Hermann Löns
Der zweckmäßige Meyer
Hermann Löns

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Ein Liebeslied

Vor meinen Fenster sitzt ein Spatz und sagt in einem Ende: »Schilp, schilp, schilp, schilp.« Zweimal habe ich ihn schon fortgejagt, denn das ewige Geschilpe und Geschelpe störte mich; aber er kommt immer wieder und sagt das einzige Lied, das er auswendig kann, auf.

Gestern war er auch schon da und vorgestern desgleichen, und morgen wird er ebenfalls da sein und übermorgen erst recht, und er wird da sitzen und schilpen den einen wie den anderen Tag, bis er seinen Zweck erreicht hat und eine Spatzenfrau sein eigen nennt.

Denn darauf läuft die ganze Geschichte hinaus. Mit Speck fängt man Mäuse und mit Schilp und Schelp Spatzenfrauen. Man sollte es nicht glauben, aber es ist so. Diesen beiden langweiligen und keineswegs stimmungsvollen Tönen kann auf die Dauer kein Spatzenweibchen widerstehen.

Ich weiß nicht, ob ein Buch über das Liebeslied gibt; aber ich weiß, wenn es geschrieben wird, so muß es mit Schilp und Schelp beginnen, will es Anspruch auf Gründlichkeit machen. Wenn es mit dem Gesang der Nachtigall anfängt, so beweist der Verfasser, daß er keine Ahnung von dem Wesen des Liebesliedes hat, daß er von persönlichen Empfindungen und nicht von allgemeinen Gesichtspunkten ausgeht.

Denn der Begriff des Liebesliedes hat mit Schönheit, Kunst und Ästhetik nicht das mindeste zu tun. Sänge mein Fensterspatz wie eine Nachtigall, eine Lerche oder eine Märzdrossel, wetten, daß er eine vollkommene Pleite erleben würde? Daß er bei keiner Spatzenjungfer auch nur für fünf Pfennige Eindruck schinden würde? Daß er sich vielmehr im höchsten Maße lächerlich, wenn nicht sogar in weiteren Kreisen unbeliebt machen würde? Vielleicht für übergeschnappt erklärt und weggebissen, oder gar wegen unspatzigen Auftretens vom Leben und Tode gebracht würde? Dasselbe würde natürlich eintreten, gäben Nachtigall, Rotkehlchen und Märzdrossel ihren Gefühlen auf spatzenhafte Weise Ausdruck. Wenn der betreffende Nachtigall-, Rotkehlchen- und Märzdrosselhahn auch sonst nach jeder Hinsicht ein Prachtexemplar seiner Art wäre, sein Lebelang bliebe er Junggeselle.

Horch, was ist denn das da draußen? »Pink, ping, pink, ping, pink, ping« geht es. Das ist die Kohlmeise. Dieweil die Sonne so schön scheint, kommt sie jetzt schon auf Frühlingsgedanken und verabsäumt es nicht, ihnen auf ihre Art lauten Ausdruck zu geben. Und was fällt der Krähe denn da auf dem Dachfirste ein? Die stellt sich gerade so an, als ob sie etwas sehr Unbekömmliches gegessen hätte und ihr infolgedessen zum Sterben übel geworden wäre. Der Zweck dieser seltsamen Übung ist nun etwa nicht eine Regelung der Verdauungsverhältnisse, sondern ihr liegt die Absicht zugrunde, dadurch zu näherer Verbindung mit einer gleichgestimmten, aber weiblichen Seele derselben Art zu gelangen, ein Bestreben, das, wie ich bemerkte, des Erfolges nicht entbehren wird, denn auf dem anderen Ende des Daches läßt sich soeben eine zweite Krähe nieder, die mit viel Gefühl und Verständnis die schnurrige und nach menschlichen Begriffen keineswegs wohllautende Huldigung entgegenzunehmen geruht.

Wie die Sonne doch schon heizt! Ich muß wahrhaftig das Fenster öffnen. Sieh da, sieh da! Da ist ja auch schon ein Starmatz! Stellt der sich aber blödsinnig an! Plustert die Kehle auf, klappt mit den Flügeln und gibt Töne von sich, die einem durch Mark und Bein gehen, und die, horcht man genauer darauf, im Grunde wenig angenehm klingen und bald an das Quietschen einer schlecht geschmierten Schiebkarre, bald an das Knarren einer verrosteten Wetterfahne erinnern, ihren Zweck aber vollkommen erfüllen, denn auf dem Nistekasten sitzt die Starin und tut furchtbar geschmeichelt. Sie tut aber nicht bloß so, sie ist es auch, denn Schiebkarre hin, Wetterfahne her, gerade die Töne, die ihr blitzblanker Anbeter von sich gibt, sind die einzigen, bei der es ihr warm unter dem Brustlatz wird. Heute nacht, als ich gerade so im mittelsten und besten Schlafe war, träumte ich, ich hätte mich im indischen Dschungel verlaufen, die Nacht brach herein, und ich kletterte auf einen hohen Baum und lauschte zitternd und zagend und zähneklappernd dem Quarren der Panther und dem Gekreische der Pfauen. Da mir die Lage, in der ich mich befand, zu ungemütlich war, beschloß ich aufzuwachen, was mir auch nach einigen Bemühungen gelang, aber das Quarren und Kreischen hörte darum doch nicht auf, im Gegenteil, es nahm an Umfang und Stärke zu. Die Veranstaltung ging von zwei Katern aus, die einer Katze, die in dem alten Birnenbaume saß, wie ich bei dem hellen Mondlichte feststellen konnte, auf diese Weise zu verstehen gaben, wie reizendschön sie sie fänden. Als das Doppelständchen sich gerade auf dem Höhepunkt befand, wurde im Nachbarhause ein Fenster geöffnet und eine Kanne Wasser auf die verliebten Katzentiere entleert, worauf der Lärm aufhörte, um im nächsten Garten sofort wieder zu beginnen.

Da ich nicht sofort das abgerissene Ende meines Schlummers wiederfinden konnte, dachte ich über das Liebeslied eines vor einigen Hunderten Jahren aus diesem Leben geschiedenen Arabers nach, der bei der Aufzählung der Reize seiner Angebeteten besonders erwähnt, daß ihr Gang dem eines Dromedars ähnele, daß ihre Augen an die einer Eselin erinnern, wie köstlich die Schweißtropfen auf ihrem Halse wirkten, sowie daß der Knoblauchduft ihres Atems alle Düfte der Blumen übertreffe, und ich dachte mir, was wohl ein junges Mädchen unserer Art sagen würde, sänge man sie auf diese Weise an. Aber als fachlich und allgemein denkender Mensch fragte ich mich auch, was die betreffende Arabermaid wohl für runde Augen gemacht haben würde, stülpte einer von den Dichtern unserer Tage einen gehäuften Verskorb mit schöngebundenen Gefühlen vor ihr aus, und ich konnte mich der Annahme nicht verschließen, daß der Erfolg mindestens recht mäßig ausfallen würde.

Es gibt ein uraltes Sprichwort, so da lautet: »Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen.« Wie wahr ist es! Und wie wenig denkt der Mensch daran, führt er seine Gedanken in der Natur spazieren. Weil er den Gesang der Nachtigall schön findet, so erklärt er ihn schön, ohne aber den Beweis dafür zu erbringen, daß er nun auch wirklich schön ist. Und warum hält er ihn für schön, obwohl die Nachtigall glucksende, schnarrende und quiekende Töne neben ihrem Geflöte von sich gibt und fortwährend große Pausen macht? Nur weil sie gewisse Flötentöne hervorbringt, die denen, die der Mensch selber pfeifen kann, ähneln. Und da Amsel und Märzdrossel in ähnlicher Weise pfeifen, so steht es für ihn fest, daß diese Vögel Singvögel sind. Heult aber der Waldkauz noch so zärtlich, röchelt die Schleiereule noch so süß, brüllt die Dommel noch so ergreifend, so bedeckt sich der Mensch mit einer Gänsehaut und erklärt diese Laute für ungebildet, störend und unziemlich, und nur deshalb, weil er eine zu unbiegsame Stimme hat, um sie nachahmen zu können. Aber sich hinzusetzen, nachzudenken und zu dem Ergebnisse zu kommen, daß Waldkauz, Schleiereule und Dommel sich nicht nur in ihren, sondern auch in weiteren Kreisen unsterblich lächerlich machen würden, gäben sie ihrer Liebessehnsucht nach Art der Nachtigallen, Amseln und Märzdrosseln Ausdruck, das fällt ihm in seiner Eingebildetheit nicht ein.

Es ist ein wahrer Segen, daß der Weltenschöpfer die Beschaffung von Tieren nicht in die Hand des Menschen gelegt hat, denn es wäre ein schöner Blödsinn dabei herausgekommen, weil der Mensch dann lauter Vögel erfunden hätte, die so pfeifen, wie ihm selber der Schnabel gewachsen ist, und das wäre nicht zum Aushalten, sonder zum Auswachsen gewesen. Glauben Sie, daß er auf den Gedanken gekommen wäre, dem Specht das Trommeln beizubringen? Ich nicht! Wahrscheinlich hätte er ihn gezwungen, wie ein Schusterjunge oder ein Scherenschleifer zu flöten, und nun denken Sie sich bloß einmal einen flötenden Specht! Ebensogut können Sie sich ein nach Veilchen duftendes Automobil oder einen Vanilleeis essenden Eskimo einbilden. Oder stellen Sie sich bitte einmal vor, wie es sich machen würde, schlüge der Storch wie eine Nachtigall oder zwitscherte die Gans wie ein Stieglitz! Und denken Sie sich, wie langweilig und stumpfsinnig die Natur wäre, wären alle Vogellieder nach den Gesetzen des Kontrapunktes komponiert und jeder Piepmatz, vom Adler bis zum Zaunkönig, würde richtige Melodien verzapfen oder womöglich moderne Programmusik, bei der man sich etwas Bestimmtes denken kann, wenn man will, oder muß, wenn man nicht will! Zum Verrücktwerden wäre das.

Im zoologischen Garten zu Hannover ist ein australischer Flötenvogel, der pfeift von früh bis spät das Lied: »Lott ist tot.« Sein früherer Wärter hat es ihm beigebracht, und der Mann war sehr stolz darauf. Aber nach einem Vierteljahre hatte er genug davon. Wo er ging und stand, hörte er nichts und weiter nichts als: »Lott ist tot, Lott ist tot, Jule liegt im Sterben; das ist gut, das ist gut, gibt es was zu erben.« Alles, was er tat, ob er die Vögel fütterte oder sich selber, ob er sich die Nase oder die Fensterscheiben putzte, bewerkstelligte er nach dem Takte von »Lott ist tot«, sogar einen Lottisttotgang hatte er sich angewöhnt. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ließ sich zu den Löwen versetzen, um einmal etwas anderes zu hören. Aber es kam ihm so vor, als ob auch die Löwen »Lott ist tot« brüllten, und so blieb ihm, um nicht irrsinnig zu werden, nichts übrig, als seine Stelle aufgeben und Straßenbahnführer zu werden. Aber wenn er klingelt, hört man noch ganz deutlich das »Lott ist tot« heraus.

So und nicht anders würde es uns auch gegangen sein, hätten wir darüber zu befinden gehabt, wie jeder Vogel singen soll; wir wären alle miteinander mit erblicher Verrücktheit belastet und hätten wahrscheinlich sämtliche Vögel mit Feuer und Schwert vertilgt. Und deshalb will es mir so scheinen, als ob die Vogelschutzvereine nicht ganz auf dem richtigen Wege sind, denn die teilen die Vögel in zwei Gruppen ein, in Singvögel und in solche, die nicht singen, und die einen fördern sie nach der Schwierigkeit, wogegen sie sich um die anderen entweder gar nicht kümmern oder die, die sich ab und zu einmal einen Singvogel zu Gemüte führen, auf die schwarze Liste setzen und mit Mord und Totschlag bedrohen.

Daß aber ein jeder Vogel singt, und daß jeder nicht so singen kann, wie es von den Vogelschutzvereinen als vorschriftsmäßig und angemessen erachtet wird, daran wird nicht gedacht, und wenn ein Häher einmal einen jungen Spatzen oder eine Elster eine junge Lerche mit nach Hause nimmt, dann ist das Geschrei sehr groß, obwohl es mehr Spatzen als nötig gibt und die Lerche der allerhäufigste Vogel ist. Und dabei weiß der Häher, zwickt ihn die Liebe, ganz allerliebst zu singen, und die Elster, befindet sie sich in demselben Zustande, drückt sich so aus, daß die Elsterin das für die Höhe aller Liebeslyrik erachtet, und ich muß sagen, das verliebte Geplauder des Hähers und das noch verliebtere Geplapper der Elster höre ich lieber als das ewige und ewige Geflöte der Amsel und das unaufhörliche Gepfeife des Stares, zweier Vögel, die von den Vogelschutzvereinen im Großbetrieb gezüchtet werden, so daß jetzt auf jedem Baum mindestens eine Amsel und auf jeden Dach wenigstens drei Starmätze sitzen, was mir schon lange nicht mehr paßt, denn ich schätze die Abwechslung und mag nicht immerzu und überall Amselgeflöte und Starengepfeife anhören, denn das kann ich schon mehr als auswendig und bin dessen überdrüssig.

So überdrüssig, daß es für mich eine Erholung ist, höre ich die Katzen quarren und die Eulen heulen, und während mich die Liebeslieder von Star und Amsel kalt bis an den Kragen lassen, wird mir das Herz dicker, höre ich im Teiche die Frösche prahlen oder im Moore die Nachtschwalbe schnarren. Und wenn die Bekassine ihre Schwanzfeder als Kastagnetten benutzt, um ihrem Weibchen ihre Gefühle darzulegen, wenn der Birkhahn zischt wie ein Luftreifen, der sich einen Hufnagel eingetreten hat, um die Birkhenne seiner Verehrung zu versichern, wenn der Ringeltäuber zu diesem Behufe sich auf die Bauchrednerei verlegt und der Specht zu demselben Endzwecke wie ein Hosenmatz darauf losschlägt, dem der Weihnachtsmann soeben die erste Trommel gebracht hat, und der Bussard wie eine junge Katze schreit und der Storch wie eine Kaffeemühle rattert, oder der Rohrspatz den Storch nachäfft und der Schwirrl der Heuschrecke, dann stelle ich mich nicht hin und sage: »Gut!« oder »Befriedigend!« oder »Ausreichend!« oder »Ungenügend!«, denn ich bin nicht im Vogelschutzverein und darum nicht auf eine bestimmte Art von Vogelmusik geeicht, sondern ich freue mich, daß jedes Tierchen seine eigene Art hat, sich lyrisch auszudrücken.

Deshalb will ich den Spatzen vor meinem Fenster nicht fortjagen, sondern ihm eine Handvoll Hanfkörner hinstreuen.

Der Spatz ist keine Nachtigall, aber Schilpschelp ist ein Liebeslied.


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