Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Erster Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Kapitel.

Es war die lärmende Jahreszeit, wo Vergnügungen im Bunde mit der Narrheit die Hauptstadt beherrschen: Momus hatte das Zeichen zum Tanzen gegeben.

Der junge Graf Rosambert, seit drei Monaten der Gefährte bei meinen Leibesübungen, den mein Vater mit Artigkeiten überhäufte, machte mir schon seit einigen Tagen Vorwürfe über mein stilles, zurückgezogenes Leben.

Ob ich mich denn lebendig in meines Vaters Hause begraben und meine Spaziergänge auf alberne Besuche bei Nonnen beschränken wolle, um wen? – meine Schwester zu besuchen! es sei endlich Zeit, aus meiner Kindheit, die man absichtlich verlängere, heraus und in die große Welt zu treten, wo ich mit meiner Gestalt und meinem Geiste einer günstigen Aufnahme gewiss sein könne. »Morgen,« setzte er hinzu, »will ich Sie auf einen reizenden Ball führen, den ich viermal wöchentlich besuche; dort werden Sie gute Gesellschaft finden.« Ich weigerte mich.

»Er ist blöde wie ein Mädchen,« fuhr der Graf fort; »fürchten Sie denn, Ihre Ehre möchte Gefahr laufen? So kleiden Sie sich als Frau! Unter einem Gewande, das man respektiert, ist sie gewiss sicher.«

Ich fieng an zu lachen, ohne zu wissen, warum.

»Wahrhaftig,« sagte der Graf, »dies würde Ihnen trefflich anstehen! Sie haben ein sanftes, feines Gesichtchen und kaum ein wenig Flaum um das Kinn; es wäre entzückend ... und dann ... ja, ich will eine gewisse Person necken ... ja, Chevalier, Sie kleiden sich als Dame; es wird uns Spass machen ... gewiss, das wird prächtig werden! ...«

Dieser Gedanke gefiel mir. Ich versprach mir vielen Genuss davon, wie Sophie in den Kleidern ihres Geschlechtes auszusehen.

Am anderen Tage brachte mir ein geschickter Schneider, den Graf Rosambert bestellt hatte, einen vollständigen Amazonenanzug, so wie ihn die englischen Damen zu Pferde tragen.

Ein gewandter Haarkräusler schlug mein Haar in reizende Locken und setzte mir ein allerliebstes Hütchen auf. So gekleidet, gieng ich zu meinem Vater; er kam mit unruhiger Miene auf mich zu, blieb dann plötzlich stehen und sagte lachend: »Ach! ich hielt Sie anfangs für Adelheid.«

Ich bemerkte ihm, dass er mir sehr schmeichle.

»Nein, ich habe Sie für Adelheid gehalten und besann mich bereits, was sie wohl veranlasst habe, ihr Kloster ohne meine Erlaubnis zu verlassen und in diesem seltsamen Aufzug hierher zu kommen. Hüten Sie sich übrigens, auf diesen kleinen Vortheil stolz zu sein! ein hübsches Gesicht ist bei einem Manne der geringste Vorzug.« Herr Duportail, der zugegen war, rief: »Sie spotten, Baron, wissen Sie nicht ...« Mein Vater sah ihn an, und er schwieg.

Mein Vater drückte zuerst den Wunsch aus, mit mir ins Kloster zu gehen. Meine Schwester erkannte mich erst nach einigen Minuten aufmerksamer Betrachtung. Der Baron, über die außerordentliche Ähnlichkeit zwischen meiner Schwester und mir entzückt, überhäufte uns beide mit Liebkosungen und umarmte uns nacheinander. Indes bereute Adelheid, allein ins Sprechzimmer gekommen zu sein.

»Wie schade,« sagte sie, »dass ich meine Freundin nicht mitbrachte! wie sehr hätten wir uns an ihrer Überraschung ergötzt! erlauben Sie, lieber Papa, dass ich sie hole?«

Der Baron willigte ein. Beim Hereintreten sagte Adelheid zu Sophie: »Meine liebe Freundin, umarmen Sie meine Schwester.« Sophie sah mich bestürzt an und blieb stehen; sie war in der größten Verwirrung.

»Umarmen Sie doch das Fräulein,« sagte die Gouvernante, durch die Verkleidung getäuscht.

»Mein Fräulein, umarmen Sie doch meine Tochter,« fügte der Baron hinzu, dem die Sache Spass machte.

Sophie erröthete und nahte sich zagend; mein Herz schlug hoch. Ich weiß nicht, welcher geheime Instinkt uns zusammenführte, ich weiß nicht, wie es uns gelang, unser Glück den Blicken der aufmerksamen Zuschauer zu entziehen; sie glaubten bei dieser zarten Umarmung hätten bloß unsere Wangen sich berührt, allein ... meine Lippen hatten Sophien's Lippen gedrückt! ... Es war der erste Kuss der Liebe.

Zu Hause trafen wir den Grafen Rosambert, der mich erwartete.

Der Baron sah bald, um was es sich handle, und erlaubte mir, bereitwilliger, als ich geglaubt hätte, die ganze Nacht auf dem Ball zuzubringen. Sein Wagen brachte uns an den Versammlungsort.

»Ich will Sie,« sagte der Graf, »einer jungen Dame vorstellen, bei der ich viel gelte; ich habe ihr vor zwei Monaten ewige Liebe geschworen und gebe ihr seit sechs Wochen Beweise davon.«

So räthselhaft mir diese Sprache war, so fieng ich doch bereits an, mich meiner Unwissenheit zu schämen und lächelte mit schlauer Miene, um Rosambert glauben zu machen, ich hätte ihn verstanden.

»Oh, wie will ich sie quälen!« fuhr er fort, »stellen Sie sich nur recht verliebt in mich, Sie werden sehen, wie sie sich geberdet! Vor Allem sagen Sie ihr ja nicht, dass Sie kein Mädchen sind ... Oh! wir werden sie zur Verzweiflung bringen.«

Sobald wir in den Gesellschaftssaal traten, wandten sich alle Blicke auf mich; ich gerieth darüber in Verwirrung, ich fühlte, dass ich roth wurde, und verlor alle Fassung. Anfangs dachte ich, vielleicht habe irgend eine Unordnung in meinem Anzug oder eine falsche Stellung mich verrathen; bald aber überzeugte mich das allgemeine Hindrängen der Herren und das sichtliche Missvergnügen der Frauen, dass dem nicht so war.

Die eine sah mich spöttisch an, eine andere maß mich mit verächtlichen Blicken; die Fächer rauschten, man flüsterte leise zusammen und rümpfte die Nase, kurz mir wurde die ehrenvolle Aufnahme einer Nebenbuhlerin zu Theil, die sich zum erstenmale in einem großen Zirkel zeigt.

Eine sehr schöne Dame trat herein, es war die Geliebte des Grafen; er stellte mich ihr als seine Verwandte vor, die soeben das Kloster verlassen habe. Die Dame (sie nannte sich Marquise von B...) empfieng mich äußerst freundlich; ich setzte mich neben sie, und die jungen Herren stellten sich im Kreise um uns herum. Um die Eifersucht seiner Geliebten rege zu machen, gab mir der Graf einen ausgezeichneten Vorzug. Die Marquise sichtlich erzürnt über seine Koketterien und entschlossen, ihn dadurch zu strafen, dass er sich keinen Ärger darüber ansehen ließ, verdoppelte ihre Artigkeit und Freundschaft gegen mich.

»Wie behagt Ihnen das Klosterleben?« fragte sie mich.

»Ich würde schon Geschmack daran finden,« antwortete ich, »wenn es viele Personen gäbe, die Ihnen gleichen.«

Die Marquise belohnte mich für dieses Compliment mit einem Lächeln, sie richtete mehrere andere Fragen an mich, schien über meine Antworten entzückt, überhäufte mich mit all' den Liebkosungen, womit Frauen einander ihre Freundschaft zu verstehen geben, sagte zu Rosambert, dass er sich glücklich schätzen solle, eine solche Verwandte zu haben, und gab mir endlich einen zärtlichen Kuss, den ich höflich erwiederte.

Dies passte durchaus nicht in Rosambert's Plan, der sich etwas ganz anderes versprochen hatte. Zur Verzweiflung gebracht durch die Lebhaftigkeit der Marquise und noch mehr durch die Aufrichtigkeit, womit ich ihre Liebkosungen annahm, entdeckte er ihr leise das Geheimnis meiner Verkleidung.

»Wie unwahrscheinlich!« rief die Marquise, nachdem sie mich einige Augenblicke betrachtet hatte. Der Graf betheuerte, er habe die Wahrheit gesagt. Sie sah mich auf's neue an.

»Welcher Unsinn, es ist unmöglich!« und der Graf wiederholte seine Betheuerungen.

»Welcher Einfall!« sagte jetzt die Marquise leise zu mir, »wissen Sie, was er sagt? er will mir weiß machen, Sie wären ein verkleideter Jüngling.«

Ich antwortete schüchtern und mit gedämpfter Stimme, er habe die Wahrheit gesagt. Die Marquise warf mir einen zärtlichen Blick zu, drückte mir sanft die Hand und stellte sich, als habe sie mich falsch verstanden, und sagte ziemlich laut: »Ich wusste es wohl! es hatte nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich;« dann sich an den Grafen wendend: »Aber mein Herr, wozu diesen schlechten Spass?«

»Wie!« antwortete dieser voll Erstaunen. »Das Fräulein behauptet? ...«

»Wie! ob sie behauptet? sehen Sie doch! ein so liebenswürdiges Kind! ein so artiges Mädchen!«

»Was?« wiederholte der Graf ...

»Ach, mein Herr, hören sie doch auf,« entgegnete die Marquise in sehr gereiztem Tone, »Sie halten mich für närrisch und sind selbst der Narr.«

Jetzt glaubte ich im Ernste, sie hätte mich nicht verstanden, und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich bitte um Entschuldigung, Madame! ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt, ich bin nicht, was ich scheine; der Graf hat Ihnen die Wahrheit gesagt.«

»Ich glaube Ihnen ebensowenig als ihm,« antwortete sie in noch leiserem Tone und drückte mir die Hand. –

»Ich versichere Sie, Madame ...«

»Schweigen Sie doch, Sie sind ein Schelm! aber Sie sollen mich ebensowenig zum besten haben, als er,« und sie umarmte mich auf's Neue. Rosambert, der uns nicht gehört hatte, war wie versteinert.

Die jungen Herren, die uns umgaben, schienen ebenso neugierig als ungeduldig die endliche Erklärung eines für sie räthselhaften Gesprächs zu erwarten, allein der Graf, aus Furcht seiner Geliebten zu missfallen, wenn er sich selbst dem Spott preisgebe, und in der Hoffnung, ich werde dem Spass bald ein Ende machen, biss sich in die Lippen und wagte kein Wort mehr zu sprechen. Zum Glück sah die Marquise die Gräfin ..., ihre Freundin hereintreten. Ich weiß nicht, was sie ihr in's Ohr flüsterte, aber die Gräfin machte sich sogleich an Rosambert und verließ ihn nicht mehr.

Indes hatte der Ball begonnen. Ich machte einen Contredanse mit, und der Zufall wollte, dass die Gräfin und Rosambert gerade hinter meinen Platz zu sitzen kamen. Die junge Dame sagte zu ihm: »Nein, nein, das hilft nichts, ich habe mich Ihrer auf den ganzen Abend bemächtigt und trete Sie an niemand ab. Eifersüchtiger als ein Sultan lasse ich Sie mit keinem Menschen reden. Sie werden entweder gar nicht, oder nur mit mir tanzen! und wenn es Ihnen mit all' den Artigkeiten, die Sie mir sagen, ernst ist, so verbiete ich Ihnen, sowohl mit der Marquise als mit ihrer Nichte auch nur ein Wort zu sprechen.«

»Ach, mein junges Bäschen,« unterbrach sie der Graf, »wenn Sie wüssten ...«

»Ich will nichts wissen! Ich verlange nur, dass Sie bleiben. Heda!« fügte sie in scherzhaftem Tone hinzu.

»Ich habe vielleicht Absichten auf Sie, wollen Sie dann den Grausamen spielen?« – mehr hörte ich nicht; der Contredanse gieng schon zu Ende. Die Marquise hatte mich keinen Augenblick aus den Augen verloren; als ich ausruhen wollte, fand ich neben ihr einen Platz. Wir fiengen jetzt auf's neue das alte Spiel an und unterhielten uns sehr lebhaft, was oft durch ihre Liebkosungen unterbrochen wurde, im ganzen merkte ich deutlich, dass ich sie auf einem Irrthum lassen müsse, der ihr zu gefallen schien.

Der Graf beobachtete uns unaufhörlich mit sichtbarer Unruhe; die Marquise schien es nicht zu merken.

»Ich habe nicht im Sinn,« sagte sie endlich zu mir, »die ganze Nacht hier zuzubringen, und ich rathe auch Ihnen, Ihre Gesundheit besser in acht zu nehmen. Nehmen Sie bei mir ein leichtes Abendessen ein, Mitternacht ist vorüber; der Herr Marquis wird sogleich zu mir kommen, wir speisen in meiner Wohnung zu Nacht, und ich begleite Sie dann selbst in Ihr Hotel zurück.« Sie nahm eine nachlässige Miene an und sagte: »Mein theuerer Gemahl ist ein Sonderling, Sie brauchen vor ihm das Märchen von Ihrer Verkleidung nicht zu wiederholen. Es gibt Zeiten, wo er sehr zärtlich gegen mich ist, er überhäuft mich mit Aufmerksamkeiten, die ich ihm gern erlassen würde.

Er hat zuweilen auch die lächerlichsten Anfälle von Eifersucht, ich aber kann mich auf seine Treue, die er mir schwört, durchaus nicht verlassen; im Übrigen bekümmere ich mich wenig darum. Es wäre mir angenehm, seine Treue auf die Probe zu stellen, ich habe so meine kleine Kriegslist.

Er wird Sie sehen, er wird Sie reizend finden, kommen Sie ihm daher ein wenig entgegen.«

Ich fragte die Marquise, was dies heiße?

Sie lachte aus vollem Herzen über meine Naivität, sah mich gerührt an und sagte dann:

»Hören Sie, es ist klar, Sie gehören meinem Geschlecht an, das ist reizend und somit sind alle die Liebkosungen, die ich Ihnen erwiesen habe, bloße Zeichen von Freundschaft, wenn Sie aber wirklich ein verkleideter junger Mann wären, und ich hätte in dieser Überzeugung Sie ebenso behandelt, so möchte man dies ein Entgegenkommen nennen und zwar ein starkes.«

Ich versprach ihr, dem Marquis entgegenzukommen.

»Sehr gut! lächeln Sie über seine Einfälle; sehen Sie ihn mit einem gewissen Ausdrucke an, aber lassen Sie sich nicht einfallen, ihm die Hand zu drücken, wie ich Ihnen thue, und ihn zu umarmen, wie ich Sie umarme; dies wäre für Sie nicht schicklich.«

Während unseres Gespräches, trat der Marquis zu uns. Er schien noch jung und nicht übel gebaut zu sein; nur war er etwas klein und kleinlich in seinen Manieren.

Er hatte eine lächelnde Miene.

»Hier stelle ich Ihnen,« sagte die Marquise zu ihm, »Fräulein Duportail vor (dies war mein angenommener Name), eine junge Verwandte des Grafen; Sie werden mir Dank wissen, dass ich Ihnen diese Bekanntschaft verschafft, sie wird die Güte haben, mit uns zu Nacht zu speisen.«

Der Marquis sagte mir die lächerlichsten Artigkeiten und ich dankte ihm mit übertriebenen Komplimenten.

»Ich bin sehr erfreut, mein Fräulein,« sagte er zu mir mit einer langweiligen Miene, »dass Sie mir die Ehre erweisen, bei mir zu speisen. Sie sind anmuthig und hübsch wie ein Engel.«

Ich beantwortete das Kompliment mit einem verbindlichen Lächeln.

»Mein liebes Kind,« sagte die Marquise zu mir, indem sie mit mir zur Seite trat, »Sie haben mir Ihr Wort gegeben und sind zu artig, es zurück zu nehmen; übrigens können wir den Marquis zu entfernen trachten, sobald er Ihnen langweilig wird.« Sie drückte mir die Hand, der Marquis sah es.

»Ach!« sagte er, »wie sehr wünschte ich eine dieser niedlichen Hände in den meinen zu haben!«

Ich warf ihm einen strafenden Blick zu.

»Gehen wir, meine Damen, gehen wir!« rief er mit fröhlicher sieghafter Miene und entfernte sich, um seine Leute herbeizurufen.

Der Graf, der dies hörte, kam auf uns zu, so viele Mühe sich auch die Gräfin gegeben hatte, ihn zurückzuhalten.

»Der junge Herr befindet sich ohne Zweifel sehr wohl in seinen galanten Kleidern und hat, wie es scheint, nicht im Sinne die Marquise zu täuschen.«

Ich antwortete in demselben Tone, nur etwas leiser:

»Mein lieber Vetter, wollen Sie denn Ihr Werk so bald zerstören?«

Hierauf wandte er sich zur Marquise:

»Madame, ich halte es für eine Gewissensfrage, Ihnen zu sagen, dass nicht Fräulein Duportail die Ehre haben wird, bei Ihnen zu Nacht zu speisen, sondern der Chevalier Faublas, mein sehr junger und theuerer Freund.«

»Und ich, mein Herr,« war die Antwort, »erkläre Ihnen, dass Sie allzulange auf meine Leichtgläubigkeit gerechnet haben. Haben Sie die Güte, mich mit diesem unsinnigen Gerede zu verschonen, oder mir sehen uns nie wieder –«

»Zu beidem, was Sie so streng sind mir zu sagen, habe ich den Muth, Madame; es würde mich untröstlich machen, wenn ich Ihr Vergnügen durch meine Indiskrezion stören, oder durch meine Zudringlichkeit hindern sollte.«

In diesem Augenblick kehrte der Marquis zurück, klopfte Rosambert auf die Schulter und sagte, ihn beim Arme fassend:

»Wie, Du speisest nicht mit uns zur Nacht? Du überlässest uns Deine Verwandte, weißt Du, dass sie hübsch ist, Deine Verwandte? aber unter uns gesagt, ich glaube, sie ist ein wenig ... lebhaft!«

»O, ja! sehr hübsch und sehr lebhaft,« antwortete der Graf mit bitterem Lächeln, »sie ist wie viele andere,« und als hätte er das bevorstehende Schicksal dieses guten Ehemannes geahnt, sagte er zu ihm: »Ich wünsche Ihnen gute Nacht!«

»Wie!« versetzte der Marquis, »glaubst Du, ich behalte Deine Verwandte zu ...? höre doch, wenn sie es wünschte!«

»Ich wünsche Ihnen gute Nacht!« wiederholte der Graf und entfernte sich lachend.

Die Marquise behauptete, Herr von Rosambert sei närrisch geworden.

»Ich fand ihn sehr unartig.«

»Nicht im Geringsten,« sagte der Marquis zuversichtlich zu mir; »er liebt Sie rasend; er hat gesehen, dass ich Ihnen den Hof mache, er ist eifersüchtig.«

In fünf Minuten waren mir im Hotel des Marquis. Man trug sogleich auf; ich kam zwischen der Marquise und ihrem galanten Gemahl zu sitzen, der nicht müde wurde, alles was er nur Artiges wusste, mir vorzuplaudern.

So lange ich nur mit der Befriedigung meines Appetits beschäftigt war, antwortete ich nur mit den Augen.

Sobald aber mein Hunger gestillt war, applaudierte ich ohne Unterschied allen seinen Albernheiten, die er zum besten gab, und seine schlechten Witze trugen ihm tausend Komplimente ein, die ihn entzückten.

Die Blicke der Marquise belebten sich sichtbar, sie betrachtete mich mit der größten Aufmerksamkeit, und sie bemächtigte sich einer meiner Hände.

Um zu sehen, wie weit sich die Macht meiner falschen Reize erstrecke, überließ ich die andere dem Marquis, der sie mit unaussprechlichem Entzücken ergriff.

Die Marquise schien über etwas Wichtiges nachzudenken; ich sah sie abwechslungsweise erröthen und zittern; und ohne ein Wort zu sagen, drückte sie meine rechte Hand leicht in der ihrigen.

Meine linke Hand war in einer minder angenehmen Gefangenschaft, der Marquis drückte sie, dass ich hätte schreien mögen.

Entzückt über seine Eroberung, ganz stolz auf sein Glück, und erfreut über die Gewandtheit, womit er seine Gemahlin vor ihren Augen hintergieng, stieß er von Zeit zu Zeit lange Seufzer aus, die mich betäubten, und brach unmittelbar darauf in lautes Gelächter aus; um dasselbe zu unterdrücken, vielleicht auch in der Meinung, mir eine Artigkeit zu erweisen, biss er mich in die Finger.

Endlich erwachte die schöne Marquise aus ihrer Träumerei und sagte zu mir: »Fräulein Duportail, Sie hätten die ganze Nacht auf dem Balle verweilen sollen, man erwartet Sie vor acht oder neun Uhr morgens nicht zu Hause; bleiben Sie daher bei mir! Jeder andern Freundin würde ich mein Gastzimmer angeboten haben. Ihnen steht mein eigenes zu Diensten.

»Ich muss,« fügte sie in schmeichelndem Tone hinzu, »heute Mutterstelle an Ihnen vertreten und kann nicht zugeben, dass meine Tochter in einem andern Zimmer schlafe, als ich; ich will für Sie ein Bett neben dem meinigen aufschlagen lassen.«

»Wozu noch ein Bett?« fiel der Marquis ein, »in dem Ihrigen ist wohl Raum für zwei; habe ich Sie je geniert, wenn ich Sie darin besuchte? ich schlafe in einem fort und Sie auch.«

Zur guten Letzte gab mir der verliebte Marquis einen derben Fußtritt unter dem Tische; ich erwiederte diese Galanterie auf der Stelle mit einer ähnlichen, und zwar so kräftig, dass er laut aufschrie.

Die Marquise stand erschrocken auf.

»Es ist nichts,« sagte er, »ich habe nur mein Bein an den Tisch gestoßen.«

Ich wollte vor Lachen ersticken, die Marquise konnte sich ebensowenig enthalten, und ihr Gemahl fieng, ohne zu wissen warum, noch lauter, als wir beide, zu lachen an.

Als unsere zügellose Lustigkeit sich ein wenig gelegt hatte, erneuerte die Marquise ihren Antrag.

»Nehmen Sie doch das Bett von Madame an,« rief der Marquis, »nehmen Sie es an, auf mein Wort, Sie werden sich gut darin befinden. Ich komme sogleich zurück, aber nehmen Sie es an.«

Er gieng hinaus.

»Madame,« sagte ich zu ihr. »Ihre Einladung ist für mich ebenso ehrenvoll als schmeichelhaft, aber gilt sie dem Fräulein Duportail oder dem Herrn von Faublas?«

»Immer noch diesen schlechten Spass des Grafen, kleiner Schelm! und Sie wiederholen ihn! habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ich es nicht glaube?«

»Aber Madame ...«

»Still, still,« versetzte sie, ihren Finger auf meinen Mund legend, »der Marquis wird sogleich kommen, er darf uns keine solche Tollheiten plaudern hören. Dieses reizende Kind (sie umarmte mich zärtlich), wie es so schüchtern und bescheiden ist! aber zugleich wie so boshaft! kommen Sie, kleiner Schelm, kommen Sie!«

Sie bot mir die Hand und wir giengen in ihr Schlafgemach. Nun sollte ich mich auskleiden; die Frauen der Marquise boten mir ihre Dienste an, aber ich bat sie sich mit ihrer Gebieterin zu beschäftigen, indem ich allein fertig werden könnte.

»Ja,« sagte die Marquise, die alle meine Bewegungen aufmerksam beobachtete, »geniert sie nicht! das ist noch eine Ziererei vom Kloster her; lasst das Fräulein machen!« Ich schlüpfte schnell hinter die Vorhänge, war aber in der größten Verlegenheit, wie ich mich der ungewohnten Kleider entledigen sollte. Ich zerriss Bänder und Schleifen, und stach und ritzte mich an allen Nadeln.

Ich hatte gerade den letzten Rock fallen lassen, als eine Kammerfrau an mir vorbeigieng. Voll Angst, sie könnte die Vorhänge öffnen, stürzte ich mich in das Bett, erstaunt über das sonderbare Abenteuer, das mich hierher führte, und ohne alle Ahnung der neuen Erfahrungen, die ich hier machen sollte. Die Marquise folgte mir ungesäumt nach. Ihr Gemahl, der in der Nähe war, ließ sich hören:

»Die Damen werden mir doch erlauben, ihnen beim Auskleiden zu helfen?« Er trat ein. »Wie, schon im Bett?«

Er wollte mich umarmen. Die Marquise stellte sich ernstlich böse. Das veranlasste ihn, den Vorhang meines Bettes selbst zu schließen.

Er schied von uns mit demselben Wunsche, den ihm der Graf mitgegeben hatte:

»Gute Nacht!«

Einige Augenblicke herrschte tiefe Stille.

»Schlafen Sie schon, schönes Kind?« fragte die Marquise mit unsicherer Stimme.

»O nein, ich schlafe nicht!«

Sie stürzte sich in meine Arme und drückte mich an ihren Busen.

»Ihr Götter!« rief sie jetzt mit Überraschung, die wenn sie auch geheuchelt war, doch wenigstens sehr natürlich klang, »ein Mann!« Und mich heftig von sich stoßend rief sie: »Wie! mein Herr, ist's möglich?«

»Madame, ich habe es Ihnen ja gesagt,« versetzte ich zitternd.

»Sie haben mir es wohl gesagt, aber wer hätte es glauben sollen? Sie hätten es nicht bloß sagen, Sie hätten nicht bei mir bleiben ... oder wenigstens nicht hindern sollen, dass man ein Bett für Sie aufschlug ...«

»Ach, Madame, daran bin ich nicht schuldig, sondern der Herr Marquis.«

»Aber, mein Herr, sprechen sie doch leiser. Sie hätten nicht bei mir bleiben, Sie hätten gehen sollen.«

»Nun gut, Madame, ich gehe!«

Sie hielt mich am Arm zurück. »Sie wollen gehen, und wohin denn, mein Herr? was wollen Sie thun? meine Frauen aufwecken, einen Scandal machen? allen meinen Leuten zeigen, dass ein Mann in meinem Bett gewesen ist; dass man so mit mir umgeht?«

»Madame, ich bitte um Verzeihung; zürnen Sie nicht, ich will mich in einen Armsessel werfen.«

»Ja, in einen Armsessel, das müssen Sie thun! – aber wozu würde dies führen? (mich immer am Arme haltend) müde, wie Sie sind, bei diesem Frost! sich erkälten! Ihre Gesundheit zerstören! ... Sie hätten freilich diese harte Behandlung verdient ... Doch bleiben Sie da! aber versprechen Sie artig zu sein.«

»O, gewiss, Madame, wenn Sie mir verzeihen!«

»Nein, ich kann Ihnen nicht verzeihen! aber ich habe mehr Aufmerksamkeit für Sie, als Sie für mich. Wie kalt Ihre Hand schon ist!« und aus Mitleid legte die Marquise sie auf ihren schneeweißen Hals. Geleitet durch Instinkt und Liebe, gleitet meine glückliche Hand ein wenig abwärts; ich wusste nicht, welche Aufregung mein Blut kochen machte.

»Ist jemals eine Frau in solcher Verlegenheit gewesen?« fuhr die Marquise in sanfterem Tone fort.

»Ach! Verzeihen Sie mir doch, meine theuere Mama.«

»Ja, Sie haben viele Ehrfurcht für Ihre liebe Mama, kleiner Taugenichts!«

Ihre Arme, die mich anfangs zurückgestoßen hatten, zogen mich jetzt sanft an sich. Bald fanden wir uns so nahe beisammen, dass unsere Lippen sich begegneten; ich hatte die Kühnheit einen glühenden Kuss auf die ihrigen zu drücken.

»Faublas, haben Sie mir das versprochen?« sagte sie mit ersterbender Stimme. Ihre Hand verirrte sich, ein verzehrendes Feuer rollte durch meine Adern ...

»Ach! Madame, verzeihen Sie, ich sterbe!«

»Mein lieber Faublas! ... mein Freund! ...«

Ich blieb regungslos liegen. Endlich hatte die Marquise Mitleid mit meiner Verlegenheit, die ihr nicht missfallen konnte, und kam meiner blöden Unerfahrenheit zu Hilfe.

Mit freudiger Verwunderung erhielt ich eine entzückende Lektion, die ich mehr als einmal wiederholte.

Wir brachten mehrere Stunden mit dieser angenehmen Unterhaltung zu, und ich fieng bereits an, auf dem schönen Busen meiner schönen Freundin einzuschlafen, als ich das Geräusch einer Thüre hörte, welche sich leise öffnete. Man trat ein, man näherte sich auf den Fußspitzen. Ich war ohne Waffen, in einem Hause, welches ich nicht kannte, ich konnte mich des Schreckens, der sich meiner bemächtigte, nicht erwehren.

Die Marquise, welche die Ursache errieth, sagte mir ganz leise:

»Nehmen Sie meinen Platz ein und überlassen Sie mir den Ihrigen.« Ich gehorchte.

Kaum hatte ich mich auf den Rand des Bettes niedergelegt, als die Vorhänge auf der Seite, die ich soeben verlassen, geöffnet wurden.

»Wer stört meine Ruhe?« sagte die Marquise. Die Person blieb einige Augenblicke stehen und machte sich dann ohne Worte verständlich.

»Welch ein Einfall!« sagte die Marquise, »Sie wählen Ihre Zeit sehr schlecht, ohne Rücksicht auf mich und auf die Unschuld eines Kindes, das vielleicht nicht schläft, oder leicht erwachen könnte! Sie sind nicht bei Sinnen, ich bitte Sie, entfernen Sie sich!«

Der Marquis beharrte auf seinem Verlangen und brachte lächerliche Entschuldigungen vor.

»Nein,« sagte sie zu ihm, »ich will nicht, es kann nicht sein! ich bitte Sie dringend, gehen Sie zurück.«

Sie schwang sich aus dem Bette, nahm ihn beim Arme und führte ihn an die Thüre.

Meine schöne Freundin kam lachend zurück und sagte:

»Finden Sie mein Betragen nicht lobenswert? sehen Sie, was ich um Ihretwillen ausgeschlagen habe.«

Ich fühlte, dass ich ihr eine Entschädigung schuldig war, erbot mich feurig dazu, und sie wurde mit Dank angenommen.

Eine fünfundzwanzigjährige Frau ist so gefällig, wenn sie liebt, und die Natur in einem Neuling von sechzehn Jahren so unerschöpflich reich!

Jedoch bei den armen Sterblichen hat Alles seine Grenzen, und ich versank bald in einen tiefen Schlaf.

Als ich erwachte, drang der Tag bereits durch die Vorhänge des Zimmers. Ich dachte an meinen Vater ... ach! ich erinnerte mich an meine Sophie, und eine Thräne trat mir in die Augen. Die Marquise bemerkte dies. Bereits einiger Verstellung fähig, schrieb ich meine peinliche Unruhe dem Schmerz über unsere bevorstehende Trennung zu.

Sie umarmte mich zärtlich. Ich sah sie in ihrer ganzen Schönheit! Die Gelegenheit war so verlockend! ... einige Stunden Schlaf hatten mir neue Kräfte gegeben ... Die glühende Leidenschaft verscheuchte die Reue der Liebe. Endlich mussten wir an unsere Trennung denken.

Die Marquise machte meine Kammerfrau, und ohne die vielen Zerstreutheiten wäre meine Toilette bald fertig gewesen. Als wir glaubten, dass nichts mehr an meinem Anzuge fehle, läutete die Marquise ihren Frauen.

Der Marquis hatte uns schon über eine Stunde erwartet und sagte mir viele schmeichelhafte Complimente.

»Gewiss, Sie haben eine vortreffliche Nacht gehabt!« und ohne mir Zeit zur Antwort zu lassen, fuhr er fort: »und doch sieht sie erschöpft aus! sie hat so matte Augen! – aber das kommt vom Tanzen her. Geschwind eine Stärkung für das reizende Kind, dann wollen wir sie nach Hause führen.« Dieses bestimmte Wort »nach Hause führen«, versetzte mich in die größte Unruhe.

Ich sagte, es wäre genug, wenn die Frau Marquise mich nach Hause brächte; allein er blieb beharrlich.

Wie groß auch unsere Bemühungen waren, ihn von dieser Idee abzubringen, so mussten wir dennoch seine Begleitung annehmen; er antwortete, dass es Herrn Duportail unmöglich missfallen könne, wenn er ihm in Gesellschaft der Marquise seine Tochter zurückführe, und er wünsche den Vater eines so liebenswürdigen Kindes kennen zu lernen.

Mir bangte, und ich begann dem Abenteuer, das unter so günstigen Aussichten begonnen hatte, ein unglückliches Ende zu weissagen. Ich konnte nichts anderes thun, als dem Kutscher des Marquis die wirkliche Adresse des Herrn Duportail angeben. »Zu Herrn Duportail,« sagte ich, »neben dem Arsenal.« Die Marquise theilte meine Verlegenheit; es war mir noch kein Ausweg eingefallen, als wir vor dem Hause meines angeblichen Vaters ankamen.

Er war zu Hause, man meldete ihm, der Marquis und die Marquise von B... brächten ihm seine Tochter zurück.

»Meine Tochter!« rief er in der heftigsten Aufregung, »meine Tochter!« und stürzte uns entgegen. Ohne ihm zu einem einzigen Worte Zeit zu lassen, fiel ich ihm um den Hals.

»Ja,« sagte ich, »Sie sind ja Witwer und haben eine Tochter.«

»Sprechen Sie doch leiser,« antwortete er lebhaft, »sprechen Sie leiser! wer hat es Ihnen gesagt?«

»Ach, mein Gott! verstehen Sie mich nicht? ich bin Ihre Tochter.«

Nun beruhigte sich Herr von Duportail, trotzdem war er von seinem Erstaunen noch nicht zurückgekommen, er schien eine Erklärung zu erwarten. Die Marquise nahm das Wort.

»Mein Herr,« sagte sie, »Fräulein Duportail hat die eine Hälfte der Nacht auf dem Balle und die andere in meinem Hause zugebracht.«

»Ist es Ihnen unangenehm, mein Herr,« setzte der Marquis hinzu, als er seine Verwunderung bemerkte, »dass das Fräulein einen Theil der Nacht in meinem Hause zugebracht hat? Sie hätten Unrecht, denn sie hat im Zimmer meiner Gemahlin, ja sogar in ihrem Bette, an ihrer Seite geschlafen; man hätte sie nirgends besser unterbringen können. Nehmen Sie es nicht übel, dass ich die Damen bis hierher begleitet habe, sie wünschten es nicht, ich...«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar,« antwortete endlich Herr Duportail, der sich auf einmal von seiner Überraschung erholte, und der nach den Reden des Marquis keinen Zweifel mehr über den wahren Stand der Dinge haben konnte.

»Ich weiß die Güte, die Sie für meine Tochter haben, so wie die liebenswürdige Gastfreundschaft, die Sie ihr in Ihrem Hause erwiesen, gewiss zu schätzen, aber ich kann Ihnen in Gegenwart meiner Tochter (er sah mich an, ich zitterte) meine höchste Verwunderung darüber nicht verbergen, dass sie in dieser Verkleidung auf dem Ball erschienen ist.«

»Wie, Verkleidung!« fiel die Marquise ein.

»Ja, Madame, ein Amazonenkleid! schickt sich das für meine Tochter? oder meinen Sie nicht, Madame, dass sie wenigstens meinen Rath oder meine Erlaubnis dazu hätte einholen sollen?«

Entzückt über die sinnreiche Wendung, die mein neuer Vater der Sache gegeben, stellte ich mich sehr reuevoll.

»Ach! ich dachte, der Papa wüsste es,« sagte der Marquis. »Mein Herr, Sie müssen ihr diesen kleinen Fehler verzeihen. Ihr Fräulein Tochter hat die glücklichste Physiognomie, sage ich Ihnen, und ich verstehe mich darauf. Ihr Fräulein Tochter ist ein reizendes Kind, sie hat jedermann, besonders aber meine Gemahlin bezaubert; denn sie ist närrisch in sie verliebt.«

Die Marquise sagte darauf in großer Kaltblütigkeit: »Es ist wahr, mein Herr, das Fräulein hat mir alle Freundschaft eingeflößt, die sie verdient.«

Ich glaubte mich schon gerettet, als plötzlich mein wirklicher Vater, der Baron Faublas, der sich bei seinem Freunde nie anmelden ließ, hereintrat. »Ha, ha!« lachte er, als er mich bemerkte. Herr Duportail gieng ihm mit offenen Armen entgegen.

»Mein lieber Faublas,« sagte er, »Sie sehen hier meine Tochter, die der Herr Marquis und die Frau Marquise mir zurückbringen.«

»Ihre Tochter!« unterbrach ihn mein Vater.

»Nun ja, meine Tochter! Sie erkennen sie nur nicht in dieser lächerlichen Kleidung. Fräulein,« fügte er zornig hinzu, »gehen Sie auf Ihr Zimmer und lassen Sie sich in diesem Aufzug vor keinem Menschen mehr sehen.«

Ohne ein Wort zu sagen, machte ich eine Verbeugung vor dem Marquis, der mich zu beklagen schien, und eine vor der Marquise, die mich kaum sah; denn bei dem Namen meines Vaters war sie so sehr in Bestürzung gerathen, dass ich fürchtete, sie würde unwohl. Ich zog mich in das nächste Zimmer zurück und lauschte.

»Ihre Tochter!« wiederholte der Baron noch einmal. »Ach ja, meine Tochter! die sich hat beifallen lassen, in solchen Kleidern auf den Ball zu gehen. Der Herr Marquis wird Ihnen das übrige erzählen.« Und in der That, der Marquis wiederholte meinem Vater alles, was er zu Herrn Duportail gesagt; er versicherte ihn, ich hatte im Zimmer seiner Gemahlin, ja sogar an ihrer Seite geschlafen. »Sie ist sehr glücklich, das glaub' ich wohl,« sagte mein Vater mit einem Blick auf die Marquise... »sehr glücklich,« wiederholte er, »dass eine solche Unbesonnenheit keine verdrießlichen Folgen gehabt hat.«

»Was für eine große Unbesonnenheit hat denn das liebe Kind begangen?« versetzte die Marquise, die sich von ihrer anfänglichen Verwirrung schnell wieder erholt hatte; »vielleicht weil sie ein Amazonenkleid angezogen hat?«

»Gewiss,« fiel der Marquis ein, »das ist eine bloße Kleinigkeit und (sich an meinen Vater wendend) Sie würden besser thun, Herr, auf unsere Seite zu treten, und ihr die Verzeihung ihres Vaters auszuwirken.«

»Madame,« sagte Herr Duportail, »ich verzeihe ihr um Ihretwillen (sich an den Marquis wendend), aber unter der Bedingung, dass sie nicht mehr in Ihr Haus geht.«

»Im Amazonenkleid, meinetwegen!« antwortete dieser; »aber ich hoffe, dass Sie sie uns bald in ihren gewöhnlichen Kleidern schicken, denn es würde uns unendlich leid thun, wenn wir das reizende Kind nicht mehr sehen sollten.«

»Gewiss!« sagte die Marquise aufstehend, »und wenn ihr Herr Vater uns eine wirkliche Freude machen will, so wird er auch mitkommen.«

Herr Duportail begleitete die Marquise mit vielen Danksagungen an ihren Wagen. Deren Entfernung befreite mich von einer schweren Last.

»Ein sehr merkwürdiges Abenteuer!« sagte Herr Duportail zurückkehrend.

»Ja, sehr merkwürdig!« antwortete mein Vater; »die Marquise ist ausgezeichnet schön, der junge Mensch hat viel Glück!«

»Wissen Sie auch,« versetzte sein Freund, »dass er beinahe mein Geheimnis errathen hat? als man mir meine Tochter ankündigte, glaubte ich wirklich, sie werde mir wieder geschenkt, und ich verrieth mich durch einige Worte.«

»Dafür weiß ich ein Mittel; Faublas ist in Beziehung auf Charakter seinen Jahren weit voraus; zu einem vollendeten Manne fehlt ihm nichts, als einige Belehrung, die er ohne Zweifel heute Nacht erhalten hat; er hat eine edle Seele und ein treffliches Herz; ein Geheimnis, das man erräth, verpflichtet bekanntlich zu nichts, aber ein rechtschaffener Mann würde sich zu entehren glauben, wenn er ein ihm anvertrautes verriethe; theilen Sie das Ihrige meinem Sohne mit! nur kein halbes Vertrauen. Ich bürge Ihnen für seine Verschwiegenheit.«

»Aber Geheimnisse von solcher Wichtigkeit!... er ist noch so jung!...«

»So jung! mein Freund, ist ein Edelmann jemals jung, wenn es sich um die Ehre handelt? mein Sohn sollte in seiner Jugend die heiligsten Pflichten jedes denkenden Menschen nicht kennen? ein Kind, das ich erzogen, sollte erst die Erfahrung seines Vaters nöthig haben, um keine Niederträchtigkeit zu begehen?...«

»Mein Freund, ich befolge Ihren Rath.«

»Glauben Sie mir, lieber Duportail, Sie werden es nicht zu bereuen haben! außerdem hoffe ich, dass diese beinahe nothwendig gewordene Mittheilung nicht ganz ohne Nutzen sein wird.

»Sie wissen, dass ich meinem Sohne eine standesgemäße Erziehung gegeben. Er soll reisen, und es wäre mir nicht unangenehm, wenn er sich einige Monate in Polen aufhielte.«

»Bravo,« unterbrach ihn Herr Duportail, »das Mittel, das Ihre Freundschaft gebraucht, ist eben so sinnreich, als ein Beweis von hohem Zartgefühl; ich fühle die ganze Ehrenhaftigkeit Ihres Vorschlages und gestehe, dass er mir sehr angenehm ist.«

»Dann,« versetzte der Baron, »werden Sie Faublas einen Brief an den treuen Diener mitgeben, den Sie noch in jenem Lande haben, und Boleslav und mein Sohn werden neue Nachforschungen anstellen. Mein lieber Lovzinski, verzweifeln Sie noch nicht an Ihrem Glück; wenn Ihre Tochter lebt, so kann sie Ihnen möglicherweise auch wieder geschenkt werden. Wenn der König von Polen...«

Mein Vater sprach leiser und zog seinen Freund an das andere Ende des Zimmers; dort sprachen sie über eine halbe Stunde, hierauf kamen beide gegen die Thüre, an der ich stand, und ich hörte den Baron sagen: »Ich will ihn um die näheren Umstände seines Abenteuers nicht befragen, obschon sie wahrscheinlich amüsant genug sind, ich könnte sie nicht mit der richtigen Strenge anhören; ohne Zweifel wird er Ihnen seine Geschichte Punkt für Punkt erzählen, und Sie theilen sie dann mir mit. Im übrigen glaube ich, haben wir soeben einen Einfaltspinsel von Ehemann vor uns gehabt.«

»Er ist nicht der einzige, mein Freund,« antwortete Herr Duportail. »Man weiß es wohl,« entgegnete der Baron, »aber man darf es nicht sagen.«

Ich hörte auf meine Thüre zukommen und warf mich in einen Lehnstuhl. Der Baron kam herein und sagte: »Mein Wagen steht vor der Thüre, lassen Sie sich in's Hotel zurückführen und ruhen Sie aus; auch verbiete ich Ihnen, von nun an in diesen Kleidern auszugehen.«

»Mein Freund,« sagte Duportail, der mich bis an die Thüre begleitete, »wir wollen dieser Tage einmal unter vier Augen zusammen speisen; Sie wissen einen Theil meines Geheimnisses, ich werde Ihnen den übrigen mittheilen und zahle auf Ihre Verschwiegenheit. Sie wissen wohl, dass auch ich Ihnen einen Dienst erwiesen habe.«

Ich versicherte ihm, dass ich seine große Gefälligkeit nie vergessen werde, und er ruhig sein dürfe. Ich fuhr sodann nach Hause, legte mich zu Bett und versank in einen tiefen Schlaf.

Es war bereits sehr spät, als ich erwachte. Ich gieng mit Herrn Person in's Kloster. Mit welcher süßen Rührung sah ich meine Sophie wieder. Ihr bescheidenes Auftreten, ihre naive Unschuld, die schüchterne, liebkosende Art, womit sie mich empfieng, und eine kleine Verlegenheit wegen des Kusses von gestern, kurz, ihr ganzes Wesen flößte mir Liebe ein, aber die zärtlichste und ehrfurchtsvollste Liebe. Die Reize der Marquise verfolgten mich unaufhörlich bis in's Sprechzimmer; was für herrliche Vortheile hatte ihre junge Nebenbuhlerin über sie; wohl muss ich eingestehen, dass die Reize der Marquise und die Vergnügungen der letzten Nacht mit lebendigen Farben vor meine erhitzte Phantasie traten; aber wie sehr zog ich ihnen den entzückenden Augenblick vor, wo ich auf Sophien's Lippen eine neue Seele gefunden hatte. Die Marquise beherrschte meine berauschten Sinne, mein Herz betete Sophie an.

Am anderen Tage erinnerte ich mich, dass die Marquise mich in ihrer Wohnung erwarte, aber ich erinnerte mich auch an die Worte des Barons: »Ich verbiete Ihnen, in dieser Kleidung auszugehen.«

Wie sollte ich mich auch bei der Marquise vorstellen, ohne wenigstens eine Kammerfrau als Begleiterin zu haben; an den Grafen war nicht zu denken, auch hatte er ohne Zweifel keine Lust, mich zu begleiten, und der Herr Marquis hätte es auffallend finden müssen, wenn eine junge Dame ohne Begleitung ausgienge. Eine verzehrende Ungeduld quälte mich, meine schöne Freundin wieder zu sehen; aber ich konnte doch zu keinem Entschlusse kommen, denn das Verbot meines Vaters erforderte Rücksicht.

Ich war tief verstimmt, als Jasmin eintrat und meldete, eine ältliche Frau, die im Auftrage des Fräulein Justine mich zu sprechen wünsche, bitte mich sprechen zu dürfen.

»Ich weiß zwar nicht, wer dieses Fräulein Justine ist, doch sie mag hereintreten!«

»Fräulein Justine hat mich beauftragt,« sagte die Frau, »Ihnen ihr Compliment zu melden und das Paket nebst dem Brief zu überreichen.«

Ehe ich das Paket öffnete, nahm ich den Brief, dessen Aufschrift einfach lautete: An Fräulein Duportail.

Ich erbrach ihn hastig und las:

»Lassen Sie doch etwas von sich hören, liebes Kind! haben Sie eine gute Nacht gehabt? Sie hatten Ruhe nöthig; ich fürchte sehr, die Anstrengungen auf dem Ball und der unangenehme Auftritt mit Ihrem Herrn Vater möchten Ihrer Gesundheit geschadet haben. Ich bin untröstlich, dass Sie um meinetwillen gezankt wurden; glauben Sie mir, dass ich bei dieser allzulangen Scene so viel gelitten habe, wie Sie selbst. Der Herr Marquis spricht davon, diesen Abend auf einen Ball zu gehen; ich bin nicht sehr aufgelegt dazu und glaube, dass Sie ebenfalls wenig Lust haben. Da indes eine Mama gegen ihre Tochter gefällig sein muss, namentlich wenn sie so liebenswürdig ist, wie Sie, so werden wir auf den Ball gehen, wenn Sie wollen. Ich habe nicht vergessen, dass das Amazonenkleid Ihnen verboten ist, und ich denke, Sie haben kein anderes Ballkleid, weil dieselben nicht zu den Klostermöbeln gehören; deshalb schicke ich Ihnen eines von den meinigen; wir haben so ziemlich eine Größe; ich glaube, es wird Ihnen gut passen. Justine hat mir gesagt, es fehle Ihnen an einer Kammerfrau; die Überbringerin dieses Briefes ist gescheit und geschickt; Sie können sie in Ihre Dienste nehmen und dürfen ihr alles Vertrauen schenken; ich bürge für ihre Treue.

Ich lade sie nicht zum Mittagessen ein; ich weiß, dass Herr Duportail selten ohne seine Tochter speist; aber, wenn Sie Ihre werte Mama ebenso lieben, wie Sie von ihr geliebt werden, so erscheinen Sie auf den Abend, und zwar so bald als möglich. Der Herr Marquis speist nicht zu Hause; kommen Sie recht früh, mein Kind, ich werde den ganzen Nachmittag allein sein, leisten Sie mir Gesellschaft! Glauben Sie, dass niemand Sie so zärtlich liebt, als Ihre Mama,

Marquise von B.«

N. S. »Ich bin nicht im Stande, Ihnen die Tollheiten alle zu berichten, die ich im Auftrage des Marquis Ihnen schreiben soll. Zanken Sie ihn übrigens tüchtig aus, so bald Sie ihn sehen. Diesen Morgen wollte er in seinem Namen zu Herrn Duportail schicken. Ich hatte unsägliche Mühe, ihm begreiflich zu machen, dass es nicht angehe und dass es weit verständiger sei, wenn ich Ihnen schreibe.«

Dieser Brief entzückte mich. »Gnädiger Herr,« sagte die Überbringerin, »Justine ist die Kammerfrau der Marquise von B., und wenn das gnädige Fräulein es verlangt, so werde ich heute und morgen die Ihrige sein. Übrigens kann der Herr, oder das gnädige Fräulein sich ebenso gut auf mich verlassen; wenn Jungfer Justine und Frau Dutour sich in ein Intriguenspiel mischen, so verderben sie es gewiss nicht; deshalb hat man auch mich gewählt.«

»Sehr gut, Frau Dutour!« sagte ich, »ich sehe, dass Sie eingeweiht sind; Sie werden mich sogleich zur Marquise begleiten.«

Ich bot meiner Begleiterin einen Louisd'or, den sie annahm.

»Nicht als ob ich nicht bereits gut bezahlt wäre,« sagte sie, »aber der gnädige Herr muss wissen, dass Leute von meiner Profession immer von beiden Seiten annehmen.«

Sobald der Baron gespeist hatte, gieng er seiner Gewohnheit gemäß in die Oper. Mein Friseur war bestellt, und statt des Hütchens wurde ein weißer Federbusch aufgesetzt. Frau Dutour zog mir das reizende Ballkleid, das ich von der Marquise erhalten, schnell an; es passte mir trefflich, und meine Ähnlichkeit mit Adelheid war darin noch auffallender; mein Hofmeister war dadurch so gerührt, dass er seine Aufmerksamkeit gegen mich verdoppelte.

Ich nahm Handschuhe, einen Fächer und ein großes Bouquet und flog zu dem Rendezvous mit der Marquise.

Ich traf sie in ihrem Boudoir, nachlässig auf eine Ottomane hingestreckt; ein galantes Negligé schmückte ihre Reize, enthüllte ihre Alabasterbüste, statt sie zu bedecken. Als sie mich bemerkte, stand sie auf. »Wie hübsch in diesem Anzug ist das Fräulein Duportail, wie dies Kleid ihr gut passt!« Und sobald die Thüre geschlossen war:

»Wie artig Sie sind, lieber Faublas! wie freut mich Ihre Pünktlichkeit! Mein Herz sagte es mir wohl, dass Sie trotz Ihrer beiden Väter Mittel und Gelegenheit finden würden, mich hier zu finden.«

Ich antwortete ihr nur durch meine lebhaftesten Liebkosungen und nöthigte sie, die Lage wieder einzunehmen, die sie bei meinem Eintritt geändert hatte, dann bewies ich ihr, dass ich ihren Unterricht nicht vergessen hatte, als wir ein Geräusch im nächsten Zimmer vernahmen. Zitternd in einer nichts weniger als zweideutigen Lage überrascht zu werden, sprang ich auf und setzte mich der Marquise gegenüber, die große Ruhe zur Schau trug. Die Thüre öffnete sich und herein trat der Marquis.

»Ich dachte es mir wohl, mein Herr,« sagte sie, »dass nur Sie es sein können, der unangemeldet in mein Zimmer tritt; aber ich glaube, Sie würden doch wenigstens an dieser Thüre anklopfen, ehe Sie öffneten; das liebe Kind hatte mir Heimlichkeiten anzuvertrauen; fast hätten Sie es überrascht! ... man kommt nicht so zu den Frauen.«

»Gut,« sagte der Marquis, »ich hätte sie überrascht!... nun aber habe ich sie nicht überrascht, und somit hat es nichts zu bedeuten; übrigens bin ich überzeugt dass dies liebe Fräulein mir verzeiht, denn sie ist nachsichtiger als Sie, Madame! Sie werden wohl gestehen, dass ihr Vater recht hat, sehr recht hat, ihr das Amazonenkleid zu verbieten, jetzt ist sie anbetungswürdig!«

Nun stimmte er wieder den faden, galanten Ton gegen mich an, womit er uns schon neulich belustigt hatte, er fand, dass ich mich vollkommen erholt habe; ich hätte feurige Augen, eine sehr lebhafte Farbe und sogar etwas außerordentliches und sehr viel versprechendes in der Physiognomie. Dann sagte er zu uns:

»Sie gehen heute auf den Ball, schöne Damen?«

Die Marquise antwortete: »Nein.«

»Sie beleidigen mich! ich bin eben deswegen zurückgekommen, um Sie hinzuführen.«

»Ich versichere Sie, dass ich nicht gehen werde.«

»Ei, warum denn? Sie sagten ja diesen Morgen ...«

»Ich sagte, ich könnte vielleicht gehen aus Gefälligkeit gegen Fräulein Duportail; nun denkt sie aber nicht daran, sie fürchtet, den Grafen Rosambert dort wieder zu finden, der sich das letztemal sehr unanständig aufgeführt hat.« Ich unterbrach die Marquise: »Gewiss, sein Betragen gegen mich war unartig genug, dass ich jetzt seine Begegnungen fürchten muss, so gern ich auch mit ihm zusammen war.«

»Sie haben Recht!« sagte der Marquis, »der Graf ist einer der eingebildeten Stutzer, welche meinen, die Frauen hätten nur für sie Augen; es ist gut, wenn man diesen Herren bisweilen zeigt, dass es noch Leute auf der Welt gibt, die eben so viel wert sind.«

Ich verstand, was er sagen wollte, und warf ihm, um seine Worte zu bekräftigen, heimlich einen ausdrucksvollen Blick zu... »Und die vielleicht noch mehr wert sind,« fügte er mit erhöhter Stimme hinzu, dann stellte er sich auf die Zehen und nahm einen Schwung, um in die Höhe zu springen, er war aber sehr unglücklich. Er fiel und schlug sich eine große Beule an der Stirne. Beschämt über sein Unglück, und um es zu verhehlen, schien er unempfindlich für den Schmerz.

»Reizendes Kind,« sagte er mit großer Kaltblütigkeit zu mir, aber von Zeit zu Zeit sich durch garstige Grimassen verrathend, »Sie haben Recht, dem Grafen aus dem Wege zu gehen, aber fürchten Sie nicht, ihm diesen Abend zu begegnen, es ist Maskenball; glücklicher Weise hat die Marquise zwei Domino's, sie wird Ihnen einen leihen und den anderen selbst anziehen; wir gehen auf den Ball, speisen dann hier wieder zu Nacht, und wenn Sie vorgestern nicht ganz schlecht geschlafen haben ...«

»O ja, das ist prächtig!« rief ich mit mehr Lebhaftigkeit, als Klugheit, »gehen wir auf den Ball.«

»Mit meinen Domino's, die der Graf kennt?« unterbrach die bedächtigere Marquise.

»Ja, Madame, mit Ihren Domino's. Wir müssen diesem Kinde das Vergnügen machen, einen Maskenball zu besuchen, es hat noch keinen gesehen; der Graf wird sie nicht erkennen; er ist vielleicht nicht einmal da.«

Die Marquise schien unentschlossen; sie schwankte zwischen dem Wunsche, mich die nächste Nacht in ihrem Hause zu haben, und der Furcht, sich in Gegenwart des Marquis den Spöttereien des Grafen auszusetzen.

»Was mich betrifft,« fuhr der bequeme Eheherr in geheimnisvollem Tone fort, »so werde ich Sie hinführen, kann aber nicht immer bei Ihnen bleiben, da ich einige Geschäfte habe; um Mitternacht werde ich Sie dann abholen.«

Letzterer Grund war entscheidender als alle Bitten des Marquis. Indes wurde die Contusion des Marquis immer auffallender und seine Beule zusehends größer. Ich fragte ihn verwundert, was er an der Stirne hätte.

»Es ist nichts; ein Ehemann ist solchen kleinen Unfällen immer ausgesetzt.«

Ich erinnerte mich, wie weh er mir durch seinen Händedruck gethan, und entschloss mich Rache an ihm zu nehmen. Ich nahm ein Geldstück aus meiner Tasche, legte es ihm, um die Beule glatt zu drücken, auf die Stirne, und drückte aus Leibeskräften darauf.

»Das Teufelskind hat mir fast den Schädel eingedrückt.«

»Die kleine Schelmin hat es absichtlich so gethan,« sagte die Marquise, die sich sehr zusammen nehmen musste, um nicht zu lachen.

»Glauben Sie, ich habe es absichtlich gethan?«

»Nun, dann will ich Sie zur Strafe umarmen.«

»Zur Strafe, meinetwegen!« ich bot ihm anmuthig die Wange, er hielt sich für den Glücklichsten der Sterblichen und sagte, um diesen Preis lasse er seinen Muth immer auf die Probe setzen.

»Wollt Ihr aufhören zu tändeln?« sagte die Marquise mit verstellter Empfindlichkeit, »wir müssen jetzt an den Ball denken.«

»O, Madame wird verdrießlich,« antwortete der Marquis; »lassen Sie uns jetzt vorsichtig sein,« sagte er ganz leise zu mir, »sie ist ein wenig eifersüchtig;« dabei sah er uns mit selbstgefälliger Miene an.

»Sie beide lieben einander sehr,« fuhr er fort; »aber wenn sie sich einmal um meinetwegen entzweien sollten... das wäre doch sehr sonderbar...!«

»Gehen wir auf den Ball, oder gehen wir nicht?« unterbrach die Marquise. Sie machte sich an ihre Toilette; man brachte ihr Domino's, die sie nicht anziehen wollte; sie ließ zwei andere holen, in die wir uns lustig vermummten.

»Sie kennen den meinigen,« sagte der Marquis; »ich werde ihn anziehen, um Sie aufzusuchen; ich fürchte nicht, dass ich erkannt werde.« Er führte uns auf den Ball und versprach, Punkt zwölf Uhr wieder zu kommen.

Kaum waren wir in den Saal getreten, als der ganze Haufe der Masken uns umzingelte; man betrachtete uns neugierig und tanzte gut mit uns. Im Anfange ergötzte das neue Schauspiel meine Augen. Die eleganten Kleider, die reichen Anzüge, die sonderbaren, grotesken Kostüme, die garstigen, barocken Verkleidungen, das bizarre Untereinander aller dieser gepappten und gemalten Gesichter, das bunte Gemisch, das Getöse hundert verworrener Stimmen, die Menge der Gegenstände, ihre beständige Bewegung, die das Tableau fortwährend veränderte und neu belebte; das alles vereinigte sich, um meine leicht zu ermüdende Aufmerksamkeit zu überraschen.

Einige neue Masken traten ein, der Contretanz wurde unterbrochen, und die Marquise benützte diesen Augenblick, um sich unter die Haufen zu drängen, ich folgte ihr schweigend, begierig die Scene im Detail kennen zu lernen. Ich sah bald, dass jede der handelnden Personen sich sehr viel zu schaffen machte, um nichts zu thun, und ungeheuer viel plauderte, ohne eigentlich ein Wort zu sagen. Man suchte sich gegenseitig auf, beobachtete sich mit der größten Aufmerksamkeit, verließ sich, ohne zu wissen warum, und fand sich im nächsten Augenblicke hohnlächelnd wieder beisammen. Übrigens sah ich auch Leute, die sehr viel auszustehen hatten, und das Glück, den boshaften Reden und neckischen Blicken ihrer Verfolger zu entgehen, gewiss theuer erkauft hätten. Andere starben fast vor Langweile; diese hatten sich offenbar vorgenommen, die Nacht unter allen Umständen auf dem Ball zuzubringen, nur um anderen Tages sagen zu können, sie hätten sich gestern gut amüsiert.

»Das ist also ein Maskenball?« sagte ich zu Marquise.

»Weiter ist es nichts? Da wundere ich mich nicht, wenn anständige Leute von Schuften gehänselt werden.

»Ich bliebe keinen Augenblick länger, wenn Sie nicht zugegen wären.«

»Stille!« antwortete sie, »wir werden verfolgt und sind bereits erkannt; sehen Sie nicht die Maske dort, die uns auf dem Fuße nachgeht? ich fürchte, es ist der Graf; gehen wir aus dem Gewühle und verlieren Sie die Besinnung nicht!«

Es war wirklich Rosambert; wir erkannten ihn sogleich, da er sich nicht einmal die Mühe nahm, seine Stimme zu verstellen; doch war er rücksichtsvoll genug, so leise zu sprechen, dass nur die Frau Marquise und ich ihn verstehen konnten.

»Wie befinden sich die Frau Marquise und ihre schöne Freundin?« fragte er mit effektiver Theilnahme.

Ich wagte nicht zu antworten.

Überzeugt, dass die Verstellung hier nichts helfe, beschloss die Marquise in das verhängnisvolle Gespräch einzugehen, und ihre Feinheit hätte die Sache gewiss durchgeführt, wenn der Graf nicht zu genau unterrichtet gewesen wäre.

»Wie, sind Sie es, Herr Graf? Sie haben mich erkannt? Dies nimmt mich Wunder. Ich glaubte, sie hätten es verschworen, mich je wieder zu sehen und zu sprechen.«

»Es ist wahr, ich hatte es Ihnen versprochen, Madame, und ich weiß auch, wie angenehm Ihnen diese Versicherung war.«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Graf, und Sie verstehen mich falsch; wenn ich Sie nicht sehen wollte, wer könnte mich zwingen mit Ihnen zu sprechen? warum hätte ich dann Ihre Begegnung gesucht?«

»Meine Begegnung gesucht, Madame! so schmeichelhaft dieses Geständnis für mich ist, so gestehe ich doch, dass ich vielleicht die Dummheit gehabt hätte, es für aufrichtig zu halten, wenn dieses liebe Kind hier...«

»Mein Herr,« unterbrach ihn die Marquise, »haben Sie die Gräfin nicht mitgebracht?... Sie ist sehr liebenswürdig die Gräfin!... nicht wahr?«

»Wenigstens ist sie sehr gefällig, die Gräfin...«

Die Marquise unterbrach ihn auf's neue, sich beleidigt stellend: »Sie ist sehr liebenswürdig, die Gräfin!... Sie hätten Sie mitbringen sollen!«

»Ja, Madame! und Sie hätten ihr gewiss wieder das ehrenvolle Geschäft anvertraut, das sie so großmüthig, so gefällig durchgeführt hat?«

»Wie? habe etwa ich ihr aufgetragen, Sie den ganzen Abend in Beschlag zu nehmen? habe ich sie vielleicht aufgefordert, mir einen bösen Streit zu machen, mir hundertmal einen schlechten Spass zu wiederholen und mich am Ende so weit zu bringen, dass ich genöthigt war, Ihnen unangenehme Sachen zu sagen, die ich vielleicht widerrufen hätte, wenn Sie, wie ich hoffte, gestern gekommen wären und um Verzeihung gebeten hätten!«

»Sie hätten mir verziehen, Madame? ei, wie großmüthig! aber glauben Sie mir, Madame, ich werde so wenig als möglich Ihre Güte in Anspruch nehmen. Ich fürchte zu sehr, Sie zu belästigen und meinem jungen Bäschen im Wege zu stehen, welches uns so aufmerksam zuhört und so gute Gründe hat, nichts zu sprechen.«

»Nun, mein Herr,« antwortete ich rasch, »was könnte ich Ihnen sagen?«

»Nichts, nichts, das ich nicht wüsste, oder nicht errathen könnte.«

»Ich gestehe, Herr von Rosambert, dass Sie etwas wissen, das Madame nicht weiß, aber,« setzte ich, absichtlich leiser sprechend, hinzu, »haben Sie doch ein wenig mehr Discretion; die Marquise wollte Ihnen vorgestern nicht glauben; was verschlägt es Ihnen, sie nur heute noch in einem Irrthum zu lassen, der in jedem Falle pikant ist.«

»Sehr gut!« rief er, »die Wendung ist in der That nicht übel. Vorgestern noch so ein Neuling und heute schon so gebildet! Sie müssen eine sehr gute Schule gehabt haben!«

»Was sagen Sie da, mein Herr?« versetzte die Marquise etwas gereizt.

»Ich sage, Madame, dass mein junges Bäschen in vierundzwanzig Stunden sehr große Fortschritte gemacht hat; aber ich wundere mich nicht, man weiß, wie den jungen Mädchen der Verstand kommt.«

»Sie haben doch endlich die Gnade, mir zuzugeben, dass Fräulein Duportail ein Mädchen ist!«

»Ich werde es mir nie mehr beikommen lassen, das zu leugnen, da ich sehe, wie schmerzhaft die Enttäuschung für Sie wäre. Eine gute Freundin zu verlieren und nur einen jungen gehorsamen Diener zu finden, es wäre allzu hart!«

»Was Sie hier sagen, hat seine vollkommene Richtigkeit,« versetzte die Marquise mit schlecht verstellter Ungeduld; »nur ist Ihr Ton so sonderbar! erklären Sie sich, mein Herr! Das Kind, das Sie mir selbst als Ihre Verwandte vorgestellt haben, ist es (sie sprach sehr leise) Fräulein Duportail oder Herr von Faublas? Sie nöthigen mich eine sehr seltsame Frage an Sie zu stellen; aber sprechen Sie doch endlich im Ernst, wie sich die Sache verhält.«

»Das, Madame, konnte ich vorgestern Ihnen zu sagen wagen; aber heute ist es an mir, darüber Aufklärung zu verlangen.«

»Von mir?« antwortete sie ohne die Fassung zu verlieren, »ich habe darüber nicht den geringsten Zweifel. Ihre Miene, ihre Züge, ihre Haltung, ihre Gespräche, alles zeigt mir, das es Fräulein Duportail ist; und überdies habe ich Beweise, die ich nicht gesucht hatte.«

»Beweise!«

»Ja, mein Herr, Beweise. Sie hat vorgestern bei mir zu Nacht gespeist...«

»Ich weiß das wohl, Madame; und sie war sogar noch gestern Früh um zehn Uhr bei Ihnen.«

»Um zehn Uhr, ja, aber dann haben wir sie in ihre Wohnung geführt.«

»In ihre Wohnung! Vorstadt Saint Germain?«

»Nein, auf den Arsenalplatz; und ihr Herr Vater ...«

»Ihr Vater! der Baron von Faublas?«

»Nicht doch, Herr Duportail hat uns, dem Marquis und mir, sehr gedankt, dass wir ihm seine Tochter zurückbrachten.«

»Der Marquis und Sie, Madame? wie! Der Marquis hat Sie zu Herrn Duportail begleitet?«

»Ja, mein Herr! was ist hier zu verwundern?«

»Und Herr Duportail hat der Marquise gedankt?«

»Ja, mein Herr!«

Jetzt brach der Graf in ein lautes Gelächter aus. »Ach, der gute Eheherr!« rief er ganz laut; »das Abenteuer ist vortrefflich! ach, das ehrliche Geschöpf von einem Ehemann!« und wollte uns verlassen. Ich glaubte in der Marquise und meinem eigenen Interesse seine unmäßige Lustigkeit ein wenig dämpfen zu müssen, und sagte leise zu ihm:

»Mein Herr, könnte man keine ernsthaftere Erklärung von Ihnen haben?«

Er sah mich lachend an.

»Eine ernsthafte Erklärung unter uns diesen Abend, mein Bäschen?« und meine Maske ein wenig lüftend:

»Nein, Sie sind zu hübsch! ich lasse Sie lieben und gefallen. Indessen es ist nicht mehr als billig, dass ich heute meinen Vortheil ein wenig benütze; die Erklärung soll morgen stattfinden, wenn es Ihnen beliebt.«

»Morgen, mein Herr; um welche Stunde und an welchem Orte?«

»Die Stunde? ich wüsste sie noch nicht zu bestimmen; das wird von den Umständen abhängen. Sind Sie nicht im Begriff, bei der Marquise zu Nacht zu speisen; morgen wird es vielleicht Mittag, bis der sehr bequeme Marquis Sie zu dem sehr gefälligen Herrn Duportail zurückbegleitet; dann sind Sie wahrscheinlich sehr erschöpft. Ich mag einen solchen Vortheil nicht benützen, man muss Ihnen Zeit zum Ausruhen lassen; ich werde morgen Abend zu Ihnen kommen. Ich verabschiede mich noch nicht, ich werde noch einmal das Vergnügen haben. Sie zu sehen, ehe die Schäferstunde für Sie schlägt.«

Er grüßte und verließ den Saal.

Die Marquise war sehr vergnügt, dass er gieng.

»Er hat uns empfindlich getroffen,« sagte sie, »aber wir konnten uns nicht vertheidigen.«

Ich bemerkte ihr, dass der Graf die Aufmerksamkeit gehabt habe, jedesmal, so oft er etwas recht Beißendes sagte, seine Stimme zu dämpfen, und es bloß in seiner Absicht liege, uns tüchtig zu quälen, nicht aber uns bis auf einen gewissen Punkt zu compromittieren.

»Ich traue ihm nicht ganz,« antwortete sie; »er weiß, dass Sie die Nacht bei mir zugebracht haben, und ist beleidigt; die Rückkehr, womit er uns bedroht, verkündigt nichts gutes; ohne Zweifel rüstet er sich zu einem noch stärkeren Angriff. Gehen wir und erwarten ihn nicht, auch nicht den Marquis.«

Wir wollten eben aufbrechen, als zwei Masken uns in den Weg traten.

»Ich kenne Dich, schöne Maske!« sagte die eine zu mir; »guten Abend, Herr von Faublas.« Ich antwortete nicht.

»Guten Abend, Herr von Faublas!« wiederholte die Maske.

Jetzt sah ich ein, dass ich meine Kraft zusammennehmen und Dreistigkeit zeigen müsse.

»Du bist nicht glücklich im Rathen, schöne Maske, Du irrst Dich im Namen und Geschlecht.«

»Weil beides sehr zweifelhaft ist.«

»Du bist toll, schöne Maske.«

»Durchaus nicht! die einen taufen Dich Faublas und erklären Dich für einen schönen Jungen, die anderen nennen Sie Duportail und schwören, Sie wären ein sehr hübsches Mädchen.«

»Duportail oder Faublas,« antwortete ich sehr bestürzt, »was geht es Dich an?«

»Unterscheiden wir, schöne Maske! sind Sie ein hübsches Fräulein, so geht es mich an; bist Du aber ein hübscher Junge, so geht es die Dame hier an (auf die Marquise zeigend).« Ich schwieg erstaunt. Die Maske fuhr fort:

»Antworten Sie mir, Fräulein Duportail! sprich doch, Herr von Faublas.«

»Entscheide Dich, welchen Namen Du mir geben willst, schöne Maske!«

»Wenn ich nur mein persönliches Interesse und den äußeren Schein zu Rathe ziehe, so sind Sie Fräulein Duportail – will ich aber der skandalösen Chronik glauben, so bist Du der Herr von Faublas.«

Die Marquise verlor kein Wort von unserem Gespräch, war aber durch den Unbekannten, der sie angegriffen, so sehr in die Enge getrieben, dass sie mir nicht zu Hilfe kommen konnte. Bald hätte meine Verwirrung mich verrathen, als plötzlich ein großes Getümmel sich im Saale erhob.

Alles stürzte sich zur Thüre und drängte sich um eine plötzlich eingetretene Maske; die einen wiesen mit Fingern auf dieselbe, andere brachen in ein schallendes Gelächter aus, und alle riefen im Chor: »Es ist der Marquis von B..., der sich an der Stirne eine Beule stieß.« Als unsere Plagegeister das lustige Geschrei hörten, verließen sie uns, um die Zahl der Lacher zu vermehren. »Dem Himmel sei Dank,« sagte meine schöne Freundin etwas erstaunt; »aber hören Sie in dem Getümmel nicht den Namen des Marquis?«

Inzwischen wurde der Tumult immer größer. Wir näherten uns dem Haufen und hörten ein verworrenes Geschrei:

»Ei, guten Abend, Herr Marquis, seit wann haben Sie diese Beule?«

Mit Hilfe unserer Ellenbogen drangen wir endlich bis zu der verhöhnten Maske, es war weder der gelbe Domino, noch der kleine Wuchs des Marquis, und doch war er es selbst. Ein kleiner Zettel steckte ihm zwischen den Schultern, worauf sehr leserlich die Worte standen: Es ist der Herr Marquis von B., der sich an der Stirne eine Beule stieß! Er erkannte uns sogleich. »Da werde der Teufel klug,« sagte er ganz außer sich; »gehen wir!«

Wir folgten ihm auf dem Fuße.

»Beim Teufel!« sagte der Marquis so verwirrt, dass er kaum in den Wagen steigen konnte, »das verstehe ich nicht. Nie war ich besser verkleidet, und jedermann erkennt mich.«

Die Marquise fragte ihn, was er denn eigentlich im Sinne gehabt habe.

»Ich wollte Ihnen,« antwortete er, »eine angenehme Überraschung verschaffen; sobald Sie im Saale waren, fuhr ich in's Hotel zurück und theilte meine Pläne Ihrer Kammerfrau Justine mit. Ich nehme einen neuen Domino, lasse mir Ihre Schuhe mit ungeheuer hohen Absätzen bringen und gedenke mich dadurch unkenntlich zu machen. Justine hat meine Toilette gemacht.« Während er sprach, machte die Marquise geschickt den verführerischen Zettel los und steckte ihn in ihre Tasche.

»Fragen Sie Justine, ob ich jemals besser vermummt war; sie hat es mir hundertmal wiederholt und doch muss mich jedermann erkennen.«

Die Marquise und ich erriethen leicht, dass unsere Kammerfrauen gut für uns gesorgt hatten.

»Aber,« versetzte der Marquis, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte, »wie konnten sie nur sehen, dass ich eine Beule habe? haben Sie denn meinen Unfall erzählt?«

»Keiner Seele, ich versichere Sie!«

»Das ist höchst sonderbar, mein Gesicht ist mit einer Maske bedeckt, und man sieht meine Beule; ich vermumme mich weit besser als gewöhnlich, und alle Welt erkennt mich!«

Wir erschraken nicht wenig, als wir bei unserer Rückkehr in's Hotel erfuhren, dass der Graf uns seit einigen Minuten erwarte. Er gieng vergnügt auf uns zu.

»Ich dachte wohl, meine Damen, dass Sie nicht lange auf diesem Balle bleiben würden; es ist etwas langweilig auf einem Maskenball! die Unbekannten langweilen, die Bekannten quälen uns!«

»Oh!« fiel der Marquis ein, »ich habe keine Zeit gehabt, mich zu langweilen! Du siehst, dass ich gut vermummt bin?«

»Gewiss!«

»Ja, aber kaum trete ich in den Saal, so erkennt mich jedermann.«

»Wie, jedermann?«

»Ja, ja, alle ohne Ausnahme! sie umringen mich sogleich. Ei, guten Abend, Herr Marquis von B..., woher haben Sie denn diese Beule auf der Stirne? und ein Gelächter und ein Lärm! ich glaubte, ich würde taub! ich lasse mich hängen, wenn ich je wieder dorthin gehe! Wie konnten sie sehen, oder wissen, dass ich eine Beule auf der Stirne habe?«

»Bei Gott, man sieht ja sie eine Meile weit!«

»Aber meine Maske?«

»Thut nichts! sehen Sie, man hat mich auch erkannt.«

»Gut so,« versetzte der Marquis etwas getröstet.

»Ja,« fuhr der Graf fort, »mein Abenteuer ist ziemlich komisch; ich habe eine sehr hübsche Dame getroffen, die viel, ja sehr viel auf mich hielt, nämlich in der vergangenen Woche!«

»Ich verstehe, ich verstehe!« sagte der Marquis.

»In dieser Woche hat sie sich meiner auf eine sehr lustige Art entledigt!... Denken Sie sich, ich war auf einem Balle mit einem meiner Freunde, der sich sehr hübsch verkleidet hatte!«

Die Marquise, erschrocken, unterbrach ihn: »Der Herr Graf speist doch mit uns zu Nacht?« sagte sie zu ihm mit der verbindlichsten Miene von der Welt.

»Wenn es Sie nicht allzusehr stört, Madame ...«

»Wie,« fiel der Marquis ein, »Du wirst doch bei uns keine Complimente machen? Du thätest besser, Dein junges Bäschen zu versöhnen, das Dir böse ist.«

»Ich, mein Herr! nicht im geringsten! Ich habe Herrn von Rosambert immer für einen Mann von Ehre gehalten, und bin überzeugt, dass er zu galant ist, um die Umstände zu missbrauchen...«

»Man darf nichts missbrauchen,« entgegnete der Graf, »aber man darf alles gebrauchen.«

»Was soll das heißen, Umstände?« rief der Marquis.

»Was verstehen sie unter Umständen? was für Umstände walten hier vor?...«

»Du musst es mir sagen Rosambert, aber zuvor erzähle Deine Geschichte.«

»Sehr gerne!«

»Meine Herren,« fiel die Marquise auf's neue ein, »ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass das Souper aufgetragen ist.«

»Ja, ja, gehen wir in's Speisezimmer!« antwortete der Marquis.

»Du wirst uns Dein Unglück über Tisch erzählen.«

Jetzt näherte sich die Marquise ihrem Gemahl und sagte ihm in's Ohr: »Wissen Sie auch, was Sie verlangen? ein Liebesabenteuer vor diesem Kinde?«

»Gut, gut!« antwortete er, »in ihrem Alter ist man nicht mehr so unerfahren;« und sich an den Grafen wendend: »Rosambert, Du wirst uns Dein Abenteuer erzählen, aber leite es so ein, dass dieses Kind... Du verstehst mich?«

Bei der Vertheilung der Platze bei Tische war die Marquise so vorsichtig, uns so zu placieren, den Grafen zwischen sie und mich, dagegen mich zwischen den Grafen und den Marquis.

Ein flüchtiger Blick der Marquise bedeutete mir, dass ich unserer kritischen Lage die ängstlichste Aufmerksamkeit schenken, meine Worte genau abwägen und mit der größten Umsicht zu Werke gehen solle.

Der Marquis aß viel und redete noch mehr; ich beantwortete seine süßen Phrasen höchst gleichgiltig. Der Graf überbot ihn an Schmeicheleien; er verschwendete in spöttischem Tone die übertriebensten Complimente an mich, versicherte boshaft, dass es auf der Welt kein liebenswürdigeres Geschöpf gebe, als sein liebliches Bäschen; und das Vorpostengefecht mit der Marquise durch leicht hingeworfene Stichelreden eröffnend, betheuerte er, dass bis jetzt nur sie genau wisse, wie sehr Fräulein Duportail geliebt zu werden verdiene. Die Marquise schnell besonnen antwortete rasch und immer treffend; sie richtete die Verteidigung nach dem Angriffe ein, und wich unmerklich aus, oder vertheidigte sich ohne Bitterkeit, entschlossen, einem Feind, den zu überwinden sie nicht hoffen konnte, verfängliche Fragen und zweideutige Geständnisse entgegen zu stellen; sie schwächte die starken Behauptungen durch gemäßigtes Leugnen und weniger boshafte, als feine Gegenbeschuldigungen ab; sehr besorgt die geheimen Absichten des Grafen zu errathen, prüfte sie ihn oft mit forschenden Augen; dann suchte sie ihn zu gewinnen und zu errathen, überhäufte ihn mit Artigkeiten und Aufmerksamkeiten, schützte ein heftiges Kopfweh vor, brachte die süßesten Töne ihrer ersterbenden Stimme nur matt hervor und bat mit flehenden Blicken um Gnade; aber umsonst!

Kaum hatten die Bedienten den Nachtisch aufgetragen und wieder entfernt, als der Graf einen lebhafteren Angriff begann, der die Marquise und mich in tödtliche Angst versetzte:

»Ich sage Ihnen, Herr Marquis, dass eine junge Dame mich in der vorigen Woche mit der größten Aufmerksamkeit beehrte...«

Marquise (leise): »Welche Geckerei... (laut): Schon wieder eine Eroberung! Dieser Stoff ist sehr abgenutzt.« – »Nein, Sie irren, Madame, es war eine plötzliche Untreue mit unerhörten Umständen, welche Sie unterhalten werden.«

Die Marquise erwiderte: »Gewiss nicht, mein Herr, ich versichere Sie!«

»Gut! Die Frauen sagen immer, ein galantes Abenteuer sei ihnen langweilig.«

»Rosambert, erzähle uns das Deinige.«

»Gut denn: Diese Dame war auf dem Ball... ich weiß nicht, an welchem Tag ... (zur Marquise): »Madame, helfen Sie mir doch, Sie waren auch zugegen...«

Marquise lebhaft: »Den Tag, mein Herr? das macht nichts zur Sache! glauben Sie denn, ich habe es bemerkt?«

Der Marquis rief im größten Eifer: »Weiter, weiter! der Tag ist gleichgültig.«

»Nun, ich gieng mit meinem Freunde auf den Ball, der sich auf das anmuthigste verkleidet hatte, so dass ihn niemand erkannte.«

Marquis: »Dass ihn niemand kannte! der muss sehr geschickt gewesen sein; was für eine Kleidung hatte er denn?«

Marquise (sehr lebhaft): »Ein Charakterkostüm offenbar.«

Graf: »Ein Charakterkostüm?... nicht doch (mit einem Blick auf die Marquise): jedoch da Sie es so wollen, meinetwegen, ein Charakterkostüm. Niemand erkannte ihn; niemand, als besagte Dame, welche errieth, dass es ein sehr hübscher Junge sei.«

Hier läutete die Marquise einem Bedienten, hielt ihn unter verschiedenen Vorwänden eine Zeit lang auf, der Marquis wurde ungeduldig und schickte ihn fort; der Graf fuhr fort:

»Die Dame entzückt über ihre Entdeckung... Aber ich will nichts mehr sagen, weil der Marquis sie kennt.«

Marquis (lachend): »Das kann sein, ich kenne deren viele, aber das macht nichts! erzähle weiter.«

Marquise: »Herr Graf, hat man gestern ein neues Stück gegeben?«

Graf: »Ja, Madame, aber erlauben Sie doch, dass ich meine Geschichte beende.«

»Nein, durchaus nicht, ich will wissen, was Sie von dem Stücke halten?«

Graf: »Erlauben Sie, Madame...«

Marquis: »Madame, wollen Sie ihn gütigst erzählen lassen.«

Graf: »Um es kurz zu machen, so erfahren Sie denn, dass mein junger Freund der Dame sehr gefiel; dass meine Anwesenheit ihr bald lästig wurde und das Mittel, das sie erfand, mich los zu werden...«

Marquise: »Ihre Geschichte ist ein Roman.«

Graf: »Ein Roman, Madame! auf der Stelle will ich, wenn man mich dazu zwingt, die Ungläubigsten überführen. Das Mittel, das sie ersann, war, dass sie eine junge Gräfin, ihre vertrauteste Freundin, eine sehr gewandte, sehr dienstgefällige Dame an mich schickte, die sich meiner dergestalt bemächtigte...«

Marquis: »Wie! man hat Dir also sauber mitgespielt?«

Graf: »Nicht übel, nicht übel! aber bei weitem nicht so arg, als dem Gemahl, der auch dazu kam...«

Marquis: »Ist noch ein Ehemann dabei!... um so besser! ... ich liebe die Abenteuer sehr, wo Eheherren fungieren, wie ich deren viele kenne! Nun denn, der Gemahl kam... Was fehlt Ihnen, Madame?«

Marquise: »Ein schreckliches Kopfweh!... ich leide entsetzlich ... (zum Grafen:) mein Herr, haben Sie doch die Güte, die Erzählung Ihres Abenteuers auf einen andern Tag zu verschieben.«

Marquis: »Ach nein, erzähle nur weiter! das wird sie zerstreuen.«

Graf: »Ja, ich bin mit drei Worten fertig.« – Fräulein Duportail (ganz leise zum Marquis): »Herr von Rosambert plaudert sehr gern und lügt bisweilen erträglich.«

Marquis: »Ich weiß wohl, weiß wohl, aber die Geschichte ist lustig; es ist ein Ehemann dabei; ich wette, er hat sich als Einfaltspinsel erwiesen.«

Graf (ohne auf die Marquise zu hören, die mit ihm sprechen will): »Der Gemahl kam; und was das Auffallendste ist, als er das sanfte, feine, anmuthige frische Gesicht des so hübsch verkleideten Jünglings sah, so glaubte er, es wäre eine junge Dame...«

Marquis: »Gut! ... ach! das ist vortrefflich! mich hätte man nicht so an der Nase herumgeführt; ich verstehe mich so gut auf die Physiognomie!«

Fräulein Duportail: »Aber das ist unglaublich!...«

Marquise: »Unmöglich! Herr von Rosambert will uns ein Märchen aufbinden ... mit dem er bald aufhören sollte, denn ich fühle mich sehr unwohl.«

Graf: »Er glaubte es so fest, dass er ihm Complimente machte und Galanterie sagte, ja, er nahm sogar seine Hand und drückte sie sanft... (zum Marquis:) sehen Sie, ungefähr so, wie Sie jetzt die meiner Cousine.« Marquis verblüfft, ließ schnell meine Hand fahren, die er wirklich ergriffen hatte.

»Er hat es absichtlich gethan,« sagte er zu mir, »ich glaube, er wollte die Marquise auf unser gutes Einverständnis aufmerksam machen! wie eifersüchtig er ist, wie boshaft!«

»Ja,« versetzte ich, »und er lügt schändlich, wie ein Advokat.«

Der Graf (fortwährend taub gegen die Bitten, womit ihn die Marquise indes auf's neue bestürmt hatte) fuhr fort:

»Während der gute Gemahl auf der einen Seite die Gemeinplätze der alten Galanterie erschöpfte und die geliebte Hand drückte ... hat die Dame, nicht minder lebhaft, aber glücklicher ...«

Marquise: »Nun, mein Herr, was für Frauen haben Sie denn gekannt.... Sie schildern sie uns in so sonderbaren Farben... ist es denn nicht möglich, dass sie, so wie ihr Gemahl, getäuscht durch den Anschein ...?«

Graf: »Das wäre sehr möglich gewesen, aber ich glaube, dass es nicht der Fall war; hören Sie nur bis zu Ende.«

Fräulein Duportail (in sehr raschem Tone): »Es ist Mitternacht, mein Herr.«

Graf (sehr rauh): »Ich weiß es wohl, Fräulein! und wenn diese Unterhaltung Sie langweilt, so darf ich nur ein Wort sagen... um sie zu endigen.«

Marquis (zu Fräulein Duportail): »Er ist sehr aufgebracht gegen Sie. Die Freundschaft, die Sie mir erweisen! ... er ist eifersüchtig wie ein Tiger!«

Marquise: »Apropos, Herr Graf, es fällt mir eben ein, haben Sie von dem Minister erhalten?...«

Graf: »Ja, Madame, ich habe alles erlangt, was ich wünschte; aber lassen Sie mich...«

Marquis: »Um was suchtest Du denn nach?«

Graf: »Um eine kleine Pension von 10 000 Livres für den jungen Vicomte G... meinen Vetter; es ist schon mehrere Tage ... Aber um auf mein Abenteuer zurückzukommen.«

Marquis: »Ja, ja, kommen wir darauf zurück.«

Graf: »Erlauben Sie, Madame, dass ich die Erzählung meines Abenteuers endlich wieder aufnehme. Die Dame sehr gerührt, verschwendet an den jungen Adonis...«

Marquise: »Oh! mein Kopfweh!«

Graf: »Verschwendet an den jungen Adonis...«

Marquise (den Marquis auf die Seite ziehend und halblaut mit ihm redend): »Mein Herr, ich wiederhole Ihnen, dass es sich nicht schickt vor diesem Kinde ...«

Marquis: »Gut, gut, sie versteht mehr davon, als man glauben sollte! das junge Mädchen ist verschmitzt; gehen Sie, ich verstehe mich auf die Physiognomie!«

Graf: »Herr Marquis! ich kann meine Erzählung nicht zu Ende bringen, man unterbricht mich jeden Augenblick; ich will nach Hause gehen und Ihnen morgen alle Details schriftlich schicken.«

Marquis: »Welcher Einfall!«

Graf (zum Marquis): »Nein, ich schicke sie Ihnen, auf Ehre! auch will ich die Anfangsbuchstaben jedes Namens dazu setzen... wenn man mich nicht endigen lässt.«

Marquis: »Nun denn, erzähle es vollends!«

Marquise: »Wohlan, endigen Sie, aber bedenken Sie...«

Graf: »Die Dame, sehr gerührt, verschwendet an den jungen Adonis die schmeichelhaftesten Vertraulichkeiten, die süßesten Worte, die zärtlichsten Küsse – man musste die Scene wirklich sehen... beschreiben lässt sie sich nicht... aber man könnte sie aufführen... Versuchen wir's!«

Marquis: »Du scherzest.«

Marquise: »Welche Tollheit!«

Fräulein Duportail: »Welcher Einfall!«

Graf: »Versuchen wir's! Madame ist die besagte Dame; ich bin der arme genarrte Liebhaber... Ach! nun fehlt es noch an der Gräfin!... (zu Marquise) Aber Madame hat ausgezeichnete Talente und kann zwei schwierige Rollen zugleich übernehmen.« – Die Marquise kann ihren Zorn kaum verhalten.

Graf: »Ich bitte um Verzeihung, Madame, es ist eine bloße Fiction.«

Marquis: »Ganz gewiss. Sie können das nicht übel nehmen.«

Marquise (mit ersterbender Stimme und Thränen in den Augen): »Es handelt sich hier von Rollen, die man mir anträgt, mein Herr; aber es ist sehr grausam, dass ich mich bereits seit einer Stunde über Unwohlsein beklage, ohne dass man die geringste Rücksicht darauf nimmt. (Zum Grafen, zitternd.) Mein Herr, kann man Ihnen ohne Beleidigung sagen, dass es spät ist, und dass ich der Ruhe bedarf?«

Graf (etwas gerührt): »Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie belästigen sollte, Madame.«

Marquise: »Sie belästigen mich nicht, mein Herr, aber ich wiederhole Ihnen, dass ich krank, sehr krank bin.«

Marquis: »Nun aber wie machen wir's? wo wird Fräulein Duportail schlafen?«

Marquise (rasch): »Wahrhaftig, mein Herr, man sollte glauben, es gäbe kein Zimmer in dem Hotel.«

Erschreckt über die Wendung, die das Gespräch zu nehmen begann, näherte ich mich dem Grafen.

»Reizendes Kind,« sagte er ganz leise zu mir, »lassen Sie mich! alles, was Sie mir sagen wollen, ist nicht so viel wert als das, was ich genau zu wissen wünschte, und was ich auf der Stelle erfahren werde.«

Marquis: »Es gibt allerdings Zimmer, Madame; aber wird sich das Kind nicht fürchten, wenn es so allein ist?«

Graf (rasch): »So wenig als das letzte Mal!«

Marquis (schnell auf die Marquise zeigend): »Aber das letzte Mal hat sie bei Madame geschlafen.«

Graf: »Ah!«

Marquise (verwirrt): »Sie hat in meinem Zimmer geschlafen ... und ich ...«

Marquis: »Sie hat in Ihrem Bette, neben Ihnen geschlafen. – Ich weiß es wohl: habe ich doch selbst die Vorhänge zugezogen! erinnern Sie sich nicht mehr? (Die Marquise bestürzt, gibt keine Antwort; der Marquis fährt in leisem Tone fort): Erinnern Sie sich nicht, dass ich in der Nacht kam?« (Die Marquise legt die Hand an die Stirne, thut einen schmerzhaften Schrei und fällt in Ohnmacht.)

Ich habe nie erfahren können, ob diese Ohnmacht natürlich war, oder nicht; aber ich weiß, dass sobald der Marquis uns verlassen hatte, um in seinem Zimmer selbst ein Wasser zu holen, welches er für unfehlbar in solchen Fällen erklärte, die Marquise wieder zur Besinnung kam, ihre Kammerfrauen Justine und Dutour, die herbeigeeilt waren, beruhigte, ihnen befahl uns zu verlassen, und zu dem Grafen sagte:

»Mein Herr, haben Sie denn geschworen, mich zu Grunde zu richten?«

»Nein, Madame, ich wollte mich bloß über einige Details, die ich nicht wusste, unterrichten, Ihnen beweisen, dass man mich nicht ungestraft verhöhnt, und dass, wenn ich mich rächen wollte ...«

»Rächen!« unterbrach sie, »und warum?«

»Ich kann jedoch,« fuhr er fort, »meine Empfindlichkeit bemeistern und will die Rache nicht zu weit treiben.

»Jetzt, Madame, lasse ich Sie in Ruhe, aber unter einer Bedingung. Ich fühle,« fügte er mit einem boshaften Blicke hinzu. »Ich fühle wohl, dass ich Sie beide betrüben werde. Sie hatten sich eine glückliche Nacht versprochen, so glücklich, als die vorgestrige; aber Sie, mein Herr, haben mich wenig geschont, als dass ich mich für den günstigen Erfolg Ihrer galanten Absichten interessieren sollte, und Sie, Madame, hoffen gewiss nicht, dass ich ein gefälliger Helfershelfer zu Ihren Vergnügungen ...«

»Ich, mein Herr!« rief sie, »ich hoffe nichts von Ihnen, aber ich glaube auch nichts befürchten zu müssen und meine Aufführung mag sein wie sie will, wer gibt Ihnen denn, wenn ich bitten darf, das Recht, sie zu verrathen?«

Rosambert beantwortete diese Frage nur mit einem bitteren Lächeln. »Dass ich,« fuhr er fort, »als ein gefälliger Helfershelfer Ihren Vergnügungen zusehen könne, wie ein Ehemann ... Suchen Sie doch selbst das passende Beiwort ... dass ich zusehen könnte, wie Herr von Faublas vor meinen Augen sich in Ihre Arme begibt.«

»Herr von Faublas in meine Arme?«

»Oder Fräulein Duportail in Ihr Bett. Ist dies nicht einerlei? aber, Madame, ich glaubte, darüber wären wir einverstanden? Glauben Sie mir, die Zeit ist kostbar; verlieren wir sie nicht mit unnützem Wortstreit und vergleichen wir uns. Das reizende Kind schenke mir die Ehre, es begleiten zu dürfen; ich will es sogleich zu ihrem Vater bringen; unter dieser Bedingung schweige ich.«

Der Marquis trat herein, ein Fläschchen haltend.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Bemühungen,« sagte die Marquise; »aber Sie sehen, dass ich ein wenig besser bin; ich wünschte ganz wieder hergestellt zu sein, um Fräulein Duportail bei mir behalten zu können.«

»Wie!« rief der Marquis.

»Ich bin immer noch unpässlich; das liebe Kind kann die Nacht unmöglich bei mir zubringen.«

»Doch ja, Madame; gibt es denn nicht, wie soeben vorhin Sie selbst sagten, ein Gemach in diesem Hotel?«

»Ja, mein Herr! aber Sie haben eine Einwendung gemacht, gegen die sich nichts einwenden lässt; das Kind würde sich fürchten, – überdies, es so ganz allein zu lassen! ich werde es nie zugeben.«

»Sie wird nicht allein sein, ihre Kammerfrau ist bei ihr.«

»Ihre Kammerfrau!... Nun denn, mein Herr, wenn man Ihnen alles sagen muss; Herr Duportail will nicht, dass seine Tochter hier schläft.«

»Wer hat Ihnen das gesagt, Madame?«

»Der Herr Graf kündigt mir soeben an, dass Herr Duportail ihn gebeten habe, seine Tochter hier abzuholen.«

»Warum hast Du mir das nicht sogleich gesagt?«

»Aber ...« antwortete Rosambert lachend, »ich wollte Ihre Freude während des Nachtessens nicht stören.«

»Herr Dupartail lässt seine Tochter abholen!« wiederholte der Marquis. »Glaubt er denn, sie sei hier schlecht aufgehoben? und warum gibt er Dir diesen Auftrag? er ist uns einen Besuch und Dank schuldig; wenn er selbst gekommen wäre ... Ich werde zu ihm gehen. Ich will wissen, welche Gründe ... ich werde zu ihm gehen!«

Ich machte eine tiefe Verbeugung vor der Marquise; sie stand auf und wollte mich umarmen. Herr von Rosambert aber warf sich zwischen uns.

»Madame, Sie sind so unwohl, bleiben Sie doch sitzen!« und sie sanft am Arme fassend, nöthigte er sie, sich wieder zu setzen, dann nahm er galant meine Hand, und der Marquis sah zu seinem größten Bedauern Fräulein Duportail und Frau Dutour in des Grafen Wagen davonfahren. Am ersten Straßeneck befahl Rosambert seinem Kutscher, Halt zu machen.

»Ich kenne das Gesicht,« sagte er zu mir, auf meine angebliche Kammerfrau deutend; »ich glaube nicht, dass Ihnen der Dienst dieser wackeren Frau bei Herrn Faublas angenehm sei; wir brauchen sie also nicht weiter spazieren zu führen.« Frau Dutour stieg aus, ohne ein Wort zu sagen, und wir fuhren weiter. Ich machte den Grafen aufmerksam, dass wir endlich frei wären, dass er meine peinliche Lage missbraucht habe und mir nothwendig sofort Genugthuung geben müsse.

»Ich sehe heute Abends bloß Fräulein Duportail; wenn der Chevalier Faublas mir morgen etwas zu sagen hat, so wird er mich zu Hause finden. Wir wollen zusammen frühstücken, dann werde ich meinem Freunde offen erklären, was ich von seinem Betragen halte, und wenn er vernünftig ist, so hoffe ich, ihn leicht zu überzeugen, dass er keine Ursache hat, über das meinige ungehalten zu sein.« Indes kamen wir vor das Hotel an; Herr Person öffnete selbst das Thor. Er sagte mir, der Baron habe meine Rückkehr mit mehr Ungeduld als Zorn erwartet, und sei endlich in Verzweiflung, mich diesen Abend nicht zu sehen, zu Bette gegangen, nachdem er Jasmin wenigstens zwanzigmal befohlen habe, mich mit Tagesanbruch entweder auf dem Balle, oder bei dem Marquis von B... abzuholen.

Ich begab mich auf mein Zimmer, wo ich meinem Geiste die verschiedenen Ereignisse dieses unruhevollen Tages vorführte. Ich war weniger verwundert, dass ich denselben ganz verleben konnte, ohne an meine Sophie zu denken, und gleichsam als ob ich diese lange Vergessenheit wieder gut machen wollte, wiederholte ich zwanzigmal diesen geliebten Namen. Ich gestehe jedoch, dass auch der Namen der Marquise bisweilen über meine Lippen kam; wohl erschien es mir anfangs hart, auf unnütze Seufzer in meinem einsamen Bette beschränkt zu sein; doch ich machte aus der Noth eine Tugend, brachte meiner Sophie die Vergnügungen zum Opfer und schlief bald getröstet über mein Cölibat ein, zu dem mich die Rachsucht des Grafen verdammt hatte.


 << zurück weiter >>