Jean-Baptiste Louvet de Couvray
Leben und Abenteuer des Chevalier Faublas – Erster Band
Jean-Baptiste Louvet de Couvray

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VI. Kapitel.

Sobald ich erwachte, läutete ich Jasmin, um ihm zu sagen, dass man mir diesen Morgen meine Kleider bringen werde, die ich gestern bei einem Freunde gelassen hätte. Hierauf ließ ich Herrn Person rufen und fragte ihn, wie sich Adelheid und Fräulein von Pontis befänden.

»Sie haben sie ja gestern gesehen und mit ihnen gesprochen,« antwortete er.

»Und Sie auch, Herr Person; Sie haben sie gesehen und ihnen gesagt, dass ich auf dem Ball eine Bekanntschaft gemacht habe.«

»Nun ja, mein Herr, was liegt daran?«

»Und wozu war es denn nöthig, mein Herr? sagen Sie meiner Schwester Ihre Geheimnisse, da habe ich nichts dagegen, Sie können dieselben noch so poetisch ausschmücken; aber die meinigen bitte ich Sie in Zukunft zu respectieren.«

»Wahrhaftig, mein Herr, Sie nehmen einen Ton an, seit einigen Tagen erkennt man Sie nicht mehr. Ich werde mich bei Ihrem Herrn Vater beklagen.«

»Und ich, mein Herr, bei meiner Schwester. (Ich sah ihn erblassen.) Ich rathe Ihnen, wir wollen gute Freunde bleiben; mein Vater wünscht, dass ich mit Ihnen ausgehe; nun ja, so machen Sie Ihre Toilette fertig, dann wollen wir ins Kloster gehen.«

Wir wollten uns eben auf den Weg machen, als Rosambert kam; als er erfuhr, wohin wir giengen, bat er mich um die Erlaubnis, uns zu begleiten.

»Seit vier Monaten,« sagte er, »haben Sie mir versprochen, mich Ihrer liebenswürdigen Schwester vorzustellen.«

»Rosambert, ich halte heute Wort, und Sie sollen ein Fräulein sehen, das Sie gezwungen sind hochzuachten.«

»Unterscheiden wir, mein Freund, ich bin vollkommen überzeugt, dass Fräulein von Faublas eine Ausnahme macht, aber ich werde den fürchterlichen Grundsatz, womit Sie sich gegen mich gewaffnet haben, dass nämlich eine Ausnahme die Regel nicht aufhebe, sondern sie vielmehr beweise, gegen Sie in Anspruch nehmen.«

»Ganz, wie Ihnen beliebt!« sage ich im Voraus. »Sie werden ein unschuldiges und bis zur Einfachheit natürliches Mädchen von vierzehn und einem halben Jahre kennen lernen; sie ist übrigens so groß, als man in ihrem Alter sein kann, und es fehlt ihr weder an Geist, noch an Erziehung.«

Person war glücklicher als ich; meine Schwester kam in's Sprechzimmer, meine Sophie erschien nicht.

Nach den gewöhnlichen Begrüßungen und Höflichkeitsbezeigungen drehte sich das Gespräch anfangs um Gegenstände von allgemeinem Interesse, allein ich konnte meine Unruhe nicht bemeistern.

»Sagen Sie doch, Adelheid, was macht mein hübsches Bäschen?«

»Ach, lieber Bruder, ihr Übel muss sehr schmerzlich sein, denn sie verhehlt es und leidet doch den ganzen Tag daran. Ich erkenne meine liebe Freundin gar nicht mehr, sonst war sie munter, lustig und toll, wie ich, jetzt sehe ich sie traurig, nachdenklich, unruhig.

Wir finden sie immer fast ebenso sanft, ebenso liebevoll, aber sie ist selten bei uns. In unseren Erholungsstunden spielte sie und lief mit unseren Kameradinnen im Garten herum; jetzt, lieber Bruder, sucht sie einen kleinen Winkel auf, wo sie ganz allein spazieren geht.

Oh! sie ist krank! wirklich krank! sie isst wenig, schläft wenig und lacht nie mehr; und mich, mein Bruder, mich, die sie so sehr liebte, scheint sie zu fürchten! ja, wahrhaftig, ich habe es bemerkt, sie flieht jedermann, aber besonders mir geht sie aus dem Wege!

Gestern sehe ich sie in eine kleine bedeckte Allee am Ende des Gartens hineingehen; ich laufe hastig auf sie zu und sehe ihre Augen abwischen.

»Meine liebe Freundin, sage mir doch, welches ist Dein Leiden?«

Sie sieht mich an mit einem Blick – einem Blick! ich habe noch bei Niemand einen solchen Blick gesehen. Endlich antwortete sie:

»Adelheid, Du erräthst es nicht! ach, wie glücklich bist Du! und wie sehr bin ich zu beklagen!« und dann erröthet sie, seufzt, weint.

Ich suche sie zu trösten, indem ich zu ihr sage: »Meine geliebte Freundin, meine Sophie!«

Beim Namen Sophie, sagte Rosambert zu mir in's Ohr:

»Das hübsche Bäschen heißt Sophie, die ich gelästert habe. Oh, verzeihen Sie!«

Ich berauschte mich in dem Vergnügen, meine naive Schwester mit kindlicher Unschuld die zarte Unruhe und die süßen Leiden Sophiens schildern zu hören. Rosambert, dessen Erstaunen noch größer war als mein Entzücken, hörte aufmerksam zu, und der kleine Herr Person sah uns alle drei an und schien zugleich unruhig und bezaubert.

»Sie glauben also, Adelheid, dass Sophie mich nicht mehr liebt?«

»Ich weiß es beinahe, mein Bruder; Alles, was sich auf Sie bezieht, macht sie unwillig, und ich bin hie und da das Opfer davon.«

»Wie so?«

»Ja, vor einigen Tagen erzählte uns dieser Herr hier (auf Person zeigend), dass Sie die ganze Nacht bei der Frau Marquise von B... zugebracht hätten; nun gut, als der Herr fortgieng, und wir wieder allein waren, sagte Sophie in sehr ernstem Tone zu mir:

»Ihr Bruder hat nicht im Hotel geschlafen! er lebt nicht ordentlich, dies ist nicht gut.« Wenn Sie auch unordentlich leben würden, Faublas, darf Sie darum über mich böse sein?

»Einen Tag später waren Sie, glaube ich, auf dem Maskenball. Herr Person ist gekommen und hat es uns gesagt, denn er sagt uns Alles, Herr Person.

»Sobald wir allein waren, sagte Sophie zu mir:

»Ihr Bruder belustigt sich auf dem Ball, und wir langweilen uns hier!«

»Durchaus nicht,« antwortete ich, »man langweilt sich nicht bei seiner lieben Freundin.«

»Ach, ja,« versetzte sie; »ach ja, bei einer lieben Freundin, das ist wahr.«

»Und doch, mein Bruder, sehen Sie, wie sonderbar, einen Augenblick nachher hat sie traurig wiederholt: »Er belustigt sich auf dem Balle und wir langweilen uns hier!«

»Wir langweilen uns! wenn es auch wahr wäre, so ist es doch nicht artig, und sie sollte es doch nicht sagen! ...

»Oh, wenn sie nicht krank wäre, so würde ich es ihr sehr übel nehmen.

»Ich erinnere mich. Gestern haben Sie uns gesagt, Madame von B... sei hübsch.

»Am Abend habe ich Sophie verfolgt und sie gezwungen, mit mir spazieren zu gehen.

»Ihr Bruder,« sagte sie zu mir, »findet diese Marquise hübsch, er ist ohne Zweifel in sie verliebt?«

Ich antwortete: »Liebe Freundin, dies kann nicht sein, diese Frau von B... ist verheiratet.«

»Sie nahm mich bei der Hand und sagte: »Adelheid, ach, wie glücklich bist Du!« und in ihrem Blick, in ihrem Lächeln lag etwas wie Mitleid.

»Ja, ich bin allerdings glücklich, denn ich befinde mich wohl!«

»Aber Adelheid, alles dies, was Sie hier sagen, beweist nicht, dass mein hübsches Bäschen mich nicht mehr liebt; sie ist vielleicht ein wenig ärgerlich, aber man trotzt alle Tage mit den Persönlichkeiten, die man liebt.«

»Oh, freilich, wenn es bloß dies wäre!«

»Und was gibt es denn sonst noch mit diesem abscheulichen Bruder?«

»Nun ja, sonst unterhielt sie mich unaufhörlich von Ihnen, sie war erfreut, Sie zu sehen; und jetzt spricht sie zwar noch von meinem Bruder, allein so selten und immer in einem ernsthaften Tone! Haben Sie sie gestern nicht beobachtet? Sie hat kein Wort, kein einziges Wort gesprochen, so lange Sie da waren.

»Gehen Sie, lieber Bruder, erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, dass, wenn man Jemand liebt, so spricht man auch mit ihm.

»Ich versichere Sie, dass meine gute, edle Freundin Sie nicht mehr liebt.«

Hier mischte sich Rosambert in das Gespräch und gab ihm eine andere Wendung. Man sprach vom Tanz, von der Musik, von Geschichte und Geographie. Meine Schwester, die soeben noch wie ein zehnjähriges Mädchen geplaudert hatte, unterhielt jetzt wie eine Dame von zwanzig Jahren. Der Graf, dessen Verwunderung mit jedem Augenblicke stieg, schien nicht zu bemerken, dass eine Stunde um die andere verstrich, obwohl Herr Person sich die Mühe gab, es ihm mehrere Male zu sagen, und anfieng sehr unruhig zu werden, denn er beobachtete sehr auffallend den Grafen, mit einem Gesichtsausdruck, den ich mir nicht erklären konnte. Endlich nöthigte uns der Klang einer Glocke, welche die Zöglinge in's Speisezimmer rief, nach Hause zu gehen.

»Ich gestehe Ihnen,« sagte der Graf zu mir, »dass ich kaum glauben kann, was ich gesehen habe. Wie lässt sich Unwissenheit mit tiefen Kenntnissen, Sittsamkeit mit Schönheit, kindliche Natürlichkeit mit dem Verstande des reifen Alters, endlich, erlauben Sie mir diesen Ausdruck, eine so außerordentliche Unschuld mit einer so frühzeitigen Ausbildung des Körpers zusammenreimen?

»Ich hätte diese Vereinigung für unmöglich gehalten, mein Freund. Ihre Schwester ist das Meisterwerk der Natur und der Erziehung.«

»Rosambert, mein lieber Freund, erlauben Sie, dass ich Sie darauf aufmerksam mache, dass dieses Meisterwerk, wie Sie selbst sagen, die Frucht vierzehnjähriger glücklicher Bemühungen, erzeugt durch das seltenste Zusammentreffen der günstigsten Umstände, ist.

»Der Baron von Faublas hat gleich anfangs eingesehen, dass die Erziehung einer Tochter für einen Militär eine zu schwere Last sei; meine Mutter, die wir leider zu früh verloren, und die wir täglich beweinen, meine schöne tugendhafte Mutter wurde von meinem Vater mit deren Erziehung betraut, sie hatte das Glück, eine Gouvernante zu finden, die keine galanten Geschichten erzählte, und keine Romane las, eine ernste und zugleich stets gleichgestimmte Seele, die jede Ermahnung in Sanftmuth und Milde zu kleiden verstand. Lehrer, die ihre Unterrichtsstunden in bildende Vorträge und geistweckende, dem Schüler liebe und ersehnte Belehrungen verwandelten.

»Eine Gesellschaft gebildeter Leute, die sich nie ein zweideutiges Wort erlaubten. Endlich, mein Freund, ist Adelheid noch nicht ganz sechs Monate im Kloster.«

»Sechs Monate! oh! wie viele junge Damen, von denen man sagt, sie haben Erziehung, erwerben sich im Kloster in weit kürzerer Zeit große Einsichten, und empfangen sogar einen gewissen Unterricht, der ein junges Mädchen schnell vorwärts bringt!«

»In dieser Beziehung, lieber Rosambert, muss man abermals das Glück meiner Schwester bewundern; lebhaft, lustig, sogar muthwillig mit allen Gespielinnen, hat sie sich eine ebenso zartfühlende, ebenso sittsame, ebenso verständige Freundin aufgefunden, eine, die vielleicht mehr Erfahrung hat, weil sie seit einiger Zeit die Liebe ...«

»Ich verstehe, dies ist das hübsche Bäschen.«

»Ja, mein Freund, nicht minder tugendhaft, obschon den Regungen des Herzens etwas früher zugänglich, ist Sophie die einzige Freundin meiner Schwester geworden. Diese zwei reinen Seelen haben sich, wenn man so sagen darf, gefühlt, angezogen, vereinigt.

Adelheid hat, seit sie ihre Mutter verloren, bloß durch Sophie gelebt und gedacht, ihre ebenso zarte als innige Freundschaft hat sie vor den von Ihnen erwähnten Gefahren beschützt, denen man übrigens, wie ich gerne glaube, in einem Hause leicht ausgesetzt sein kann, wo so viele feurige, unruhige und neugierige junge Mädchen versammelt und sozusagen zusammengepreßt sind, wo Zeit und Ort beständig zu Verbindungen einladen, die, wenn sie einmal recht vertraut geworden sind, leicht nicht immer uninteressant sein können. Seit einiger Zeit habe ich den Bund der beiden lieben Freundinnen gestört. Ich schmeichle mir zu glauben, dass ich der glückliche Gegenstand der liebsten Empfindungen meines hübschen Bäschens geworden bin. Adelheid, der die Liebe (ich sah dabei Herrn Person an) noch nicht ihren Meister gezeigt hat, besitzt die ganze Warme eines gefühlvollen Herzens, welche sie auf ihre Freundin übertragen hat, und die Bitterkeit ihrer Klagen hat uns die Größe ihrer Freundschaft bewiesen.«

»Und zugleich Sie Ihres Glücks vergewissert. Wahrlich, Faublas! ich gratuliere Ihnen, wenn Sophie ebenso liebenswürdig und ebenso schön ist, als Adelheid.«

»Noch schöner, mein Freund, weit schöner!«

»Dies ist wohl nicht möglich, erlauben Sie mir daran zu zweifeln.«

»Lieber Graf, sie ist weit schöner, ich versichere Sie, übrigens werden Sie ja selbst sehen und urtheilen, denken Sie sich ...«

»Bst! bst! nur sachte, wie er sich ereifert, wie er so in Hitze geräth; sagen Sie mir doch, gefühlvoller Liebhaber, wenn Sie eine so reizende Geliebte hatten, warum haben Sie mir denn die meinige weggeschnappt? wenn Herr von Faublas das Sprechzimmer so sehr liebt, warum hat Fräulein Duportail bei der Marquise geschlafen? wie reimt sich das alles zusammen?«

»Aber, Rosambert, das ist nicht ...«

»Auch nicht unangenehm, ich glaube es wohl.«

»Sie lachen! hören Sie wohl, mein Freund. Sie wissen, wie sich der Handel zwischen mir und Marquise eingeleitet hat.«

»Ja, ja, so ziemlich!«

»Aber, ewiger Lacher, hören Sie mich doch. Ungefähr ebenso wie meine Schwester erzogen, war ich vor acht Tagen nicht minder unwissend als sie. Ich habe Frau von B... nicht genommen, sie hat sich gegeben, ich bin zu entschuldigen.«

»Meinetwegen, ich will es zugeben, wegen des ersten Abends es mag wohl sein; aber es stand Ihnen doch frei, nicht mehr zu ihr zu gehen. Der Maskenball! nun, was halten Sie davon?«

»Ich sage, man hat mich dorthin verlockt. Ich bin erst sechzehn Jahre alt, meine Sinne sind noch neu.«

»Ach, Sophie, arme Sophie,« rief der Graf.

»Beklagen Sie sie nicht, ich bete sie an, aber, Rosambert, ich weiß wohl, dass nur gesetzliche Bande mir ihren Besitz sichern können und so lange, bis der Hymen uns vereinigt, werde ich meine Sophie respektieren.«

»Es wird sich zeigen.«

»Indes wird mir mein Cölibat hart erscheinen.«

»Das glaube ich, mein junger Freund.«

»Meine Lebhaftigkeit wird mich bisweilen hinreißen.«

»Ohne Zweifel.«

»Ich werde vielleicht hie und da eine Untreue gegen mein hübsches Bäschen begehen.«

»Dies ist mehr als wahrscheinlich.«

»Aber sobald eine glückliche Heirat zustandekommt, dann, meine Sophie, werde ich nur Dich lieben!«

»Dies ist nicht so ganz gewiss.«

»Ja, ich werde sie mein ganzes Leben lang lieben.«

»Das ist ein Vorsatz, den ein schwärmerischer Jüngling fasst in seiner ersten Glut; aber er ist etwas gewagt.«

Rosambert verließ mich. Ich fragte, als ich nach Hause kam, Jasmin, ob meine Kleider gebracht wurden, er antwortete, er habe niemand gesehen; ich wartete bis auf den Abend, aber der Bote kam nicht. Dies machte mich unruhig, weil ich in meiner Tasche ein Portefeuille mit zwei Briefen gelassen hatte; den einen hatte mir ein alter Bedienter meines Vaters aus der Provinz geschickt, er wünschte mir ein glückliches Neujahr. Den andern hätte ich ungern verloren; es war, den mir die Marquise vor einigen Tagen geschrieben hatte, bekanntlich war er an Fräulein Duportail adressirt, und ich wünschte ihn zu behalten.

Am andern Morgen wurden mir Kleider gebracht; aber ich suchte vergebens in den Taschen, das Portefeuille fand sich nicht vor.

Frau Dutour zerstreute meine Unruhe, indem sie mir einen Brief von der Marquise einhändigte. Ich erbrach ihn hastig und las:

»Diesen Abend, lieber Freund, schlag sieben Uhr, finden Sie sich vor dem Thore meines Hotels ein; Sie können zuversichtlich der Person folgen, die Ihnen den Hut, womit Sie die Augen bedeckt haben werden, abnehmen und Sie als Adonis anreden wird.

Mehr kann ich Ihnen nicht schreiben, weil ich den ganzen Morgen belagert bin; man schwatzt mir den Kopf mit Erklärungen aus der physiognomischen Wissenschaft voll; und doch habe ich nicht im Sinn, dieselbe gründlich zu studieren. O mein Freund! Sie haben die Kunst zu gefallen in Ihrem Besitz so, dass wenn man Sie kennt, man bloß noch lieben kann und von allem andern nichts mehr wissen will!«

Dieser Brief war so schmeichelhaft, die darin enthaltene Einladung so lockend, dass ich mich keinen Augenblick besann.

Ich versicherte Frau Dutour, ich würde mich unfehlbar an dem bezeichneten Orte einfinden. Allein, kaum war die Botin fort, so fühlte ich einige Bedenklichkeiten. Sollte ich mich von nun an nicht bloß mit meiner Sophie beschäftigen und jede Gelegenheit, ihre zu gefährliche Nebenbuhlerin wiederzusehen vermeiden? warum sollte ich mir ohne genöthigt zu sein, dieses grausame Gesetz auflegen? hatte ich denn schon Sophien meine Liebe erklärt? hat Sophie mir die ihrige gestanden? hatte sie sich überhaupt das Recht erworben, dieses Opfer von mir zu verlangen? außerdem konnte man das, was ich im Begriffe zu thun stand, bei Licht besehen, keine Untreue nennen.

Ich ließ mich in keine neue Intrigue ein.

Da ich bei der Marquise einmal eine Nacht zugebracht, da ich sie in dem galanten Boudoir zum zweiten Male gesehen hatte, warum sollte ich ihr nicht noch einen Besuch abstatten? dies macht höchstens drei Rendez-vous statt zwei; und bestand denn das Verbrechen in der Zahl. Und dann musste ja mein hübsches Bäschen nichts davon erfahren. Endlich ich hatte ja mein Wort verpfändet, und musste zu diesem Rendez-vous gehen.

Ich ließ nicht lange auf mich warten. Auch Justine stellte sich zur rechten Zeit ein, sie lüftete meinen Hut:

»Kommen Sie, schöner Adonis!«

Ich folgte ihr mit kleinen Schritten. Indes führte mich Justine in den Hof und wir kamen auf eine geheime Treppe. Man kann sich leicht denken, dass das hübsche Mädchen mehrere Male umarmt wurde, bis wir in den ersten Stock kamen. Hier winkte sie mir anständig zu sein, und öffnete eine kleine Thüre; ich befand mich im Boudoir der Marquise.

»Hinein,« sagte Justine; »gehen Sie in das Schlafzimmer, Sie würden sich hier nicht gut befinden.«

Sie gieng hinaus und schloss die Thüre hinter sich zu.

Ich trat in das Schlafzimmer; meine schöne Freundin kam mir entgegen.

»Ach! Geliebte Mama, es ist also hier zum zweiten Mal.«

Sie unterbrach mich:

»Mein Gott! ich höre den Marquis sprechen! jetzt ist er auf den ganzen Abend zurückgekommen; fliehen Sie, fort! fort!«

Mit einem Sprung war ich im Boudoir, vergaß aber die Thüre des Schlafzimmers zu schließen, sie blieb halb offen, und um mein Unglück zu vollenden, hatte die tolle Justine die andere Thüre, die zu der geheimen Treppe führte, doppelt zugeriegelt. Die Marquise, die von der Versperrung meines Rückwegs nichts ahnen konnte, war ruhig sitzen geblieben. Schon hatte der Marquis ihr Zimmer betreten und gieng mit wilder Hast und verstörten Miene darin auf und ab. Ich zitterte, er möchte mich im Boudoir bemerken; hinauszukommen war unmöglich.

Was thun? Ich lege mich unter die Ottomane und hörte in einer äußerst unbequemen Lage eine sehr merkwürdige Unterhaltung mit an, die auch komisch genug endigte. »Sie sind bald umgekehrt, mein Gemal?«

»Ja, Madame.«

»Ich erwartete Sie nicht so früh.«

»Das kann wohl sein, Madame.«

»Sie scheinen sehr erhitzt, mein Herr, was haben Sie denn?«

»Was ich habe, Madame, was ich habe, ich bin wüthend!«

»Mäßigen Sie sich, kann man nicht wissen? –«

»Nirgends ist mehr Sittlichkeit – die Frauen!«

»Die Bemerkung ist höflich und die Anwendung vortrefflich!«

»Madame, ich kann es nicht ertragen, wenn man mich hintergeht, und ich merke es auf der Stelle, wenn man mich hintergehen will.«

»Wie, mein Herr? Vorwürfe! Beleidigungen! Sie werden sich erklären, ohne Zweifel?«

»Ja, Madame, ich werde mich erklären, und Sie sollen überführt werden!«

»Überführt! von was denn?«

»Von was! nur einen Augenblick, Madame, Sie lassen mir keine Zeit, um zu Athem zu kommen! Madame, Sie nahmen zu sich, Sie beherbergten, Sie schliefen mit Fräulein Duportail?« (Die Marquise mit festem Ton):

»Ja wohl, mein Herr; was weiter?«

»Was weiter? wissen Sie auch, wer das Fräulein Duportail ist?«

»Ich weiß es wie Sie. Sie wurde mir von Herrn von Rosambert vorgestellt; ihr Vater ist ein rechtschaffener Edelmann, bei dem Sie erst vorgestern zu Nacht speisten.«

»Davon ist nicht die Rede; wissen Sie, wer das Fräulein Duportail ist?«

»Ich wiederhole es Ihnen, mein Herr, ich weiß wie Sie, dass Fräulein Duportail ein wohlerzogenes, sehr liebenswürdiges Mädchen von gutem Herkommen ist.«

»Von dem ist nicht die Rede, Madame!«

»Nun, von was denn? wollen Sie meine Geduld auf's Höchste treiben?«

»Noch einen Augenblick, Madame! Fräulein Duportail ist kein Mädchen« – (die Marquise sehr lebhaft): »Kein Mädchen?«

»Kein Mädchen von guter Erziehung, sondern von einer gewissen Art, von den Mädchen, die ... Sie verstehen mich ...«

»Auf Ehre nicht.«

»Und doch erkläre ich mich deutlich: Es ist ein Mädchen, das, doch genug ...

Sie merken es jetzt.«

»Ich versichere Sie, mein Gemahl, dass ich Ihre Andeutungen nicht verstehe.«

»Ich wollte die Sache ein wenig verschleiern, Madame, es ist eine H..., Sie verstehen?«

»Fräulein Duportail sollte, wie Sie sagen, mein Herr, eine H... sein. Verzeihen Sie, das ist zu stark, ich muss lachen.« (In der That brach die Marquise in ein schallendes Gelächter aus.)

»Lachen Sie nur, Madame, Sie werden bald zu lachen aufhören, wenn ich Ihnen dafür den Beweis gebe. Sehen Sie, kennen Sie diesen Brief da?«

»Ja, ich schrieb ihn an Fräulein Duportail einen Tag, als sie bei mir übernachtet hatte.«

»Ganz recht, Madame! und diesen da, kennen Sie ihn auch?«

»Nein, mein Herr!«

»Betrachten Sie ihn, Madame; Sie sehen die Adresse: An Herrn Chevalier von Faublas; und lesen Sie einmal den Inhalt:

»Mein theuerer Herr! Ich habe die Ehre, mir die Freiheit zu nehmen, um Ihnen zu wünschen, dass dieses Jahr, das hiemit beginnt, für Sie schön und gut sei. Ich habe die Ehre zu sein, mit tiefster Ehrfurcht, mein theuerster Herr u.s.w.«

»Es ist der Neujahrswunsch eines Dieners an seinen Herrn und dieser Herr ist der Chevalier Faublas.«

»Nun gut, Madame, diese beiden Briefe waren in diesem Portefeuille hier.«

»Was weiter?«

»Madame, Sie würden nie errathen, wo ich diese Brieftasche gefunden habe.«

»Wo denn. Sie machen ja eine geheimnissvolle Wichtigkeit daraus.«

»Ich habe sie an einem Orte gefunden, wo ...«

»Wie, mein Herr, sagen Sie es sogleich, Sie können mir nicht ausweichen.«

»Nun ja, Madame, ich habe sie an einem schlechten Orte gefunden.«

»An einem schlechten Orte, wo Sie Geschäfte hatten, mein Herr Gemahl?«

»Wohin mich die Neugierde führte. Ich will Ihnen Alles erzählen.

Eine Frau hat seit einigen Tagen gedruckte Zettel mit der Anzeige herumgeschickt, dass sie den Liebhabern vortreffliche Zimmer um bestimmte Preise für die Stunde vermieten könne. Ich gieng aus Neugierde hin, um sie zu sehen, bloß aus Neugierde, um vielleicht Gelegenheit zu haben, physiognomische Studien daselbst machen zu können, also es war eigentlich weniger Neugierde, als wissenschaftlicher Drang.«

»Wann waren Sie dort, mein werter Gemahl, gestehen Sie nur offen.«

»Gestern Nachmittag. Die Zimmer sind in der That prächtig, besonders eines im ersten Stockwerke, ach, es ist zu verlockend, es ist wunderschön, man sieht darin die Sinne anlockende, ich möchte sagen, obscöne Gemälde, einen Alkoven, ein Bett, das ist ein Bett! denken Sie sich, dieses Teufelsbett hat Stahlfedern! ach, es ist prächtig. Hören Sie, meine geliebte Freundin, wir müssen es einmal mit einander sehen.«

»Ein Mann mit seiner Frau an einem solchen Ort! das wäre sonderbar.«

Der Marquis geräth in Feuer, ich höre ein Geräusch; die Marquise vertheidigt sich, der Marquis umarmt sie. Ihre Unterhaltung, die mich anfangs beunruhigte, ergötzte mich jetzt so, dass ich die Peinlichkeit meiner Lage beinahe darüber vergaß. Der Marquis fuhr fort:

»Dort fehlt gar nichts! in diesem Boudoir im ersten Stockwerke ist eine Thüre, die mit dem Hause einer Modehändlerin in Verbindung steht. Das ist sehr gut ausgedacht ... sehen Sie, eine Dame von Stand gibt sich das Ansehen, zu einer Modehändlerin zu gehen; doch nein, sie geht die Treppe hinauf, und irgend einem armen Eheherrn wird ein Näschen gedreht. Hören Sie, Madame, jetzt kommt eigentlich das ärgerlichste; in diesem Boudoir habe ich einen kleinen Schrank geöffnet, und in diesem Schrank lag diese Brieftasche. Alles ist klar, dass Fräulein Duportail mit dem Herrn von Faublas dort war; und das ist sehr garstig von ihr und sehr unartig von Herrn Rosambert, der sie kannte, dass er sie uns vorstellte, und sehr leichtsinnig von ihrem Vater, sie in Begleitung einer einzigen Kammerfrau ausgehen zu lassen: aber ich habe mich nicht täuschen lassen! es ist etwas in ihrem Gesicht! Sie wissen ja, wie gut ich mich auf Physiognomie verstehe! es ist hübsch ihr Gesicht, aber es liegt etwas in ihren Zügen, das ein feuriges Blut ankündigt; das Mädchen hat viel Temperament, ich habe es wohl gesehen. Sie erinnern sich jenes Abends, wo Rosambert zu ihr sagte, es gäbe Umstände, hm, hm, Umstände.

»Sie haben es nicht einmal beachtet! ich habe mir den Ausdruck wohl gemerkt, man täuscht sich in mir, man hintergeht mich nicht! und sehen Sie, an demselben Tage ... kommen Sie, Madame.«

Die Marquise, die mich entfernt glaubte, ließ sich in ihr Boudoir führen; der Marquis fuhr fort:

»Sie war hier in diesem Zimmer, als ich eintrat. Sie, Madame, lagen auf der Ottomane, ich kam dazu. Sie waren erzürnt über mein unangemeldetes Eintreten. Das Fräulein war feuerroth, ihre Augen glänzten; sie hatte ein Gesicht! oh, ich sage Ihnen, dieses Mädchen hat ein feuriges Temperament! Sie wissen, dass ich mich darauf verstehe, aber lassen Sie mich nur machen, ich will Alles in Ordnung bringen.«

»Wie, mein Gemahl, Sie wollen sich in die Sache mengen, welche Sie eigentlich nichts angeht, was kümmert Sie Fräulein Duportail, was Herr Faublas, mit welchem Recht wollen sie sich zwischen Beide drängen, und wie wollen Sie, wie Sie selbst sagten, die Sache in Ordnung bringen?«

»Ja, ja, Madame! zuerst werde ich Rosambert sagen, was ich von seinem Betragen halte. Er war vielleicht auch mit ihr dort, dann will ich zu Herrn Duportail gehen und ihn von der Aufführung seiner Tochter in Kenntnis setzen.«

»Wie, Sie wollen mit Rosambert Verdruss anfangen?«

»Aber Madame, Rosambert wusste, was daran war, er war eifersüchtig auf mich, weil die Kleine mich vorzuziehen schien. Sie kam mir sogar entgegen, und in diesem Stücke hat sie mich hintergangen; denn sie hatte schon damals diesen Herrn von Faublas. Ich will wissen, wer dieser Faublas ist, ja, und ich will zu Herrn Duportail gehen.«

»Wie, Sie wollten einem Vater sagen –?«

»Ja, Madame, ich erweise ihm dadurch einen Dienst; ich will zu ihm gehen und ihm Alles entdecken.«

»Ich hoffe, mein Herr, das wird nicht geschehen.«

»Allerdings wird es geschehen, Madame.«

»Wenn Sie einige Rücksicht für mich hätten, so ließen Sie sich diesen Gedanken von selbst vergehen.«

»Schlechterdings nicht! ich will wissen, was daran ist.«

»Mein Herr, ich bitte Sie dringend.«

»Nein, nein, Madame!«

»Sie verrathen sich, erst jetzt sehe ich ein, warum Sie an Allem, was Fräulein Duportail angeht, ein so lebhaftes Interesse nehmen.

»Ich kenne Sie zu gut, um mich durch diese moralische Strenge, womit Sie sich heute schmücken, blenden zu lassen; Sie sind nicht darüber böse, dass Fräulein Duportail an einem verdächtigen Orte war, sondern darüber, dass sie mit einem andern, als mit Ihnen dort war.«

»Oh, Madame!«

»Und als ich ein Fräulein, das ich für anständig hielt, in mein Haus aufnahm, hatten Sie Absichten auf sie!«

»Madame, welche Idee, wie können Sie nur vermuthen –«

»Und Sie, mein Herr, wagen es, sich vor mir zu beklagen, man habe Sie hintergangen! ich, nur ich wurde betrogen!«

Sie sank wie ohnmächtig auf die Ottomane, ihr Gemahl stieß einen Schrei aus und umarmte sie mit den Worten:

»Wenn Sie wüssten, wie sehr ich Sie liebe.«

»Wenn Sie mich liebten, mein Herr, so würden Sie mehr Rücksicht für mich, mehr Achtung vor Ihnen selbst und mehr Schonung für ein Kind haben, das vielleicht weniger zu tadeln, als zu beklagen ist; wenn Sie mich liebten, würden Sie nicht einem unglücklichen Vater die Verirrungen seiner Tochter entdecken. Sie würden nicht dem Grafen Rosambert das Abenteuer erzählen, damit er darüber lacht, sich über uns lustig macht und überall ausposaunt, ich hätte den Besuch von einem verdächtigen Frauenzimmer angenommen.

»Was machen Sie denn, lassen Sie mich, aber mein Herr, hören Sie doch auf! das Alles führt zu nichts.«

»Madame, ich liebe Sie.«

»Das ist bald gesagt, ich verlange Beweise.«

»Aber mein geliebtes Weib, seit drei oder vier Tagen wollen Sie ja gar keine Beweise mehr von mir annehmen.«

»Nicht solche Proben verlange ich, mein Herr, hören Sie doch auf!«

»Aber was sträuben Sie sich denn, mein Herz? wir sind allein.«

»Hören Sie doch auf! wir haben ja immer Zeit zu solchen Sachen, wir verheiratete Leute, in Ihrem Alter! in einem Boudoir! auf einer Ottomane! wie zwei Verliebte! und während ich noch Ursache habe zu grollen.«

»Nun gut, mein Engel, ich will weder zu Rosambert noch zu Herrn Duportail etwas sagen.«

»Sie versprechen es mir?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort.«

»Gut, noch einen Augenblick! geben Sie mir das Portefeuille, lassen Sie es mir.«

»Mit dem größten Vergnügen, da ist es.« (Es trat eine augenblickliche Stille ein.)

»Wahrhaftig,« sagte die Marquise mit fast erstickter Stimme, »Sie haben es gewollt.«

Man kann sich vorstellen, was ich während dieser seltsamen Scene unter der Ottomane litt; ich hätte beide mit meinen Händen erwürgen mögen; in meinem unbändigen Ärger fühlte ich mich versucht, hervorzutreten, der Marquise diese Untreue neuer Art vorzuwerfen und dem Marquis das bittere Leid, das er mir ohne sein Wissen anthat, auf diese Weise heimzugeben. Justine machte meiner Unschlüssigkeit ein Ende; sie öffnete auf einmal die Thüre, die zu der geheimen Treppe führte. Die Marquise stieß einen Schrei aus; der Marquis flüchtete sich in das Schlafzimmer, um die Ordnung in seinen Kleidern wieder herzustellen. Justine, die statt des Geliebten einen Gemahl erblickte, blieb verblüfft stehen, und die Marquise war nicht weniger erstaunt, als sie mich unter der Ottomane hervorkriechen sah. Ich dankte der Kammerfrau ganz leise:

»Großen Dank, Justine, Du hast mir einen Dienst erwiesen; ich befand mich da unten sehr übel, während Madame sich oben sehr wohl befand.«

Bestürzt und zitternd wagte die Marquise weder ein Wort zu antworten, noch mich zurückzuhalten. Ihr Gemahl war so ganz in der Nähe, wahrscheinlich kehrte er sogleich zurück, sobald er sich anständiger gekleidet hatte. Justine öffnete mir die Thüre. Ich stürzte ohne Licht und mit Gefahr, zwanzig Mal den Hals zu brechen, die geheime Treppe hinab, eilte über den Hof und gieng, fluchend über die Bewohner, so schnell als möglich aus dem Hause.

Am andern Tag lag ich noch im Bette, als Jasmin Justine anmeldete und sich bescheiden zurückzog.

»Mein Kind, ich dachte an Dich!«

»Ach, mein Herr, lassen Sie mich! diesmal bekommen Sie mich nicht, ich will mit meinem Auftrag anfangen. Wissen Sie auch, dass ich gestern um Ihretwillen tüchtig ausgezankt wurde? Sie haben uns schöne Angst gemacht; kaum waren Sie auf der Treppe, als der Marquis schon wieder zurückkam.

»Seht doch diese Thörin, sie rennt herein, ohne sich vorher gehörig anzumelden, wie eine Kugel aus dem Rohr, so sehr ärgerte er sich über die plötzliche Störung seines verliebten Beginnes. Sobald er fortgieng, sagte Madame zu mir, sie wisse nicht, warum Sie sich unter die Ottomane versteckt hätten. Ihr Betragen sei ihr ganz unerklärlich. Dann hat sie einen Auftritt angefangen; und diesen Morgen hat sie mir diesen Brief an Sie übergeben.«

»Ganz gut, mein liebes Justinchen! Dein Auftrag ist zu Ende, denn ich werde den Brief nicht öffnen.«

»Sie wollen den Brief nicht öffnen, gnädiger Herr?«

»Nein, denn ich bin über Deine Gebieterin aufgebracht.«

»Sie haben sehr Unrecht, denn sie wird sich wohl genügend bei Ihnen rechtfertigen.«

»Reizendes, liebes Mädchen, über Dich bin ich nicht erzürnt.«

»Sie haben Recht; hören Sie doch auf, oder ja, ich will, unter der Bedingung, dass Sie den Brief lesen.«

»Oh, wie glücklich ist eine Herrin, wenn sie ein Mädchen hat wie Du! Nun gut, ja, ich werde ihn lesen!«

Justine erfüllte die Bedingungen des Vertrages so gut, dass es von mir unverzeihlich gewesen wäre, mein Wort nicht zu halten. Ich öffnete daher den Brief; ich las folgendes:

»Wie ärgerlich ist mir unser gestriges Abenteuer, mein lieber Freund! die Scene, die bloß lächerlich gewesen wäre, wenn sie, wie ich glaubte, Sie nicht zum Zeugen gehabt hätte, ist durch Ihre Gegenwart für mich eben so unangenehm geworden, als sie Ihnen widerwärtig war. Was für Worte waren es, welche Sie beim Weggehen gesagt! Sie kleiner Undankbarer! Sie wissen nicht, wie weh Sie mir gethan haben!

»Kommen Sie wieder zu mir, lieber Freund, kommen Sie zu derjenigen, die Sie liebt; finden Sie sich auf den Mittag an dem Orte ein, den man Ihnen bezeichnen will. Dort wird es mir nicht schwer werden, mich zu rechtfertigen, und wenn mein Geliebter von seiner Ungerechtigkeit überführt sein wird, so hoffe ich, dass er mich bereit finden wird, ihm seine Lebhaftigkeit zu verzeihen.«

»Mein Herr,« versetzte Justine, als ich den Brief gelesen hatte. »Madame wird Sie auf Mittag in dem Boudoir von gestern erwarten – Sie wissen es wohl? – wo wir Sie angekleidet haben.«

»Ja, Justine, wo Du so viel geweint hast! wenn Du wüsstest, wie ich für Dich gelitten habe; aber Schelm, Du begnügst Dich auch nicht damit, Bosheiten auszuüben. Du sagst sie auch!«

»Sprechen Sie nicht davon, ich bin noch ganz beschämt... lassen Sie mich doch! geben Sie mir eine Antwort für meine Gebieterin.«

»Meine Antwort, Justine, ist, dass ich nicht zum Rendezvous komme.«

»Sie wollen nicht kommen?«

»Nein, Justine.«

»Wie? Sie wollten meine Gebieterin so betrüben?«

»Ja, mein Kind.«

»Aber Sie werden mir einen Zank bereiten.«

»Ich will Dich, mein schönes Mädchen, zum Voraus trösten.«

»Sie sind fest entschlossen?«

»Ganz gewiss, Justine! warum zweifelst Du?«

»In diesem Falle geben Sie mir einige Zeilen... lassen Sie mich doch! (Sie umarmte mich.) Schreiben Sie einige Worte an meine Gebieterin.«

»Nein, mein Kind, ich werde nicht schreiben.«

»Lassen Sie mich! aber hören Sie, ich will noch einmal unter der Bedingung, dass Sie schreiben.«

»Ach, Justine! ich wiederhole es: Wie glücklich ist eine Frau, wenn Sie das Glück hat, ein Mädchen zu besitzen, wie Du! Gut, ja, ja, es ist recht, ich schreibe!«

Ich schrieb wirklich, und zwar folgendermaßen:

»Ich weiß nicht, Madame, ob das gestrige Abenteuer Ihnen sehr ärgerlich gewesen ist; aber aus der Art und Weise, wie Sie Ihr Geschäft verrichteten, muss ich schließen, dass es Ihnen nicht sehr unangenehm war. Wenn man einen liebenswürdigen, sehr galanten und zärtlich geliebten Gemahl hat, Madame, so muss man sich an ihn halten. Ich bin mit dem größten Bedauern u.s.w.«


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