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Der alte Seehund

Cord Schütt fluchte, daß es abscheulich anzuhören war. Es kam ihm schon bei guter Laune auf ein paar »Verdammt« und »Verdori« nicht an; nun aber hatte er eine Laune, wie ein steifer Nordnordost.

»So'n verdammtiges Lork!« schrie er und spie den braunen Priemsaft über Bord; »so'n verfluchtiges Luder! Or'ig krank und kaput kann 'n sich ärgern über das alte Biest; Teuf, du Satan!« brüllte er, griff nach dem alten Vorderlader, spannte ihn, legte an und sah dahin, wo eben ein runder schwarzer Kopf aus dem Wasser herauskam und sofort verschwand. Als er aber nach einer Weile wieder hochkam, brannte Cord los, und dann, als er sah, daß die Kugel über das schwarze Ding hinpfiff, fluchte er noch greulicher und benahm sich, als habe er einen Tobsuchtsanfall.

Es war Cord Schütt aber nicht zu verdenken, daß er wie ein Heidenmensch fluchte und sich benahm, als wäre er aus der Anstalt in Neustadt ausgebrochen, und andere Leute hätten das nicht anders gemacht. Das runde, schwarze Ding, das nun wieder, aber außer Schußweite, zwischen den Wellen hochging und untertauchte, wurde nämlich von allen Fangfischern in der Neustadter Bucht auf den Tod gehaßt, von den Niendorfer und Scharboitzer Fischern nicht minder als von denen aus Grömitz und weiterhin. Denn es war ein Seehund, ein ganz alter Hund, ein ganz bestimmter Hund, und wenn später einmal eine ganze Menge Fischer aus dieser Gegend wegen ihres Fluchens übermäßig lange im Fegefeuer zubringen müssen, so ist er nicht zum wenigsten daran schuld.

»Sandschipper sollte man werden und Kies graben anstatt auf Fang zu fahren,« knurrte Cord Schütt, als er mit seinen Leuten das Netz barg und wenig Fische darin vorfand, aber Loch bei Loch, und mit haßblanken Augen sah er über die Bucht, in der er irgendwo den Übeltäter vermutete, der ihm den Schaden gemacht hatte. Der aber lag ganz behaglich am Brodner Ufer hinter einem großen Steine, gegen den die Brandung schlug, drehte bald seinen Speckbuckel, bald den feisten Bauch nach der Sonne hin, nieste, kratzte sich hier und da, blinzelte nach der großen Möwe hin, die zwischen See und Strand dahinsegelte, horchte auf das Bellen der Taucher, die sich auf den Wellen wiegten, und fühlte sich ganz gemütlich trotz der Flüche, die Tag für Tag hinter ihm hersausten.

Denn hier am Niendorfer Strande war er so gut wie sicher, weil da die Jagd verboten war. Zwar kein Fischer hätte sich gescheut, ihm eine Kugel auf die Schwarte zu brennen, wenn er gewußt hätte, daß ihr Todfeind hier anzutreffen wäre, aber das wußte eben keiner. Von der Seeseite schützten ihn die Wellen vor Menschenblicken, und vom Lande her die Klippen. Niemals fiel es ihm ein, sich drüben bei Pelzerhaken oder bei Rettin oder Brodau auszuruhen, trotzdem dort der schöne weiche Sand war. Vor Jahren, als er noch jung und dumm war, hatte er das gemacht, aber es war ihm schlecht bekommen. Einmal hatte er bei der Neustädter Lotsenstelle eins mit dem Bootshaken über den Rücken bekommen, als er in seiner Einfalt sich im Sande sonnte, und bald darauf kriegte er beim Leuchtturm ein paar Schrote in das Fleisch, und beides mißfiel ihm sehr. Fischen tat er da wohl, aber zum Schlafen kam er immer hierher.

Friedlich lag er da, ließ ab und zu die Nickhaut über seine schönen dunklen Augen rutschen, schüttelte hin und wieder den Schaum aus den Schnurrhaaren und gähnte dann und wann herzhaft, daß die weißen Fangzähne nur so blitzten, klappte die Nasenschlitze zu und machte sie wieder auf, behielt aber die Ohren offen und horchte, ob nicht das Feuersteingeröll klapperte oder sonst ein verdächtiges Geräusch zu vernehmen sei, legte sich auch einmal ein bißchen anders hin, fand dann, als die Sonne rot hinter schwarzen Wolken über Neustadt unterging, daß er nun genügend geruht und verdaut habe, schob seinen schweren Leib voran, warf sich in die Wellen und verschwand.

Quer durch die Bucht schwamm er unter Wasser dahin, ab und zu auftauchend und Luft schöpfend und auch einmal seinen Körper vor Freude über die kleinen Wellen schnellend, daß er laut klatschend zurückfiel. In der Mitte der Bucht trat er lange Zeit Wasser und windete. Taucher bellten, Enten klingelten und Gänse riefen, hier und da blinkten die Feuer der Leuchttürme durch den Abenddunst und irgendwo heulte ein Dampfer. Noch einmal äugte der alte Seehund um sich, horchte und witterte; dann verschwand er und tauchte unter, denn er hatte nicht allzuweit von sich Riemenschlag und Menschenstimmen vernommen.

Steil tauchte er unter und schoß wie ein Pfeil dahin, dem anderen Strande zu. Mit einem Male wandte er sich jäh; Dorschwitterung traf seine Nase, wie der Blitz war er zwischen dem Zug, faßte einen Dorsch, zerknirschte ihn mit den Zähnen und schlürfte ihn ein, und noch einen und einen dritten, indes der Schwarm nach allen Richtungen auseinanderspritzte. Er hätte noch mehr greifen können, aber es langweilte ihn, hinter den einzelnen Fischen herzujagen, und es gelüstete ihn auch nach anderem Fraße. So schwamm er zum Ufer hin, wo er wußte, daß da die Aale gern liegen, unter den Landungsstegen, und nach den Seegraswiesen, und wenn die Aale auch noch so blitzschnell von dannen schossen, weit kamen sie nicht, und einen nach dem anderen schluckte er über, griff auch einige Butts und etwelche Knurrhähne.

Hin und her fuhr er durch die Bucht, aber nur so weit, bis das Wasser allzu süß für seinen Geschmack wurde und der Geruch des verrotteten Meerkohles seine Nüstern belästigte, denn da stieß ihm eine böse Erinnerung auf. Viele Jahre waren es her, als er dort bis in den blanken Tag hinein gejagt hatte und mit einem Male, als er Luft holte, rechts und links und hinter sich von Gebrüll und Riemengeklatsche begrüßt wurde, so daß er vor Bange ziellos weiterschwamm, unter der Brücke hindurch in das Binnenwasser hinein, das ihm gar nicht schmeckte. Hin und her war er gesaust, und überall hatte ihn das Brüllen der Männer verfolgt, und jedesmal, wenn er aufging, knallte es ihm um die Ohren. Schließlich hatte er sich ins Schilf gesteckt und sich erst spät in der Nacht wieder in das salzige Wasser abgestohlen. Seitdem wird ihm übel, wenn er Süßwasser in den Fang bekommt und Meerkohl wittert.

Darum macht er schleunigst kehrt und schwimmt nach dem Scharboitzer Ufer hinüber, wo er unter den Butts aufräumt, bekommt Heringswitterung in die Nase, schwimmt ihr entgegen und sprengt den Schwarm auseinander, und dann, nachdem er eine Weile bei Pelzerhaken ausgeruht hat, fällt ihm ein, daß heute gutes Fangwetter ist, und so saust er dahin, wo die Netze stehen. Er schwimmt an ihnen entlang, und wo es ihm silbern entgegenblitzt und paddelt und zappelt, da packt er zu, reißt mit einem Ruck das Netz entzwei und dem Dorsch die Kehle samt der Leber aus dem Leibe, und das treibt er so lange, bis ihm vor Sattheit das Schwimmen fast zur Last wird und er gemächlich zu seinem Unterstand am Brodner Ufer hinrudert.

Da liegt er, gähnt, räkelt sich und freut sich über die Morgensonne, während Cord Schütt und die anderen Fischer den Zorn Gottes auf ihn herabwünschen und das Maß ihrer Sünden durch Lästerreden und Fluchworte bis zum Überlaufen füllen.


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