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Schlohwittchen

Der alte, halbverfallene Kalkofen, der mitten in der Feldmark liegt, ist die Wohnung von Schlohwittchen.

Eine bessere Hausung hätte sie sich nicht aussuchen können. Brombeeren, Heckenrosen und Weißdorn wuchern da, auch ein Haselbusch und ein krüppeliger Waldbirnbaum; der Bach ist nicht weit davon und der Vorwald ganz in der Nähe.

So leidet Schlohwittchen das ganze Jahr über nie Hunger. Im Frühling und Sommer findet sie genug Vogelbrut, Käfer und Eidechsen, und in der übrigen Zeit gibt es Mäuse und Wühlratten. Außerdem kann ihr weder Hund noch Habicht dort so leicht beikommen, weil die Dornen ihr Deckung geben und die alten Trümmer überreich an Schlupflöchern sind.

Ab und zu kommt es vor, daß ein Hund, der einen Wagen begleitet, auf der Landstraße Schlohwittchens Spur wittert und sie bis zu ihrer Raubfeste hält, aber er mag noch so viel winseln und jaulen, scharren und kratzen, die Bruchsteinblöcke sind fest und Schlohwittchens Bau ist tief; so dauert es meist nicht lange, und der Hund zieht wieder ab, wie er gekommen ist, und Schlohwittchen erscheint unter dem Dornbusch und äugt mit seinen schwarzen Guckerchen dem Köter schadenfroh nach, verschwindet, taucht an einer anderen Stelle auf, ist abermals fort und gleich wieder da, prüft die Luft mit dem schwarzen Näschen und geht auf Beute aus.

»Itsch!« sagt der Rauhwürger ärgerlich. Er hat schon seit einer Stunde auf der Spitze des verkrüppelten Birnbaums gesessen und auf die Maus gelauert. Schmalhans ist Küchenmeister bei ihm. Die Zeiten sind vorbei, da es überall von Käfern und Jungvögeln wimmelt und von Mäusen und Fröschchen krimmelt. Dicht verschneit ist Feld und Flur, die Spatzen und Goldammern sind vorsichtig und es ist ein Zufall, läßt sich eine Maus blicken. Endlich sah der Würger eine unter dem Dornbusche hin und her springen und dachte schon, er hätte sie. Da tauchte das Raubwiesel auf, lauerte einen Augenblick, machte einen Satz, die Maus quietschte auf und der Würger stob ab. Schlohwittchen aber sitzt da, die Maus zwischen den nadelscharfen Zähnchen, steif wie ein Stock. Da es so weiß wie der Schnee ist, so wäre es unsichtbar, verrieten es nicht die Augen, das Näschen und der Schwanzzipfel, alle vier kohlschwarz.

Mit der zappelnden Waldmaus im Fange macht es ein paar Sätze in das freie Gelände hinein, richtet sich wieder auf, nickt mit dem Köpfchen, zuckt mit dem Schwänzchen, hopst noch ein Endchen weiter, bis dahin, wo der Schnee ganz eben ist, und dann läßt es die Maus laufen. Aber kaum hat die drei Sprünge gemacht, so hat Schlohwittchen sie wieder am Wickel. Sechsmal treibt sie es so, dann beißt sie ihre Beute tot, verschwindet damit in dem Kalkofen und ist sofort wieder da. Sie hat keinen rechten Hunger und hat sich deshalb die Maus verwahrt. Aber auf Jagd muß sie dennoch gehen. In langen Sätzen, alle Augenblicke ein Männchen machend, strebt sie der Landstraße zu, denn dort gibt es Beute genug. Die Spatzen, Goldammern und Haubenlerchen treiben sich bei dem Pferdemist umher, und sie sind nicht so ganz schwer zu übertölpeln.

Hinter einem Busche dürrer Rainfarnstengel richtet Schlohwittchen sich auf. »Tiri tiririli« geht es vor ihr. Auf einem Steinhaufen am Rande der Straße sitzt eine Haubenlerche und lobt die Sonne. Schlohwittchens Schwarzaugen funkeln, das Näschen schnuppert gierig und das Schwanzzipfelchen zuckt hin und her. Dann ist sie in der Furche verschwunden, schaut hinter dem Grenzsteine hervor, versinkt wieder, kommt unter dem Durchlasse heraus, ist abermals fort, schaut hinter dem Apfelbaume hervor, und gerade, wie die Haubenlerche zum fünften Male ihre Haube aufrichtet und zu singen beginnen will, macht Schlohwittchen einen jähen Sprung und in einem Angstpfiff endet die Lerche ihr Liedchen. Ein bißchen Geflatter, ein letztes Gezappel, aus ist es mit ihr und das Hermelin schleppt sie in sein Verließ, wo es sich an der leckeren Beute gütlich tut.

Satt ist der weiße Mörder nun wohl, quappsatt, aber des Jagens müde noch lange nicht. Hops, hops. hops geht es in der Furche entlang, unter der Brücke her, in die Drainröhre hinein und wieder hinaus, dem Bache zu. Jede Deckung wird benutzt, denn die freie Fläche ist gefährlich. Der Rauhfußbussard könnte dort lauern, oder ein Hund des Weges kommen. So hält Schlohwittchen denn alle Augenblicke an, sieht sich um, und hüpft weiter. Wupps ist sie fort, wie eine vorüberfliegende Krähe ihren Schatten auf den Schnee wirft, wipps ist sie wieder da. Endlich ist der Bachbord erreicht und dort ist sie sicher, denn da ist Deckung die Menge, Weidengebüsch, Schlehdorn, Hasel und allerlei Gestrüpp. Die beste Ecke ist es in der ganzen Jagd des Raubwiesels. Da gibt es Mäuse und Wühlratten, allerlei Vögel und wer weiß was alles. Gestern erwischte Schlohwittchen eine dicke, kohlschwarze Wollmaus. Sie wehrte sich gewaltig und hampelte und strampelte nach Kräften. Das half ihr aber alles nichts; sie mußte dennoch sterben.

Mit der alten Fasanenhenne, die das Hermelin vor einigen Tagen beschlich, ging es jedoch nicht so gut. Arglos kratzte die Henne an einer schneefreien Stelle nach Gewürm und Sämereien. Behutsam schlich Schlohwittchen näher, ganz behutsam, und dann ein Sprung und ein wildes Aufpoltern, und ehe das Wiesel so recht wußte, was geschehen war, lag es mit dröhnendem Köpfchen und gequetschten Rippen in dem Gestrüppe und hüpfte dann stark lahmend seiner Burg zu. Deswegen macht es heute wohl sehr lange Augen, als es am anderen Ufer den Fasanenhahn nach Schlehen springen sieht, traut sich aber nicht zu ihm hin. Das Wasser scheut es nicht; wohl aber die Kraft des bunten Vogels. So hoppelt es weiter, ein Männchen nach dem anderen machend und schnüffelnd. Über ihm ertönt ein sanftes Gezwitscher. In der Krone der krummen Kopfweide unterhalten sich vier Seidenschwänze. Das wäre so etwas für Schlohwittchen. Aber gerade, wie es hochklettern will, kommt der Sperber angeschwankt, geht mit einem der Nordlandsvögel in den Griffen ab und die anderen stieben fort.

»Wenn nicht, denn nicht!« So etwas Ähnliches mag das Wiesel denken und hüpft weiter. In jeden hohlen Weidenbaum schlieft es ein und kommt bald oben, bald unten wieder heraus, hier von der Amsel mit Geschimpfe begrüßt, dort von dem Zaunkönige mit Entrüstung empfangen. Auch der Eisvogel, der von einer Brombeerranke aus auf Ellritzen lauert, traut dem Weißpelzchen nicht und fährt mit schrillem Schrei von dannen, verfolgt von den funkelnden Augen des Räuberchens, das dann im Maßholdergestrüppe verschwindet. Hier hat es vor einigen Tagen ein Junghäschen gerissen, das erste in diesem Jahre. Einige Wollflöckchen hängen heute noch in den Zweigen. Das war ein leckerer Fraß. Plötzlich richtet das Wiesel sich auf. Da unten klatscht und platscht es. Wupps, ist es mit einem Kopfsprunge in dem flachen Wasser der Bachbucht, und wipps, ist es schon wieder aus dem Land, eine halbpfündige Forelle zwischen den Zähnen. Heftig wehrt sich der Fisch, aber Zweck hat das nicht. Es geht ihm so, wie der Maus und der Haubenlerche. Schlohwittchen frißt nur ein wenig von der leckeren Leber; das übrige läßt sie liegen und hüpft dann weiter. Bei dem Schlehenbusch vor der Wiese liegen gern die Rebhühner; vielleicht ist dort etwas zu machen.

Halb frech, halb schüchtern begibt es sich dahin. Mitten im Freien schrickt es zusammen und drückt sich in eine Furche; es hat etwas vernommen, das ihm gefährlich vorkam. Ist das nur ein Baum, das da steht, oder ist es ein Mensch? Es hat ja viel Angst, aber es ist auch sehr neugierig, und so richtet es sich auf, hält die Pfötchen vor der Brust zusammen, nickt mit dem Köpfchen und schnuppert. Aber jäh verschwindet es wieder, denn der Baum hat sich bewegt. Aber am Ende war das eine Täuschung, und so stellt es sich wieder hoch, denn von dem merkwürdigen Baum her kam eben ein dünner Mausepfiff, und dem hält es bei aller Angst nicht stand. So hüpft es denn drei Schritte voran, und dann bekommt es einen Todesschreck, denn nun sieht es ganz deutlich, daß das lange Ding sich bewegt. Es will fort, aber da donnert und blitzt es auch schon, und Schlohwittchen hat an zwei Stellen einen furchtbaren Schmerz, kann nicht vom Flecke und windet sich hin und her, bis der Hund des Jägers es sich um den Fang schlägt und es aus und zu Ende ist mit Schlohwittchen.


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