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Das Heim

Das Andere, 1.10.1903

Die Zeitungsschreiber haben es im Laufe der letzten Jahre versucht, uns Mut zu den Geschmacklosigkeiten der modernen Künstler zu machen. Ich will es versuchen, euch Mut zu eueren eigenen Geschmacklosigkeiten zu machen.

Wer fechten lernen will, muß selbst das Rapier in die Hand nehmen. Vom Fechtenzusehen hat noch niemand fechten gelernt. Und wer sich ein Heim schaffen will, muß selbst alles angeben. Sonst lernt er es nie. Wohl wird es voller Fehler sein. Aber es sind euere eigenen Fehler. Durch Selbstzucht und Uneitelkeit werdet ihr bald diese Fehler erkennen. Ihr werdet ändern und verbessern.

Euer Heim wird mit euch und ihr werdet mit euerem Heime.

Fürchtet euch nicht, daß euere Wohnung geschmacklos ausfallen könnte. Über Geschmacksachen läßt sich streiten. Wer kann entscheiden, wer recht hat?

Für euere Wohnung habt ihr immer recht. Niemand anderer.

Die Wortführer der modernen Künstler sagen euch, daß sie alle Wohnungen nach euerer Individualität einrichten. Das ist eine Lüge. Ein Künstler kann Wohnungen nur nach seiner Art einrichten. Wohl gibt es Menschen, die den Versuch machen – geradeso wie es Leute gibt, die die Pinsel in die Farbtöpfe stecken und nach dem Geschmacke des eventuellen Käufers ihre Leinwand bemalen. Aber Künstler nennt man die nicht.

Euere Wohnung könnt ihr euch nur selbst einrichten. Denn dadurch wird sie erst zu euerer Wohnung. Macht das ein anderer, sei er Maler oder Tapezierer, so ist es keine Wohnung. Es ist dann höchstens eine Reihe von Hotelzimmern. Oder die Karikatur einer Wohnung.

Wenn ich eine solche Wohnung betrete, so bedauere ich stets die armen Menschen, die hier ihr Leben verbringen.

Das also ist der Hintergrund, den sich die Leute für die kleinen Freuden und die großen Tragödien des Lebens schaffen ließen?!! – Das also?

Ach, diese Wohnungen sitzen euch wie ein Pierrotkostüm aus der Maskenleihanstalt!!

Möge nie der Ernst des Lebens an euch herantreten, so dass ihr euerer geliehenen Fetzen gewahr werdet!

Unter dem ehernen Schritte des Schicksals erstirbt euere Prahlerei, die mit den Modenamen der angewandten Künstler sich brüstet.

Heraus mit eueren Federn, ihr Menschen- und Seelenschilderer! Schildert einmal, wie sich Geburt und Tod, wie sich die Schmerzensschreie eines verunglückten Sohnes, das Todesröcheln einer sterbenden Mutter, die letzten Gedanken einer Tochter, die in den Tod gehen will, in einem Olbrich'schen Schlafzimmer abspielen und ausnehmen.

Ein Bild nur greifet heraus: Das junge Mädchen, das sich den Tod gegeben. Lang hingestreckt liegt es auf der Diele des Fußbodens. Die eine Hand umklammert noch krampfhaft den rauchenden Revolver. Auf dem Tische ein Brief. Der Absagebrief. Ist das Zimmer, in dem sich das abspielt, geschmackvoll? Wer wird danach fragen? Wer darum sich kümmern? Es ist ein Zimmer, basta!

Aber wenn der Raum von Van der Velde eingerichtet ist? Dann ist's eben kein Zimmer.

Dann ist es –

Ja, was ist es denn eigentlich? –

Eine Blasphemie auf den Tod!

Möge es bei euch immer bei den kleinen Freuden bleiben!

Wer fechten will, muß das Rapier selbst in die Hand nehmen!

Und wer fechten lernen will, braucht überdies einen Fechtlehrer. Der muß es können. Ich will euer Wohnungslehrer sein. Euere Wohnung ist voller Fehler. Ihr wollt manches darin ändern. Man frage mich und ich will Auskunft geben. In diesem Blatte sollen alle Anfragen, die euer Heim betreffen, beantwortet werden.

Ihr wollt ein Zimmer neu tapezieren lassen und seid über die Farbe im Zweifel?

Ihr wollt Fenster und Türen einer neu aufgenommenen Wohnung streichen?

Ihr wollt wissen, wie man die alten Möbel in euerer neuen Wohnung am besten unterbringen kann?

Ob man ein Korbfauteuil in ein Wohnzimmer stellen darf?

Ob man das kann, ob jenes?

Sendet Farbproben, Stoffmuster und Tapeten, sendet Grundrisse und Zeichnungen ein. Wollt ihr sie wieder haben, legt die nötigen Marken bei. Ich werde alle Fragen nach bestem Wissen beantworten.


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