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Die Einrichtung der modernen Wohnung

Die Neue Wirtschaft, 14.2.1924

Liebe Freunde, ich will euch ein Geheimnis verraten:

Es gibt keine modernen Möbel!

Oder um präziser zu sein: Nur die Möbel, die mobil sind, können modern sein. Alle anderen »Möbel«, die fix an der Wand stehen, also nicht mobil sind, also auch keine richtigen Möbel sind, wie Truhe und Schrank, Glaskasten und Büfett, gibt es heute überhaupt nicht mehr.

Man wußte das nicht. Und daraus entstanden alle Fehler. Man sagte sich, daß doch Schränke und Büfetts zu jeder Zeit modern gemacht wurden, zeitgemäß erdacht wurden und wir nur die Aufgabe hätten, diese Dinge wieder zeitgemäß zu schaffen. Das war ein Denkfehler. Denn da es heute überhaupt keine Schränke gibt, kann man keine modernen schaffen. Diese Möbel sind Aufbewahrungsmöbel. Im Büfett wurde das Porzellan, im Schrank die Kleider aufbewahrt. Die Aufbewahrungsmöbel waren das Zeichen von vornehmer Lebensführung. Der Reichtum der Familie wurde durch Truhen und Kasten dem Besucher unter die Nase gerieben. So ein Büfett beherbergte den ganzen Glas-, Porzellan- und Silbervorrat der Bewohner. Es war herrlich! Ein Hochaltar prangte an bester Stelle des Speisezimmers und im Allerheiligsten, im Tabernakel, standen die Schnapsgläser. Ich sagte meinen Schülern immer: Je ordinärer die Familie, desto reicher und größer das Büfett. Bei Kaisern gibt's überhaupt keins!

Die unmoderne Hausfrau fragt dann ängstlich, wo sie alle diese Dinge hintun solle. Aber auf dem Wege von der Küche zum Speisezimmer gibt es eine Menge leerer Wandflächen, Fensterparapete und Nischen, die mit weichen Holztüren abgeschlossen, eine viel praktischere Möglichkeit der Aufbewahrung für Glas und Porzellan ergeben als das tiefe Büfett. Gläser und Teller sollen nicht hintereinander aufbewahrt werden.

Aber noch unmoderner ist die Aufbewahrung unserer Kleider in Schränken, die als Prunk- und Prachtstücke im Zimmer Verwendung finden. Man bedenke: Ein Schrank ist doch nichts anderes wie ein Etui für ein wertvolles Schmuckstück. Nun vergegenwärtige man sich die Dissonanz, die zwischen dem Aufbewahrungsort – dem Schrank – und unseren modernen Kleidern besteht. Der Schrank ist geschnitzt und intarsiert, die Kleider sind einfach. Zwischen dem Armoire des französischen Höflings und seinen Kleidungsstücken mit Brillantknöpfen bestand doch eine Verwandtschaft. Und es gehörte zum Geist der Zeit, mit Kasten und Schränken zu prunken und durch den Reichtum des Schrankes auf den kostbaren Inhalt schließen zu lassen. Aber Hand aufs Herz, meine Freunde, empfindet ihr nicht ein solches Gebaren für den Menschen von heute als eine Schamlosigkeit?!

Auch die Architekten, ich meine die modernen Architekten, sollten Menschen von heute sein, also moderne Menschen. Wären sie es, so gäbe es keine angewandte Kunst, keine Kunst im Dienste des Kaufmannes. Es ist ein Mißverständnis. Weil Dürer Kleider und Schuhe und Holbein Schmuck entworfen haben, glauben die Künstler von heute, dasselbe tun zu müssen. Aber der moderne Mensch besteht darin, daß er weiß, daß man dies dem Schuster und Schneider, dem Edelsteinfasser und Perlenhändler überläßt.

Und die mobilen Möbel überlasse man dem Tischler und Tapezierer. Die machen herrliche Möbel. Moderne Möbel, Möbel, die so modern sind wie unsere Schuhe und unsere Kleider, wie unsere Lederkoffer und unsere Automobile. Ach, man kann freilich nicht mit seiner Hose protzen und sagen: Die ist aus dem Weimarer Bauhaus.

Die unmodernen Menschen unter uns sind in einer verschwindenden Minderzahl. Sie sind zumeist Architekten. Auf Kunstgewerbeschulen werden sie künstlich gezüchtet. Es ist zwar ein komisches Beginnen, in den Tagen von heute Menschen auf ein Niveau von vergangenen Zeiten zu bringen. Aber man lache nicht darüber. Es hat viel Unheil zur Folge gehabt.

Was kann der moderne Architekt tun?

Er hat Häuser zu bauen, wo alle diese »Möbel«, die nicht mobil sind, die es, wie ich behaupte, heute gar nicht gibt, in den Wänden verschwinden. Gleichviel, ob er neu baut oder nur einrichtet.

Wären die Architekten immer moderne Menschen gewesen, so wären alle Häuser mit Wandschränken versehen. Der englische Wandschrank ist schon Jahrhunderte alt. Frankreich baute seine bürgerlichen Häuser bis in die Siebzigerjahre mit Wandschränken. Aber die falsche Neubelebung der Schrankarchitektur hat diese moderne Errungenschaft verkümmern lassen und heute baut man selbst in Paris nur Häuser ohne Wandschränke.

Das Messingbett, das Eisenbett, Tisch und Stühle, Polstersessel und Gelegenheitssitze, Schreibtisch und Rauchtischchen, alles Dinge, die von unseren Handwerkern – nie von Architekten – modern erzeugt werden, möge sich der Bewohner nach Wunsch, Geschmack und Neigung selbst besorgen. Alles paßt zu allem, weil alle modern sind (so wie meine Schuhe zu meinem Anzug, zu meinem Hute, meiner Krawatte und zu meinem Schirm passen, obwohl sich die betreffenden Handwerker gar nicht kennen).

Aber die Wände gehören dem Architekten.

Hier kann er frei schalten. Und zu den Wänden die Möbel, die nicht mobil sind. Sie dürfen nicht als Möbel wirken. Sie sind Teile der Wand und führen nicht das Eigenleben der unmodernen Prunkschränke.


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