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Wohnung

Wenn wir die Tischlerei auf derselben Höhe hätten wie unsere Bekleidungsindustrie, dann würde sich der Vorgang bei Anschaffung eines Schrankes vielleicht folgendermaßen abspielen: Wir haben zu viel Kleider. Wir brauchen einen Schrank. Wir gehen daher zum Tischlermeister. »Guten Tag, Herr Meister!« »Guten Tag, meine Herrschaften! Was verschafft mir das Vergnügen?« »Wir brauchen einen Schrank. In unserem Schlafzimmer haben wir an einer Wand noch 1,60 m Raum. Wie viel Türen könnte der Schrank haben?« »Dann könnte er drei Türen haben. Wollen Sie ihn zum Hängen oder Legen? Haben Sie Kleider oder Wäsche unterzubringen?« »Beides. Wir denken, zwei Türen zum Hängen und eine Türe für die Wäsche.« »Dann rate ich Ihnen, die Bretter für die Wäsche ausziehbar zu machen, weil man sonst schlecht dazu kommt.« »Ganz gut – aber ist das nicht teuerer?« »Etwas. Aber die Differenz ist zu unbedeutend. Wie hoch soll der Kasten sein?« »Was raten Sie uns?« »Wir machen gegenwärtig die Schränke zwei Meter hoch. Da haben Sie über den Kleiderhaken noch genügend Raum für Hutschachteln.« »Ach ja, den brauchen wir dringend. Und nun das Wichtigste: der Kostenpunkt.« »Das kommt auf das Material, die Ausführung und das Futter an.« »Wie meinen Sie das, Meister?« »Nun, ob Sie ihn in Eiche oder Palisanderholz, matt oder poliert, innen wie außen oder in billigerer Art furniert haben wollen.« »Können wir Holzproben sehen?« »Gewiß, hier sind sie.« »Ich sehe nur Naturhölzer. Ich dachte mir etwas wie grün oder violett gebeizt.« »Das war einmal, gnädige Frau, als sich die Leute noch secessionistisch einrichteten. Das ist nun längst vorbei. Die Leute, die so unglücklich waren, das zu tun, schämen sich jetzt dieser Möbel und suchen sie so schnell als möglich loszuwerden. Gegenwärtig empfindet man es als Brutalität, edles Mahagoni oder Palisanderholz grün zu beizen. Und auch für das einfache Ahornholz beginnt man Verständnis zu gewinnen. In dieser schrecklichen Zeit, die wir nun glücklich hinter uns haben, wurden sogar Lederkoffer grün oder violett gebeizt. Die unglücklichen Besitzer solcher Geschmacklosigkeiten schämen sich heute vor dem Gepäcksträger und lassen sie zu Hause. Damals waren sie fein heraus. Die halbe Presse deckte ihnen den Rücken und man mußte das Maul halten, wollte man nicht als Feind der Kunst und des Fortschrittes verschrien werden.« »Sie haben recht, Meister! Ein Schrank soll doch mindestens so lange halten als ein Koffer.« »Das denke ich auch. Meine Arbeit ist teuer, aber gut. In diesem Holze kostet der Schrank ohne Beschläge so und so viel, in diesem soviel.« »Wir wählen dieses Holz, außen und innen gleich.« »Ich werde Ihnen morgen einen Kostenanschlag senden. Ich hoffe, er wird Sie zufriedenstellen.« »Das hoffen wir auch. Auf Wiedersehen, Meister!« »Ich empfehle mich Ihnen, meine Herrschaften!«

Sie sehen, über den Stil wurde nicht gesprochen. Man meinte stillschweigend den Stil vom Oktober 1903. Sowie man auch noch nie einen Frack im Renaissancestil bestellt hat. Und warum soll der Gegenstand, in dem man ihn aufzubewahren gedenkt, anders behandelt werden als der Gegenstand, der aufbewahrt wird?


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