen Brief hundertmal küssen!«

»Ach, Rosambert, es ist jetzt keine Zeit zu scherzen!«

»Ich scherze nicht, mein Freund, Sie sind angebetet.«

»So haben Sie nicht gelesen?«

»Ich habe Alles gelesen und wiederhole Ihnen, Sie sind angebetet.«

»Rosambert, hier ist kein Platz für uns, lassen Sie uns in mein Haus gehen.«

Unterwegs sagte der Graf zu mir:

»Sophie hat ihre Besuche im Sprechzimmer um die Zeit Ihrer Verbindung mit Frau von B... eingestellt. Errathen Sie denn nicht, dass sie Kenntnis von dieser romantischen Tändelei mit der verführerischen Marquise hatte? Sie sind, verzeihen Sie mir den Ausdruck, von einer kindlichen Vertrauensseligkeit. Von dieser Zeit haben auch ihre schlaflosen Nächte angefangen. Noch mehr! das besagte Mittel hat eine vortreffliche Wirkung gehabt, denn gestern Mittag befand sich Fräulein von Pontis besser. Aus dem Allen folgt der Schluss, dass gestern Abend etwas außerordentliches im Kloster vorgegangen ist. Ganz gewiss, mein Freund, ist an diesem Briefe entweder eine List des Barons, oder eine Naivetät Adelheids, oder eine Dummheit des Herrn Person schuld. Übrigens beweist der ganze Ton des Schreibens, dass Sie geliebt werden. Dem jungen Mädchen ist sogar ein stilles Geständnis entschlüpft. Sie macht Ihnen fürchterliche Vorwürfe, indem sie sagt. Sie haben geglaubt, Sie werden von ihr geliebt; dieser Gedanke ist ihr unerträglich; und doch sagt sie nirgends, dass sie Sie nicht liebt.«

Alles, was Rosambert sagte, schien mir sehr vernünftig; dennoch blieb mein Herz beklommen. Thörichte Hoffnungen und thörichte Bekümmernisse sind Sachen der Liebenden.

»Wissen Sie auch,« fuhr der Graf fort, »dass dieser angenehme Brief sehr fein aufgesetzt ist? oh! das kluge Mädchen wird Ihnen kaum zehnmal geschrieben haben, so werden Sie ihren Styl vollkommen ausgebildet finden.«

»Rosambert, wie grausam sind Sie mit Ihrer Lustigkeit!«

Jasmin kam zu gleicher Zeit mit uns zu Hause an. Er sagte mir, er sei soeben bei der Frau Marquise gewesen.

»Nun ja, und weiter!«

»Gnädiger Herr, ich habe mit Jungfer Justine gesprochen; sie hat mich ziemlich lang warten lassen, endlich ist sie wieder gekommen und hat gesagt, Madame wisse Ihre Aufmerksamkeit sehr zu schätzen; sie sei gestern bedeutend unwohl nach Hause gekommen; diesen Morgen habe der Doktor ein wenig Fieber bei ihr gefunden.«

»Sehen Sie, Rosambert, sehen Sie, wie unglücklich ich bin, die, welche ich anbete, will mich nicht mehr sehen!«

»Und die, welche Sie unterhält, werden Sie heute nicht sehen können, armer junger Mensch, wie beklage ich Sie, trösten Sie sich, mein lieber Faublas! Um die Übel zu heilen, die Sie verursacht haben, sind Sie allein ein besserer Doktor, als die ganze Fakultät. Aber obschon die Krankheit des hübschen Bäschens so ziemlich dieselbe ist, wie die der liebenswürdigen Marquise, so wird doch die Behandlung etwas verschieden sein müssen. Denn hübschen Fräulein sieht man in die Augen, ob noch einige Rührung vorhanden ist, man greift ihre Hand, um den Puls zu fühlen, der etwas zu rasch schlagen könnte, vielleicht wird man auch sehen müssen, ob ihre Rosenlippen nichts von ihrer Frische verloren haben.

Aber bei der schönen Dame, oh! da wird die Untersuchung länger und ernsthafter sein! Sie werden sie mehr in der Nähe und allgemeiner betrachten müssen – von Kopf zu Fuß, mein Freund!

Ja, Chevalier, ein wenig Magnetismus!«

»Ich bitte, keinen Scherz, Rosambert! denken Sie jetzt mit mir an Sophie, suchen wir zuerst zu enträthseln, was mir dieser grausame Brief eingetragen hat; dann wollen wir sehen, wie sich eine Zusammenkunft, eine Erklärung mit Sophie bewerkstelligen lässt.«

»Sehr gerne, lieber Faublas! aber vor Allem wollen wir Herrn Person vernehmen.«

Mein Vater trat herein, als Rosambert eben läutete. Er erwiderte die Höflichkeiten des Grafen frostig und kündigte mir ziemlich barsch an, dass ich mit ihm ausfahren würde.

»Die Pferde sind angespannt,« setzte er hinzu; und sich gegen Rosambert wendend:

»Sie verzeihen, mein Herr, ich habe große Eile.«

»Morgen in aller Frühe!« sagte der Graf zu mir, als er gieng. Ich folgte dem Baron mit unruhigem Herzen.

Er führte mich zu Herrn Duportail.


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