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Ein Trauerspiel

Mit grausamem Gesichte steht der abnehmende Mond an dem hellen Himmel; mitleidslos blinzeln die Sterne; unbarmherzig fegt der Nordwind über den Berg hin.

Er reißt den verkrüppelten Fichten den angefrorenen Schneebehang samt den Zweigen von den Ästen; die sich nicht zwischen den Felsbrocken verankert haben, denen knickt er das Leben. Hunderte von ihnen stehen schon fahl und kahl, wie Gespenster, vom vorigen Winter da.

Mißmutig schleicht der Fuchs unter den zerspaltenen Klippen dahin. Als die Sonne noch über dem Kopfe des Berges stand, war er schon auf Raub ausgezogen, doch nichts hatte er erbeutet, nicht einmal eine einzige Maus. Keine von ihnen getraute sich vor dem grimmigen Winde unter dem Schnee hervor.

Unten im Bachtale war es besser gewesen. Aber seitdem ihn beim Holztreiben die Schrote unsanft gekämmt hatten und ihn am anderen Tage die Saufinder beinahe erwischten, gefiel es dem Fuchse dort nicht mehr, und so war er nach der Kuppe ausgewechselt, wo es sich leidlich leben ließ, solange der Schnee weich war und der Wind von Abend kam. Nun aber hatten Tauwetter und Frost den Schnee gehärtet, so daß selbst ein Fuchs nicht leise schleichen kann, und wittert er auch eine Maus, so kann er sie doch nicht ausscharren, denn der Schnee ist scharf wie ein Messer.

Verdrossen schnürt er durch das Moor, wo er im Frühsommer eine Birkhenne auf dem Neste riß, und von da durch den Zwergwald, wo er im Herbste den Urhahn im Staubbade griff und mehr als eine feiste Schnepfe fing. Aber heute riecht es nach weiter nichts als nach Fichten, Moos und Schnee. Hin und her schleicht der Fuchs, von beißendem Hunger gepeinigt, denn schon seit mehreren Tagen hatte er so gut wie nichts gefressen. Unwillkürlich schnürt er bergabwärts, dem Bachtale zu, aus dem ihn die Saujagden vertrieben haben. Da stößt er auf die gesunde Fährte eines geweihten Hirsches. Mehr als einmal hat er sich an Aufbruch von Rotwild und an Fallwild satt gefressen, sich auch einmal wintertags an ein Kalb herangemacht, dabei aber von dessen Mutter einen solchen Schlag mit den Läufen bekommen, daß er halb bewußtlos in das Heidkraut flog. Er weiß, daß es keinen Zweck hat, der Fährte zu folgen, aber er hält sie doch. Er muß das eben, ob er will oder nicht.

Während er flüchtig unter dem Winde neben ihr dahintrabt, zwingt es ihn, loszubellen. Als er zum dritten Male angeschlagen hat, antwortet ihm aus den Fichten derselbe Laut, und wenige Augenblicke ist ein anderer Fuchs bei ihm, der sofort die Fährte aufnimmt. Nun traben sie beide unter ihr dahin, ab und zu anschlagend. Stärker wird die Witterung, immer kräftiger, und um so eifriger folgen ihr die Füchse. Nun bricht es in den Fichten vor ihnen; der Hirsch steht auf und flüchtet. Warum er das tut, weiß er nicht, aber der doppelte Hatzlaut beunruhigt ihn, zumal er stark abgekommen vor Mangel an Äsung und matt und verfroren ist. Niemals hatte er sich bisher um einen Fuchs gekümmert; heute muß er es. So zieht er erst langsam dahin, doch je näher ihm die Füchse kommen, um so schneller wird er, wenn der Hartschnee ihm auch die Läufe zerschneidet, und schließlich stürmt er in hohen Fluchten durch die Dickungen, daß es rasselt und prasselt.

Hellauf bellen die Füchse, angereizt durch die warme Witterung der Fährte und den heißen Atem des Hirsches, der ihnen zufliegt. Ihre Seher glühen, silberne Fäden triefen ihnen von den Lefzen. Sie denken nicht daran, daß sie viel zu schwach sind, um das starke Wild vor ihnen niederzuziehen; sie haben Hunger, kneifenden Hunger, und vor ihnen ist lebende Beute. Jetzt schnappt das Anschlagen des ersten Fuchses in ein gieriges Gekreische über; in der Fährte liegt Schweiß. Nur ein Tröpfchen ist es; aber es steigert den Heißhunger zur brennenden Qual. Auch der andere Fuchs kreischt auf und jagt hastiger voran, und da kommt hinter ihm noch ein lautes Aufbellen her; ein dritter Fuchs hat die Hatz vernommen und schließt sich der Jagd an, ein ganz alter Rüde mit blau bereiftem dunklem Balge. Dreistimmig kläfft es jetzt hinter dem Hirsche her. Der stürmt durch dick und dünn, vom Moore in die Klippen, von da über den kahlen Hai, als wäre er ein hilfloses Kalb. Immer schweißiger wird seine Fährte, denn die Schneekruste ist scharf wie Glas und hat ihm alle Läufe zerschnitten, und zerschneidet sie immer noch mehr. Aber er fühlt den Schmerz kaum mehr, so groß ist seine Angst, denn unmittelbar hinter ihm sind die Füchse.

Der alte Brandfuchs läßt die anderen hinter sich, rennt wie wahnsinnig voran, so daß er den Hirsch, der vor der Steilwand einen Bogen schlagen muß, von der Seite anfällt, macht einen Sprung und reißt dem Hirsche einen großen Tost Haar vom Halse. Hochauf bäumt sich der und wendet, aber schon wieder faßt ein Fuchs an und abermals wirbelt der Wind einen Busch Haar über den Schnee. Nun springt der dritte zu und wiederum fliegt Haar dahin. Der Hirsch stellt sich, senkt das Geweih und versucht den alten Rüden, der ihm an die Strosse springen will, zu forkeln; aber der weicht zurück, und in demselben Augenblick beißt sich der eine an der Keule, der andere an der Flanke fest, und wie der Hirsch sie mit einem jähen Rucke abwirft, daß sie kopfüber in den Schnee rollen, faßt der dritte zu und bringt ihm einen bösen Riß an der Drossel bei, und wenn er auch im Bogen über den Rücken des Hirsches dahinfliegt, dieser stürmt nun vor Angst und Atemnot so kopflos dahin, daß er zwischen zwei verschneite Felsblöcke tritt, sich den rechten Vorderlauf bricht und stürzt.

Gierig fallen die drei Füchse über ihn her; noch einmal kommt er hoch, wirft sie ab und poltert weiter, aber ohne recht zu wissen, was er tut. Fichtenzweige, hart und scharf, zerreißen ihm die Decke, seine Lichter sind vom Schneebehang geblendet, die Läufe sind bis oben hin zerfetzt. Alle Augenblicke faßt ein Fuchs an, reißt ihm hier und da einen Tost Haar ab, und ab und zu greift auch einer tiefer, daß der Schweiß hinterher kommt. Aber trotzdem flieht der Hirsch voran, stürmt weiter, immer weiter, begleitet von dem giftigen Gekläffe der laut hechelnden Füchse. Jetzt jagen schon vier an ihm, und ein Weilchen später gesellt sich ein fünfter dazu, den das Gebelle aus dem Tale holte. An jeder Seite hat der Hirsch zwei, und zwei hinter sich, und den alten Rüden vor sich, der alle paar Fluchten an ihm hochspringt.

Auf der steilen Schneewehe kann der Hirsch nicht weiter. Er will wenden, aber zwei Füchse springen ihm nach der Drossel, und so rollt er den glatten Hang hinunter, sich mit dem Geweih in den Wurzeln eines alten Wurfbodens verfangend. Ehe er wieder hoch ist, haben ihn drei Füchse an der Drossel, und die anderen an den Vorderläufen, wild schlägt er um sich, aber er findet auf dem brettharten Schnee keinen Halt. Das Ende ist da, denn der Brandfuchs hat ihm die Halsschlagader durchgebissen; weithin spritzt der helle Schweiß auf den Schnee. Noch ein letztes Mal reißt der Hirsch sich hoch, bricht aber sofort wieder zusammen. Er ist halali.

Noch ist Leben in ihm, und schon fressen die Füchse an ihm, gierig, hastig, toll vor Hunger und rasend von der heißen Hatz. Es ist Fraß für zehn ihrer Art da; dennoch keckern sie sich giftig an und einer sucht den andern abzubeißen. Schließlich hat jeder sich eine Stelle erobert und reißt und frißt, soviel er kann.

Mitleidslos blinzeln die Sterne und grausam lächelt der Mond.


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