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Der Markwarr

Es ist still im Walde, feierlich still. Der Wind hat sich gelegt, das Schneetreiben hört auf. Es fallen nur noch einige verlorene Flocken aus dem immer heller werdenden Himmel, an dem jetzt die Sonne zum Vorschein kommt. Die Stämme der alten Buchen schimmern in ihrem Scheine wie Silber, das Laub der jungen Bestände lodert goldrot auf, sogar die kalten Klippen bekommen eine warme Farbe, und grell leuchten die gelben Flechtenkringel an ihnen.

Es ist so heimlich still, daß das schüchterne Gepiepse der winzigen Goldhähnchen, die in den Wipfeln der Tannen umherflattern, und das bescheidene Locken der Goldfinken, die an dem Hange entlangstreichen, weithin vernehmbar ist. Sogar die Rötelmaus, die über das Fallaub huscht, verursacht ein auffälliges Geräusch, und das Klopfen des Spechtes hört sich an, als geböte er Schweigen. Da gellt ein Gekreisch durch die Stille, ein scharfes, schneidendes Gekreisch. Vom oberen Hange kommt es, wird weiter unten aufgenommen, und setzt sich bis dahin fort, wo die Dickung an das helle Holz stößt. Noch einmal erschallt es, aber schwächer, und dann ist es wieder still bis auf ein kurzes, halblautes Geraschel zwischen den moosigen Felsbrocken.

Hier treten drei Rehe umher, freuen sich des Sonnenscheines und plätzen im Dürrlaube nach Buch. Als das Gekreisch begann, hoben sie die Köpfe, sicherten einen Augenblick, und nun schlagen sie weiter das Altlaub fort, ab und zu eine Buchnuß aufnehmend und zermahlend. Auch der alte Amselhahn, der nicht weit von ihnen im Moose nach Schnecken scharrt, hat aufgemerkt, kratzt nun aber weiter. Er weiß es, daß ihm keine Gefahr droht; sonst würden die Markwarte nicht sobald aufgehört haben, zu warnen.

Einer von diesen, welcher zuerst meldete, als die Rehe unsichtbar für ihn in den Jungbuchen entlang zogen, schwebt jetzt, wie ein märchenhaft großer bunter Schmetterling aussehend, mit lautlosem Fluge zu Boden, stochert mit dem starken Schnabel im Laube umher, füllt sich den Kropf mit Buchnüssen, fliegt auf ein Felsstück, würgt die Nüsse wieder heraus, klaubt sie auf und verzehrt den Inhalt. Herrlich ist er anzusehen. Das Rumpfgefieder ist zart rötlichbraun, die schwarzweißen Flügel haben himmelblaue, zierlich gestreifte Achseln, der Grund des Schwanzes ist ebenso geziert, und die gelblichweiße Holle ist schön dunkel getüpfelt.

Nun ist der Häher mit seinem Frühstück fertig. Ein Weilchen hockt er ruhig da, zupft dann ein Federchen zurecht, sträubt darauf den Stirnschopf, bringt ein paar leise Quietsch- und Schnalztöne hervor, nimmt ein dürres Zweigchen, wirft es in die Luft, hopst auf alberne Art auf dem Felsbrocken hin und her, macht einen Knicks, schnalzt und quietscht wieder, legt die Haube an, macht sich ganz klein und dick, ist auf einmal wieder groß und dünn, richtet die Haube auf, späht nach der Klippe, kreischt gellend auf und flattert, so schnell er kann, in die alte Samenbuche hinein, von wo aus er gellend zetert, fortwährend dabei von Ast zu Ast hüpfend und immer nach der Klippe spähend.

Sein Warnruf findet überall Antwort. Aus den Fichten kommt ein Häher geschwebt, läßt sich auf der krummen Linde, die aus der Felsspalte herausragt, nieder, reckt sich fast den Hals aus und schimpft aus Leibeskräften. Noch ein Häher taucht auf, und ein dritter, vierter und fünfter; oben am Hange, rechts und links und unten im hohen Holze keift und kreischt und zetert es. Nun legt auch der Amselhahn, der sich in den krausen Holderbusch geflüchtet hat, los und schimpft, was er kann, der Zaunkönig schnarrt dazwischen, die Meisen fallen ein, der Buntspecht warnt ebenfalls, und die Krähe, die ernst und würdevoll auf der Spitze der höchsten Buche über dem Hange sitzt, stößt einen heiseren Wutschrei aus.

Sobald der Häher aufkreischte, hoben die drei Rehe zwischen den Felstrümmern die Häupter und äugten unverwandt dahin, wohin der bunte Vogel hinschrie. Als dessen Sippe dort immer heftiger warnte, traten sie recht unruhig hin und her, und nun flüchten die beiden Kitze, von der Ricke angetrieben, in das Altholz hinein, wo sie, eng aneinandergedrängt, eine Weile stehen bleiben, und nun weiter bergab trollen, ab und zu verhoffend und hinter sich sichernd. Auch ein Hase, der hinter einem halb verrotteten Wurfboden im Halbschlafe lag, richtet sich auf, läßt die Lauscher spielen und hoppelt schließlich langsam, scheinbar verdrossen, zu Tale. Ein Eichkätzchen, das mit einem Tannenzapfen im Maule dahergehüpft kommt, erklimmt eilig eine Fichte und birgt sich in deren Wipfel.

Immer schärfer und schneidender wird das Gekreische, bleibt bald auf derselben Stelle, zieht sich dann langsam den Hang entlang, schwillt an, ebbt ab und verdichtet sich nun zu einem wahren Tollhauslärm. Es gilt dem Fuchse, der bei dem scharfen Winde und dem wilden Schneetreiben die Nacht über im Bau geblieben war und den jetzt der Hunger hinaustrieb. Er will zusehen, ob er nicht ein laufkrankes Reh reißen oder einen Hasen im Lager übertölpeln kann, oder, hat er damit kein Glück, ein paar Mäuse zu haschen vermag. Er steht am Rande der Dickung, schnuppert in der warmen Rehfährte umher und schielt verdrießlich nach den bunten Waldpolizisten, die ihm, wie so oft, den Pirschgang zu verderben drohen. Dreimal hat er, des Lärmes satt, einen Tannenhorst angenommen und da gewartet, daß die Schreihälse sich verziehen sollten; sobald er aber den Kopf herausstreckte, ging das Geschimpfe von neuem los.

Er sieht ein, daß es auf diese Weise nicht geht, verschwindet in der Dickung, drückt sich in eine schmale, von Bergholder überwucherte, von Waldrebe besponnene Schlucht hinein und kommt weit von der Stelle, wo die Häher Wache halten, wieder zum Vorscheine. Dort späht er lange umher, schleicht sich hinter den Himbeerbüschen entlang, gewinnt das dunkle Stangenholz, schnürt darin eilig entlang und wendet sich nach dem Erlensumpf, aus dem das Bächlein herausquillt; er weiß, daß es da immer Mäuse gibt. Er lauert ein wenig, horcht scharf dahin, wo es eben raschelte, macht einen Sprung, greift die Waldmaus, die von dem einen Wurzelstock nach dem anderen schlüpfen wollte, und schluckt sie hinab. Dann duckt er sich und äugt scharf nach den eingesprengten jungen Tannen, denn dort bricht es. Seine Gehöre richten sich auf, seine Seher weiten sich; ein führerloses Rehkitz, kümmernd und abgekommen aussehend, zieht dort entlang.

Leise zuckt die weiße Blume an der Lunte Reinekes. Einen Augenblick prüft er den Wind. Dann schleicht er nach dem nächsten Buchenstamme, und von diesem zu einem anderen, und von da weiter, so behutsam, so leise, daß weder Halm noch Blatt knistert und kein Dürrast knickt. Nun zaudert er, denn vor ihm steht hohes, dichtes Himbeergestrüpp, und so muß er nach rechts, wo der schöne, reine, weiche Schnee liegt, auf dem es sich lautlos pirschen läßt. Aber dort ist wenig Deckung, und so äugt er nach links, ob er von da aus nicht besser an das Reh herankommen kann.

Aber da geht es über ihm los: »Ätsch, rätsch, kätsch, hätsch, krieätsch!« Und: »Igittigittigitt,« und »Terr, terrerr«, und »Zerr, zeherr«, und »Ticktickticktick«, und »Jück, jück, jück«! Der Häher hat ihn gewahrt und warnt, und Amsel, Zaunkönig, Meise und Buntspecht helfen ihm dabei. Das Kitz sichert, tritt hin und her, trollt dann der engen Tannenschonung zu und taucht darin unter. Böse äugt der Fuchs hinterdrein, überlegt einen Augenblick, schleicht in den dunklen Stangenort zurück, um von da unter Deckung nach der Schonung zu gelangen, in der das Rehchen sich geborgen hat.

So ärgerlich wie er dem Reh, sieht der Förster hinter ihm her, der von dem Pirschsteige aus ihn einige Zeit beobachtete und ihn in Gedanken schon am Rucksack hängen hatte. Einen bösen Blick wirft er dem Häher zu, der jetzt bergan schwebt. Er überlegt, ob er weiterschleichen oder warten soll; da kreischt am Ende des Stangenholzes abermals ein Häher auf, und so giftig, daß es nur dem Fuchse gelten kann. Vorsichtig sieht der Förster dahin, und seine Mienen hellen sich auf; denn da ist der Fuchs schon wieder! Behutsam streicht der Förster an einer Tanne an, zielt kurz und im Knall schlägt der Rotrock ein Rad.

Der Häher kreischt, die Amsel schimpft, der Zaunkönig und die Meisen zetern um die Wette. Der Förster aber legt die Hand an den Hut und grüßt nach dem Häher hin. Dieses Mal hat ihm der Waldpolizist, der Markwart, der ihm so manchen Bock und Fuchs vergrämte, einen Gefallen getan.


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