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Weihnachtsausstellung im Österreichischen Museum

Die Zeit, 18.12.1897

Man kann es nicht leugnen: Die Sammlung von Kopien alter Möbel, die jetzt im Österreichischen Museum zu sehen ist, hat Sensation gemacht. Sie bildet das Tagesgespräch. Man dünkt sich in unsere besten Zeiten des österreichischen Kunstgewerbes zurückversetzt. Damals als noch Wien in der gewerblichen Kunst im ersten Treffen stand, damals als noch der unvergessene Eitelberger das Regiment am Stubenring führte, kann die Teilnahme des Publikums an der schmückenden Kunst kaum größer gewesen sein. Man liest wieder die Berichte der Tagesblätter über die neuen Pfade und Wege, man debattiert, man streitet.

Ja noch mehr: Man geht wieder in die Weihnachtsausstellung hinein.

Was ist nun eigentlich geschehen? Das Österreichische Museum hat einen neuen Direktor erhalten, und dieser neue Direktor hat uns ein neues Gebiet eröffnet. Er hat dem modernen Stil Eingang verschafft, sagen die einen. Er hat den Anglizismus eingeführt, sagen die zweiten. Er betont das Praktische im Gebrauchsgegenstande, sagen die dritten. Wer hat nun Recht? Eigentlich alle. Aber das richtige Wort haben sie nicht gefunden. Er hat, so sage ich, den bürgerlichen Hausrat entdeckt.

Ich weiß, daß diese Erklärung allgemeines Kopfschütteln hervorrufen wird. Haben wir nicht die besten Gegenstände aller Zeiten und wessen Stande sie immer angehörten, gesammelt, in dem Museum aufbewahrt und studiert? Haben wir nicht die besten bürgerlichen Stücke der Gotik, der Renaissance, des Barock, des Rokoko und Empire benützt und nachgeahmt? – Haben wir uns nicht stets bürgerlich eingerichtet?

Nein, das haben wir nicht. Unsere Frauen und Töchter schliefen in einem Bette, in dem schon Maria Antoinette, das unglückliche Kaiserkind, in Trianon von Glanz, Glück und Pracht geträumt hatte. Der Herr Fleischhauermeister blickte mit Stolz auf ein altdeutsches Sofa, dessen Motive der Wandvertäfelung des Prunkzimmers im Rathause zu Bremen entnommen sind und eine Kombination eines Stückchens derselben – die ganze Vertäfelung würde sich ja zu teuer stellen – mit einer gepolsterten Truhe bilden. Und in dem Salon eines wohlhabenden Börseaners räkeln sich die Gäste in Fauteuils, die vollständig jenem gleichen, von dem aus einst Napoleon der Welt seine Gesetze diktiert hat. Sogar das kaiserliche »N« darf nicht fehlen. Und doch hat der Korse diesen Thron nur einmal benützt. Sonst haben er und seine Gäste sich mit weniger anspruchsvollen Möbeln begnügt.

Aber warum ist uns der bürgerliche Hausrat so wenig bekannt? Weil unverhältnismäßig wenig davon auf uns gekommen ist. Denn der Bürger brauchte seine Möbel auf, er benützte sie täglich, und schließlich heizte er damit ein. Für Pracht- und Prunkzimmer hatte er kein Geld. Und wenn doch ein oder das andere Stück sich erhalten hat, so fand sich selten ein Museum, das dem alten Haustiere ein Asyl gewährt hätte. Es zeichnete sich eben weder durch kunstvolle Arbeit, noch durch edles Material aus. Und hatte es sich doch da oder dort ein bescheidenes Plätzchen in einer Sammlung erobert, so wurde es sicher übersehen. Ganz anders das Fürstenmöbel. Das wurde nie oder selten in Gebrauch genommen und zeigte schon seinen vornehmen, nichtstuerischen Charakter dadurch an, daß es Motive der hohen Architektur aufwies und mit reichem Zierrat versehen war. Wenn es aber auch für den praktischen Gebrauch untauglich war, war es doch freilich in seinem Kreise nicht zwecklos. Sein Zweck war, zu repräsentieren und von dem Reichtume, der Pracht, der Kunstliebe und dem Geschmacke seines Besitzers Zeugnis abzulegen. Das Fürstenmöbel hat sich daher zweifellos mit Recht konserviert und bildet den Stolz und die Freude eines jeden Museums.

Von diesen Ausstellungsobjekten nun hat unser Jahrhundert einen falschen Gebrauch gemacht, indem es sie zum praktischen Muster nahm. Die Schranken, die das Königtum dem Hochadel gegenüber, dieser wieder dem niederen Adel und dieser dem Bürgertume gegenüber errichtet hatte, waren gefallen, und jeder konnte sich nach seinem Geschmacke einrichten und kleiden. Es kann uns also eigentlich nicht Wunder nehmen, wenn jeder Hausknecht wie bei Hofe eingerichtet und jeder Kellnerjunge wie der Prinz von Wales gekleidet sein will. Gefehlt aber wäre es, in diesem Umstände einen Fortschritt erblicken zu wollen. Denn die Fürstenmöbel, hervorgegangen aus einem immensen Überfluß, haben große Summen gekostet. Da aber der Allgemeinheit dieser Reichtum nicht zu Gebote steht, so kopiert sie die Formen auf Kosten des Materials und der Ausführung, und die Halbheit, die Hohlheit und jenes schreckliche Ungeheuer, das unserem Gewerbe das ganze Mark aus den Knochen zu saugen droht, die Imitation, hält ihren Einzug.

Und auch das Leben, das wir führen, steht mit den Gegenständen, mit denen wir uns umgeben, im Widerspruche. Man vergißt, daß man neben dem Thronsaal ein Wohnzimmer haben muß. Man läßt sich von den stilvollen Möbeln ruhig malträtieren. Man stößt sich Beulen in die Knie und sitzt sich ganze Ornamente in den Rücken und dort, wo er aufhört. Von den verschieden ornamentierten Handgriffen unserer Gefäße haben wir im Laufe der letzten Jahre zwei Dezennien nacheinander Renaissance-, Barock- und Rokokoschwielen bekommen. Aber wir haben nicht gemuckst, denn jene, die sich dagegen aufgelehnt hätten, wären als Ignoranten und Menschen, denen jedes höhere Verständnis für die Kunst fehlt, an den Pranger gestellt worden.

Allein, was ich hier anrühre, gilt nur für den Kontinent. Drüben, jenseits des Ärmelkanals, wohnte ein Volk von freien Bürgern, das der alten Schranken schon so lange entwöhnt ist, daß Parvenü-Anwandlungen hier keinen Boden mehr finden. Sie verzichteten auf Fürstenprunk und Fürstenpracht in ihren Wohnungen. Kleiderordnungen kannten sie schon lange nicht mehr, und sie fanden daher auch keine sonderliche Befriedigung darin, die Großen nachzuahmen. Ihre eigene Bequemlichkeit ging ihnen über alles. Und unter dem Einflüsse dieses Bürgertums machte sogar der Adel in diesem Lande langsam eine Wandlung durch. Er wurde einfach und schlicht.

Ein Land, das ein so selbstbewußtes freies Bürgertum aufweist, mußte den bürgerlichen Stil in der Wohnung bald zur höchsten Blüte bringen. Die besten Kräfte können sich hier für ihn einsetzen, sie können sich für diese Aufgaben konzentrieren, während in anderen Ländern dem Meister ersten Ranges das Fürstenmöbel zufallen wird, während sich der bürgerliche Hausrat mit Kräften zweiten Ranges begnügen muß. Man betrachte nur die beiden bedeutendsten Musterzeichner Englands und Frankreichs aus derselben Epoche. Nehmen wir zum Beispiel Thomas Chippendale und Meissonier, den Dessinateur Ludwigs XV. Bei diesem finden wir nur Entwürfe für des Königs Prunk- und Festräume, für Chippendale ist schon der anspruchslose Titel eines Kupferstichwerkes charakteristisch: The Gentleman and Cabinetmaker's Director, being a collection of designs of house hold furniture.

Man wird also wohl begreifen, daß in einer Sammlung bürgerlicher Möbel den Engländern der Löwenanteil zufallen muß. Haben sie doch sogar manchem deutschen Bürgermöbel ein Heim bereitet, das seitdem bei uns vergessen wurde und jetzt auf dem Weg über England zu uns zurückkommt. Dafür gibt es interessante Beispiele; eines derselben sei hier erwähnt. Der grellrot lackierte Stuhl mit gelbem Strohgeflecht, der uns heute so enorm englisch anmutet (Sprösselstuhl oder Hühnersteige nennt man ihn bei uns spottweise), findet sich in zahlreichen deutschen Interieurbildern des XVIII. Jahrhunderts, vor allem bei Chodowiecki.

Noch ein anderer Umstand macht die große Zahl der englischen Muster erklärlich. England war auch das erste Land, das gegen die Imitation zu Felde zog. Nun beginnen auch wir langsam, dagegen Front zu machen. Falsche Brillanten und falsches Pelzwerk gelten schon auch bei uns, Gott sei Dank, nicht mehr für fein. Wir müssen es unserer Weihnachtsausstellung danken, daß sie die neue Lehre auch auf die Wohnungseinrichtung anzuwenden uns anregt. Wer nicht das Geld für einen ledergepreßten Stuhl hat, der nehme einfach einen Strohsessel. Mancher wird davor zurückschrecken. Ein Strohsessel, wie ordinär! Nur zu, meine lieben Wiener, ein Strohsitz ist gerade so wenig ordinär wie keine Diamanten oder ein einfacher Tuchkragen am Winterrock. Bloß die imitierten Diamanten, Pelzkragen und Ledersitze, die sind's.

Und so bricht sich denn auch bei uns die Erkenntnis Bahn, daß man, wenn das Geld für das Reiche und Dekorative nicht ausreicht, das Hauptgewicht auf das Solide und Praktische legen muß. Die gemalten Intarsien, die aus Sägespänen und Leim gepreßten Holzschnitzereien, die »Verpfusche dein Heim«-Fenster und andere Patente aus der Rüstkammer der Imitation, die wie hartes Holz gestrichenen Türen und Fenster verschwinden langsam aus dem Bürgerhause. Der Bürgerstolz ist erwacht, das Parventuum kommt nun doch langsam außer Mode.

Der Clou der Ausstellung aber ist ein Interieur, das eine Kompagniearbeit unserer Wiener, des Malers Heinrich Lefler, des Bildhauers Hans Rathausky und der Architekten Franz Schönthaler jun. und Josef Urban bildet. Im Tagesgespräch heißt es kurzweg das Leflerzimmer. Diese kurze Bezeichnung war unbedingt notwendig. Denn die letzten Wochen war sie in aller Munde. Hochumjubelt von den Jungen, tiefgeschmäht von den Alten gilt dieses Zimmer für die erste Regung der Moderne in der schmückenden und angewandten Kunst auf Wiener Boden.

Modern sieht dieses Zimmer allerdings aus. Wenn man aber näher zusieht, ist es nur unser gutes altes deutsches Renaissance-Gschnaszimmer in modernem Lichte. Nichts fehlt: Die Holzvertäfelung mit den aufpatronierten Holzintarsien, der ehemalige altdeutsche Dekorationsdiwan (Gott habe ihn selig), dem immer die angenagelten blechernen Löwenköpfe abgerissen wurden, die mit vieler Mühe und Not den persischen Überwurf hielten, und dessen Römer und altdeutsche Krüge so schön herumwackelten, wenn man die geringste Bewegung ausführte, sie alle, alle wurden mit herübergenommen und haben sich so schön maskiert, daß man sie im ersten Augenblick gar nicht wiedererkennt. Während z.B. beim alten »Dekorationsdiwan« einem altdeutsche Krüge auf den Kopf fallen konnten, fallen jetzt englische Vasen herunter, aber das freilich sicher. Ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, daß damit gewissermaßen die Halbheit vermieden ist und das keramische Gewerbe durch den starken Verbrauch gewinnen muß.

Wir sehen also schon, wo dieses Zimmer hinaus will. Es bringt uns moderne Formen im alten Geiste. Wir haben daher kein Recht, von einem modernen Zimmer zu sprechen. Man hätte der modernen Kunst einen großen Gefallen erwiesen, wenn man alte Formen im neuen Geiste angewendet hätte.

Versuchen wir es, auf die einzelnen Arbeiten überzugehen. Lefler lieferte eine entzückende Tapete, die das weitaus Beste im Zimmer ist. Unsere österreichische Tapetenindustrie hat dem nichts Ähnliches an die Seite zu stellen. Man denke: eine moderne Tapete, die nichts Englisches an sich hat, der man auf den ersten Blick die wienerische Provenienz ansieht. Vorzüglich sind auch die Applikationspolster und die Teppiche. Der Mohairteppich »Drachenkampf« verrät auch ein tüchtiges Beherrschen der Technik. Aber über die Technik strauchelte Lefler schon bei den Entwürfen zu den Glasfenstern. Er lieferte zwei: Das eine nennt sich Aschenbrödel, das andere Dornröschen. Beide verraten ein Schwanken zwischen zwei Techniken, der Glasmalerei und der amerikanischen Arbeit mit Glasflüssen. Das Aschenbrödel wirkt noch harmonisch, da hier die Glasmalerei nur dort angewendet wurde, wo es unbedingt notwendig war, zum Beispiel an den Gesichtern. Aber das Dornröschen ist unverzeihlich. Die gemalte Rosenhecke ist ein Schlag gegen die ehrliche Glasarbeit. Mit welcher Freude würde ein Glastechniker die Gelegenheit ergriffen haben, seine Kunst an den Rosen zu zeigen. Jedes Rosenblatt ein anderer Glasfluß! Diese Rosen schreien nach der amerikanischen Technik, umsomehr, als sie daneben an weniger wichtigen Punkten gezeigt wird. Und daher wirkt dieses Fenster so unharmonisch. Nachahmenswert dünkt mir der Versuch, das Mittelfenster frei zu lassen, um den ungestörten Ausblick ins Freie zu gewinnen. Alles in allem zeigen die Lefler'schen Arbeiten ein frisches Drauflosgehen und ein entschiedenes Talent, sich neuen Techniken unterzuordnen.

Das kann man von den übrigen Arbeiten nicht behaupten. Die imitierten Intarsien in der Wandvertäfelung und die banale Tapeziererarbeit des Plafonds lassen auf einen Mangel an Vornehmheit schließen. Ein prächtiger Hochzeitsschrank wird durch künstlich patinierte Bronzereliefs verdorben, die, wenn echt, der Reinlichkeit ihres Besitzers kein gutes Zeugnis ausstellen würden. Man bedenke doch, daß sich die grüne Patina auf den Bronzegegenständen durch das jahrtausendlange Liegen in der feuchten Erde gebildet hat, daß sie aber vollständig fehlte, solange die Gegenstände noch im Gebrauche waren. Von unseren Modernen könnte man doch erwarten, daß sie diesem archaisierenden Schwindel entgegentreten. Über das Bordbrett als Bekrönung des leicht gearbeiteten Sofas habe ich schon eingangs gesprochen. Auch die Uhr, auf der man nicht die Zeit ablesen kann, ist vertreten. Früher war das des »stilvollen« Zifferblattes wegen unmöglich, jetzt, weil es viereckig ist.

Man würde daher unrecht tun, wenn man für dieses Zimmer die moderne Innendekoration verantwortlich machen wollte. Der moderne Geist verlangt vor allem, daß der Gebrauchsgegenstand praktisch sei. Für ihn bedeutet Schönheit die höchste Vollkommenheit. Und da das Unpraktische niemals vollkommen ist, so kann es auch nicht schön sein. Zum zweiten verlangt er unbedingte Wahrheit. Ich habe ja oben schon gesagt, daß die Imitation, die Pseudoeleganz, Gott sei Dank, endlich unmodern wird. Und drittens verlangt er Individualität. Das heißt, daß sich im allgemeinen der König wie der König, der Bürger wie der Bürger und der Bauer wie der Bauer einzurichten habe und daß im besonderen wieder jeder König, jeder Bürger und jeder Bauer seine Charaktereigenschaften in seiner Wohnungseinrichtung zum Ausdrucke bringen soll. Die Aufgabe moderner Künstler ist es, den Geschmack der Menge innerhalb seiner verschiedenen charakteristischen Standesabstufungen zu heben, indem sie die Bedürfnisse der jeweilig geistig Vornehmsten erfüllen. Haben das unsere vier Künstler getan? Entspricht ihr Damenzimmer der Vornehmheit an der Aristokratin? Nein. Der Vornehmheit an der Fabrikantin auch nicht, und schon gar nicht der Vornehmheit an der Bürgersfrau. Es scheint vielmehr, daß sich in dieser billigen Eleganz doch noch einmal der alte Geschmack des Parventuums geregt hat. Hoffentlich zum letztenmale.


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