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XXVI.
Sitten und Lebensweise der Wandschen.

. Trat uns nicht schon in jener ältesten Schilderung der Wohnungen das niedersächsische Bauernhaus entgegen mit seinen hellweißen niedrigen Mauern und dem stattlichen Balkendach? Aermere wohnten schlechter und zwar ganz so, wie ich die Hütten, die noch jetzt stehen, bereits im dritten Kapitel geschildert habe. Im Sommer und auch sonst wohnte man auch gern in Grotten, wie sie sich in dem tuffartigen Gestein von selbst darboten, luftig und trocken, oder leicht sich aushauen ließen. Ummauerte Ortschaften kannte man nicht, nicht einmal eng zusammenhängende. Jeder bauete sein Haus wo und wie es ihm am besten gefiel.

Zur Kleidung hatte man zwei Stoffe, Ziegenleder das sehr weich gegerbt und auf das Zierlichste gesteppt und ausgenäht wurde, und Matten gewebt aus allerlei Pflanzenfasern. Beide Geschlechter trugen ein eng anliegendes Leibwams, das Hals und Arme und Beine frei ließ, die Frauen darüber ein zur Erde wallendes Gewand, und die Männer gingen nie aus ohne den Mantel umzuthun. Das Haar trugen die Freien langwallend, jedoch gab es bei Männern und Frauen auch Hauben mit Federn und allerlei Schmuck.

Die Geräthschaft bestand in Tischen und Sitzen von Stein und Holz, irdenen Schüsseln, Körben von Rohr und Netzwerk, in Spießen und Hacken, in Messern und Keulen von Holz und Bein und Feuerstein.

Viehzucht und Ackerbau gaben die Nahrung, daneben war reichlich der Fischfang. Das Hauptgericht war leicht gekörntes Mehl, der Gofio, das auf Handmühlen gemahlen wurde, und fettes Schaf-, Schwein- und insbesondere Ziegenfleisch. Auch waren die Wandschen große Liebhaber von geräuchertem Fleisch, und zur Zeit des Einschlachtens hingen sie soviel in den Rauchfang, daß die Wohnungen übel davon rochen. Ob sie auch Sauerkraut gemacht, steht nicht geschrieben.

Allerlei Abstufung im Volk ergab sich durch die Gewerbe und die Stände. Gerber, Zimmerleute, Maurer, Töpfer und die Färber von Leder und Matten bildeten ebensoviele einzelne Handwerke. Metzger und diejenigen, welche die Leichname zum Beisetzen herrichteten, waren unehrlich, schon ihre Berührung schändete. Die Masse des Volkes bestand aus freien Wehrmännern: diese hauptsächlich machten den Staat aus. Ueber ihnen standen einige adlige Geschlechter; tiefer als die Freien standen die hörigen Leute, die auf eines Andern Grund und Boden angesiedelt waren.

Hohe Verehrung genossen die Frauen. Sie nahmen Theil an allen Festen und Aufzügen. Wehe dem Frevler, der sie nur durch ein Wort, eine Geberde beleidigt hätte! Die Wandschen hatten den frommen Glauben, daß eine reine weibliche Seele in's Verhüllte und Dunkle schaue und die Wirrnisse löse. Oefter treten bei ihnen bedeutende Frauen auf als Prophetinnen, ordnen das Staatswesen, schlichten Streitigkeiten und rufen zum Kampf für die alte Freiheit. So lesen wir von der Antidamana, – deren Name aus dem gothischen andeis, enti, Ende und daman, domjan, urtheilen, sich erklärt und die Endurtheilende bedeutet, – in Galindos Werke, der Hauptquellenschrift für Geschichte und Zustände der alten Wandschen, Folgendes: »Im Galdargau, dem fruchtbarsten der Insel, lebte eine jungfräuliche Herrin, Antidamana genannt, von großem Werth und Verdienst, welche bei den Eingebornen in hoher Achtung stand. Sie hatten solch' eine Meinung von ihrem Urtheil und Verstande, daß sie häufig an sie sich wandten, ihre Streitigkeiten zu entscheiden, und niemals gegen ihre Erkenntnisse Einspruch erhoben. Denn sie wollte es nicht dulden, daß die Partei, welche den Prozeß verlor, eher wegging, als bis sie dieselbe von der Gerechtigkeit des Urtheils überzeugt hatte. Und dies mißlang ihr auch selten bei der Gewalt ihrer Beredsamkeit und der hohen Achtung, welche sie für Recht und Billigkeit hatte. Nach einigen Jahren dachten, ärgerlich über die Ehrerbietung vor diesem Weibe, die Adligen: das Amt eines Richters und Herrschers gehöre eigentlich mehr den Männern, und beredeten das Volk, nicht länger seine Rechtshändel vor Antidamanas Richtstuhl zu bringen, noch ihre Entscheidungen zu beachten. Als sie das merkte und einsah, wie sie mißachtet und vernachlässigt wurde, griff es ihr ans Leben, besonders weil sie gewissermaßen ihre Jugend dem Dienste des Volkes geopfert hatte, das nun auf das Undankbarste sie verließ. Da sie aber ein Weib von raschem Gefühl und klarem Verstande war, so ergoß sie ihren Groll nicht in leere Klagen, sondern ging zu einem gewissen Gumidafe (von gomo oder gumo, der Held), der Häuptling von einem der Gaue und geschätzt ward als der tapferste und klügste von all' den Adeligen Canarias, und großen Einfluß auf das Volk besaß. Dieser Herr lebte in einer Grotte, die heutzutage das Haus des Ritters von Facaracas heißt. Ihm vertraute sie all ihre Kränkungen und bot ihm ihre Hand an. Gleich war Gumidafe bereit dazu, und sie wurden demgemäß bald darauf verheirathet. Nun suchte Gumidafe verschiedene Vorwände, die anderen Fürsten mit Krieg zu überziehen, und wurde siegreich über alle, sodaß er zuletzt König ward über die ganze Insel.«

Bei solcher Stellung der Frauen konnte auch nur die ächte Ehe stattfinden. Diese aber besteht nur zwischen einem Mann und einem Weibe, die einander volle und ebenbürtige Lebensgenossen sind. Die Mädchen heiratheten nicht vor Vollreife des Alters, gewöhnlich erst wenn sie das zwanzigste Jahr erreicht hatten, und wurden vor dem Hochzeitstag »reichlich mit Milch und Mehl gefüttert, damit sie weich sich ausründeten; denn man bildete sich ein, magere Frauen wären nicht so gut im Stande, Kinder zu empfangen, als wohlgenährte.« Bei der Hochzeit streuete man über das Brautpaar ein paar Hände voll Waizen. Die Kindererziehung war Gegenstand ernster Sorge, Ehrfurcht vor dem Alter von früh auf eingeprägt; jede Unart strenge bestraft. Die Knaben wurden zu den Waffen erzogen; namentlich mußten sie lernen, jeden Wurf durch bloßes Ausbiegen und blitzrasches Heben und Senken des Leibes zu vermeiden. Die Mädchen wurden außer im Nähen und Schneidern und Käse- und Buttermachen besonders in der Heilkunst und im Schönfärben der Kleidungsstücke unterrichtet.

An Volksfesten und besonders an Kampfspielen hatten die Wandschen große Freude. Mit gleichen Füßen über mehrere hohe Stangen springen, Wettturnen, mit Steinblöcken spielen, schwere Holzstämme auf fast unzugänglichen Schroffen befestigen, Ringkämpfe und sich Beschießen mit Steinen und Wurfspießen – darin bestanden die öffentlichen Spiele, denen niemals die leidenschaftlichen Zuschauer fehlten. Es gab auch öffentliche Häuser, in denen man zusammenkam, um zu tanzen und zu singen. Die Tänze waren Paartänze und Reihentänze, nach dem Takt und mit großer Behendigkeit der Füße und höchst ausdrucksvollem Wiegen und Biegen des Leibes. Den Takt schlugen die umstehenden Zuschauer klatschend mit den Händen oder stampften ihn mit den Füßen. Man hatte auch besondere Lieder für jedes Fest, und jedes frohe und traurige Ereigniß. In den Nationalgesängen aber wurden die Heldenthaten gefeiert und dem Andenken aufbewahrt.

Alle Berichte, die wir über Wandschen haben, rühmen einstimmig und auf's Höchste ihren Nationalcharakter. Sie waren offen und ohne Falsch und konnten nicht begreifen, wie Jemand untreu sein könnte. Gegen Gefangene und Besiegte kannte ihr Edelmuth keine Grenzen. Fröhlich und gesellig, gastfrei und arglos, konnte sie ihr flammender Ehrgeiz, ihre große Empfindlichkeit zu seltsamen Thaten hinreißen. Waneben und Caytafa waren zwei berühmte Ringer. Bei einem großen Volksfeste forderten sie sich heraus, und rangen mit einander. Lange dauerte der Kampf, und keiner konnte des andern mächtig werden bis man sie trennte, damit sie Athem schöpften. Als sie nun wieder auf einander loswollten, bemerkte Waneben, daß sein Gegner noch nicht geschwächt sei, während er selbst sich außer Stand fühlte, siegreich den zweiten Gang zu bestehen. Da rief er ihm zu: »Seid Ihr Manns genug zu thun, was ich thue?« »Ja!« schallte es zurück. Flugs rannte Waneben auf die Spitze des Felsens und stürzte sich kopfüber hinab, und der Andere bedachte sich nicht lange, sondern rannte ihm nach und stürzte sich ebenfalls hinunter in den Tod.

Mit der Keuschheit der Frauen, mit der Ehrenhaftigkeit der Männer verwob sich tiefes Gemüth, ja man wollte an ihnen etwas Weiches und Zärtliches bemerken, das sich leicht der Schwermuth hingab. Fein und leicht gereizt war ihr Ehrgefühl. Adargoma (das Wort bezeichnete adal Adel und gomo Held) war ein Mann von mittlerem Wuchs, und hatte breite Schultern wie von Stein. In seinem Gau war er wohl der Stärkste, im Telde-Gau aber war es Warinayga, ein Name der aus wari, Wehre, und eiga, Besitzung, oder eicha, Eiche, zusammengesetzt ist, ähnlich wie Warinheri, Werinbolt, Wariland. Beide hatten als reiche Grundbesitzer große Heerden, und ihre Schäfer kamen über die Gränzweiden wieder einmal in Streit. Auch die Herren konnten sich nicht einigen und beschlossen zuletzt, im Ringkampf die Sache auszumachen. Sie warfen die Kleider ab und begannen mit einander zu ringen, allein keiner konnte den andern zu Boden bringen; denn so viel Adargoma stärker war, um ebenso viel war Warinayga behender. Endlich, nach langem Ringen, gelang es dem Geschickteren, den andern niederzuzwingen: dieser aber umschlang ihn im Fallen und preßte ihn mit seinen Armen derart, daß Warinayga bereits all seine Knochen brechen hörte. Der Athem ging ihm aus, und er konnte eben noch sagen: »Ich geb's verloren.« Sofort sprang Adargoma auf, und sie wurden die besten Freunde, verglichen auch gütlich ihren Streit wegen der Ländereien. Wenn man sie aber fragte: wer gesiegt habe, so deutete dieser auf Warinayga und jener auf Adargoma, und so blieb es ein wohlbehütetes Geheimnis, bis die Europäer kamen und sie ausfragten.

Die Wandschen hatten gemeinsame Friedhöfe und suchten dafür stille Plätze aus, einsam im ragenden Gebirge oder am Meeresrauschen gelegen, wo kein Anbau und Verkehr die feierliche Ruhe störte. Hier machte man ein Grab und setzte den Todten darin bei in seinem Mantel mit Spieß und Streitaxt, das Haupt gegen Norden. Darüber aber häufte man einen Hügel, der bei angesehenen Männern sehr fest und hoch gemacht wurde. In Teneriffa, wo es die vielen stillen Grotten gab, wurde es allgemein Gebrauch, die Leichname in einsamen und hochgelegenen Grotten beizusetzen. Zuvor aber wurden sie ausgeweidet, ausgetrocknet und mit Fett und Harz eingerieben, darauf mit Lederstreifen umwunden, und hielten sich dann in den Grotten viele Jahrhunderte gleichwie ägyptische Mumien.

Grundzug der religiösen Anschauung war der lebendige Glaube an Gott, den Schöpfer und Erhalter des Weltalls, den Allvater und Allgeist, der dort oben wohnt, wo sein Abbild das hehre Himmelsgewölbe. Der böse Geist aber, der auch als Wärwolf erscheint, hatte seinen Sitz im schwefelbleichen Krater auf dem Pik von Teneriffa. Auf geweiheter offener Stätte, wo eine natürliche Felssäule oder ein künstlich von Steinen errichteter Thurm empor ragte, verehrte man das höchste Wesen mit Gebeten und Gesängen, feierlichen Aufzügen und Opfern von Milch und Butter, mit Ringtänzen und Kampfspielen. Ordner bei den religiösen Volksfesten, die sich genau dem Wechsel der Jahreszeiten anschlossen, war derselbe Beamte, der dem öffentlichen Gerichte vorstand und dessen Urtheile vollzog. An das Christenthum erinnerten noch die Bethäuschen, die hier und da vorkamen, das Begießen der Neugeborenen mit Wasser, welches durch klösterliche Jungfrauen verrichtet wurde, und diese selbst, die Harimagadas, oder Heermägde. Waren die Wandschen früher Christen gewesen, so haben wir hier das einzige bekannte Beispiel, daß ein christlich gewordenes Volk zum Heidenthum zurückkehrte. Wahrscheinlich waren diejenigen, die einst aus christlichen Ländern fortgezogen, von keinem Bischof begleitet, und als die letzten geweiheten Priester ausstarben, verdunkelte sich im Laufe der Jahrhunderte das Christenthum wieder, das wohl ohnehin noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen war.

Für die Angehörigkeit eines Volks gibt seine Körperbildung und der Grad seiner Intelligenz ein Merkmal, das zwar nicht untrüglich, jedoch von Gewicht ist, sobald andere Merkmale damit zusammentreffen. Nun entsprach aber das Weiche Seelenvolle und rasch Lebendige in den Gesichtszügen der Wandschen dem Vorwiegen des langen blonden Haars, der hellgefärbten Augen, und der weißröthlichen Gesichtsfarbe der Germanen. Das Knochengerüst aber, wie man es in den Grabesgrotten auf Teneriffa fand, insbesondere der Schädel, zeigt die germanischen Maße. Scharf tritt auch der Winkel hervor, welchen die Nase mit der Stirne bildet. Was aber charakteristisch ist und die Annahme, daß die Germanen ein barbarisches Volk auf den Inseln vorfanden, unterstützt, ist die Thatsache, daß unter den alten Wandschenschädeln, gleichwie noch heutzutage hier und da unter den Gesichtern des canarischen Landvolks, eine Verschiedenheit hervortritt. Der kleinere Theil hat mehr hochrunden Oberkopf und schwächeren Nasenwinkel: bei der größeren Anzahl ist die Stirn breiter und stärker und nähert sich das Gesicht mehr dem Viereckigen.

Was endlich die geistigen Kräfte angeht, so kamen Franzosen und Spanier während des langen Kriegs nicht aus bangem Staunen heraus, wie rasch die Wandschen europäische Waffen nachahmten, wie klug sie ihre Kampfart änderten und das Schlachtfeld auswählten, wie tiefangelegt ihre Pläne waren und mit welcher Festigkeit sie ausgeführt wurden. Ihr Geschmack im Ausnähen der Gewänder und im Formen der Thonkrüge, Geräthe und Steinhügel verrieth entschiedenen Kunstsinn, und ihre Lieder klangen so schön, daß sie zu Thränen rührten. Die Antworten, welche Wandschen gaben, waren nicht selten äußerst treffend. Der berühmte Krieger Maninidra pflegte, wenn er zur Schlacht ging, vor Kampfwuth am ganzen Leibe zu zittern. Von einem spanischen Freunde einst darüber befragt, antwortete er: »Soll das Fleisch nicht zittern und schrecken vor den furchtbaren Gefahren, in welche das Herz sich vorsetzt es hinein zu stürzen?«


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