Hermann Löns
Der zweckmäßige Meyer
Hermann Löns

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Der Bürgervorsteher

Es geht ein Mann rum im Distrikte,
Den Hut, den hat er in der Hand,
Er grüßt die Herren sehr verbindlich,
Er grüßt die Damen sehr galant.
Er ist in ewiger Bewegung,
Die halbe Nacht, den ganzen Tag.
Er frequentiert jedwede Penne,
Verzehrt da viel mehr, als er mag.
Er schnackt jedwedem nach dem Munde,
Macht sich nach Möglichkeit gemein,
Der Mann, der möchte nämlich gerne
Vertreter des Distriktes sein.
Denn das gibt Folie, das gibt Stellung,
Das kleidet gut und läßt so schön,
Dafür kann man ja ab und zu auch,
Wenn's grade paßt, zur Sitzung gehn.

Nicht nur die Politik, auch die Kommunalpolitik verdirbt den Charakter, sie ändert ihn wenigstens ganz mächtig. Das sehe ich an Schorse. Dieser Dickkopf ist plötzlich eine anderer geworden. Ich weiß nicht, wer ihm das eingeblasen hat, daß er kommunales Talent und ein städtisches Genie sei, aber ich weiß es bestimmt, daß er sich um eine sella communalis bewirbt und infolgedessen seinen Charakter umgekrempelt hat, wie einen ausgezogenen Strumpf.

Schorse war für mich immer das Urbild des konservativen Pfahlbürgers. Steif und stur ging er durch das Leben, sah nicht nach rechts, sah nicht nach links, war den Tag über in seiner bedächtigen Art fleißig im Geschäft und abends in derselben Weise fleißig bei der kleinen Lage, immer in demselben Lokale, wo er auf demselben Fleck saß, den schon sein Vater und sein Großvater glatt und blank gesessen hatten. Er sagte glatt und gerade jedem seine Meinung, grüßte in der gleichmütigen Art des Mannes von guter bürgerlicher Nahrung und bemühte sich um keines Menschen Gunst.

Es ist anders geworden. Ich kenne den Mann nicht mehr wieder. Er vernachlässigt sein Geschäft, frequentiert alle Lokale seines Distrikts, in denen stimmfähige Bürger verkehren, bemüht sich, allen Menschen ein Wohlgefallen zu sein, grüßt jedes Gebein, das Bürger, Bürgersfrau, -Kind, -Tante, -Onkel, -Nichte, -Neffe, -Vetter und -Base ist, in einer Weise, als wäre er des oder der Begrüßten leibeigner Knecht. Ein Chamäleon ist Waisenknabe gegen ihn und ein Laubfrosch ein Stümper in der Fähigkeit, die gewünschte Farbe zu bekennen. Eines Abends sprachen sie da in der kleinen Hinterstube über die Straßenbahn. Siebenmal änderte Schorse seine Meinung, je nachdem, ob einer für oder gegen die Straßenbahn Partei nahm. Ich aber war empört und sagte ihm meine Meinung, er aber feixte wie ein Baumaffe und sagte, er wüßte schon, was er täte.

Ja, wie ist Schorse dazu gekommen, sich zu einer Kandidatur zu versteigen. Der Ascheneimer ist schuld daran. Bisher war er immer ein friedlicher Bürger gewesen, aber als er in Strafe genommen wurde wegen eines in Gedanken stehen gebliebenen Ascheneimers, da riß ihm die Geduld. Seine liebe Dorette hörte entsetzt, daß er im Kontor dröhnschrittig auf und ab ging und mit sich selber sehr laut sprach, und es schien ihr, als ob er eine Rede halte.

Und dem war auch so. Und als der Bürgerverein des Distriktes tagte, da ging Schorse, wie immer, hin. Sonst hatte er immer still an seinem Platz gesessen, langsam geschmökt und langsam getrunken, nie einen Ton gesagt und stets mit der Majorität gestimmt. Aber als diesmal am Schluß der Tagesordnung die Rubrik »Verschiedenes« angesprochen wurde, da trat Schorse zum erstenmal als Redner auf. Seine Stimme war allerdings so belegt, wie ein Schinkenbutterbrot in der guten alten Zeit, sein Gesicht hatte eine apoplektische Farbe, in seinen Händen vibrierte der Tatterich, und was er sagte, klang anfangs etwas schleierhaft und erinnerte an die Orakel zu Delphi, aber allmählich ging es, und als er sich setzte und mehrere gutmütige Leute »Bravo« riefen, da wußte er, was er war.

Der kommenden Mann! Das hatte ihm der Wirt gesagt, als Schorse nachher die dritte Runde bezahlte. Und die, die davon genossen, stimmten bei. Und von dem Tage an war es aus mit seiner Herzensruhe. Er wollte was anders sein, als eine Null unter Nullen. Eine prominente Persönlichkeit wollte er werden, Sitz und Stimme haben in Rate der Weisen, und groß wollte er sein vor allem Volke.

Von da ab ging keine Vereinssitzung hin, ohne daß Schorse nicht das Wort ergriff. Er sprach zu jedem Punkte der Tagesordnung und war so schlau, nie gegen einen Redner zu sprechen. So wurde er allmählich bekannt als eifriger Distriktonkel, und bei der Vorstandswahl kam er auch glücklich hinein.

Es ist erreicht! jubelte er innerlich. Alsbald wurde er als Deputierter zum Magistrat geschickt und kam geschwollener denn je nach Hause. Er wurde ein überaus fleißiges Kommissionsmitglied seines Vereins, und es gab keine kommunale Frage, in der er bald nicht besser Bescheid wußte, wie der Ressortsenator. Die Wahlen kamen heran. Schorse sah ein, daß er Männer haben müsse, die für ihn Stimmung machen sollten. Er fand sie bald. Da war der Kaufmann, von dem er nahm, da waren der Schneider und der Schuhmacher, bei denen er arbeiten ließ, und der Wirt, bei dem er seinen Abendschoppen trank. Diese gründeten ihn. Eine Kanditatur auf Aktien. Hier und da wurde ein empfehlendes Wort fallen lassen. Dann wurden in einer Versammlung die Kandidaten genannt. Aber einer verzichtete zugunsten Schorsens. Das war der Kaufmann. Das imponierte allen Anwesenden mächtig, und die Folge war, daß sie dem uneigennützigen Mann die Stimme gaben. Und der sagte, er wollte dem Wunsche der Mehrheit willfahren.

Schorse war falsch. Nun galt es seine Ehre. Was er an engeren Bekannten hatte, wurde bearbeitet, und der Kampf ging los. Man schnitt sich, man boykottierte sich gefährlich, man griff sich in den Versammlungen an. Man schickte Artikel in die Zeitungen, man bearbeitete alle Bürger für und gegen die beiden Kandidaten. Und als die große Distriktversammlung zustande kam, siehe da, da zeigte es sich, daß die Bürger des Gezankes müde waren, und die Mehrzahl stellte einen anderen, von dem gar kein Wesens gemacht war, als Kandidaten auf. Wie die Sache nun weiter wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß Schorse zum ersten mal in seinem Leben an Schlaflosigkeit leidet, daß er Ringe um die Augen hat, wie ein Student nach dem Fackelzug, und daß ihm seine Weste zu weit geworden ist. Ich habe ihm gesagt, er sollte seine Kandidatur zurückziehen, aber er ist ein Mann von Charakter, er will mit Ehren durchfallen. Ach ja, Popularität ist ein Ding, das man nicht kaufen kann. Sie muß schwer erworben werden. Da hat sich z. B. in einem Distrikt ein Bürger seit Jahren in der uneigennützigsten Weise der Interessen der Bürger angenommen. Es ist selbstverständlich, das er, nun der alte Vertreter abdankt, aufgestellt wird. Aber da sind Leute, denen ist er zu einfach, zu bürgerlich. Und sie gehen herum und machen Stimmung für einen anderen, der sich noch nie einen Deut um kommunale Dinge gekümmert hat. Und sie finden geneigte Ohren und beifällig murmelnde Lippen. Aber wenn der Tag der Wahl kommt, dann wird der Bürger dem Mann die Stimme geben, der seit Jahren für die Distriktinteressen gearbeitet hat, und nicht einem Herrn, der ganz urplötzlich das Bedürfnis fühlt, Bürgervorsteher zu werden, weil ihm sein Beruf Zeit genug dazu läßt und er einen anderen Sport nicht hat, und der nun auf einmal leutselig wird.

Und da sagen sie: es muß auch ein Arzt ins Kolleg. Blech! Wieso? Wenn einem mal schlecht wird bei der Sitzung? Schulärzte haben wir schon, sollen wir denn auch noch Kollegienärzte haben? Wir brauchen in dem Bürgervorsteherkolleg weder Ärzte noch Juristen, weder Handwerker noch Fabrikanten, weder Maurermeister noch Architekten, weder Kaufleute noch Bankiers, Männer brauchen wir, ganze Kerle. Und ich meine, unter den Kandidaten den richtigen Mann herauszufinden, dazu braucht man doch nur ein paar gesunde Augen.

Bei den alten Römern gab es berufsmäßige Agitatoren, die aus der Wahl eine Geschäft machten. Sie lieferten den Kandidaten das nötige Stimmvieh. Ganz soweit haben wir es noch nicht gebracht, aber beinahe. Aber bei uns gibt es Agitatoren, die für allerlei Gefälligkeiten Stimmung für die Kandidaten machen, für den Kandidaten, der gern dies oder das werden will. Und ist er es geworden und zeigt sich undankbar und gab nicht genug aus, dann agitiert derselben Mann gegen ihn, will er weiter auf der kommunalen Leiter.

Und das ist recht. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. Feste Tarife für Wahlagitation sind not. Ich schlage folgende vor:

  1. Privatagitation. Gewinnung von Stimmung, pro Stück 3 Mark und Auslagen.
  2. Versammlungsagitation. Pro Rede 50 Mark, bei günstiger Abstimmung 75 Mark.
  3. Wahlagitation. Bei Erfolg 300 Mark für die Bearbeitung der Wähler.
  4. Unschädlichmachung des Gegners durch Verführung zu Gelagen am Tage der Wahlreden, durch Lächerlichmachung in Versammlungen, pro Stück 50 Mark.

Es muß überall geregelt hergehen, und es ist die höchste Zeit, daß in dieser Sache etwas geschieht.


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